Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im Anschluss an die Videokoferenz mit Vertretern internationaler Organisationen

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, normalerweise würde ich jetzt mit den fünf Chefs der internationalen Organisationen - des IWF, der Weltbank, der WTO, der ILO und der OECD - vor Ihnen stehen und wir wären in dem anderen Saal. Aber die Zeiten sind nicht so. Wir hatten eine Videokonferenz und haben uns sozusagen zum zwölften Mal ausgetauscht, diesmal ganz im Zeichen der Pandemie; denn COVID-19 ist natürlich das beherrschende Thema für alle auf der Welt und so auch für die internationalen Organisationen.

Es war nicht verwunderlich, dass alle darauf hingewiesen haben, dass wir uns in einer tiefen globalen Rezession befinden, genauso aber dafür geworben haben, möglichst schnell wieder auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad zurückzukommen. Wir waren alle davon überzeugt, dass dafür gemeinsames, abgestimmtes Handeln und nicht unilaterales Handeln die richtige Antwort ist. Deshalb war klar: Der Multilateralismus stand schon vor der Pandemie vor einer großen Herausforderung, und diese Herausforderung ist nicht Kleiner geworden.

Ich möchte vier Bereiche aus unserem Gespräch aufgreifen. Wir waren uns alle einig, dass diese Pandemie natürlich nur beendet sein wird, wenn es einen Impfstoff beziehungsweise eine sehr gute medizinische Behandlungsmöglichkeit geben wird. So lange müssen wir mit dem Virus leben. Deshalb ist es auch sehr wichtig, einen solchen Impfstoff oder auch Medikamente als gemeinschaftliche globale Güter zu verstehen. Das heißt, sie müssen allen zur Verfügung gestellt werden. Sie wissen, dass Deutschland und andere auf einer Geberkonferenz Anfang Mai ja auch ihren Beitrag dazu geleistet haben.

Zweitens. Wir haben gesehen, wie schädlich es ist, wenn Wertschöpfungsketten zusammenbrechen. Deshalb ist die Stärkung des internationalen Handelssystems von großer Bedeutung. Das heißt nicht, dass wir nicht vielleicht in einigen Bereichen mehr diversifizieren müssen. Aber die Antwort auf die Pandemie kann mit Sicherheit nicht sein, alle internationalen Lieferketten jetzt zu renationalisieren; dann würden alle einen sehr hohen Preis zahlen. Deshalb muss man die protektionistischen Tendenzen auch mit Sorge betrachten. Der WTO-Chef, Robert Azevêdo, hat noch einmal darauf hingewiesen, wie viele unilaterale Maßnahmen es jetzt schon wieder gibt, zum Beispiel auch die besorgniserregende, dass es eine ganze Reihe von Exportbeschränkungen im Lebensmittelbereich gibt. Wir wissen natürlich - darauf hat auch die Welternährungsorganisation schon hingewiesen -, dass aus der Arbeitslosigkeit und aus der darauf folgenden Armut dann auch sehr schnell Hunger werden kann. Deshalb ist gerade die Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln in den nächsten Monaten von ganz besonderer Bedeutung.

Wir haben dann über die Frage gesprochen, wie wir den wirtschaftlichen Erholungsprozess gestalten können. Es ist heute noch einmal darauf hingewiesen worden, dass insgesamt schon neun Billionen Dollar in Stützungsmaßnahmen geflossen sind, sowohl als Zuschüsse als auch als Kredite. Wir haben ja in der Europäischen Union auch schon fast die Zwei-Billionen-Euro-Grenze erreicht, haben also durchaus zwei Billionen Dollar zu diesen neun Billionen Dollar beigetragen. Das sind wichtige Maßnahmen. Es ist auch noch einmal betont worden, dass das von ganz großer Notwendigkeit ist. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass die Phase der Erholung auch noch einmal von Konjunkturprogrammen begleitet werden muss. Die Bundesregierung plant so etwas ja auch und nicht etwa, dass durch höhere Steuern dann dazu beigetragen wird, dass man den Aufschwung wieder einschränkt, beschränkt oder ihn sogar zum Stillstand bringt. Das war ein wichtiges Anliegen. Wir müssen also auch die Erholungsphase mit Erleichterungen für das Wirtschaften und damit auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen verbinden.

Im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Erholungsprozess ist natürlich noch einmal durch Guy Ryder von der Internationalen Arbeitsorganisation darauf hingewiesen worden, dass es von großer Wichtigkeit ist, vor allen Dingen eben auch in den Entwicklungsländern wieder Arbeitsplätze zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit dort ist dramatisch. Wenn sich das Konsumverhalten in den hochentwickelten Ländern einschränkt, dann hat das natürlich auf die Entwicklungsländer dramatische Auswirkungen. Deshalb wird die Armutsbekämpfung in den nächsten Jahren sicherlich ein wesentlicher Punkt sein. Wenn wir einmal die Stützungsmaßnahmen in Höhe von neun Billionen Dollar betrachten, dann ist das nicht gleich über die Welt verteilt, sondern es sind vor allem die Industrieländer, die das schaffen können, und zum Teil auch die aufsteigenden Länder unter den BRICS-Staaten. Aber viele können das eben nicht.

Deshalb ist der vierte Punkt von so großer Bedeutung, nämlich dass wir die Finanzierungserfordernisse gerade der schwächeren Staaten im Auge haben müssen. Das heißt für Deutschland, keine Entwicklungshilfe zu kürzen, sondern weiter in die Entwicklungshilfe zu investieren. Das heißt, umzuschichten und die Mittel, wie unser Entwicklungshilfeminister es macht, hierbei auch so einzusetzen, dass sie jetzt zu dieser COVID-Pandemie passen. Das heißt auch, dass wir mit dem Schuldenmoratorium der G20 und des Pariser Clubs einen richtigen Schritt gemacht haben. Das ist ja aber nur ein Moratorium, sodass die Schulden nicht bedient werden müssen. Es ist heute im Gespräch durchaus darauf hingewiesen worden, dass das vielleicht noch nicht der letzte Schritt sein wird, sondern dass gerade, was die Schuldentragfähigkeit anbelangt, weitere Schritte folgen müssen.

Im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfefinanzierung haben wir auch noch einmal über den „Compact with Afrika“ gesprochen. Das ist ja jetzt auch sehr stark in die Verantwortlichkeit der Weltbank übergegangen. Die Weltbank hat hier noch einmal darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Länder Afrikas dazu zu ermutigen, eine bessere Regierungsführung und mehr Transparenz zu zeigen und damit dann auch die Finanzierung im Bereich der Entwicklung besser möglich zu machen. Genau das ist ja auch die Philosophie des „Compact with Afrika“. Wir werden uns hierbei von deutscher Seite natürlich auch weiterhin intensiv einbringen.

Das war im Großen und Ganzen das, was ich Ihnen von unserer Videokonferenz berichten wollte. Jetzt hätten wir Gelegenheit für wenige Fragen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben schon in der Pressekonferenz mit Herrn Macron gesagt, Krisenzeiten seien Zeiten, um auch für eine Idee zu kämpfen. Ihre Idee haben Sie ganz am Anfang angesprochen, nämlich den Multilateralismus. Sehen Sie da noch genug Mitstreiter?

Nachdem Herr Trump heute gesagt hat, er könnte sich vorstellen, auch ein physisches G7-Treffen in Camp David im Juni auszurichten: Würden Sie bei einer Einladung dorthin fahren, um für Multilateralismus zu kämpfen?

BK’in Merkel: In welcher Form auch immer das G7-Treffen stattfindet - ob als Videokonferenz oder anders -, ich werde auf jeden Fall für den Multilateralismus kämpfen, das ist ganz klar - sowohl bei G7 als auch bei G20.

Frage: Auch zum Multilateralismus: Sie haben die internationale Koordination angesprochen. Hatten Sie seit Montag Gelegenheit, mit Kanzler Kurz oder Ministerpräsident Rutte über einen Kompromiss zu dem Recovery Plan zu sprechen, der ja bilateral zwischen Deutschland und Frankreich ausgearbeitet wurde?

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich verstanden habe, ob Sie auch zum G7-Gipfel fahren würden, wenn Sie da eine Einladung bekämen.

BK’in Merkel: Ich weiß nicht, ob Sie sich da sicher sind oder nicht - ich wollte das sagen, was ich gesagt habe. Das Weitere warten wir einfach einmal ab. Ich habe meine Worte mit Bedacht gewählt.

Zu der anderen Frage: Ich habe mit den beiden Kollegen noch nicht gesprochen, das wird aber sicherlich noch geschehen. Wir sind jetzt ja in der Phase, in der wir erst einmal auf den Vorschlag der Kommission warten. Das ist dann der entscheidende Vorschlag, auf dessen Grundlage wir auch arbeiten werden. Deutschland und Frankreich wollen diesen Prozess begleiten - auch konstruktiv begleiten -, aber das nächste, was passiert, wird sein, dass die Kommission am 27. Mai ihren Vorschlag vorlegt. Dieser Vorschlag wird dann der Gegenstand der Diskussion mit allen anderen Mitgliedstaaten sein.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben auf die Rettungspakete mit den neun Billionen Euro hingewiesen. Jetzt gibt es einen ganz konkreten Fall in Deutschland, nämlich die Lufthansa. Können Sie bestätigen, dass Sie sich mit ihren Kabinettskollegen auf eine Beteiligung von 25,1 Prozent geeinigt haben?

Es gibt im Zusammenhang mit diesen Rettungspaketen die Warnung - etwa vom Siemens-Chef -, dass die USA und China besser aus der Krise kommen könnten als europäische und deutsche Firmen. Teilen Sie diese Sorge?

BK’in Merkel: Ich glaube, wir haben ja sehr beherzt unsere Rettungsaktionen geplant und führen sie auch so durch, sodass ich glaube, dass wir unseren Unternehmen genauso eine Chance geben wollen, wie das andere Länder auf der Welt auch tun.

Zur Lufthansa selbst kann ich Ihnen Folgendes sagen: Die Bundesregierung ist in intensiven Gesprächen mit dem Unternehmen und der EU-Kommission. Es ist in Kürze mit einer Entscheidung zu rechnen. Zu laufenden Gesprächen kann ich aber keine Details berichten; das werden Sie verstehen. Ich würde auch den Rat ausgeben: Warten Sie das Ende der Gespräche ab. Es ist in Kürze mit einer Entscheidung zu rechnen, aber sie muss dann auch fertig sein.

Danke schön!