Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, EU-Ratspräsident Michel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen am 14. September 2020

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Präsidentin Ursula von der Leyen, Präsident Charles Michel

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

P Michel: Einen schönen guten Tag, Angela und alle anderen! Ich freue mich, dass wir per Videokonferenz mit Ursula und Angela und Präsident Xi diskutieren konnten. Leider war die physische Sitzung in Leipzig ja nicht möglich.

Europa muss ein Akteur sein, kein Terrain, auf dem agiert wird. Wir brauchen eine ausgewogenere Beziehung mit China. Das war heute ein weiterer Schritt. Wir wollen eine Beziehung, die nach unserem gegenseitigen Engagement Ergebnisse mit sich bringt, konkrete Ergebnisse für beide Seiten, die auch gut für die Welt sind. In einigen Bereichen sind wir auf dem richtigen Weg. In anderen Bereichen muss noch mehr Arbeit geleistet werden.

Wir haben klargemacht, wo wir stehen, wo wir zustimmen und wo wir nicht einig sind. Wo Differenzen bestehen, werden wir die nicht unter den Teppich kehren. Wir sind aber bereit, dort zusammenzuarbeiten, wo es möglich ist, uns zu engagieren, die Ärmel hochzukrempeln und konkrete Lösungen zu finden. Hinsichtlich schwieriger Fragen haben wir eine klare und geeinte europäische Message übermittelt. Wir wollen eine Beziehung mit China, die auf Reziprozität, Verantwortung und Fairness gestützt ist.

Heute haben wir vier wesentliche Themen behandelt, den Klimawandel, Wirtschafts- und Handelsfragen, internationale Angelegenheiten und Menschenrechte, COVID-19 und den wirtschaftlichen Wiederaufschwung.

China ist ein ganz wichtiger globaler Partner, wenn es darum geht, Treibhausgase global zu reduzieren und den Klimawandel anzugehen. Wir haben China heute dazu ermutigt, noch ambitiöser zu sein. Die EU legt die Latte hoch: CO2-Neutralität bis 2050. Wir rechnen mit China, einen ähnlichen Weg bei der Umsetzung des Pariser Abkommens zu gehen. Angela wird noch mehr dazu sagen.

Wir haben eine solide Wirtschafts- und Handelsbeziehung zu China. Die EU ist mit einem Handelsvolumen von mehr als 1 Milliarde Euro pro Tag Chinas erster Handelspartner. Das schafft Energie für den Wiederaufbau. Wir wollen aber mehr Fairness und mehr Ausgewogenheit. Das bedeutet auch Reziprozität und gleiche Bedingungen für alle. Daher begrüßen wir die Unterzeichnung des Abkommens zu geografischen Angaben. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir arbeiten an einem umfassenden Investitionsabkommen und an konkreten Ergebnissen in anderen wichtigen Bereichen. Ursula wird mehr dazu sagen.

Dann zum digitalen Bereich: Hier setzen wir uns für unsere Vision eines freien, offenen und sicheren Cyberspace ein, für das Wohl unserer Menschen und unserer Gesellschaften. Als globale Akteure tragen EU und China auch globale Verantwortung. Das bedeutet, wir setzen uns für eine regelgestützte internationale Ordnung ein.

Das nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong führt weiterhin zu großen Bedenken. Die EU und unsere Mitgliedsstaaten haben mit klarer Stimme reagiert. Die demokratischen Stimmen in Hongkong verdienen Gehör. Rechte müssen geschützt werden. Autonomie muss gewahrt werden. Wir forderten China dazu auf, Versprechen gegenüber dem Volk von Hongkong und der internationalen Gemeinschaft zu halten.

Dann haben wir noch einmal unsere Anliegen im Zusammenhang mit der Behandlung von Minderheiten in Xinjiang und Tibet sowie der Behandlung von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten betont. Wir forderten unabhängige Beobachter in Xinjiang, und wir verlangen die Freilassung des verhafteten schwedischen Bürgers Gui Minhai und zwei kanadischer Bürger. Wir diskutierten auch über Menschenrechte und darüber, den Menschenrechtsdialog in Peking in diesem Jahr mit einem Besuch in Tibet fortzuführen.

Weiterhin haben wir China dazu aufgefordert, von unilateralen Maßnahmen im südchinesischen Meer abzusehen (Unterbrechung der Tonübertragung).

Dann zu COVID: COVID-19 bleibt eine große und dringliche Bedrohung. Kollektive und transparente Maßnahmen sind nötig. Es gibt nur einen Weg, einen Impfstoff zu finden und ihn in allen Ländern einzusetzen: globale Zusammenarbeit. Wir gehen davon aus, dass alle Länder - auch China - zusammen an einer unabhängigen und umfassenden Evaluierung der internationalen Gesundheitsreaktion auf COVID-19 arbeiten und die WHO dabei unterstützen, die Quelle des Virus zu entdecken.

Wir ermutigen China dazu, den wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu verfolgen, einen Aufschwung, der zu strukturellen Reformen und einer nachhaltigeren Volkswirtschaft führt. Dazu gehört die Umsetzung des G20-Aktionsplans für globales Wachstum und die Reduzierung globaler Spannungen.

Auch in Afrika kann China ein Katalysator für multilaterale Anstrengungen beim Schuldenerlass und bei der Beschleunigung der wirtschaftlichen Erholung sein.

Die heutige Diskussion war wichtig. Uns ist klar - das haben wir betont -, dass Gespräche von Bedeutung sind. Aber es reicht nicht, nur Gespräche zu führen. Wir müssen auch Handlungen auf unsere Botschaften folgen lassen. Wir sind entschlossen, uns weiter auf Gespräche mit China einzulassen und dabei unsere Werte und Interessen zu verteidigen. Wir wollen eine ausgewogene Beziehung mit Respekt für die jeweiligen Interessen des anderen. Reziprozität und Transparenz müssen im Kern des europäischen Engagements stehen.

BK’in Merkel: Ich freue mich, heute auch im Anschluss an den Dialog als Videokonferenz hier bei der Pressekonferenz des Ratspräsidenten und der Kommissionspräsidentin mit dabei sein zu können. Deutschland hatte ja das Projekt, während seiner Ratspräsidentschaft den ersten Vollformatgipfel mit China durchzuführen. Das wäre heute gewesen. COVID-19 hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Insofern war es wichtig, dass wir heute diese Videokonferenz hatten.

Die Themen, die wir heute neben den aktuellen Themen besprochen haben, sind Themen, die wir schon 2018 mit Präsident Xi verabredet haben. Es zeigt sich, dass sie von großer strategischer Bedeutung sind. Die Themen sind von Charles Michel genannt worden. Ich will mich hier vor allen Dingen auf das Thema des Klimas konzentrieren, will aber vorher auch positiv sagen, dass ich mich sehr freue, dass es gelungen ist, auch bei den Handels- und Wirtschaftsfragen einmal einen praktischen Schritt zu machen, nämlich eine Einigkeit über einen ersten Schritt bei geografischen Herkunftsbezeichnungen festzulegen. Für die deutschen Weinbauern an der Mosel, aus Franken und Rheinhessen ist das heute ein guter Tag, genauso für das Münchener und das bayerische Bier. In einigen Jahren werden weitere Produkte folgen, die deutlich machen, welche Qualität unsere Nahrungsmittel haben.

Wir haben Druck gemacht - dazu wird Ursula von der Leyen gleich etwas sagen -, dass wir beim Investitionsabkommen vorankommen müssen. Wir haben auch unsere strategische Zusammenarbeit im Hinblick auf das Klima deutlich werden lassen. Insgesamt muss die Zusammenarbeit mit China auf bestimmten Prinzipien beruhen, auf Reziprozität und einem fairen Wettbewerb. Wir sind unterschiedliche Gesellschaftssysteme, aber wenn wir uns zum Multilateralismus bekennen, dann muss er regelbasiert sein.

Beim Thema des Klimaschutzes haben wir die Tatsache, dass sich sowohl die Europäische Union als auch China zum Pariser Abkommen bekennen. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir wollen einen hochrangigen Dialog installieren, der nicht nur punktuell stattfindet, sondern systematisch zwischen China und der Europäischen Union und bei dem es, erstens, um die Vorbereitung der Glasgower Klimakonferenz am Ende dieses Jahres geht. Dort geht es ja um eine Überprüfung der nationalen Ziele. So, wie die Europäische Kommission ihr Ziel für 2030 verschärfen wird und sich zur Klimaneutralität bis 2050 bekennt, werden wir auch mit China in einen Dialog darüber eintreten, ob auch China das Ziel bezüglich der Frage, wann China seinen CO2-Peak erreichen wird - das ist nach jetzigem Stand 2030 -, noch verschärfen kann, um die Klimaneutralität schneller durchzusetzen. China emittiert heute aus Kohlekraftwerken die Hälfte aller CO2-Emissionen weltweit. Das heißt also, die Hälfte des Kohleverbrauchs geht auf einen chinesischen Verbrauch zurück. Deshalb haben wir mit dem Präsidenten auch über den Umstieg auf andere Energieformen gesprochen. Wir wissen selbst, welche strukturellen Herausforderungen das für Volkswirtschaften bedeutet. Aber China hat sich zu diesem Weg bekannt.

Wir haben ein besonderes Interesse an dem Emissionshandelssystem, das China aufbaut. China arbeitet mit Hochdruck daran. Ein solches Emissionshandelssystem wäre dann natürlich das Größte der Welt. Für uns in der Europäischen Union, die wir ein solches Handelssystem jedenfalls für den Industriebereich bereits haben, wäre das natürlich eine sehr interessante Möglichkeit zur Kooperation, die wir dann auch gern nutzen würden. Aber wir alle kennen auch die Schwierigkeiten. Es hat lange gedauert, bis das europäische System eine spürbare Preisbildung ermöglicht hat, die wir aber im Augenblick sehen und die in Deutschland auf marktwirtschaftlichem Wege schon dazu geführt hat, dass zum Beispiel weniger Kohlestrom produziert wird.

Wir haben dann darüber gesprochen, dass wir vonseiten der EU auch bei der Vorbereitung der Konferenz zur biologischen Vielfalt, die nächstes Jahr in Kunming in China stattfinden wird, eine Unterstützung leisten wollen und dass wir wollen, dass ein ambitionierter Rahmen für die Erhaltung unserer biologischen Vielfalt gefunden wird.

Ich bin zufrieden, dass es gelungen ist, in dem Dialog mit China heute, wie Charles Michel es bereits gesagt hat, auch die Themen anzusprechen, die schwierig sind und bei denen wir nicht von vornherein einer Meinung sind, wie Hongkong, den Umgang mit Minderheiten und die Menschenrechte. Deshalb war es heute ein guter, ehrlicher, offener Austausch, der fortgesetzt werden sollte.

Wir haben uns dazu bekannt, dass der EU-China-Gipfel im Vollformat dann auch physisch stattfinden soll, wenn die pandemischen Möglichkeiten es zulassen. Das wird sicherlich nach der deutschen Ratspräsidentschaft sein. Also wird er dann wahrscheinlich in Brüssel stattfinden; jedenfalls hat Charles Michel den Präsidenten schon einmal nach Brüssel eingeladen.

Wichtig war, dass wir im Vorfeld mit allen Mitgliedsstaaten Diskussionen geführt haben, sodass dies jetzt nicht nur ein Gipfel von uns drei war, sondern der Ratspräsident und ich haben in Gesprächen mit allen Mitgliedsstaaten die gemeinsame EU-China-Haltung herausgearbeitet. Ich denke, das war schon allein für uns alle ein sehr wichtiger Prozess, der auch ein Beitrag dazu ist, dass wir in Zukunft eine Außenpolitik für strategische Partnerschaften machen können, die mehr aus einem Guss ist - ich sage nicht, dass es schon so ist -, als wir das in der Vergangenheit vielleicht gezeigt haben.

P’in von der Leyen: Vielen Dank. Es war ein aufrichtiger, offener, konstruktiver und intensiver Quadrilog. Ich wollte „Dialog“ sagen, aber das ist in diesem Fall natürlich nicht richtig. Wir haben eine ganz breite Palette von Themen abgearbeitet: Menschenrechte, Klima, Digitales, Handel. Ich möchte mich jetzt mit der Handelsseite befassen. Wir haben uns auf dem Gipfel im Juni schon verpflichtet. Wir haben unser Engagement auf politischer Ebene in den letzten Wochen auch verstärkt, vor allem was Handel, Klima und Digitales angeht.

Was die Handelsagenda angeht, so möchte ich zunächst über das umfassende Investitionsschutzabkommen sprechen. Beim Gipfel vor zwei Monaten habe ich Präsident Xi gesagt, dass die Europäische Union auf einen ergebnisgerichteten Fortschritt verpflichtet bleibt. Wir brauchen konkrete Ergebnisse. Jetzt haben wir in den Verhandlungen eine Einigung zu drei wichtigen Themen, erstens zum Verhalten von Staatsunternehmen, zweitens zu erzwungenem Technologietransfer und drittens zu Transparenz bei den Subventionen. Dies ist ein wichtiger Punkt, ein wichtiger Fortschritt.

Aber ich möchte das insofern einschränken, als in anderen wichtigen Kapiteln des Abkommen noch viel zu tun bleibt, vor allem in zwei Bereichen, zum einen beim Thema des Marktzugangs und zum anderen beim Thema nachhaltiger Entwicklung.

Wir erwarten, dass die Hindernisse beim Marktzugang in China abgebaut werden, vor allem für zukünftige und neue Digitaltechnologien, die Telekommunikation, den Computersektor. Das betrifft auch Gesundheitstechnologie und die neuen Elektrofahrzeuge sowie den E-Verkehr. Wir sehen einfach, dass unsere Investoren in diesen Schlüsselsektoren immer noch zu viele Hindernisse zu überwinden haben. Beim Marktzugang geht es auch nicht darum, dass wir uns auf halbem Wege treffen, sondern darum, dass wir die Asymmetrien austarieren und unsere Öffnung auf beiden Seiten ausbalancieren. Bei diesen beiden Punkten muss sich China noch bewegen, wenn wir das gemeinsame Ziel erreichen wollen, das darin besteht, die Verhandlungen in diesem Jahr abzuschließen. Oder anders gesagt: China muss uns davon überzeugen, dass es sich lohnt, dieses Investitionsabkommen zu haben.

Das zweite Thema ist und bleibt die Überkapazität in China. Das ist für uns ein schwerwiegendes Thema sowohl in traditionellen Sektoren wie dem Stahl- und dem Aluminiumsektor als auch im Hightechbereich. Bisher gibt es leider keine konkreten Fortschritte. Das muss sich ändern. Wir haben das auch sehr deutlich gesagt. Das Global Forum on Steel Excess Capacity und der Rückbau staatlicher Subventionen, der dazu beiträgt, wären notwendig Schritte auf diesem Weg. Ich habe mich mit Präsident Xi so verabredet, dass wir das bilateral weiterbearbeiten.

Außerdem haben wir Präsident Xi gesagt, dass China zugesagt hatte, auch den europäischen Unternehmen die günstige Behandlung zukommen zu lassen, die man im „US trade deal“ den US-amerikanischen Unternehmen zugesagt hat. Wir erwarten, dass diese Verpflichtung erfüllt wird.

Jetzt zum digitalen Sektor: Die EU begrüßt es, dass China seine Verpflichtung auf einen menschenzentrierten Zugang in der IT zugesagt hat und dass die Arbeiten in der G20 und auch hier fortgesetzt werden. Wir hoffen, dass wir konkrete Fortschritte sehen werden.

Dann haben wir den Marktzugang von Gütern und Dienstleistungen im Telekombereich bestätigt. Der europäische Markt ist offen, und europäische Unternehmen müssen im Gegenzug fairen, ausgeglichenen Zugang zum chinesischen Markt haben. Präsident Xi hat zugesagt, sich mit diesen Fragen zu befassen.

Gleichzeitig wird die Europäische Union weiterhin darauf abstellen, dass unsere Netze sicher sind.

Wenn man all diese Themen auf der gemeinsamen digitalen Agenda zusammennimmt, dann darf ich sagen, dass ich es sehr begrüßt habe, dass wir in der letzten Woche den ersten hochrangigen digitalen Dialog durchgeführt hatten. Mit Präsident Xi haben wir uns auch darauf verständigt, dass dieser Dialog fortgesetzt und ausgeweitet wird, was die Themen angeht.

Dann noch zur WTO-Reform: China hat immer wieder gesagt, dass es der WTO verpflichtet ist. Das bedeutet aber auch, dass China bestehende Regeln für Industriesubventionen im Rahmen der WTO-Reform mit verhandelt, und das entspricht ja auch der Zusage des Gipfels von 2009.

Nicht zuletzt haben wir kurz über die Coronapandemie gesprochen, unter der wir alle leiden. Wir haben verabredet, dass wir weiterhin weltweit solidarisch vorgehen wollen. Es ist ganz wichtig, dass wir einen weltweiten Rahmen haben, und zwar nicht nur, wenn es darum geht, einen Impfstoff zu finden, sondern auch, wenn es darum geht, ihn Ländern mit mittleren und geringen Einkommen zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es einen globalen Rahmen. Wir haben China aufgefordert, COVAX beizutreten.

Wichtig ist auch, dass wir den Ursprung und die Ursachen des Virus kennen. Deshalb ist es wichtig, dass die Weltgesundheitsorganisation alle Möglichkeiten dafür bekommt, Nachforschungen zu betreiben, was den Ursprung von COVID-19 angeht.

Es war also ein sehr konkretes Treffen mit ganz greifbaren Punkten.

Frage: Meine Frage richtet sich an Kanzlerin Merkel. Wenn ich darf, möchte ich auf Deutsch fragen. Die EU hat China ja mehrfach wegen des Vorgehens in Hongkong und auch wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Sie haben gesagt, dass das auch heute angesprochen wurde. Haben Sie heute aber irgendwelche Hinweise darauf bekommen, dass China diese Kritik ernst nimmt oder auch bereit ist, das Verhalten zu ändern?

BK’in Merkel: Ich kann dazu nur sagen, dass der Präsident aus seiner Perspektive argumentiert hat. Das sind sicherlich zum Teil unterschiedliche Argumente als die, die wir benutzen. Er hat angeboten - man muss aber sehen, ob das etwas wird -, dass man dann auch in die Provinz Xinjiang reisen kann, dass Botschafter dorthin fahren können. Der Menschenrechtsdialog wird fortgesetzt. Das hat er angeboten. Insofern gibt es schon Berührungspunkte für ein weiteres gemeinsames Vorgehen. Das heißt aber noch nicht, dass es Übereinstimmung in diesen Fragen gibt.

Ob Charles Michel noch etwas sagen wollte, weiß ich nicht.

P Michel: Wir hatten wie im Juni die Gelegenheit, unsere Argumente zu präsentieren und auf Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten zu verweisen. Wir haben auf die Situation in Hongkong verwiesen. Darüber war der Austausch recht intensiv. Es wurde vereinbart, den Dialog zu Menschenrechtsfragen fortzusetzen, und es wurde vorgeschlagen, Besuche von Diplomaten in den Provinzen zu organisieren, die von diesen Themen betroffen sind.

Über alle Themen wurde gesprochen. Das hatten wir ja auch heute Morgen schon geplant. Zu Themen, bei denen wir einander näherstehen, aber auch zu Themen, bei denen wir etwas weiter voneinander entfernt sind, sind wir vorangekommen, haben aber immer unsere Grundwerte betont.

Frage: Auch ich hätte eine Frage an die Kanzlerin: In der Kritik heißt es ja immer, Deutschland habe starke Handelsinteressen. Wie passt das zur Geopolitik? Es gibt einen Wettbewerb in der Biotechnologie.

Wenn ich auf die letzten fünfzehn Jahre zurückblicke und China heute sehe, hat dann Ihr Ansatz die richtigen Ergebnisse erzielt? Oder würden Sie heute etwas anders machen?

BK’in Merkel: Politisches Handeln ist ja immer in dem Moment, in dem es stattfindet und immer aus dem jeweiligen Kontext heraus. Das heißt, ich halte es nicht für sehr sinnvoll, jetzt fünfzehn Jahre zurückzublicken und mir das Ergebnis von heute anzuschauen. Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, sich um gute strategische Beziehungen zu China zu bemühen. Aber man darf an der Stelle nicht Illusionen haben, sondern man muss die Dinge an den Realitäten messen.

Da sehen wir, dass sich China zum Teil bei den wirtschaftlichen Kontakten geöffnet hat. Es gibt heute Joint Ventures, bei denen man zum Beispiel mehr als 50 Prozent haben kann. Das gilt nicht nur für deutsche Unternehmen, sondern für viele Unternehmen. Es haben im Übrigen viele Länder ihren Handel in den letzten 15 Jahren intensiviert. Trotzdem geht es auch darum, die eigenen strategischen Interessen zu schützen.

Da muss man einfach sagen: In den letzten 15 Jahren ist China ökonomisch sehr viel stärker geworden. Das bedeutet, dass heutzutage die Forderung nach Reziprozität, nach „level playing field“, sehr berechtigt ist. Das war vielleicht vor 15 Jahren noch nicht so der Fall, weil China auch noch mehr den Charakter eines Entwicklungslandes hatte.

Heute ist China ein klarer Wettbewerber in vielen Hochtechnologien. Da müssen natürlich auch der Marktzugang und die Eigenschaften, unter denen unser Handel stattfindet, gleichberechtigt sein. Ein „level playing field“, wie man so schön sagt, muss herrschen. Es müssen die regelbasierten Fragen des Multilateralismus eingehalten werden, so zum Beispiel das Abkommen der WTO. Danach haben wir heute bei den Ausschreibungen gefragt. China verhandelt hier seit sehr langer Zeit mit der WTO. Es ist noch zu keinem Ergebnis gekommen. Aber es wäre gut, wenn hier auch Ergebnisse erzielt würden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie erlauben, eine Frage zur Lage auf Lesbos. Es wird erwartet, dass die Bundesregierung bis Mittwoch eine Entscheidung über die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Lager Moria trifft. Rechnen Sie damit, dass es mehrere tausend Flüchtlinge werden? Oder wird es eine geringere Zahl sein?

Eine Anschlussfrage daran: Geht es auch um den Aufbau einer europäischen Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung? Bis wann könnte so etwas stehen?

BK’in Merkel: Ich glaube, dass die Konzentration auf eine Zahl der falsche Ansatz ist. Es gibt auf Lesbos 13 000 Menschen, die in einer sehr schwierigen Situation leben. Davon sind 400 Minderjährige bereits aufs Festland gebracht worden. Es stellt sich jetzt die Frage: Wie geht es weiter?

Deutschland ist bereit zu unterstützen, wenn es um den Aufbau eines neuen Aufnahmezentrums für Flüchtlinge auf Lesbos geht. Ich war dazu mit dem griechischen Ministerpräsidenten, aber auch mit der Kommissionspräsidentin in Kontakt. Die griechische Seite hat die Vorstellung geäußert, die ich sehr unterstütze, dass so etwas nicht mehr allein in griechischer Verantwortung, sondern auch europäischer betrieben werden kann. Wie genau das sein wird, das wäre ein Pilotprojekt, bei dem man darüber nachdenken muss - weil natürlich die Hoheitsrechte erst einmal bei Griechenland liegen und man einen Vertrag haben muss -, wie das dann auch europäisch gehandelt werden kann. Ich hielte das für einen wirklich wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer stärkeren Europäisierung der Migrationspolitik.

Zweitens geht es darum, dass wir dann natürlich ein Aufnahmezentrum bauen, das den Standards entspricht. Die Situation in Moria war nicht akzeptabel. Wir haben das alle die ganze Zeit gewusst. Der griechische Ministerpräsident hat bereits 12 000 Flüchtlinge auf das Festland gebracht. Die Situation muss sich also qualitativ verbessern.

Dann geht es darum: Wie kann man Griechenland unterstützen? - Griechenland ist als Außengrenzstaat ein Staat, der sehr viel Verantwortung übernommen hat. Wir haben das in diesem Frühjahr ja auch erlebt. Deshalb hat Griechenland auch Unterstützung verdient. Diese sollte möglichst immer europäisch organisiert sein.

Aber ich sage auch: Deutschland fühlt hier auch eine Verantwortung; deshalb werden wir auch überlegen. Aber dabei geht es auch um die Frage: Welcher Personenkreis? Wer ist besonders bedürftig? Können wir noch zusätzlich aufnehmen? - All das muss in ein Paket gepackt werden. Es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt nur über eine Zahl zu sprechen.

Jeder weiß, dass die europäische Aufgabe der Migrationspolitik nicht von Deutschland allein gelöst werden kann. Aber Deutschland als ein starkes Land und als das Land, das jetzt die Ratspräsidentschaft hat, kann sicherlich einen substanziellen Beitrag leisten. Aber er muss in ein Gesamtkonzept eingebettet sein. Ich freue mich, dass die Kommission demnächst auch das Migrationskonzept vorlegen wird, das dann die Grundlage für unsere Gesamtdebatte ist, die wir auch in der deutschen Ratspräsidentschaft noch nach vorn bringen wollen.

P’in von der Leyen: Ich möchte diese Überlegungen ergänzen.

Wir haben in den letzten Tagen in der Tat gemeinsam Überlegungen angestellt, dass ein solches Flüchtlingslager von den griechischen Behörden und gegebenenfalls auch von den Agenturen der Europäischen Kommission mitgeleitet werden kann. Hier ist ganz wichtig, dass wir klären, wie die Zuständigkeiten, die Verantwortlichkeiten und die Möglichkeiten der jeweiligen Seite sind. Das heißt, wir werden genau miteinander verabreden müssen, unter welchen vertraglichen Bedingungen - ein Memorandum of Understanding - wir so etwas angehen könnten.

Für mich ist auch wichtig, dass dies dann im Zusammenhang mit dem neuen Migrationspakt steht. Wir haben in der Tat beschlossen, den Migrationspakt auf die nächste Woche, den 23. September, vorzuziehen, damit die Diskussionen um den Migrationspakt dann beschleunigt stattfinden können. Wir sind sehr dankbar, dass uns die deutsche Ratspräsidentschaft hier enorm helfend unterstützt.

Für uns ist wichtig, dass ein solches Pilotprojekt - ein Gedanke einer gemeinsamen europäischen und in diesem Fall griechischen Führung eines solchen Flüchtlingslagers - eng an die Überlegungen in dem neuen Migrationspakt gekoppelt ist, der dann auch umgesetzt werden muss.

Frage: Ich habe eine Frage, die sich an zwei Personen richtet, die Kanzlerin und die Kommissionspräsidentin. Es geht noch einmal um das Thema Investitionsschutzabkommen, das Sie erwähnt haben. Sind Sie wirklich optimistisch und glauben, dass das Abkommen bis Jahresende erreicht werden kann? Das ist jetzt schon mehrfach versprochen worden. Jetzt werden zwar einige Fortschritte genannt, aber eben nicht so viele. Die Frage ist also: Glauben Sie, dass das Abkommen bis zum Jahresende steht? Ist es nicht beziehungsweise könnte es nicht auch eine Art Spaltpilz in den Beziehungen zu den USA sein, wenn die EU und China jetzt so ein Investitionsabkommen abschließen?

BK’in Merkel: Von meiner Seite möchte ich dazu nur sagen: Die USA verhandeln ja auch seit geraumer Zeit über Handelsabkommen mit China und haben sogar schon einen Teil abgeschlossen. Zum Teil geht es dort genau um dieselben Themen; deshalb kann ich überhaupt nicht sehen, dass das mit Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika ein Problem sein sollte.

Zweitens glaube ich, dass die ganze Sache jetzt einen politischen Impuls bekommen hat. Es ist ja so, dass seit 2013 verhandelt wird. Solche Verhandlungen stagnieren dann auch immer. Als es im Juni das Gespräch zwischen der Kommission, dem Ratspräsidenten und dem chinesischen Präsidenten gab, ist da schon ein erster Impuls gegeben worden, und irgendwann müssen ja auch politische Entscheidungen getroffen werden.

Dass noch riesige Arbeitsaufgaben auf dem Tisch liegen, hat Ursula von der Leyen gesagt. Die chinesische Seite hat natürlich auch Erwartungen an uns, die auch für uns nicht ganz leicht zu überwinden sind. Das heißt, wir sagen auf der einen Seite immer, wo sich China bewegen muss, und ich würde jetzt einmal sagen: Die Verhandler auf der chinesischen Seite sind auch kluge Verhandler, die auch wissen, wo bei uns Restriktionen sind. Da muss man einen balancierten Ansatz finden, und das wird ohne politische Flankierung nicht gehen. Das ist jetzt passiert.

Ich denke einmal, es kann klappen. Ich kann heute keine Garantie dafür abgeben; das wäre ja falsch. Aber wenn kein politischer Wille da ist, es wenigstens zu versuchen, dann würde das - das kann ich Ihnen verraten - mit Sicherheit nicht klappen. Dieser politische Wille ist heute von beiden Seiten, auch von der chinesischen Seite, ganz klar artikuliert worden.

P’in von der Leyen: Das Investitionsschutzabkommen und das zeitliche Vorgehen, möglicherweise auch eine Unterzeichnung innerhalb dieses Jahres - - - Ich muss das anders aufzäumen. - Bis wir den Gipfel im Juni dieses Jahres hatten, hat es fast keine Fortschritte in dieser Sache gegeben, und das Verhandlungsteam war auch nicht auf hoher politischer Ebene angesiedelt. Aber im Juni haben wir sehr klar geäußert, dass es kein Investitionsschutzabkommen geben wird, wenn wir nicht substanzielle Fortschritte erleben. Die Reaktion damals war positiv. Wir haben jetzt ein hochrangiges Verhandlungsteam, das sich mit dem Thema befasst, und wir haben dann eben auch diese Fortschritte gesehen.

Ich habe bereits gesagt, in welchen Bereichen wir jetzt vorankommen, aber ich muss sagen: Es bleibt auch noch viel zu tun, so zum Beispiel beim Marktzugang für Telekommunikations- und Computerdienste. Da gibt es ja Joint-Venture- und Equity-Restriktionen, und die müssen abgeschafft werden. Dasselbe gilt für den Automobilsektor. Auch der Economic-Needs-Test muss aufgehoben werden. Das sind nur zwei Beispiele, mit denen ich zeigen will, dass es uns wirklich ernst ist mit dem Zugang zum chinesischen Markt und damit, die Barrieren abzubauen. Dasselbe gilt für die nachhaltige Entwicklung; da brauchen wir Fortschritt.

Auf chinesischer Seite gibt es natürlich auch Forderungen. Aber jetzt ist die Zeit da, zu beweisen, dass es das Interesse gibt, die Dinge zu beschleunigen und die Dinge zum Besseren zu wenden. Dann gibt es die Möglichkeit, das Investitionsabkommen zu haben. Das ist nicht eine Frage der Zeit, sondern es geht jetzt um den Inhalt.

Frage: Guten Tag! Ich habe eine Frage an Bundeskanzlerin Merkel: Könnten Sie noch etwas Näheres zu dem Klimaaspekt sagen? Haben Sie über hypothetische Fristen gesprochen, bis wann China klimaneutral werden soll? Für die EU ist das 2050, und vor dieser Sitzung hat man uns gesagt, es gebe da eine hypothetische Frist, dass China diese Ziele bis 2060 erreichen soll. Ist das realistisch, Frau Merkel?

BK’in Merkel: Das muss ja China für sich klären, und das soll in dem High-Level-Dialog auch besprochen werden. Wir können nicht seitens der EU für China die Ziele festlegen, so wie China nicht für uns die Ziele festlegt. Das ist heute also nicht im Detail besprochen worden. Vielmehr war das Ergebnis dieses Dialogs, dass es den High-Level-Dialog zu diesen Fragen jetzt kontinuierlich geben soll, und da wird auch genau darüber gesprochen.

Frage: Eine Frage an Präsident Michel: Angesichts des Optimismus, der hier in einigen Ihrer Erklärungen zu hören war, möchte ich wissen: Was hat sich seit Juni, also in den letzten zwei Monaten, geändert? Ich nenne die Stichworte Xinjiang, Hongkong, Transparenz bei COVID, Transparenz im Internet. Ein Außenminister sagte sogar, ein Politiker, der Senatspräsident der Tschechischen Republik, hätte für einen Besuch in Taiwan teuer zu bezahlen gehabt. Ist das akzeptabel? Die Frage den Senatspräsidenten betreffend würde ich auch gerne der Kanzlerin stellen.

P Michel: Wir verschließen nicht die Augen. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind Themen, die angegangen werden müssen, auch in solchen hochrangigen Dialogen. Im Juni konnte ich Beispiele und sehr konkrete Fälle anführen, auf die ich abgestellt habe. Wir wollen einen Dialog zu den verschiedenen Themen, wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass China ein politisches, wirtschaftliches und soziales Modell hat, das ganz anders aussieht als das Modell, das wir auf europäischer Ebene entwickeln wollen.

Angela Merkel sagte es schon: Wir haben vor der Videokonferenz zusammengearbeitet, damit wir seitens der EU wirklich geeint auftreten konnten. Dafür bedanke ich mich bei allen Mitgliedsstaaten, die gemeinsam mit uns diese Sitzung vorbereitet haben. Wir möchten uns in den verschiedenen Bereichen, die wir angeführt haben, weiter engagieren mit China. Auch Menschenrechtsfragen müssen genau im Auge behalten werden. Deswegen war ein wichtiger Punkt heute beispielsweise der Vorschlag zu Besuchen in den Provinzen, in denen es eben zu diesen Problemen kommt. Wir hatten Gelegenheit, noch einmal unsere Argumente, unsere Meinung vorzutragen, auch zum Status von Hongkong. Die Sitzung war kein Gipfel, der nur dem Protokoll folgte, nein. Es ging um Substanzielles, es gab Argumente, wir haben Werte formuliert. Europa hat sich entschlossen und realistisch gezeigt. So sollten wir, glaube ich, vorankommen.

Im Juni wurden Impulse gegeben, und heute Morgen wurde dann das Abkommen zu geografischen Angaben unterzeichnet. Das zeigt, dass wir durch Entschlossenheit und durch weitere Verhandlungen vorankommen. Angela Merkel sagte es am Anfang schon: Wir wollen uns engagieren, wir wollen mit einer starken Stimme für die EU sprechen. Wir hatten daher auch vorgeschlagen, dass ein physischer Gipfel mit den 27 Mitgliedsstaaten in Brüssel stattfindet, sobald es die Lage erlaubt.

BK’in Merkel: Ich möchte, weil ich die Meinung von Charles Michel teile, nur ergänzen, dass wir heute das gesamte Spektrum auf der Tagesordnung hatten und insofern mit China nicht nur über Handelsfragen sprechen, sondern eben auch über diese Fragen, die ja auch durch sehr unterschiedliche Meinungen gekennzeichnet sind. Wir haben unterschiedliche politische Systeme; darin liegt schon einmal ein großer, sowieso belastender Unterschied. Als Länder in der Europäischen Union, die sich dem Multilateralismus verpflichtet fühlen, sind wir aber doch aufgefordert, mit denen, die auf der Welt eine wichtige Rolle spielen, diese Gespräche zu führen.

Substanziell hat sich die Zahl der Probleme an einigen Stellen sicherlich noch erhöht; das ist überhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite muss man immer wieder versuchen, auch für diese Probleme - und sei es nur millimeterweise - Lösungen zu finden. Das haben wir heute getan. Ich glaube, damit haben wir auch etwas dafür getan, dass die Europäische Union als ein wichtiger Faktor auf der Welt eben auch ihren Beitrag leistet, um ihre Werte, aber auch ihre Interessen durchzusetzen.