Im Wortlaut
In Wien
30 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 27. August 2015
Thema: Konferenz zum westlichen Balkan
Sprecher: Werner Faymann (Bundeskanzler der Republik Österreich), Angela Merkel (Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland), Aleksandar Vučić (Ministerpräsident der Republik Serbien), Federica Mogherini (Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission)
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
BK Faymann: Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr verehrte Hohe Vertreterin, sehr verehrter Herr Premierminister, während der Konferenz hat uns eine tragische Nachricht erreicht, dass in einem Schlepperfahrzeug bis zu 50 Menschen in einem auf der Ostautobahn im Burgendland abgestellten Lkw tot aufgefunden wurden. Das zeigt einmal mehr, wie notwendig es ist, Menschenleben zu retten, indem Kriminalität und das Schlepperwesen bekämpft wird. Das zeigt einmal mehr, dass wir Verantwortung übernehmen müssen, Menschen, die auf der Flucht sind, auch Asyl zu gewähren.
Wer in die Geschichte zurückblickt, weiß, dass es auch im Zweiten Weltkrieg viele Menschen waren, die auf der Flucht darauf angewiesen waren, dass das Asylrecht nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass es ihr Leben rettet. Heute haben Flüchtlinge ihr Leben verloren, die sich durch die Flucht retten wollten, aber ihr Leben in den Händen der Schlepper verloren haben.
Die Frage der Flüchtlinge und des Asyls hat natürlich bei unserem Gipfel eine besondere Rolle gespielt. Die Westbalkan-Konferenz, eine Idee, die unsere deutsche Nachbarin, Frau Bundeskanzlerin Merkel, in Berlin begründet hat - es war ausgemacht, dass wir die zweite Konferenz in Österreich abhalten, als nächstes haben sich Frankreich und dann Italien bereiterklärt, die Konferenz fortzusetzen -, ist eine Idee des Zusammenhalts und der Gemeinsamkeit.
Auch hier ist in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart leicht zu beweisen, dass Politiker und Parteien, die auf den Hass, auf das Gegeneinander und damit in letzter Konsequenz auf die Gewalt setzen, Politiker und Parteien sind, die zerstören. Wir wollen gerade in unserer Region nach all dieser leidvollen Geschichte des letzten Jahrhunderts, aber auch derer davor mit einem Blick in die Geschichte daraus lernen und sagen: Wir können nicht bei einer Konferenz alle Probleme lösen. Die wirtschaftlichen Fragen, die sozialen Fragen und viele andere Fragen sind viel zu groß, um sie mit einem Federstrich lösen zu können. Aber wir müssen wissen, mit welcher Basis wir bereit sind, an die Probleme heranzugehen.
Wir haben daher sehr konkrete Projekte bei unseren Vorbereitungen zu dieser Konferenz und hinsichtlich dieser Schlusserklärung vereinbart. Es sind konkrete Projekte, die in den Bereich Wirtschaftlichkeit investieren sollen, die Investitionen im Bereich des Verkehrs, der Energie und des Jugendaustauschs tätigen sollen. Das alles sind Bereiche, die für ein nachhaltiges Wachstum notwendig sind, genauso wie Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Korruptionsbekämpfung und der Stabilität.
Ich bedanke mich daher bei allen, die diese Konferenz vorbereitet haben und die sich auch die Zeit genommen haben, an dieser Konferenz teilzunehmen. Genau in diesem Geiste des Miteinanders müssen wir auch in Asylfragen dafür sorgen, dass sich nicht ein Land auf Kosten eines anderen Landes einen Vorschlag ausdenkt, sondern dass wir gemeinsam Vorschläge entwickeln, die die Außengrenzen sichern, die aber auch dann die faire Verteilung mit einer verpflichteten Quote ermöglichen, die die Kriminalitätsbekämpfung so stärken, dass nicht die Schlepper durch internationale Zusammenarbeit stärker sind als wir bei der Verbrechensbekämpfung.
Wir haben also viel zu tun. Diese Konferenz war daher ein wichtiger Beitrag, diese Zusammenarbeit und diesen gegenseitigen Respekt in unserer Region zu verstärken. Herzlichen Dank für die Teilnahme.
BK’in Merkel: Ich möchte mich bei der österreichischen Regierung und ganz besonders bei Bundeskanzler Werner Faymann bedanken, dass Österreich mit großer Freude die Folgekonferenz aus dem letzten Jahr übernommen hat, diese Konferenz mit großem Elan vorbereitet hat und wir damit eine Kette von Veranstaltungen haben werden, die den Willen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und auch der Europäischen Kommission untermauern, den Ländern auf dem westlichen Balkan eine Beitrittsperspektive zu eröffnen, die heute noch nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind.
Besonders erfreulich für mich ist, dass zwischen dem letzten Jahr und heute auch eine Dynamik der Kooperation in der Region entstanden ist. Die Ministerpräsidenten haben sich auch ohne die Anwesenheit des österreichischen Bundeskanzlers oder der Europäischen Kommission oder der deutschen Bundeskanzlerin getroffen und haben miteinander Probleme besprochen. Das war einer der wesentlichen Faktoren, warum wir heute auf eine Vielzahl von Ergebnissen blicken können, die auch für die Menschen in den entsprechenden Ländern einen Mehrwert, eine Hoffnung verkörpern. Das sind Infrastrukturprojekte; das ist heute die Unterzeichnung des Jugendwerks zwischen den Staaten des westlichen Balkans gewesen - ein sehr emotionaler Moment, wie ich fand -; das sind Projekte, die zum Schluss zu Arbeitsplätzen führen werden. Wir wissen ja alle, dass gerade die Jugendarbeitslosigkeit eine große Belastung ist. Wir müssen Hoffnung, wir müssen Zukunft in diesen Ländern unterstützen, und die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten tun dies. Durch diese Konferenz sind wir einigen Ergebnissen sehr viel näher gekommen.
Es bleibt allerdings noch sehr viel zu tun, sodass es gut ist, dass wir auch für die nächsten Jahre wissen, dass Frankreich und danach Italien die Gastgeber einer solchen Konferenz sein werden. Es ist heute sehr ausführlich darüber gesprochen worden, welche Probleme noch zu bewerkstelligen sind. Aber besonders hervorzuheben ist auch, dass eben bilaterale Probleme im Vorfeld dieser Konferenz gelöst werden konnten. Ich will exemplarisch die Absprachen zwischen Serbien und Kosovo herausgreifen. Jeder weiß, wie kompliziert das ist. Unter der guten Mitwirkung der Hohen Kommissarin Federica Mogherini haben vor allem diese beiden Länder miteinander gerungen und sind in wichtigen Fragen zu Ergebnissen gekommen. Und das macht Hoffnung.
Wir haben natürlich heute über das Thema der Migration gesprochen und sind alle von der entsetzlichen Nachricht erschüttert, dass bis zu 50 Menschen ihr Leben verloren haben, weil sie in eine Situation kamen, wo Schlepper sich um dieses Leben nicht gekümmert haben, obwohl diese Menschen auf einem Weg waren, um mehr Sicherheit und mehr Schutz zu suchen und dabei einen so tragischen Tod erleiden mussten.
Das mahnt uns, das Thema der Migration schnell und im europäischen Geist - das heißt im Geist der Solidarität - anzugehen und auch Lösungen zu finden. Es gibt mehr Flüchtlinge auf der Welt, als dies jemals nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Wir in Europa haben es geschafft, in Frieden zusammenzuleben und auch mit den Ländern des westlichen Balkans den Friedensprozess unumkehrbar zu machen. Unsere Pflicht ist es jetzt, sowohl in den entsprechenden Regionen dafür zu sorgen, dass dort Frieden auch wieder Realität wird. Aber aus unserer eigenen historischen Erfahrung ist es auch wichtig, den Menschen, deren Leben bedroht ist, Schutz und Hilfe zu geben, wo immer sie das verdienen und wo immer sie in ausweglosen Lebenssituationen sind. Jeder weiß, wie die Situation in Syrien ist. Jeder weiß, was die Nachbarstaaten Syriens bereits an Belastungen tragen. Deshalb ist Europa als reicher Kontinent nach meiner festen Überzeugung in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.
So, wie wir alle Probleme der Europäischen Union in den letzten Jahren im Geist der Solidarität gelöst haben - ob es die internationale Finanzkrise, die Eurokrise oder andere waren -, so müssen wir das dieses Mal wieder schaffen. Die Welt schaut auf uns; das sehen wir an den Stellungnahmen der Vereinten Nationen. Deshalb unterstütze ich das, was Werner Faymann gesagt hat: Nicht der eine gegen den anderen, sondern gemeinsam in dem Geist: Was können wir tun? Wie können wir eine faire Verteilung der Herausforderungen erreichen? Österreich, Deutschland und viele andere Mitgliedstaaten sind dazu bereit. Wir werden darüber mit Nachdruck und Hochdruck diskutieren.
Wir haben aber die Frage der Migration auch im Blick auf die Staaten des westlichen Balkans besprochen. Sie sind zum Teil Transitstaaten, damit in einer eigenen schwierigen ökonomischen Situation und sind riesigen Herausforderungen ausgesetzt. Als zukünftige Mitglieder der Europäischen Union ist es auch unsere Pflicht, ihre Herausforderungen zu lindern. Zum Zweiten sind junge Menschen aus diesen Staaten zum Teil auch Menschen, die zu uns kommen und um Asyl nachsuchen.
Wir waren uns heute in diesem Kreise einig, dass Staaten, die entweder schon Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union führen oder kurz davor stehen, Menschenrechtssituationen in ihren Ländern haben, die sie im Wesentlichen als sichere Herkunftsstaaten auszeichnen. Das heißt, dass der Grund für Asyl in den überwiegenden Fällen nicht vorliegt. Das müssen wir berücksichtigen. Das bestärkt uns in unserem Anspruch, wirtschaftliche Dynamik für diese Länder gemeinsam zu erzeugen. Aber es bringt auch die harte Nachricht mit sich, dass Menschen, die aus diesen Ländern einen Asylantrag stellen, mit großer Wahrscheinlichkeit wieder nach Hause müssen, damit wir den Menschen, die wirklich unter Krieg und Verfolgung leiden, dann auch eine Perspektive für mehr Sicherheit geben können.
Mogherini: Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin und auch beim Bundeskanzler dafür, dass sie diese Konferenz organisiert haben.
Ich freue mich, dass ich wieder in Wien sein darf. Ich war beim letzten Mal im Juli anlässlich der Iran-Gespräche hier, und das war damals sehr erfolgreich. Wir hatten damals nicht die Gelegenheit, Ihnen und Ihrer Regierung persönlich für Ihre starke Unterstützung bei den Iran-Gesprächen zu danken. Ich möchte jetzt diese Gelegenheit ergreifen, das zu tun. Ich hoffe, dass Wien noch sehr viele erfolgreiche Verhandlungen dieser Art durchführen wird. Wir brauchen das wirklich in diesen Zeiten.
Ich freue mich, dass ich wieder in Wien sein darf. Ich bin auch froh, dass ich eine gute Nachricht überbringen darf, die wir in diesen schwierigen Zeiten besonders brauchen. Das ist - Bundeskanzler Faymann und Bundeskanzlerin Merkel haben es bereits angesprochen - am letzten Dienstag die Unterzeichnung von sehr wichtigen Abkommen durch die Premierminister Vučić und Mustafa unter Beteiligung der Europäischen Union gewesen. Sie waren wirklich sehr tapfer, haben Führungsqualitäten und Mut gezeigt und haben für die Menschen in der Region vier schwierige Themen in den Bereichen Energie und Telekommunikation sowie der Einrichtung von Vereinigungen und hinsichtlich der Freizügigkeit behandelt. Das sind vier wichtige Themen, wo ein Verständnis nicht nur durch bilaterale Kooperation erzeugt wurde, sondern auch dadurch, dass der ganzen Region ein Beispiel gegeben wurde, um zu zeigen, welche Zusammenarbeit die Westbalkanstaaten brauchen: pragmatisch, konkret und zum Nutzen der Bevölkerung im Alltagsleben.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass alle Teilnehmer heute - die Premierminister, die Außenminister, die Energieminister - die Führungsqualität, das Commitment, das Engagement und den Mut beider Seiten, also von Serbien und Kosovo, in diesen schwierigen Verhandlungen gewürdigt haben. Es ist also wichtig, dies einem möglichst breiten Publikum zu vermitteln. Denn wenn wir gute Nachrichten haben - das kommt ja nicht so oft vor -, dann verdienen sie es, dass wir sie auch wirklich gebührend verbreiten.
Das öffnet auch den Weg nicht nur für eine regionale, sondern auch für eine europäische Integration der gesamten Region. Das ist wichtig, denn diese Konferenz, die Dank der deutschen Initiative im letzten Jahr begonnen wurde, Dank der Bereitschaft von Österreich hier in Wien fortgesetzt wurde und die in den folgenden Jahren in Frankreich und Italien fortgesetzt wird, ist eine Initiative, die auch die gesamte Region fördert und unterstützt. Es ist für mich persönlich und auch für die europäischen Institutionen besonders wichtig, hier präsent zu sein, um zu unterstreichen, wie wichtig die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Staaten des westlichen Balkans sind.
Wir müssen kohärent, konsistent und stark voranschreiten, und zwar nicht nur für eine bessere regionale Integration des Balkans, sondern auch für die europäische Integration aller Westbalkanstaaten. Diese beiden Prozesse gehen Hand in Hand. Es ist das klare und deklarierte Ziel der europäischen Institutionen, beide Prozesse - die Integration in die Westbalkanstaaten selbst und auch die Integration in Europa - voranzutreiben und zu einem fruchtbaren Ergebnis zu bringen, und zwar zum Nutzen der jungen Menschen in diesen Ländern, die einer sehr großen Herausforderung gegenüberstehen.
Das ist die Hauptverantwortung der führenden Politiker der Länder dieser Region. Ich muss auch darauf hinweisen, dass wir es mit einer Generation von Politikern zu tun haben, die extrem engagiert, sehr tapfer und sehr mutig sind. Wir wissen auch, dass die Europäische Union einen Teil der Verantwortung übernehmen muss. Wir müssen auch substanzielle, konkrete, kohärente und konsistente Hilfe anbieten, um konkrete Schritte in diese Richtung tätigen zu können. Dazu bin ich heute hier. Ich sehe einen starken politischen Willen sowohl in der Region selbst als auch in Europa, damit das auch erfolgreich sein kann. Das liegt im gemeinsamen Interesse der Bürger der Europäischen Union und der Bürger der Westbalkanstaaten sowie der politischen Führung in Europa. Es stehen gemeinsame Herausforderungen vor uns. Die Tragödie, von der wir heute gehört haben, was die 50 Menschen angeht, die in einem Lkw erstickt sind, ist wirklich nur eine traurige Erinnerung an diese Tatsache. Es ist auch traurig, dass wir den Kampf gegen die Radikalisierung und den Terrorismus verstärken müssen.
Es gibt einige positive Augenblicke, so zum Beispiel die Abkommen, die wir unterschrieben haben, und auch die Kooperationen, die wir eingerichtet haben. Aber es gibt auch sehr viele schwierige und auch tragische Herausforderungen, die wir gemeinsam in Angriff nehmen müssen. Wenn Sie ein paar Grundlagen in Sachen Geschichte und Geografie haben, gibt es keinen Zweifel, dass der Balkan zu Europa gehört. Wir haben eine europäische Herausforderung. Wenn wir von „europäischen“ Herausforderungen sprechen, meinen wir nicht nur die EU, sondern ganz Europa, unseren Kontinent, beginnend mit der Flüchtlingskrise und der Migration.
Um auf die Flüchtlingskrise zurückzukommen: Wir haben die moralische und rechtliche Verpflichtung, die Flüchtlinge zu schützen. Das ist eine internationale Verpflichtung, die wir als Europäer mit der Priorität Nummer eins hochhalten. Diese Menschen kommen nach Europa, um hier Schutz zu suchen. Sie brauchen Europa zu ihrem Schutz, und wir müssen unsere Standards in Sachen Menschenrechte und Achtung der internationalen Verpflichtungen hochhalten. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Ansatz, und alle sagen das. Das Problem ist, dass jeder Europa anders sieht. Europa ist Brüssel, sind die Brüsseler Institutionen, die Mitgliedstaaten und auch unsere Nachbarn insbesondere in dieser Region.
Wir sind bereit, weiter daran zu arbeiten und Vorschläge auf den Tisch zu legen, die durch die verschiedenen Akteure unterstützt und implementiert werden müssen. Die europäischen Institutionen und auch wir tun auf unterschiedlichen Ebenen das Unsrige dazu - seien es die Mitgliedstaaten, seien es unsere Partner in den Westbalkanstaaten, aber auch in den Nachbarländern, und zwar im Osten und im Süden. Wir arbeiten auch an neuen Vorschlägen. Wir arbeiten an einem Vorschlag für eine gemeinsame Liste von sicheren Drittstaaten sowie an einem Vorschlag für einen permanenten Umsiedlungsmechanismus. Das ist ein Vorschlag, der eine strukturelle Ausnahme für die Dublin-Regelungen vorsieht. Es ist hier nicht die Zeit und auch nicht der Ort, um dazu ins Detail zu gehen. Aber wir können so nicht weitermachen und jedes Mal eine Schweigeminute abhalten. Wir haben in dieser Hinsicht die Verantwortung, diese Menschen zu schützen und auch die illegale Einwanderung zu bekämpfen. Wir müssen gegen die Schlepper und Menschenschmuggler, die Kanzler Faymann erwähnte, vorgehen. Wir haben unsere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schlepperkriminalität auf dem Mittelmeerweg sehr stark verstärkt. Wir können aber noch sehr viel mehr tun, wenn es um die Westbalkanroute geht, und das wissen wir auch.
Die Vorbedingung ist, dass wir Verantwortung in Solidarität übernehmen und dass wir nicht irgendjemandem die Schuld zuschieben, sondern wirklich kooperieren und die Maßnahmen umsetzen, die auf dem Tisch liegen. Es gibt keinen Zauberstab, der die Probleme über Nacht lösen hilft. Wir können aber diesem Weg folgen und können damit beginnen, die Dinge wirklich gut in die Praxis umzusetzen. Wir müssen einfach nur konsequente politische Entscheidungen treffen; das ist nicht nur in Europa schwierig. Aber wenn wir diese Tragödie stoppen wollen und wenn wir nicht immer nur Schweigeminuten vor den Opfern abhalten wollen, dann müssen wir genau das tun: Verantwortung übernehmen, und zwar in Solidarität. Wir können auf unsere Mitgliedstaaten und unsere Freunde auf dem Balkan zählen, diese Solidarität mit uns zu teilen.
Vielen Dank!
MP Vučić: Frau Bundeskanzlerin Merkel, Frau Mogherini, Herr Bundeskanzler, vielen Dank! Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, hier in Wien zu sprechen.
Im Namen der Westbalkanstaaten und im Namen der Politiker des westlichen Balkans möchte ich den Familien der Opfer dieser 50 Menschen, die im Lkw in der Nähe von Wien erstickt sind, mein Beileid ausdrücken.
Ich möchte mich möglichst kurz fassen. Heute haben wir das analysiert, was wir erreicht haben, seitdem Bundeskanzlerin Merkel den Berliner Gipfel am 20. August 2014 organisiert hat.
Wir haben eine Verbesserung in vielen Bereichen erreicht. Heute ist es uns gelungen, eine gemeinsame Erklärung über die Einrichtung von regionalen Jugendaustauschzentren aufgrund der Erfahrungen anzukündigen, die das Jugendaustauschbüro zwischen Frankreich und Deutschland bereits gesammelt hat. In den Westbalkanstaaten haben wir mit Unterstützung von Slowenien, Kroatien und Albanien das Hauptziel vor Augen, dass wir alle Menschen in der Region, insbesondere junge Menschen, davon überzeugen, dass Freundschaft, Versöhnung und eine gemeinsame Arbeit etwas ist, was sich hochzuhalten lohnt. Das wird sich langfristig auszahlen, und es gibt keine Alternative zu dieser Kooperation.
Wir hatten auch sehr viele Diskussionen über Infrastrukturprojekte, was für alle Menschen auf dem Westbalkan, auch für die Menschen in Serbien, sehr wichtig ist. Wir haben also all diese Themen miteinander besprochen, und es war sehr interessant zu sehen, dass die Serben und Albaner hier wirklich sehr eng zusammengearbeitet haben, mit viel Engagement und mit viel Mut, um die europäischen Partner davon zu überzeugen, uns mehr zu helfen, um diesen gesamten Prozess noch zu beschleunigen, was diese wichtigen Straßen und Autobahnen von Niš nach Priština oder auch diese blaue Autobahn oder die Eisenbahnverbindung nach Sarajevo angeht. Wir hatten sehr viele Treffen mit EU-Kommissaren, und wir sind ihnen allen sehr dankbar, dass sie unseren Belangen Augenmerk schenken.
Wir haben die Wirtschaft als die wichtigste Frage für die Westbalkanstaaten vorangestellt. Die Wirtschaft und der Lebensstandard der Menschen sind wichtiger als alles andere. Wir müssen die Einstellung der „Balkan-Mentalität“, wie wir das nennen, ändern und unsere Ziele nicht einfach nur für kurzfristige politische Ziele kompromittieren. Diese Mentalität, dass der Staat für alles verantwortlich ist und die Einzelpersonen für nichts verantwortlich sind, möchten wir ändern. Ich glaube, wir haben einen wichtigen Prozess in Bezug darauf lanciert, dass wir diese Einstellung ändern.
Wir verlangen nicht von den Europäern, dass sie uns so, wie wir heute sind, akzeptieren, aber wir werden sehr viele Reformen in Gang setzen. Wir möchten die öffentlichen Finanzen und den öffentlichen Haushalt in Ordnung bringen. Es ist uns auch gelungen, unsere Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. Wir alle aus den Westbalkanstaaten können hier mit voller Kraft in Richtung Europa weiterarbeiten. Wir sind alle der Überzeugung, dass wir zu Europa gehören und dass wir auch zur Europäischen Union gehören sollten. Wir sind bereit, unsere Aufgaben im Hinblick auf die Migrationskrise in einer sehr ernsthaften und verantwortungsbewussten Art und Weise zu erledigen, wie wir es auch bisher getan haben. Wir sind auch bereit, von Kanzlerin Merkel und allen anderen zu hören, was unsere Aufgaben für die Zukunft sind, und wir werden sie auch umsetzen.
Wir sehen die Europäische Union - ich spreche nicht nur im Namen der serbischen Bevölkerung, sondern ich bin sicher, dass ich, wenn ich das sage, auch im Namen aller Menschen aus den Westbalkanstaaten spreche - nicht als einen Bankomat an. Wir sehen die Europäische Union als eine Organisation an, die aus sehr vielen Institutionen mit sehr wichtigen Werten, die wir mit ihnen teilen, besteht. Aus diesem Grund bestehen wir heute natürlich nicht nur auf finanzielle Beiträge, sondern auch auf politische Unterstützung durch Kanzlerin Merkel, Kanzler Faymann und Federica Mogherini. Wir sind sehr dankbar für diese Unterstützung, und wir sind auch in der Lage, selbst genug Geld zu verdienen, um den Westbalkan und die Westbalkanstaaten wieder zu Europa und in die Europäische Union zu bringen. Obwohl wir aus unterschiedlichen Nationen kommen, teilen wir größtenteils die gleichen Werte. Ich bin sicher, dass Ihre Wertschätzung und Ihr Respekt auch in unseren Ländern einen sehr fruchtbaren Boden finden werden.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung für all unsere Länder und insbesondere für Serbien. Vielen Dank!
Frage: Ich habe eine Frage an Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herrn Bundeskanzler Faymann. Was heute in Österreich geschehen ist und was seit Tagen auf dem Westbalkan geschieht, würde nahelegen, die Tagesordnung zu verlassen, vielleicht auch die Tagesordnung dieser Konferenz. Wenn ich mir nun anhöre, was Sie vorhaben, und wenn ich mir vor Augen halte, wie groß die Widerstände innerhalb der EU und auch in Ihren eigenen Ländern sind, etwa in Bezug darauf, eine verpflichtende Verteilungsquote für Asylbewerber einzuführen, habe ich den Eindruck: Das ist noch immer ferne Zukunftsmusik. Haben Sie vor, die Tagesordnung zu verlassen, vielleicht analog zu damals bei der Euro-Krise oder zu Griechenland?
BK’in Merkel Ich denke, dass wir die Tagesordnung, die wir vor ein paar Wochen aufgestellt haben, heute schon verlassen haben. Das Thema Migration hat hier eine sehr entscheidende Rolle gespielt. Sicherlich ist dies aber nicht der Kreis, der das Thema auf der europäischen Ebene lösen kann.
Wir haben einen deutsch-französischen Vorschlag gemacht - die Innenminister haben den ausgearbeitet -, und wir haben mit Österreich darüber gesprochen. Es gibt hier große Übereinstimmung. Wir haben mit Griechenland und Italien Übereinstimmung darüber erzielt - darüber gibt es auch Beschlüsse -, dass die sogenannten Registrierungszentren oder Hot Spots, wie sie genannt werden, bis Jahresende errichtet werden müssen. Die Innenminister werden das jetzt auch mit Hochdruck mit der Europäischen Kommission durchsprechen.
Dann wird sich ergeben, dass die Länder Griechenland und Italien solche Registrierungszentren nur dann akzeptieren können, wenn andere Länder bereit sind, auch ihren fairen Anteil an den Asylbewerbern, die ein akzeptiertes Asylverfahren durchlaufen haben, aufzunehmen. Ich stelle mir vor, dass Österreich, Deutschland und Frankreich gemeinsam - wir haben ja eine sehr gemeinsame Position - mit Italien und Griechenland einbringen werden, dass wir solche fairen Quoten einfordern. Dann wird man sehen, wer sich dem verweigert und wer sich dem nicht verweigert. Manche Länder - das muss man immer wieder sagen - nehmen an der gemeinsamen europäischen Asylpolitik ja nicht teil, zum Beispiel Großbritannien, Irland und Dänemark, aber die, die teilnehmen, haben hier eine gemeinsame Verpflichtung. Vielleicht wird es noch einmal harte Diskussionen geben, aber ich bin recht optimistisch, dass wir - Innenminister und Staats- und Regierungschefs - dann sehr schnell zu einem Punkt kommen werden, an dem gegebenenfalls einige vielleicht auch vorangehen und sagen müssen: Wir fordern das ein. Wir können weder Italien noch Griechenland alleine stehen lassen. Wir können aber auch nicht die rechtlose Lage, wie wir sie im Augenblick haben und die im Übrigen dann zulasten von Mazedonien und Serbien geht, akzeptieren.
Sie brauchen an unserer Entschlossenheit nicht zu zweifeln. Ich glaube, das, was wir täglich sehen, fordert uns hier heraus, und wir werden ähnlich agieren. Da wir bis jetzt - das macht mich nun ein bisschen optimistisch - eigentlich auch die härtesten Probleme gelöst haben - manchmal hat es des Nachts viele Stunden gedauert -, sind wir entschlossen, auch dieses Problem so zu lösen, dass die Menschen bei uns zu Hause sagen: Ja, wir akzeptieren, dass Europa hier vor einer neuen Herausforderung steht. Der syrische Bürgerkrieg hat 2 Millionen Menschen in Flüchtlingslager in der Türkei gebracht, Millionen nach Jordanien, Millionen in den Libanon. Da kann man verstehen, dass auch Europa seinen Teil beitragen muss, aber in einer fairen Weise, weil die Menschen in Europa das sonst nicht verstehen werden. Herr Faymann und ich - jetzt stehen wir gerade hier - sind sehr entschlossen, dass wir das so durchsetzen werden.
BK Faymann: Ich möchte das auch unterstreichen. Mich erinnert das daran, dass wir während der Wirtschaftskrise gesagt haben: Entweder es ist wie in den Dreißigerjahren - es brechen Banken und Finanzkreisläufe zusammen, und niemand weiß, welche Konsequenzen das heute haben würde - - - Wie es in den Dreißigerjahren weitergegangen ist, wissen wir. Ähnlich stellt sich die Frage: Bricht das Vertrauen darin zusammen, dass wir diese Frage in Europa gemeinsam lösen können? Dann passiert nämlich der falsche Weg. Dann wird jedes Land versuchen, Mauern mit Wachtürmen aufzubauen. Wir wollen aber ein Europa, in dem wir auf die Gemeinsamkeit und nicht auf die Abgrenzung zum Nachbarn setzen. Dafür, gegen den Nachbarn zu hetzen, gibt es genug Beispiele in der Geschichte. Gemeinsam etwas auf die Beine zu bringen, ist, wie die deutsche Bundeskanzlerin gesagt hat, nicht immer einfach und nie schnell genug. Aber wenn wir uns daranmachen und auch intensiv den anderen Ländern zeigen, dass uns das ein wichtiges Anliegen ist und dass in Europa von einer Frage eben einmal einer mehr und einmal einer weniger betroffen ist, aber dass die Lösung in der Gemeinsamkeit und nicht im Bau von Mauern und Wachtürmen liegt - - -
Frage: Wann wird das erste Kapitel der Verhandlungen mit Serbien über den Beitritt Serbiens aufgenommen werden, Frau Merkel?
BK’in Merkel: Ich kann Ihnen jetzt nicht den genauen Tag nennen, aber durch das, was in den letzten Tagen erreicht wurde, sind jetzt natürlich schon viele Voraussetzungen geschaffen, die wir immer genannt haben, um ein erstes Kapitel auch zu eröffnen. Worauf Sie rechnen können, ist, dass wir fair sind und dass wir uns dann, wenn das, was wir gefordert haben, erreicht wurde, nicht neue Bedingungen ausdenken werden, sondern dass dann auch die Beitrittsverhandlungen dahingehend eröffnet werden können, dass ein erstes Kapitel eröffnet wird. Wir werden das jetzt analysieren. Die Tinte ist ja kaum trocken.
Es ist auch ein guter Nebeneffekt solcher Konferenzen, dass man dann doch versucht, vorher noch etwas fertig zu bekommen. Ich war ja in Serbien. Ich habe mit dem kosovarischen Ministerpräsidenten am Anfang des Sommers gesprochen. Ich war mir nicht sicher, ob wir heute so weit sein würden, wie wir es sind. Jetzt werden wir das dann im Lichte dieser Ergebnisse analysieren, und dann ist Serbien der Eröffnung des ersten Kapitels auf jeden Fall erheblich näher gerückt, als das noch vor zwei Monaten der Fall war.
Frage: Ich habe drei kurze Fragen und möchte mit der Hohen Repräsentantin beginnen. Sie haben erwähnt, dass die Kommission jetzt eine Liste der verbindlichen sicheren Drittstaaten vorlegen wird. Österreich hat schon so eine Liste und anerkennt alle Westbalkanstaaten als sichere Drittstaaten. Wird die EU-Kommission diesem österreichischen Beispiel folgen?
Eine Frage an Bundeskanzlerin Merkel: Die deutsche Entscheidung, syrische Kriegsflüchtlinge rasch aufzunehmen, also nicht das ganze Dublin-Regime durchzumachen, gilt international als sehr vorbildhaft. Sollte dieses Beispiel auf alle EU-Staaten angewandt werden?
Meine dritte Frage: Wann rechnen Sie jetzt mit einer neuen Entscheidung, was verbindliche Quoten angeht? Die Kommission will ja demnächst auch einen neuen Vorschlag vorlegen.
Mogherini: Was nun die Liste der sicheren Herkunftsländer angeht, so ist es die Absicht der Kommission, die EU-Liste vorzuschlagen. Wir arbeiten sehr hart daran, und wir erwarten, dass sie ziemlich bald vorliegen wird.
Den letzten Teil der Frage habe ich jetzt nicht mehr im Gedächtnis. Könnten Sie ihn vielleicht wiederholen? – Ah, die Quote, eigentlich der wichtigste Teil der Frage! Die verpflichtende Quote, die Kanzler Faymann angesprochen hat, ist als Vorschlag der Europäischen Kommission bereits seit Mai auf dem Tisch. Es ist aber nun Aufgabe der Mitgliedstaaten im Rat, die Entscheidungen zu treffen, die Verantwortung zu übernehmen und die Entscheidungen umzusetzen. Der Vorschlag liegt schon seit Mai auf dem Tisch. Jetzt haben wir Ende August. Ich erinnere mich sehr genau, dass wir bei Vorlage des Vorschlags gesagt haben, und zwar sehr klar: Die Zeit ist hierbei ein nicht unwichtiger Faktor; denn jeder Tag, der vergeht, kommt mit einem Risiko einer Tragödie zu Wasser oder zu Land einher, sei es im Mittelmeer oder auf dem Balkan. Unglücklicherweise haben wir Recht behalten. Ich hoffe also, dass diese jüngste Entwicklung - nicht für die Kommission, die ihre Aufgabe ja bereits gelöst hat, sondern für die Mitgliedstaaten - ein letzter Anstoß sein wird, Verantwortung in dieser Hinsicht zu übernehmen.
Ich möchte sagen, dass die Entscheidung richtig war, für die Rettungsaktionen auf See einzutreten und diese auszuweiten. Vieles passiert dort, aber leider passiert jetzt auch auf dem Balkan sehr viel. Gerade jetzt ist der Kommandant unserer Mittelmeer-Aktion zur Bekämpfung von Schmugglernetzwerken und Verbrecherorganisationen, die im Juni begonnen hat, in Brüssel und brieft die Botschafter, um ihnen den Übergang zu Phase 2 nahezulegen und ihn anzugehen, nämlich die Netzwerke auf Hoher See auf effizientere Weise anzugreifen. Dazu bedarf es dann auch noch der Verteidigungsminister und der Außenminister der EU-Mitgliedstaaten. Diese werden nächste Woche in Luxemburg zusammentreffen. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir zeitgerecht und konsequent vorgehen, um Tragödien nach Möglichkeit zu verhindern.
Es ist nicht Aufgabe der Kommission, nunmehr neue Vorschläge zu machen, sondern Aufgabe der Mitgliedstaaten, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt einen neuen Vorschlag der Kommission bezüglich einer strukturellen Ausnahme vom Dublin-System, und zwar für einen Resettlement-Mechanismus, der für bestimmte Zeit in Kraft gesetzt wird, und zwar dann, wenn - wann auch immer - ein Mitgliedstaat aufgrund eines großen Zustroms von Schutzsuchenden unter Druck gerät. Wiederum sind die Mitgliedstaaten aufgerufen, hierfür Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.
BK Faymann: Wenn man eine Sicherheit haben möchte und gemeinsam dafür sorgt, zum Beispiel als Europäische Union in Griechenland, dann muss man doch auch wissen, was man mit den anzuerkennenden Flüchtlingen macht. Man kann doch nicht glauben, dass man das dann jenen Ländern, die diese Außengrenzen zu schützen haben, alleine überlässt. Da gibt es Länder wie Deutschland und Österreich, die sehr dafür sind und die jetzt sehr viele in der Unterbringung haben. Dann gibt es Länder des westlichen Balkans, von denen ich annehme: Die sind dafür, weil sie ja auch auf dieser Route der Schlepper liegen. Aber dann gibt es natürlich Länder, die nicht so davon betroffen sind, weil sie kaum jemanden haben, den sie unterbringen, und die gilt es davon zu überzeugen, dass die Europäische Union bei Finanzfragen und bei Wirtschaftsfragen, wenn wir wieder über die Nettozahlerfragen und andere Fragen reden, eine Einheit ist. Da kann nicht jeder sagen „Wenn es für mich gut ist, bin ich dabei, und wenn’s schlecht ist, dann versuche ich, nichts zu tun“, sondern wir sind bei diesem Thema gemeinsam gefordert. Ich glaube, darum geht es, möglichst mit gemeinsamen Standards, weil es natürlich auch eine wichtige Wirkung hat, wenn man weiß, dass man in der Europäischen Union auf gleiche Standards trifft.
BK’in Merkel: Genau, und das Gute am Lissabonner Vertrag ist, dass eine gemeinsame europäische Asylpolitik darin weitestgehend angelegt ist. Das heißt, wir brauchen nicht wie in manchen Fragen des Euro erst schwierige Vertragsänderungen, sondern wir können im gesetzten vertraglichen Rahmen erst einmal das tun, was wir schon vereinbart haben - das passiert heute auch nicht; es gibt nicht überall die Mindeststandards für Unterbringung und Anerkennung -, und zweitens können wir innerhalb der Europäischen Union noch sehr viel mehr tun. Zum Beispiel kann die Kommission sichere Herkunftsstaaten oder Quoten vorschlagen.
Federica Mogherini hat vollkommen recht: Die Kommission hat das Initiativrecht, aber zum Schluss müssen die Mitgliedstaaten zustimmen. Wenn sie das nicht tun, dann kann die Kommission auch nichts tun. Das heißt, ich glaube, dass die Kommission hier in die Offensive gegangen ist und weiter in die Offensive gehen wird, und Deutschland wird das auch sehr produktiv und sehr konstruktiv begleiten. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass im Augenblick ein Zustand herrscht, in dem die geltende Rechtssituation nicht eingehalten wird, und das ist natürlich etwas, das wir zwischen den Mitgliedstaaten, aber auch mit der Kommission besprechen müssen. Wir müssen schnell einen Weg finden, um hier Veränderungen vorzunehmen.
Wir haben folgende Situation, und die muss man ja auch beim Namen nennen: Der Europäische Gerichtshof hat genauso wie das deutsche Bundesverfassungsgericht gesagt, dass es nicht, wie es nach Dublin eigentlich geregelt ist, möglich ist, Flüchtlinge überhaupt nach Griechenland zurückzuführen. Das heißt, ein Registrierungszentrum muss mit Sicherheit durch ganz Europa betrieben werden; das kann Griechenland jetzt nicht schaffen. Das hat natürlich auch uns darin bestärkt, zu sagen: Zu wem sollen wir denn Flüchtlinge aus Ländern, die eine ganz hohe Anerkennungsquote haben, bitte schön zurückschicken? Sollen wir sie nach Österreich schicken? Da ist die Belastung im Augenblick sogar schon höher als in Deutschland. Sollen wir sie nach Ungarn schicken? Das erscheint mir wenig sinnvoll. Sollen wir sie nach Serbien und Mazedonien schicken? Nein. Nach Griechenland dürfen wir sie nicht schicken. – Das heißt, das ist ein Beispiel dafür, dass das Dublin-Verfahren nicht funktioniert.
Insofern haben wir jetzt gesagt: Angesichts von 800.000 Flüchtlingen, die in diesem Jahr wahrscheinlich zu uns kommen werden, müssen wir die Fälle mit einer ganz hohen Anerkennungsquote und die mit einer nahezu bei null liegenden Anerkennungsquote sehr schnell bearbeiten und dürfen jetzt nicht die Bürokratie sozusagen Triumphe feiern lassen. Da sagen wir: Wir stellen die Identität von syrischen Staatsbürgern fest und überprüfen natürlich, ob es hier irgendwelche terroristischen Hintergründe gibt, aber dann ist die Anerkennung da. Man sagt: Das ist ein Bürgerkriegsland, und hier ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch. Auf der anderen Seite führen wir ein möglichst kurzes Verfahren durch - natürlich rechtsstaatlich und individuell; das ist geboten -, auch bei denen, die aus den Ländern des westlichen Balkans kommen, damit wir dann möglichst schnell Perspektiven für die Menschen schaffen. Wenn die Menschen nämlich erst einmal monatelang in einer Kommune sitzen und darauf warten, dass sie integriert werden und die Kinder in die Schule gehen, dann wird es auch sehr schwer, jemandem zu sagen: Jetzt musst du wieder nach Hause gehen. - Das ist der deutsche Angang, und ich glaube, der ist der Situation angemessen. Aber wir brauchen hier eine gesamteuropäische Antwort.
Frage: Eine Frage an die Frau Bundeskanzlerin und an die Frau Hohe Repräsentantin: Österreich hat einen Vorschlag vorgelegt - der Außenminister hat ihn den Fünf-Punkte-Plan genannt. Darin sind nicht nur sogenannte Hotspots in Griechenland und Italien vorgesehen, sondern auch der Vorschlag, etwas Analoges durch die EU in den Herkunftsländern von Flüchtlingen oder in der Region ihrer Herkunftsländer zu errichten, wo schon über Asylverfahren entschieden werden kann und wo dann ein sicheres Resettlement eingeleitet werden kann. Der Herr Ministerpräsident von Serbien hat diesen Vorschlag schon begrüßt. Mich würde interessieren, ob Sie das für einen gangbaren Weg halten.
BK’in Merkel: Wenn ich recht informiert bin, ist ja der Kommissionsvorschlag auch darauf ausgerichtet, zum Beispiel in Niger ein solches Registrierungszentrum gerade für Flüchtlinge aus dem afrikanischen Bereich einzurichten. Das heißt, das kann man überlegen, und diesen Vorschlag kann man gegebenenfalls auch ausbauen. Das war damals der Vorschlag im Lichte der Mittelmeer-Route, die damals im Fokus stand. Wir haben jetzt die Erfahrung gemacht, dass die höchsten Steigerungsraten im Augenblick auf der Route des westlichen Balkan festzustellen sind. Das heißt, man wird gegebenenfalls auch mit der Türkei über solche Fragen sprechen; aber solchen Fragen will ich jetzt nicht vorgreifen. Mit Niger hat die Kommission diesen Weg allerdings schon beschritten, und wir unterstützen das.
Mogherini: Das ist tatsächlich nicht nur ein Vorschlag, denn wir haben ja wirklich schon begonnen, dieses Projekt mit Niger umzusetzen. Das geschieht in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration, mit dem Flüchtlingshochkommissariat und mit den Behörden in Niger.
Eine weitere Route, die Westbalkanroute, zeigt uns aber ein anderes Bild. Der Großteil der Menschen, die über diese Route kommen, sind Syrer, und es ist unmöglich, sie zurückzuschicken. Die Länder, die an Syrien angrenzen, haben bereits Millionen von Flüchtlingen aufgenommen. Das heißt, Hotspots in der Nähe der syrischen Grenze sind etwas, was schon seit vier Jahren vom Flüchtlingshochkommissariat der UN betrieben wird, das ist nichts Neues. Vor allem die Türkei und Jordanien brauchen Unterstützung, denn sie sind bereits am Rande des Erträglichen angelangt, wenn nicht das erträgliche Maß bereits überschritten ist.
Das heißt, es geht hier jetzt um die soziale Sicherheit, um die wirtschaftliche Sicherheit und darum, die Balance, das Gleichgewicht in diesen Ländern, die bereits Millionen von Flüchtlingen aufgenommen haben, zu halten. Es gilt auch zu bedenken, dass diese Flüchtlingszahlen weit über das hinausgehen, was die EU aufnehmen kann. Wenn man das Phänomen in einer Region eingrenzen will und weitere Krisen vermeiden will, dann muss man aber so vorgehen.
Die Arbeit mit dem Flüchtlingshochkommissariat sowie der Internationalen Organisation für Migration und die Arbeit mit den lokalen Behörden führt dazu, dass man sieht, was pragmatisch funktioniert. Bisher haben wir mit der Afrikanischen Union und mit den Mittelmeerländern stark zusammengearbeitet, um mit den Transit- und Herkunftsländern gemeinsam daran zu arbeiten, diese Ströme zu managen. Mit der Türkei und dem Westbalkan soll es ähnlich verlaufen.
Ich sage hier jetzt nichts Neues, wenn ich sage, dass die Lösung natürlich in einem effektiven Angehen der syrischen Krise liegt. Das ist aber kein Thema für unseren heutigen Gipfel, sondern das ist ein Thema für eine andere Konferenz. Was wir tun, ist aber, dass wir in Stille, aber sehr konkret arbeiten.
BK’in Merkel: (Beginn des Satzes akustisch unverständlich) der Europäischen Union, des Europäischen Rates mit Vertretern der Afrikanischen Union auf der Insel Malta haben werden. Das werden wir natürlich auch sehr sorgsam vorbereiten. Dabei wird sicherlich auch das Thema der sicheren Herkunftsstaaten in Afrika eine Rolle spielen.