Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesminister Altmaier, Bundesminister Heil, Bundesminister Scholz und BDA-Präsident Kramer zum Spitzengespräch der Bundesregierung zur Fachkräftezuwanderung

Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Bundesminister Altmaier, Bundesminister Heil, Bundesminister Scholz und BDA-Präsident Kramer zum Spitzengespräch der Bundesregierung zur Fachkräftezuwanderung

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Montag, 16. Dezember 2019

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass wir heute so vor Ihnen sitzen und über einen wirklichen Erfolg berichten können: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, von der Bundesregierung verabschiedet, ist ein Paradigmenwechsel in unserer Art, wie wir auf Fachkräfte auch außerhalb der Europäischen Union zugehen wollen. Wir haben Fachkräftemangel, und insofern haben wir ein Interesse daran, gute Fachkräfte zu bekommen. Dafür braucht man Abläufe, die auch vernünftig sind und die deutlich machen, dass Deutschland daran interessiert ist, dass Menschen zu uns kommen, die bestimmte Arbeiten verrichten, die sonst niemand verrichtet.

Das schließt ein, dass wir auch unser inländisches Arbeitspotenzial voll ausreizen wollen. Das heißt, wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen und Gesetzen, die allen Menschen in Deutschland eine Chance geben, auch wirklich erwerbs- und berufstätig zu sein. Wir verbessern die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Blick auf die Frauenerwerbstätigkeit. Nichtsdestotrotz bleibt aber ein großer Fachkräftemangel da.

Der Gipfel heute hat im Grunde gezeigt, dass wir zusammenarbeiten müssen zwischen der Wirtschaft, den Gewerkschaften, der Bundesregierung und den Ländern - es waren auch Ländervertreter da, stellvertretend für die 16 Bundesländer, denn jeder hat seine Rolle. Wir sind natürlich auf ein reibungsloses Miteinander der Visa-Beantragungsstellen, den Ausländerbehörden und der Bundesagentur für Arbeit angewiesen. Wir werden auch neue Wege beschreiten; das können die jeweiligen Ressortminister gleich sehr gut sagen.

Auf jeden Fall ist das wirklich Wichtige, dass wir in den Drittländern als ein weltoffenes, als ein interessiertes Land rüberkommen; denn es ist nicht so, dass nur wir auf der Welt Fachkräfte suchen, vielmehr gibt es einen großen Wettbewerb in diesem Bereich. Das heißt, wir müssen attraktive Arbeitsbedingungen und auch ein attraktives gesellschaftliches Umfeld bieten. Deshalb haben heute auch die Fragen der Integration, die Fragen der Arbeitsbedingungen eine Rolle gespielt.

Ich kann nur berichten, dass alle, die heute an diesem Treffen teilgenommen haben, den Willen haben, dieses Gesetz in seiner Umsetzung zu einem Erfolg zu machen. So werden wir diese Arbeit auch wirklich gut schaffen können.

BM Scholz: Das war heute ein spektakulär unspektakuläres Treffen. Ich habe in diesem Gebäude, in dem Saal, in dem wir eben gesessen haben und miteinander geredet haben, in ganz unterschiedlichen Funktionen über Zuwanderung, Einwanderung, Fachkräfte gesprochen - als Bundesminister für Arbeit, als Hamburger Bürgermeister, jetzt als Bundesminister der Finanzen -, und zum ersten Mal waren sich alle einig, dass wir Einwanderung brauchen und dass es nur darum geht, wie wir das möglichst gut organisieren können. Das symbolisiert sich mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das wir hier besprochen haben und dessen Umsetzung wir hier besprechen. Trotzdem glaube ich, dass das ein ganz weitreichender Schritt in der Geschichte Deutschlands ist. Wir akzeptieren, Einwanderungsland zu sein, und wir gehen damit mit pragmatischer Vernunft um. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was man zu allem sagen kann.

Dass wir alles angesichts der wachsenden Herausforderungen für das Wachstum unserer Wirtschaft und des großen Arbeitskräfte- und Fachkräftebedarfs alles dafür tun müssen, dafür Sorge zu tragen, dass es genügend geeignete Arbeitskräfte gibt, ist eine neue Erkenntnis, die aber wichtig ist. Das werden wir schaffen, indem wir alles dafür tun, dass Frauen und Ältere bessere Beschäftigungschancen in unserem Land haben, und indem wir die Chancen der Europäischen Union nutzen; es geht aber eben auch um Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland.

Vieles von dem, was hier jetzt zugrunde gelegt ist, ist gut erprobt - ich greife einmal ein Beispiel heraus: die Drei-plus-zwei-Regelung, was Auszubildende betrifft -, und deshalb haben auch viele Zutrauen gewonnen und sind jetzt bereit, miteinander darüber zu sprechen, wie wir das so hinbekommen, dass das eine gute Sache wird - für diejenigen, die in Zukunft in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt tätig sind, für die Unternehmen, aber auch für unsere Gesellschaft. Dass das aus gemeinsamer Überzeugung gelingen kann, ist wahrscheinlich das Besondere des heutigen Treffens.

BM Altmaier: Das ist heute in der Tat, wie es Kollege Scholz schon sagte, ein Prozess, der 40 Jahre intensiver Diskussionen zu einem Ergebnis führt, nämlich zu dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem heutigen Gipfel, der einen gesellschaftlichen Konsens zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, zwischen den Parteien und den tragenden Kräften der Bundesregierung markiert.

Das ist auch notwendig, weil sich der Arbeitsmarkt in Deutschland derzeit in einer exzellenten Verfassung befindet. Die Arbeitslosigkeit geht ständig zurück, trotz einer mäßigen wirtschaftlichen Entwicklung - dies hängt auch mit demografischen Faktoren zusammen -, und es ist überall, in ganz vielen Bereichen, spürbar, dass wir mehr Wirtschaftswachstum haben könnten, wenn genügend qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stünden.

Wir haben uns vorgenommen, die Herausforderung gemeinsam zu stemmen. Wir haben für jedes Ministerium die Verantwortlichkeiten definiert - beispielsweise liegen Visum- und Anerkennungsverfahren in erster Linie in der Zuständigkeit von Innenministerium und Auswärtigen Amt. Es gibt darüber hinaus aber eine große Zahl von Fragen, die geklärt werden müssen. Wir haben als Bundeswirtschaftsministerium federführend die Strategie der Bundesregierung zur gezielten Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten erarbeitet, und wir wollen innovative Wege gehen, damit wir die geeigneten und dringend benötigten Fachkräfte nicht nur finden, sondern auch möglichst unbürokratisch an ihren neuen Arbeitsort bringen können.

Wir erproben derzeit ganz konkret, wie wir Fachkräfte aus ausgewählten Partnerländern gezielt für den Bedarf der beteiligten Unternehmen gewinnen können. Wir haben uns zusammen mit der Wirtschaft, den einzelnen Kammern, dem DIHK und der BDA auf Pilotprojekte geeinigt. Wir werden diese Pilotprojekte beispielsweise in Brasilien, in Indien und in Vietnam beginnen, und die Erfahrungen, die gemacht werden, werden in die weitere Etablierung des Systems einfließen.

Uns ist wichtig, dass sowohl die mittelständischen Unternehmer in Deutschland, auf die es ganz besonders ankommt, weil bei ihnen der Fachkräftebedarf am spürbarsten ausgeprägt ist, als auch die Fachkräfte in anderen Ländern, die bereit sind, Deutsch zu lernen, und die über entsprechende Qualifikationen verfügen, zueinanderkommen können. Deshalb haben wir ein Dachportal „Make it in Germany“ ressortübergreifend aufgebaut, das Fragen beantwortet, das eine Jobbörse beinhaltet und das auch zu einem zentralen Ansprechpartner für alle, die Fragen haben, werden kann, um dann dafür zu sorgen, dass die zuständigen Behörden sich einschalten können.

Wir wissen, dass dieser Prozess eine Zeit lang benötigen wird, um sich in allen Details zu bewähren, aber wir sind entschlossen, gemeinsam und im Konsens diese Herausforderungen anzugehen. Deshalb glaube ich, dass wir mit dem heutigen Tag die Weichen dafür gestellt haben, dass Fachkräftezuwanderung in sozial verträglicher Weise gelingen wird.

Dazu wird auch notwendig sein, dass wir die inländischen Potenziale mobilisieren; auch da stimme ich mit dem Bundesfinanzminister voll und ganz überein. Alle Beteiligten wissen aber, dass die inländischen Potenziale alleine selbst dann, wenn sie zu hundert Prozent gehoben werden können, nicht ausreichen, um den Bedarf der nächsten Jahre zu befriedigen. Deshalb werden wir beides parallel tun, und zwar so, dass das eine das andere auch rechtfertigt und unterstützt. Wir haben heute, glaube ich, ganz wichtige Weichen gestellt.

BM Heil: Meine Damen und Herren, Fachkräftesicherung ist tatsächlich eine der zentralen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen der jetzigen Zeit und der nächsten Jahre. Wer gerade versucht, beispielsweise in Berlin einen Handwerker zu bekommen, der weiß, wovon ich rede. Es wäre viel mehr an Wirtschaftswachstum möglich, wenn wir tatsächlich alle Aufträge schneller abarbeiten könnten, die derzeit da sind.

Deshalb haben wir als Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemeinsam mit allen Ressorts und auch mit den Sozialpartnern vor über einem Jahr eine Fachkräftestrategie auf den Weg gebracht, die im Wesentlichen vorsieht, dass wir alle inländischen Potenziale heben - und da gibt es noch viel Luft nach oben. Jahr für Jahr verlassen 50 000 junge Menschen die Schule ohne Schulabschluss, und wir haben immer noch 1,1 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 ohne berufliche Erstausbildung. Wir müssen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, die Erwerbstätigkeit von Frauen im Blick behalten, das Thema Qualifizierung und Weiterbildung und auch die Beschäftigungsfähigkeit Älterer in den Blick nehmen - all das ist notwendig.

Wir brauchen darüber hinaus ergänzende Fachkräfteeinwanderung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und begleitenden Gesetzen, die wir im Frühjahr verhandelt haben und die mittlerweile vom Bundestag beschlossen worden sind und ab dem 1. März in Kraft treten, gehen wir einen entscheidenden Schritt dazu. Wir bekennen uns dazu, dass wir gesteuerte, qualifizierte Zuwanderung brauchen, und wir werden sie gemeinsam - ich betone: gemeinsam; das ist der Geist des heutigen Abends - organisieren. Das heißt, dass wir zusammen mit der Wirtschaft und mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit bereits eine Potenzialanalyse erarbeitet haben, mit der wir herausfinden wollen, wo wir welche Fachkräfte vermuten und finden können.

Das betrifft eine Anwerbestrategie, die gemeinsam organisiert wird. Es geht darum, ganz praktische Fragen zu lösen, zum Beispiel die Frage: Wie ist es mit der Visumserteilung? – Das wird zukünftig einfacher sein, zumindest in den Ländern, mit denen es Partnerschaftsabkommen gibt, die die Bundesagentur für Arbeit verhandelt. Der Außenminister, Heiko Maas, hat heute deutlich gemacht, dass Kapazitäten für die Visumsbearbeitung und –erteilung auch massiv aufgestockt werden. Es wird sogar eine eigene Dienststelle hier im Inland als nachgeordnete Behörde geschaffen werden, die die Auslandsvertretungen bei der Visumserteilung unterstützt.

Zweitens geht es um die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen. Wir haben ja mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz über Akademiker hinaus vor allem die beruflich Qualifizierten im Blick. Nun ist es aber nicht so, dass überall auf der Welt unsere Art der Ausbildung betrieben wird, sodass wir relativ zügig und rasch Anerkennung betreiben müssen. Die muss übrigens nicht erst im Ausland betrieben werden. Die kann auch hier betrieben werden, wenn ein Arbeitsvertrag vorliegt.

Drittens geht es um das große Thema der Sprache. Das machen wir nicht auf dem höchsten Germanistikniveau, aber wichtig ist, dass man in der Wirtschaft und der Gesellschaft zurechtkommt. Deshalb war es heute auch wichtig, dass wir uns im Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften dazu bekannt haben, dass wir nicht nur damit rechnen, dass da Fachkräfte kommen, sondern es sind Menschen. Deshalb muss Integration mitgedacht werden. Das wird ein wichtiger Beitrag dazu sein, dass wir ab dem 1. März dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Leben erfüllen und dafür sorgen, dass das Ganze gelingt.

Ich habe mich bei allen Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, bei den Gewerkschaften, bei allen Ressorts und für die heutige Gastfreundschaft auch bei der Bundeskanzlerin zu bedanken. Es war sehr produktiv. Wir haben uns auch darauf verständigt, dass wir das Ganze weiter miteinander besprechen werden. Es wird Nachfolgeveranstaltungen und –treffen und auch Austausch geben. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein Erfolg wird. Auch ich habe mich gesellschaftspolitisch zu bedanken, dass das nach vielen Jahrzehnten der Debatte gemeinsam gelungen ist. Weil er gerade nicht auf dem Podium sitzt, möchte ich mich explizit beim Bundesinnenminister für die Verhandlungen über dieses Gesetz bedanken. Das war eine interessante Lebenserfahrung und ein produktives Ergebnis.

Kramer: Meine Damen und Herren, so viel Konsens war selten! Es ist noch nicht allzu lange her, da hätte ich es gar nicht für möglich gehalten, dass so ein Gesetz zustande kommt.

Die Wirtschaft braucht es. Wir werden Anfang der 30er-Jahre 6 Millionen Menschen weniger im erwerbsfähigen Alter aus der deutschen Bevölkerung haben. Diese Lücke müssen wir schließen, wenn wir in Zukunft nicht weniger Kraft in unserer Volkswirtschaft auf die Straße bringen wollen.

Das scheint jetzt mit diesem Gesetz gelungen zu sein. Ab März wird es scharf geschaltet werden. Dann sind einige Schritte ganz besonders wichtig, über die wir aber heute auch einen Konsens gefunden haben, nämlich dass es schnell gehen muss, dass es nicht lange bürokratische Verfahren geben darf, die dazu führen, dass man erst einmal Monate auf einen Termin wartet und weitere Monate wartet, bis die Papiere geprüft worden sind usw. Da sind Verfahren erdacht worden, die auch die Digitalisierung des gesamten Verfahrens einschließen, bei denen also nicht mehr Papier von A nach B geschickt wird. All diese Schritte sind richtig und werden, denke ich, dazu führen, dass wir relativ zügig in das Verfahren hineinkommen werden, sodass auch Erfolge zu erzielen sind.

Der nächste Schritt, den wir auch ausführlich besprochen haben, ist: Was passiert eigentlich im Binnenland, wenn wir sie hier haben? – Ganz wichtig ist, dass uns wirklich klar ist: Wenn die Menschen aus zum Teil fernen Ländern hier wirklich bleiben sollen, dann ist es wichtig, dass sie sich hier nach einer gewissen Zeit zu Hause fühlen können und dass sie in das Sozialsystem nicht nur des Unternehmens, sondern auch der Gemeinde und des Lebensraums eingebunden sind. Dazu gehört, dass wahrscheinlich gewisse Nachschulungen stattfinden müssen. Denn wo auf der Welt gibt es ein Lehrlingsausbildungssystem wie bei uns? Das gibt es nicht. Also muss man mit Berufserfahrung arbeiten und das fachliche Detailwissen hier nachschulen. Auch das wird eine Aufgabe der Wirtschaft sein, die Sprachmöglichkeiten dieser neuen und jungen, hinzugekommenen Mitarbeiter in unseren Unternehmen voranzubringen, wie wir es auch machen, wenn wir beispielsweise Mitarbeiter ins Ausland schicken, für die wir natürlich vorher einen Sprachkurs organisieren, damit sie sich dort zu Hause fühlen.

All diese Aufgaben müssen also sowohl von der Wirtschaft, von uns, als auch von der Politik gemeinsam vorangebracht werden. Der Wille ist erstaunlich breit und einmütig vorhanden gewesen. Ich glaube, das ist das, was wir hier alle heute gespürt haben. Da gab es keine Kontroversen. Es gab nur mehr Anregungen, als man in der Kürze der Zeit hätte aufnehmen können. Es ist also ein gutes Gesetz auf den Weg gekommen. Ich hoffe, es wird ein Problem - das wahrscheinlich größte Problem, das die Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren haben wird, nämlich das mangelnde Fachkräftepotenzial - verkleinern können.

Frage: Eine Frage in die Runde, wer auch immer sich dazu berufen fühlt: Was schätzen Sie, wie viele Menschen in, sagen wir einmal, fünf Jahren durch diese neue Regelung jährlich nach Deutschland kommen werden?

Eine Frage an die Bundeskanzlerin: Wie bewerten Sie die Grundsatzeinigung zum Klimapaket, gerade jetzt auch nach dem Gipfel von Madrid?

BK’in Merkel: Was die Zahlen anbelangt, so wollen wir eigentlich nicht spekulieren. Wir wissen nur, dass uns allein das Handwerk gesagt hat, dass ihm im Augenblick 250 000 Menschen fehlen, die sofort eine Stelle bekommen könnten. Das wird man sicherlich nicht innerhalb kurzer Zeit schaffen, indem man jetzt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wirken lässt.

Wir wissen aber auf der anderen Seite, dass auch durchaus in einem Maßstab von Hunderttausenden Arbeitsmöglichkeiten von Menschen aus den Ländern des westlichen Balkans genutzt werden. Da könnten wir die exakte Zahl vielleicht noch einmal nachliefern, wenn es interessiert. Ich habe sie jetzt gerade nicht im Kopf, aber es war eine sehr große Zahl. Da haben wir ja die Spezialregelung eingeführt, dass der, der einen Arbeitsplatz nachweisen kann, auch kommen kann. Insofern will ich mich zahlenmäßig nicht festlegen, aber das wird anlaufen. Es wird auch einer bestimmten Phase des Anlaufs bedürfen, und dann, hoffen wir, werden wir damit doch einen Teil unseres Fachkräftemangels beheben können.

Was das Klimapaket anbelangt, so bin ich sehr froh, dass es so aussieht, dass der Bundesrat dann am Freitag zustimmen könnte. Da ist exzellente Arbeit geleistet worden. Was mich besonders freut, ist, dass es parteiübergreifend doch einen großen Willen gab, hier eine Lösung zu finden und keine Hängepartie zu haben. Das hat die Sache etwas von der Madrider Klimakonferenz unterschieden, glücklicherweise positiv auf unserer Seite.

Kramer: Wenn ich ganz kurz an die letzten zwei, drei Jahre zurückdenken darf, dann haben wir, seitdem die Flüchtlingswelle in Deutschland angekommen ist, aus dem Kreis dieser Flüchtlinge bis zum September dieses Jahres 430 000 Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bekommen, darunter unter anderem auch mehr als 40 000 Auszubildende. Das heißt, wenn schon aus den Geflüchteten im Schnitt mehr als 100 000 Menschen pro Jahr geworden sind, dann ist die Erwartungshaltung, dass wir in den Jahren irgendwann auch in Hunderttausenden rechnen können.

Frage: Auf jedes Vorhaben folgt Kritik. Manchmal kommt sie auch schon vorneweg. In der Opposition sagt die FDP „Zu wenig, zu spät!“, und die AfD will sogar eine „fatale Wirkung“ dieses Pakets sehen und beschreibt die Sorge, dass nun möglicherweise arbeitslose Ausländer in unsere Sozialsysteme einsickern könnten. Was antworten Sie da, Frau Merkel?

BK’in Merkel: Was sagt die FDP?

Zusatz: „Zu wenig, zu spät!“

BM Scholz: Ach, das Übliche!

BK’in Merkel: Ich meine, es ist dringend notwendig, dass wir ein solches Gesetz haben. Dass das zu wenig ist, wage ich zu bezweifeln. Das ist eine gute Grundlage.

Schauen Sie: Die Frau Buntenbach von den Gewerkschaften musste leider schon etwas früher weg, aber wann sehen Sie Gewerkschaften, Wirtschaft und Bundesregierung - hinzugekommen sind heute auch die Ländervertreter - sehr kooperativ zusammen? - Wir gehen das Problem an, und ich finde, auch eine Opposition kann einmal sagen, wenn etwas gelungen ist. Es gibt ja sonst noch genügend Gelegenheit, griesgrämig zu sein.

BM Heil: Wenn ich das kurz ergänzen darf, Frau Bundeskanzlerin: Man muss ja immer mit beiden Seiten - - - Die einen sagen „Zu kurz, zu wenig, zu spät“, die anderen verbreiten Horrormeldungen, wer da alles komme. Ich glaube, das ist ein Stück gemeinsamer Vernunft. Ich behaupte, dass wir in diesen Verhandlungen gemeinsam eines der modernsten Fachkräfteeinwanderungsgesetze geschaffen haben, weil wir uns andere Erfahrungen auch angeschaut haben. Wir haben uns nicht mit ideologischen Debatten oder dem Aufbau neuer Bürokratie aufgehalten, sondern die Dinge angepackt.

Jetzt muss keiner die Sorge haben, dass uns die Bude eingerannt werden wird, sondern wir werden uns bemühen müssen, qualifizierte Fachkräfte zu bekommen. Auch ich betone, dass es nicht um eine Einwanderung in Sozialsysteme, sondern um eine in den Arbeitsmarkt geht. Wir müssen hier klar das unterscheiden, was wir an Fachkräfteeinwanderung organisieren werden. Deshalb sage ich einmal, dass alle rechtspopulistischen Stimmungsmacher Unrecht haben und nicht begreifen, worum es geht. Dafür werbe ich auch - wie gesagt: Seite an Seite -, für Offenheit und Verständnis.

Lassen Sie sich keine Angst machen. Wir müssen mehr Angst haben, die Fachkräftestellen in Deutschland nicht zu besetzen. Das würde unseren Wohlstand gefährden. Das ist ein Risiko für unser Land. Deshalb noch einmal: vorrangig Inland, ergänzend Fachkräfteeinwanderung, klare Regeln. Falls es Fehlentwicklungen geben sollte, gibt es Notfallhebel. Wir brauchen sie aber nicht, weil es zwischen allen Beteiligten wirklich gut vorbereitet ist. Auch das hat die Runde heute bestätigt.

Frage: Mich würde interessieren: Was ist jetzt im Vergleich zu dem Gesetz tatsächlich neu, worauf Sie sich heute einigen konnten? Welche Punkte sind heute sozusagen neu dazu gekommen? Das wäre meine Frage. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen.

BK’in Merkel: Das Neue ist, dass wir vor Inkrafttreten eines Gesetzes miteinander besprechen, welche Stufen zu absolvieren sind, worauf wir uns konzentrieren wollen, wie wir die praktischen Abläufe gestalten und wir auch Vorkehrungen treffen.

Dazu gehört, dass zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit schon Partnerschaftsabkommen mit bestimmten Ländern abgeschlossen hat, dass das also mit bestimmten Ländern ausprobiert wird. Der Wirtschaftsminister hat das eben genannt. Dazu gehört, dass wir unsere Visaerteilungsmechanismen verändern. Dazu gehört, dass wir dann mit den Ausländerämtern sprechen, die den Aufenthaltstitel geben. Deshalb waren die Länder heute mit dabei. Dazu gehört, dass wir die Anerkennung von Berufen verbreitern oder auch das Personal verstärken, weil viel mehr Leute kommen und sagen: Ich will meinen Beruf anerkannt bekommen. - Das wiederum ist unterschiedlich beim Handwerk. Das ist unterschiedlich bei den Handelskammern. Das ist unterschiedlich bei den Berufen, die vom Staat zugelassen werden, also in der Pflege und den medizinischen Berufen.

All diese Schritte haben wir hier miteinander besprochen. Wir haben verabredet, dass man, wenn es an einer Stelle klemmt, dann wieder sehr schnell miteinander Kontakt aufnehmen und sagen kann: Wie ist das?

Wir werden zum Teil natürlich auch pauschalierte Anerkennungsverfahren haben, von Berufsabschlüssen zum Beispiel. Wenn man einmal in einem Land bestimmte Ausbildungsstätten kennt und weiß, welches Ausbildungsniveau sie garantieren, dann brauche ich anschließend nicht jeden einzelnen Absolventen einer solchen Fachhochschule oder einer Ausbildungsinstitution zu fragen, ob er auch die Voraussetzungen erfüllt. Dann ist die Bewältigung der Prüfung dort einfach mit unserer Anerkennung kompatibel, oder man weiß, was man noch dazu machen muss.

Wir müssen ein Netzwerk knüpfen zwischen denen, die Arbeitsplätze annoncieren, und den Menschen, die zum Beispiel in bestimmten Ländern in Schulen gehen, die Deutsch-Unterricht geben, weil man dann davon ausgehen kann, dass bestimmte Sprachkenntnisse vorhanden sind. Da müssen einfach einmal die ganzen Protagonisten miteinander gesprochen haben und das Verfahren so ablaufen lassen. Dann wird man auch, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist, wieder miteinander reden müssen: Was funktioniert, und was funktioniert nicht?

Zusatzfrage: Der Bitkom hatte ja angeregt, die Sprachanforderungen zu senken, gerade im IT-Bereich, um dort mehr Fachkräfte zu bekommen. Gehen Sie denn da der Wirtschaft ein Stück weit entgegen?

BM Heil: Ich glaube, dass es über die Sprachniveaus einen ziemlichen Mythos gibt. Tatsache ist, dass wir kein Germanistikstudium verlangen, sondern dass auch für diejenigen, die zur Arbeitsplatzorientierung hier sind, bestimmte Standards da sind. Aber sie sind auch nicht auf dem höchsten Niveau. Es gibt auch die Möglichkeit, dass man Sprachkenntnisse, wenn man hier ist, zusätzlich erwirbt. Das ist das, was Herr Kramer vorhin beschrieben hat. Das heißt, wir müssen aufpassen, dass nicht Probleme gesucht werden, wo es in der Praxis keine gibt. Wir halten das für lösbar. Trotzdem ist die Sprache im Betrieb und auch im gesellschaftlichen Leben wichtig. Aber es ist nicht so, wie gesagt, dass man ein abgeschlossenes Germanistikstudium haben muss. Da werden wir mit dem Bitkom noch weitersprechen. Das ist aber kein Hindernis, das heute identifiziert wurde. Da haben wir sehr pragmatische Lösungen.

BM Altmaier: Ich glaube auch, dass wir pragmatische Lösungen finden können. Aber es gibt natürlich schon einen Unterschied zwischen der Fachkräfteeinwanderung jetzt und der Einwanderung noch nicht Qualifizierter in den 60er und 70er Jahren. Wir wollen die Fehler, die damals gemacht worden sind, vermeiden. Deshalb werden wir den Prozess so organisieren, dass das Erwerben von Sprachkenntnissen und das Aufnehmen und Ausüben von Arbeit Hand in Hand geht. Das ist ein soziales und ein integrationspolitisches Anliegen. Aber es ist auch ein wirtschaftspolitisches Anliegen, weil die volle Wertschöpfung, die möglich ist, nur erzielt werden kann, wenn sich alle in einem Unternehmen auch einigermaßen verständigen können. Wenn in einem Unternehmen beispielsweise heute Englisch die Arbeitssprache ist, weil vor allen Dingen Kundenbeziehungen zu angelsächsischen Ländern unterhalten werden, dann werden sie sicherlich auch Fachkräfte rekrutieren, die diesen Anforderungen entsprechen.

BK’in Merkel: Genau. Die Hoffnung ist - und das legt das Gesetz auch an -, dass man berufsbezogen sagen kann: Was ist notwendig, um diesen Beruf auszuüben? Das ist bei einer Pflegerin oder einer Pflegekraft etwas Anderes als bei jemandem, der zum Beispiel programmiert. Deshalb werden wir zwischen den Fachkräften von Bitkom und den Fachkräften für die Pflegeeinrichtungen zu unterscheiden wissen.

StS Seibert: Ich danke Ihnen allen für Ihr Interesse! Ich wünsche einen schönen Abend.

Beitrag teilen