in Meseberg
32 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 23. Januar 2014
BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, die Klausurtagung des Bundeskabinetts der Großen Koalition ist beendet. Wir haben intensive Beratungen und sehr eingehende, tiefgehende Diskussionen gehabt, die vor allen Dingen auch gezeigt haben, wie viele Themen über ein Ressort hinaus von Bedeutung sind.
Lassen Sie mich aber zu Beginn etwas zu dem sagen, worüber der Bundesaußenminister heute auch gesprochen hat, nämlich zu der sehr bedrückenden Lage in der Ukraine. Der Bundesaußenminister hat auch in einem Telefonat die deutsche Haltung deutlich gemacht, die ich hier noch einmal unterstreichen möchte: Wir erwarten von der ukrainischen Regierung, dass sie die demokratischen Freiheiten, insbesondere die Möglichkeiten zu friedlichen Demonstrationen, sichert, dass sie Leben schützt und dass Gewaltanwendung nicht stattfindet. Wir sind aufs Äußerste besorgt - und nicht nur besorgt, sondern auch empört darüber -, in welcher Art und Weise Gesetze durchgepeitscht wurden, die diese Grundfreiheiten doch infrage stellen.
Deshalb wird die Bundesrepublik Deutschland intensiv darauf hinwirken, dass das, was ein Grundrecht ist, nämlich das Demonstrationsrecht, von der ukrainischen Opposition genutzt werden kann. Wir plädieren dafür, dass darüber auch Gespräche zwischen der ukrainischen Regierung und der Opposition geführt werden. Ich betone noch einmal, dass es die Aufgabe jedweder Regierung ist, solche Möglichkeiten der freiheitlichen Meinungsäußerung auch sicherzustellen, und dass dies zurzeit nach unserer Auffassung innerhalb der Ukraine nicht möglich ist beziehungsweise nicht ausreichend möglich ist.
Wir haben ansonsten, wie Ihnen gestern auch angekündigt, in der Klausur die verschiedenen Themen, die in diesem Jahr eine Rolle spielen, die Gesetzgebungsvorhaben, aber auch die Aktivitäten darüber hinaus, intensiv besprochen und deutlich gemacht, dass wir hier auch eine Verpflichtung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern haben.
Der erste Schwerpunkt gestern war das Thema Energie. Hier ist es in einem großen Kraftakt gelungen, die Eckpunkte dessen umzusetzen, was wir in der Koalitionsvereinbarung im Großen und Ganzen ja auch schon vorgezeichnet haben. Die intensive Beschäftigung mit der Materie hat aber doch gezeigt, dass, um die Versorgungssicherheit, die Preisstabilität und auch die Umweltfreundlichkeit zu erhalten, Maßnahmen notwendig sind, die sehr entschieden und sehr schnell umgesetzt werden müssen. Das Bundeskabinett hat diese Maßnahmen und diese Eckpunkte insgesamt gebilligt. Wir halten es für einen außerordentlich wichtigen Punkt, dass wir im Bereich der Energieversorgung unsere industrielle Basis und unsere wirtschaftliche Kraft über den Tag hinaus sichern und dass wir die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die Energiewende zu unterstützen, nicht dadurch überstrapazieren, dass wir einen zu hohen Anstieg der Stromkosten haben. Ich glaube, dass die Eckpunkte diesen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.
Ich möchte noch auf zwei Dinge hinweisen, die mir wichtig sind. Es wird ja teilweise der Eindruck erzeugt, als wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien in Zukunft nicht mehr stattfinde. Wer sich auf der Zeitachse einmal anschaut, wie wir in den nächsten Jahren die Korridore gesetzt haben - verbindliche Korridore -, der wird sehen, dass dies alles auf das international und auch von uns national vereinbarte Ziel ausgerichtet ist, bis 2050 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Wenn wir die Korridore bis 2030 so umsetzen, wie wir es jetzt in den Blick genommen haben, liegen wir genau auf dieser Linie. Das heißt, wir müssen schauen: Wie können wir kosteneffizient den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen?
Des Weiteren wird immer wieder darauf verwiesen, dass der vorgesehene Anteil der Offshore-Energie zu groß sei. Hierzu möchte ich Folgendes sagen: Die Offshore-Energieerzeugung steckt noch in den Kinderschuhen, was die Praxiserprobung anbelangt. Alle anderen Formen der erneuerbaren Energieerzeugung - wie zum Beispiel Solarenergie, wie Windenergie an Land - haben eine lange Zeitspanne bekommen, in der sie zeigen konnten, wie und ob diese Energieerzeugungsformen marktfähig werden. Die Offshore-Energie muss dies noch zeigen, aber sie muss diese Chance auch bekommen. Ziel ist natürlich die Marktfähigkeit aller erneuerbaren Energien.
Ich glaube, das Bundeswirtschaftsministerium und der Bundeswirtschafts- und Energieminister haben hier ein Paket vorgelegt, mit dem wir als Bundesregierung gemeinsam in die Beratungen gehen können. Dass das intensive und auch strittige Beratungen werden, deutet sich bereits an. Ich halte es aber für die absolut richtige Entscheidung, dies jetzt auch sehr schnell zu machen.
Zweitens haben wir natürlich auch das Thema Rente besprochen. Hierzu wird in der nächsten Woche, am 29. Januar - so ist die Planung -, das Gesetzgebungspaket durch einen Kabinettsbeschluss auf den Weg in die parlamentarischen Beratungen gebracht. Die Ressortabstimmung haben wir hier selbstverständlich nicht gemacht, aber das Bundeskabinett unterstützt die Bundesarbeitsministerin bei ihren Arbeiten zu diesem Rentenpaket. Ich bin optimistisch, dass wir die Ressortabstimmung dann auch bis zum nächsten Mittwoch schaffen.
Die weiteren Themen, die uns beschäftigt haben - wenn ich sie nur kursorisch nennen darf -, haben immer wieder mit der Frage der Demografie zu tun. Hier spielt Familienpolitik eine Rolle, hier spielt Forschungspolitik eine Rolle, und es geht hierbei auch um Generationengerechtigkeit. Wir machen mit unserem Rentenpaket eine Beschlussfassung, die auch Älteren in unserer Gesellschaft Unterstützung gibt. Wir haben im Gegenzug dazu Maßnahmen anzulegen, zum Beispiel eine Demografiereserve, die auch Jüngere anbelangt. Wir sehen es außerdem als unsere gemeinsame Verpflichtung im Sinne der Generationengerechtigkeit, alles dafür zu tun, dass es auch in Zukunft eine starke wirtschaftliche Basis gibt, um den Menschen auch in den nächsten Jahren Arbeit zu geben, so wie wir schon heute eine relativ positive Arbeitslage in Deutschland haben.
Das Thema Europa hat eine große Rolle gespielt. Die Umsetzung der Bankenunion ist unser gemeinsames Ziel, noch bevor das europäische Parlament seine Arbeiten in dieser Legislaturperiode abschließt. Wir haben auch über weitere europäische Vorhaben gesprochen.
Der Bundesaußenminister hat uns mit Blick auf die internationalen Konflikte noch einmal einen sehr umfassenden Überblick gegeben. In dem umfassenden Überblick zeigt sich schon, dass es leider viele Konfliktherde auf dieser Welt gibt - vom Nahen Osten und Syrien bis hin zu der Situation in Afrika. Deutschland - das war die übereinstimmende Meinung des Kabinetts - wird sich seiner Verantwortung nicht entziehen, sondern in den verschiedenen Bereichen auch seinen möglichen Beitrag leisten.
Wir werden - federführend durch den Bundesinnenminister, den Bundeswirtschafts- und Energieminister und den Bundesminister für Verkehr und Infrastruktur - als Kabinett eine digitale Agenda erarbeiten, um die verschiedenen Formen und Facetten der Digitalisierung unserer Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Dies ist zum Beispiel ein solches Querschnittsthema, das von einem Ressort alleine gar nicht mehr bearbeitet werden kann.
Wir haben uns darauf geeinigt, welche der verschiedenen ressortübergreifenden Initiativen wir fortsetzen - ich will die hier jetzt nicht alle nennen; Sie werden darüber zu gegebener Zeit informiert werden -, und ich will auf zwei Projekte hinweisen, die wir gemeinschaftlich neu in Angriff nehmen. Das eine wird unter der Überschrift „Gutes Leben - Lebensqualität in Deutschland“ laufen. Dabei geht es um die Frage: Was ist den Bürgerinnen und Bürgern aus ihrer Perspektive wichtig? Dies wird ressortübergreifend so organisiert, dass wir auch als Bundesregierung gemeinsam Bürgerdialoge führen und uns dafür interessieren werden, welche qualitativen Anforderungen Menschen an ein gutes Leben stellen. Das hat auf der einen Seite natürlich mit den materiellen Werten zu tun, das ist gar keine Frage - Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigungszahlen und vieles andere. Es gibt aber auch viele andere Faktoren, die heute für Menschen wichtig sind, wie zum Beispiel die Frage von Arbeitszeit und Familienzeit, die Frage „Wie viele Menschen gibt es, die sich um mich persönlich kümmern, wenn ich einmal krank oder in einer Notsituation bin?“. All das entscheidet genauso über Lebensqualität wie der materielle Wohlstand, und diese Fragen wollen wir gemeinsam in den Blick nehmen, genauso wie wir uns auch stärker über Fragen der guten Rechtssetzung austauschen wollen.
Letzter Punkt. Wir haben beschlossen, dass wir während unserer G8-Präsidentschaft in 2015 den G8-Gipfel in Deutschland auf dem Schloss Elmau in Bayern stattfinden lassen werden. Der G8-Gipfel wird thematisch auch sehr stark an zwei Ereignissen ausgerichtet sein, die sich 2015 auch noch international abspielen. Das ist erstens die Frage der neuen Millenniumsziele für den Prozess der Vereinten Nationen - im September 2015 müssen diese Ziele beschlossen werden - und zweitens die Pariser Klimakonferenz am Ende des Jahres 2015. Der gesamte thematische Prozess wird von uns jetzt natürlich vorbereitet. Es wird neben dem Treffen der Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau drei Konferenzen geben, die wir anbieten werden, nämlich ein Finanzministertreffen, ein Außenministertreffen und ein Treffen der Energieminister - auch mit Blick auf die deutsche Rolle, was Energiewende und Ähnliches anbelangt.
Wir haben jetzt einen klaren Arbeitsplan, und ich darf Ihnen berichtet, dass wir auch genug zu tun haben. Die Gespräche sind aber so verlaufen, dass ich ermutigt bin, dass wir das auch schaffen können. Allerdings liegt eine ganze Menge Arbeit vor uns.
Insofern waren es für mich auch sehr bereichernde Beratungen. - Das war es von mir.
BM Gabriel: Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, ich glaube, dass man vielleicht auf einen Aspekt der Meseberg-Tagung besonders hinweisen sollte, der mir jedenfalls besonders gefallen hat: Nicht nur war die Atmosphäre gut, sondern die Kabinettsmitglieder haben eine Reihe von Maßnahmen, Projekten oder Vorhaben definiert, bei denen die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Ressorts die Voraussetzung für den Erfolg ist. Das gilt einerseits natürlich für das Thema digitale Agenda; aber wir werden beispielsweise natürlich auch über die Frage von Forschungsentwicklung im Zusammenhang mit Energiepolitik oder mit E-Mobilität zu reden haben. So gab es eine ganze Reihe von Bereichen, in denen bereits hier auf der Tagung in Meseberg klar wurde, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ministerinnen und Ministern für bestimmte Projekte entweder schon verabredet ist oder in den nächsten Tagen und Wochen stattfinden wird.
Das finde ich deshalb wichtig, weil ich glaube, dass das, was die Bundeskanzlerin und ich gestern Vormittag zu Beginn gesagt haben, auch untermauert werden muss, nämlich dass wir hier eine Regierung haben, die sich gemeinschaftlich für alle Vorhaben und Projekte verantwortlich fühlt, die in der Koalitionsvereinbarung stehen oder - das muss man ja dazu sagen - uns noch erreichen werden; denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Leben ausschließlich mit den Themen befassen wird, die wir da vor einigen Wochen aufgeschrieben haben, ist ja nicht sehr groß. Allein der Blick auf die internationale Agenda zeigt, vor welchen Herausforderungen Europa und auch Deutschland möglicherweise noch stehen werden.
Das fand ich jedenfalls bemerkenswert, weil ich - zumindest vor etwas längerer Zeit - schon einmal die Gelegenheit hatte, hier und in Genshagen solche Klausuren zu erleben. Es war für mich jedenfalls ein deutlicher Unterschied, dass sich eine ganze Reihe von Kollegen im Kabinett bereits aufeinander bezogen haben.
Für unser Haus war natürlich wichtig, dass wir einen Kabinettsbeschluss - der bereits gestern erfolgt ist - zu den Eckpunkten zum EEG und zu den Dingen, die wir noch im Anhang geschildert haben - wir haben das ja noch etwas konkretisiert -, bekommen. Wir waren den anderen Kabinettsmitgliedern außerordentlich dankbar, dass das unter dem hohen Zeitdruck gelungen ist. Das ging ausschließlich deshalb - ich glaube, das können wir auch einmal sagen -, weil wir das gemeinsam mit dem Kanzleramt ganz gut vorbereitet haben. Das ist deshalb von großer Bedeutung, weil man auch angesichts der - wie soll man das sagen? - Hinweise, die wir jetzt bekommen, was wir angeblich alles an Schwierigkeiten auslösen, ja doch zeigt, dass eine Marschroute vorgegeben werden muss, an der sich jetzt auch alle orientieren.
Ich habe großes Verständnis für jeden, der jetzt seine Interessen definiert. Ich habe es vor ein paar Tagen schon gesagt: Wir werden natürlich mit allen reden und auch prüfen, ob wir jetzt die richtigen Ansatzpunkte gefunden haben. Klar muss aber auch sein, dass am Ende nicht die Summe der Einzelinteressen eine gute Energiepolitik ergibt. Wir haben ein gewaltiges Programm vor uns. Das ist vor 15, vor 20 Jahren mit der Entwicklung der erneuerbaren Energien gestartet, und wir haben auch eine große Chance, dass das zu einem wirtschaftlichen und auch ökologischen Erfolg wird.
Aber man muss schon sagen, dass die Lernkurve, die wir in dieser Zeit gebraucht haben, eben auch dazu geführt hat, dass wir jetzt in der Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr 24 Milliarden Euro Verbrauchern und Wirtschaft entziehen, um diese Entwicklung zu finanzieren. Das hat einen großen Erfolg, wir haben vor allen Dingen bei Wind am Land und bei Photovoltaik inzwischen Wettbewerbsfähigkeit erreicht - die entsprechenden Anlagen sind nicht teurer, als wenn man ein neues konventionelles Kraftwerk bauen würde. Aber diese 24 Milliarden Euro sind eben die Lernkurve, die wir jetzt noch um die 20 Jahre lang mitnehmen. Ich finde, man muss schon sagen, dass das eine einmalige, aber eben auch nicht ganz unproblematische Leistung ist, die die Volkswirtschaft in Deutschland erbringt. Ich kenne bislang kein anderes Land, das das macht. Andere werden uns übrigens nur dann folgen, wenn wir zeigen, dass wir diese Last nicht ständig vergrößern. Unser Ziel ist ja auch, dass andere in der Energiepolitik sich mit auf den Weg machen. Ich glaube auch, dass wir aufpassen müssen, dass wir unsere eigene Volkswirtschaft nicht überfordern.
Deswegen kann bei all dem, was wir in den nächsten Wochen und Monaten diskutieren werden, das Ergebnis nur sein, dass wir beim EEG und bei den danach folgenden Diskussionen und Entscheidungen über die Frage „Wie sichern wir die konventionelle Verfügbarkeit von Elektrizität, wie entwickeln wir die Netze weiter, wie binden wir das in die europäischen Vorstellungen ein?“ darauf achten werden - und dafür ist der gestrige Beschluss ein wichtiges Signal -, dass das Gemeinwohl am Ende im Mittelpunkt stehen muss. Das bedeutet: Kosten runter und Versorgungssicherheit beibehalten. Das lässt sich am Ende nicht durch das Addieren von Einzelwünschen hinbekommen, sondern alle müssen beitragen.
Wir sind uns einig darüber, dass wir gerade angesichts der guten wirtschaftlichen Entwicklung, die Deutschland hat, die Möglichkeit haben, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Pflege und auch in der Sozialversicherung dazu beizutragen, dass zum Beispiel der gespaltene Arbeitsmarkt wieder ein bisschen zusammenwächst und dass wir bei der Rente etwas machen. Klar ist aber auch: Das sind Belastungen, bei denen man aufpassen muss, dass man anderer Stelle nicht ebenfalls Belastungen erzeugt - im Gegenteil, da muss es Entlastungen geben. Insofern gibt es schon einen Zusammenhang - jedenfalls wirtschaftlicher Natur - zwischen dem, was wir in der Energiepolitik machen, und dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt und in der Rente machen.
Insgesamt muss man also schon ein bisschen aufpassen, dass die Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland weiterhin gut bleiben. Wir haben eine gute wirtschaftliche Entwicklung; alle Prognosen gehen davon aus, dass sich zumindest im nächsten Jahr und auch darüber hinaus dieser Pfad wirtschaftlichen Wachstums fortentwickelt. Es gibt aber eben auch ein paar Herausforderungen - ich will es einmal so nennen -, die angesichts dieser Entwicklung beachtet werden müssen.
Das ist zuallererst die Frage der öffentlichen und privaten Investitionen: Wir haben davon zu wenig, über viele Jahre schon. Wir haben ein Problem im Bereich der öffentlichen Infrastruktur; wir fahren die Infrastruktur unseres Landes auf Verschleiß. Deswegen ist es gut, dass die Große Koalition entschieden hat, 5 Milliarden Euro zusätzliche Verkehrsinvestitionen zur Verfügung zu stellen. Das ist auch bitter nötig. Wir werden aber auch ansonsten darüber nachzudenken haben - nicht nur im ersten Jahr, sondern auch im Verlauf der Entwicklung der Legislaturperiode -, was wir tun können, um private und öffentliche Investitionen voranzubringen.
Das Zweite ist das allseits bekannte Thema der Fachkräfte. Dazu ist gestern verabredet worden, dass wir uns insbesondere in den Ministerien Forschung, Arbeit und Wirtschaft - aber da werden sicherlich auch noch andere Beiträge bringen; zum Beispiel die Staatsministerin für Migration und Integration, Frau Özoguz, die den Integrationsgipfel, der in diesem Jahr stattfinden soll, begleitet - im Schwerpunkt mit dem Thema Ausbildung beschäftigen. Auch das ist ein Thema, bei dem die Bundesregierung zusammenarbeiten muss; denn die Demografie stellt uns doch vor ziemliche Herausforderungen. Dies gilt vor allen Dingen für mittelständische und kleinere Unternehmen, denn diese können eben nicht so ohne Weiteres mit den Lohnentwicklungen und den Arbeitsbedingungen mithalten, die große Unternehmen anbieten können; trotzdem brauchen auch diese Unternehmen hochqualifizierte Fachkräfte, um in Deutschland und weltweit weiter erfolgreich zu sein.
Die dritte Bedingung neben dem Thema Investitionen, Infrastruktur und Fachkräfte ist eben die Energieversorgung. Dort müssen wir sehen, dass beispielsweise in der Industrie die Lohnkosten inzwischen bei 15 bis 20 Prozent der Kosten liegen, die Rohstoff- und Energiekosten inzwischen aber bei weit über 40 Prozent. Das zeigt, dass wir dort darauf achten müssen, dass die Kostenentwicklung so ist, dass Verbraucher und Unternehmen sie auch im Griff behalten.
Wir haben sehr intensiv über das Rentenpaket geredet. Sie werden sich vorstellen können, dass das für beide Partner sehr wichtige Bestandteile enthält. Ich will heute in dieser Pressekonferenz einmal in aller Offenheit sagen, dass ich die öffentliche Debatte, dies sei etwas Schlimmes und die Alten würden sozusagen die Jungen abkassieren, schon ein bisschen entgegentreten möchte. Jeder, der sich an dieser Debatte beteiligt, sollte sich vielleicht einmal fragen, über welchen Personenkreis wir eigentlich reden: Wir reden über Menschen - unsere Eltern und Großeltern -, die in ihrem Leben Gewaltiges geleistet haben und die Arbeitsbedingungen hatten, die niemand von uns heute mehr befürchten muss - oder fast niemand. Sie haben unter, sagen wir einmal, weit schwierigeren Bedingungen gearbeitet. Die, über die wir jetzt reden, kennen noch Zeiten, in denen es die Sechs-Tage-Woche gab und weit mehr als 40 Stunden gearbeitet wurde. Das sind Menschen, die ihr Lebtag häufig Schicht gearbeitet haben, und am Ende ihres Lebens jedenfalls keine überbordenden Renten erhalten. Denjenigen, für die wir das tun wollen - Mütter, die eine Erziehungsleistung erbracht haben, oder sehr langjährig Beschäftigte -, wollen wir einen fairen Lebensabend nach Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglichen.
Um es offen zu sagen: Ich halte es für Menschen meines Alters oder Menschen, die jünger sind, auch für eine moralische Verpflichtung, ihren eigenen Eltern und Großeltern diese Möglichkeit zu gestatten. Denn wir leben - obwohl sicherlich viele Familien auch eigene Schwierigkeiten haben - in weit besseren Arbeits- und Lebensbedingungen und haben weit höhere Renten zu erwarten als viele, über die wir jetzt bei diesen Renten reden. Das ist, glaube ich, schon ein angemessener Beitrag zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ich will mich ganz deutlich dagegen wehren, dass hier Junge gegen Alte ausgespielt werden. Dass wir zum Beispiel im Bereich der Mütterrente auf mittlere Sicht zu einer wesentlich stärkeren Steuerfinanzierung kommen müssen, ist den Koalitionsfraktionen absolut klar, und dafür werden wir auch die Voraussetzungen schaffen.
Dass wir auch beim Thema Ausstieg nach 45 Jahren aufpassen müssen, dass wir das sozusagen finanziell belastbar hinbekommen, ist auch klar. Deswegen gibt es die Entscheidung von Frau Nahles - die von uns allen geteilt wird -, dass das Arbeitslosengeld I die einzige Messlatte ist - Kurzarbeit und anderes kommt noch dazu - und nur Zeiten, in denen Arbeitslosengeld I gezahlt wurde, auf diese 45 Jahre angerechnet werden, nicht aber Zeiten von Dauer- und Langzeitarbeitslosigkeit. Damit sind Zeiten, in denen Arbeitslosengeld II gezahlt wurde, ausgeschlossen. Ich finde, das ist auch ein angemessener Umgang, denn wir wollen ja lebenslange Belastungen im Arbeitsleben honorieren. Im Übrigen wäre Manches, was darüber hinausgeht, auch nicht mehr finanzierbar. Wir sind uns übrigens sicher, dass wir mit der Lösung, die Frau Nahles vorschlägt, deutlich unter den fünf Jahren Arbeitslosigkeit bleiben, die da im Schnitt debattiert wurden. Im Gegenteil ist es so: Wenn man eine Obergrenze von fünf Jahren hineinschreibt, dann wird das eher teurer. Die Regel, das entlang des Arbeitslosgengelds I zu machen, halten wir daher für absolut angemessen. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen: Kurzarbeitergeld im Baugewerbe und anderes zählen dazu. Was die Daten betrifft, von denen jetzt öffentlich gesagt wurde, es gebe sie nicht, so hat Frau Nahles noch einmal deutlich gemacht, dass die selbstverständlich zu organisieren sind.
Wir glauben, damit ein wichtiges Projekt angeschoben zu haben. Andere werden kommen, wie zum Beispiel der Mindestlohn; da werden wir bestimmt wieder interessante Debatten haben, dessen bin ich mir ganz sicher. Der Koalitionsvertrag ist aber über einen längeren Zeitraum sondiert und ausgehandelt worden und bietet deshalb, glaube ich, auch alle Ansatzpunkte, die man braucht, um die Entscheidungen vorzubereiten. Wir haben uns in den Verhandlungen Mühe gegeben, und ich bin mir sicher, dass sich das jetzt auch auszahlen wird.
Aber noch einmal zurück zum Anfang meines Redebeitrags: Für mich - das gebe ich zu - waren gar nicht so sehr die einzelnen Projekte das Entscheidende, sondern dass die Kabinettsmitglieder hier sozusagen quer über den Tisch debattiert haben und auch schon erste gemeinsame Projekte definiert haben. Ich finde, das war ein ausgezeichneter Start. Ich danke der Bundeskanzlerin und dem Kanzleramt für die sehr gute Vorbereitung. Die Tatsache, dass jetzt alle darum gebeten haben, doch bitte im Sommer noch einmal hier zu tagen, hat uns dazu veranlasst, dass wir sagen: Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass alle, die am Tisch sitzen, vier Jahre lang Gelegenheit haben, hier zusammenzukommen.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Gabriel, wie wollen Sie verhindern, dass die hier in Meseberg gefundene Eintracht durch den Europa-Wahlkampf wieder beeinträchtigt wird? Haben Sie hier eventuell verabredet, dass Sie sich absprechen - zumindest in groben Zügen absprechen -, was den Wahlkampf angeht, oder macht jede Partei ihr Ding?
BK’in Merkel: Es liegt in der Natur der Sache, dass in den Wahlkämpfen jeder auch für seine eigene Stärke kämpft. Aber das ist ja deutlich zu unterscheiden von dem, was wir in unserer Regierungsarbeit machen. Wir haben uns verabredet, dass wir vier Jahre lang miteinander Politik für die Menschen in Deutschland machen. Die erwarten das auch mit Recht; denn sie haben ihre Wahlentscheidung ja so getroffen, wie sie sie getroffen haben.
Die Menschen erwarten nicht, dass wir jetzt gemeinsame Wahlveranstaltungen durchführen, sondern sie erwarten, dass wir für Europa kämpfen. Das werden wir tun. Dabei gibt es ein großes Maß an Übereinstimmung. Aber sowohl bei der Europawahl als auch bei anstehenden Landtagswahlen, von denen es in diesem auch drei gibt, als auch bei Kommunalwahlen - es stehen zehn Kommunalwahlen in Deutschland an - werden wir Wahlkampf machen. Das, was die demokratische Kultur in Deutschland auszeichnet - ehrlich gesagt, bin ich darauf auch ein bisschen stolz, was wir auch gemeinsam sein können -, ist, dass man gute Regierungsarbeit machen kann und sich trotzdem als Wettbewerber bei Wahlen immer wieder verstehen kann. Das haben wir von 2005 bis 2009 gezeigt. Ich habe überhaupt gar keinen Zweifel daran, dass uns das jetzt gelingt.
BM Gabriel: Erstens ist das so, und zweitens gibt es, glaube ich, etwas, was uns im Wahlkampf neben allen notwendigen Differenzierungen verbinden wird: Ich glaube, wir haben einen Europawahlkampf, in dem mindestens CDU, CSU und SPD, aber ganz sicher auch andere dafür werben und kämpfen werden, dieses große Zivilisationsprojekt nicht denen zu überlassen, die es zerstören wollen. Es sind nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Ländern - wahrscheinlich in anderen Ländern sogar noch mehr als in Deutschland - Anti-Europäer unterwegs. Es gibt Rechtspopulisten. Wir merken, dass es auch in Deutschland bei den Linken Debatten gibt, wo man sich wundert, wie jemand, der sich auf ein aufgeklärtes Weltbild beruft, auf solche Ideen kommen kann. Das heißt, wir werden Europa schon auch miteinander gegen die verteidigen, die dieses Zivilisationsprojekt aufgeben wollen. Ich glaube, das wird uns trotz aller Wahlkämpfe auch verbinden.
Frage: Ich habe zwei Fragen an Sie beide. Könnten Sie vielleicht kurz die atmosphärischen Unterschiede zu Ihrer ersten Kabinettsklausur 2006 in Genshagen skizzieren?
Eine zweite Frage mit Blick auf die Energiewende: 2013 gab es im Vergleich zu 1990 die höchste Braunkohlestromproduktion. Was ist eigentlich geplant, um hierbei dafür zu sorgen, dass trotz der Energiewende der CO2-Ausstoß nicht weiter steigt?
BK’in Merkel: Ich habe, ehrlich gesagt, die Klausurtagung in Genshagen nicht als unangenehm in Erinnerung. Ich glaube, dass die sehr ausführlichen Koalitionsverhandlungen, die dieses Mal auch über das hinaus, was man aufgeschrieben hat, schon sehr intensiv waren, eine sehr gute Basis bieten, dass wir die Dinge für die nächsten Jahre gemeinsam in Angriff nehmen. Außerdem hat sich die Welt seitdem ziemlich verändert. Europa und die Welt sind im Grunde durch zwei Krisen gegangen. Die eine war die große internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, und die zweite war die Krise, in der sich der Euro im Grunde als Folge dieser großen internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise befand.
Wir haben gelernt - ich glaube, das gilt für alle die Koalition tragenden Parteien -, dass es auf der einen Seite nationale Aufgaben gibt, aber dass es auf der anderen Seite Deutschland auf Dauer nur gut geht, wenn es Europa gut geht und dass wir nur als gemeinsame Kraft Europa zum Beispiel überhaupt eine Chance haben, weltweit auf Finanzmarktregulierung, auf die Regulierung von Finanzplätzen Einfluss zu nehmen. Das geht langsam genug voran. Aber wenn wir das alles als Land alleine machen müssten, wäre das sehr schwierig. Hier gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung der Parteien, die diese Koalition tragen. Darüber brauchen wir gar nicht zu lange reden.
Meine Erinnerung ist, dass das damals noch sehr viel stärker innenpolitisch konzentriert war und dass wir inzwischen alle unglaublich dazugelernt haben, dass wir mit einem Prozent der Weltbevölkerung nicht so viel ausrichten können. Europapolitik ist fast Innenpolitik geworden. Was die globale Politik angeht, ist unsere Ausrichtung absolut auf die Globalisierung und die Frage ausgerichtet, wie wir sie gestalten wollen, nämlich im Geist der sozialen Marktwirtschaft. Das ist eine gemeinschaftliche Grundlage, wo es Unterschiede in den Facetten gibt - das ist gar keine Frage -, aber wo der gesamte Grundansatz erst einmal ist, dass soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert dringlicher denn je ist. Sie hat sich im Grunde auch in ihrer Stärke bewiesen. Die Lehre aus all diesen Krisen ist für mich, die soziale Marktwirtschaft zu stärken.
BM Gabriel: Was die Braunkohleentwicklung angeht, ist es einfach so - das wissen Sie -, dass der europäische Emissionshandel am Boden liegt. Uns macht das übrigens bei der Energiewende Probleme, weil sich Investitionen in ein neues Gaskraftwerk nicht lohnen. Deswegen ist die Antwort auf Ihre Frage, dass sich innerhalb der Europäischen Union etwas tun muss - das tut es ja auch. Ich bin Frau Merkel außerordentlich dankbar, weil sie sich, genau wie Frau Hendricks und ich das getan haben, eingeschaltet hat. Wir haben nach der Amtsübernahme auch mit unseren Kollegen in Europa sehr schnell Kontakt aufgenommen.
Es gibt für 2030 ein CO2-Minderungsziel von mindestens 40 Prozent. Wir hoffen, dass das die Beratungen übersteht. Das ist schon einmal die erste Voraussetzung dafür, dass der Emissionshandel wieder in Gang kommt. Eine Vormaßnahme dazu war, dass wir zugestimmt haben, die Zertifikate für 900 Millionen Tonnen CO2 zu entziehen. Man muss nur wissen, dass wahrscheinlich zwei Milliarden davon zu viel im System sind. Deswegen ist jetzt nicht zu erwarten, dass sich der Preis besonders hoch nach oben entwickelt. Aber diese Frage ist für unseren Investitionsbedarf mit bedeutend, den es bei der Erneuerung des Kraftwerksparks gibt. Wenn sich sozusagen das Weiterlaufenlassen alter Braunkohlekraftwerke rentiert, dann wird es keine Investitionen geben - jedenfalls ist das ein Teil der Antwort auf die Notwendigkeit der Investitionen. Deswegen sind wir ganz froh darüber, dass die Kommission dieses Ziel jetzt veröffentlicht hat.
Frage: Eine Frage an beide: Sie haben im Vorfeld und auch gestern, so habe ich es verstanden, große Erwartungen an den Abend gehabt. Gab es denn gestern Abend herausragende Verschwesterungs- und Verbrüderungsszenen?
Inhaltlich: Frau Merkel, es gibt offenbar eine Reihe von ministerübergreifenden Arbeitsgruppen, die sich um bestimmte Themen kümmern. Meine Frage: Bei welchen Punkten wollen Sie sich persönlich in besonderer Weise engagieren und auch erkennen lassen, welche konkreten Positionen Sie als CDU-Vorsitzende und als Kanzlerin in diesen Debatten haben?
BK’in Merkel: Wir haben ja schon öfter über die Richtlinienkompetenz gesprochen. Das heißt, als Bundeskanzlerin bin ich in alle Projekte - jedenfalls in all die, die irgendwo strittig sind, und das sind im Vorbereitungsprozess durchaus viele - eingebunden.
Was den Abend anbelangt war es, soweit es mir zugetragen wurde, harmonisch - an meinem Tisch sowieso. Ich bin gesundheitsbedingt etwas früher aufgebrochen. Aber Ihre intensiven Nachrecherchen werden sicherlich noch mehr Details ans Licht bringen, als ich jetzt bereit bin, Ihnen zu sagen. Es war schön - nehmen Sie es einfach mal so. Es war wie bei einem guten Hintergrundgespräch auf einer Auslandsreise.
Zweitens gibt es, was die Themen und auch die übergreifenden Themen anbelangt, langjährige Veranstaltungen - manche sind schon in der ersten Großen Koalition entstanden -, die standardgemäß immer wieder von mir mit wahrgenommen werden. Das sind der IT-Gipfel, der Demografiegipfel und der Innovationsdialog. Ich will das jetzt hier nicht alles aufzählen.
Was mir wichtig ist - das habe ich Ihnen gesagt -, ist ein neues und alle Minister betreffendes Projekt, nämlich das Projekt „Gutes Leben - Lebensqualität in Deutschland“, an dem wir alle mitarbeiten werden. Wir werden Sie sicherlich bei den verschiedenen Stufen im Einzelnen intensiv informieren. Das Wichtige dabei ist, dass es nicht nur um die klassischen Indikatoren geht. Sie erinnern sich, es gab im Deutschen Bundestag in der letzten Legislaturperiode eine Enquete-Kommission, bei der es um den Wachstumsbegriff ging und darum, dass nicht nur quantitatives, sondern auch qualitatives Wachstum in hochentwickelten Ländern an Bedeutung gewinnt.
Dieses Thema „Lebensqualität“ - was die Menschen darunter verstehen, zu den Bürgern zu gehen, mit ihnen darüber zu sprechen und dann daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen für Politik zu entwickeln - liegt mir neben vielen anderen Dingen sehr am Herzen. Insofern habe ich keine Sorge, dass ich, wie alle anderen, nicht gut ausgelastet bin.
Zusatzfrage: Wollten Sie noch etwas sagen, Herr Gabriel?
BM Gabriel: Nein.
BK’in Merkel: Eine Ergänzung zum Abend?
BM Gabriel: So etwas erzählt man nicht öffentlich, denn sonst ist der nächste Abend schwieriger.
Zusatzfrage: Sind Sie jetzt untereinander mit mehr Leuten per Du, sodass man sich leichter sagen kann „Was soll der Unsinn mit der 32-Stunden-Woche“ oder was eine Protokollnotiz zum Energiepaket angeht? Ist die Atmosphäre per Du jetzt so aufgelockert?
BM Gabriel: Wir haben solche Konflikte gar nicht. Insofern wäre es gar nicht nötig, sich dafür zu duzen.
Frage: Zwei Fragen an beide: Gibt es schon einen Geist von Meseberg? Ist der so kurz nach dieser Klausur schon aufgetaucht? Wenn ja, wie würden sie ihn beschreiben?
BM Gabriel: Gestern Nachmittag - Himbeergeist.
Zusatzfrage: Eine zweite Frage zu dem eben angesprochenen Projekt „Gutes Leben - Lebensqualität in Deutschland“. Wird da noch einmal die Idee von Frau Schwesig in Sachen 32-Stunden-Woche, die ja nicht nur eine Privatidee ist, sondern auch von einem relevanten Wirtschaftsinstitut vorgelegt wurde, Thema sein dürfen? Oder ist diese Idee für vier Jahre wirklich gestorben?
BK’in Merkel: Das Thema „Wie vereinbaren wir Beruf und Familie?“ ist ein Thema, das Millionen von Menschen und Familien in Deutschland umtreibt und auch die tägliche Gestaltung ihres Lebens betrifft. Deshalb haben wir in unserem Regierungsprogramm, in der Koalitionsvereinbarung auch darüber gesprochen, wie wir bewährte Instrumente fortentwickeln können. Das „ElterngeldPlus“ ist zum Beispiel eine Initiative, die es ermöglicht, Eltern nicht zu benachteiligen, wenn nicht beide Vollzeit, sondern in einer bestimmten Phase des Lebens des Kindes, nämlich im ersten Lebensjahr oder den ersten 14 Monaten und vielleicht darüber hinaus, nur Teilzeit arbeiten können. Insofern ist der Gedanke „Wie bringe ich das besser zusammen?“ ein Gedanke, der uns alle bewegt und der natürlich von der Familienministerin zuvorderst zur Sprache gebracht werden muss.
Wenn es um die Frage der materiellen Ressourcen geht, haben wir den ersten Schritt mit dem „ElterngeldPlus“ gemacht. Es gibt eine Vielzahl von Familienleistungen, die in diese Richtung gehen. Wir werden in Bezug auf das Arbeitsrecht etwas machen, was die Rückkehr von Teilzeitarbeit zur Vollzeittätigkeit stärker ermöglichen wird. Das heißt, es gibt einen ganzen Strauß von Maßnahmen - inklusive des weiteren Ausbaus von Kindertagesstätten und ähnlichen Maßnahmen -, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern.
Deshalb ist überhaupt gar kein Gedanke weggewischt worden, sondern manche lassen sich jetzt realisieren und über andere muss man weiter sprechen. Insofern habe ich da gar kein großes Problem gehabt. Das wird auch weiter bei dem Thema „Lebensqualität“ eine Rolle spielen - das kann ich Ihnen jetzt schon voraussagen -, und ich kann sagen: Für die Personalvorstände aller großen deutschen Unternehmen ist, was junge Führungskräfte von heute angeht, nicht mehr ein materielles Versprechen etwas Wichtiges, sondern insbesondere eine Flexibilität von Arbeit und Familienzeit. Hierbei wird nicht der Staat alles alleine machen können, sondern man wird auch andere Mechanismen finden müssen.
BM Gabriel: Ich glaube, man muss erstens einmal sagen, dass es hier einem sehr professionellen Geist gibt. Auch in Oppositionszeiten - die Union an der Regierung und wir in der Opposition - ist es ja nicht so, dass man abends nicht miteinander redet oder - so war jetzt eine Formulierung - dass man sich nur sich nur unter Leitungsvorbehalt begrüßt. Natürlich ist das erst einmal eine professionelle Koalition von Menschen, die in der Politik eine wichtige Aufgabe wahrnehmen und die sich im Rahmen von Koalitionsverhandlungen verständigt haben, was man machen will und - ich glaube, das ist das Wichtige - das Vertrauen ineinander haben, dass auch Dinge miteinander bewältigt werden können, von denen wir heute noch gar nicht wissen, welche Herausforderungen sie beinhalten. Das würde ich unter dem Begriff „Professionalität“ begreifen.
Dass es daneben auch natürlich in einer solchen Zusammenarbeit dazu kommt, dass sich Menschen besser kennenlernen und schätzen lernen und hoffentlich auch gelegentlich gegeneinander existierende Vorurteile aufgeben, ist ein schöner Begleiteffekt solcher Tagungen. Aber erst einmal ist es eine professionelle Kabinettssitzung gewesen. Das ist, glaube ich, wichtig. Den Geist, glaube ich, haben alle, die da sitzen.
Zweitens. Die Bundeskanzlerin hat es eben gesagt: Das ist eine Thema, das uns ganz lange begleiten wird, nämlich erstens die Frage, an der die Wirtschaft ein Interesse haben wird: Wie erhöht man - im Wesentlichen bei Frauen - das Erwerbspotenzial? Das wird, wenn wir gleichzeitig mehr Kinder haben wollen, damit einhergehen, dass auch Männer Verantwortung für Kindererziehung und Betreuung übernehmen müssen. Das tun junge und auch ältere Männer längst vielfältig - aber, wenn wir das genau betrachten, in großen Teilen immer noch eher Frauen. Das Ganze darf man insgesamt nicht mit einer Senkung der verfügbaren Arbeitszeit in Verbindung bringen, sondern mit einer Erhöhung. Es wird ein ökonomisches Interesse geben, das zu tun. Das ist ja auch Gegenstand dieses Gutachtens.
Daneben hat das etwas mit Lebensqualität zu tun. Das wird in dem Dialog eine große Rolle spielen. Es wird ja über 100 Bürgerveranstaltungen, auch mit Ministerinnen und Ministern, geben. Wir werden erleben, dass das ein Thema ist. Wir werden auch darüber zu reden haben, was der Beitrag von Arbeitnehmern und Gewerkschaften über Tarifverträge ist. Heute gibt es flexible Arbeitszeitkonten zugunsten von Unternehmen. Das ist gut so, und das brauchen sie auch. Aber ich bin ganz sicher, dass es in Zukunft auch in den Tarifverträgen eine Debatte über die Frage „Wie gibt es eigentlich flexible Arbeitszeiten über das Leben von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hinweg?“ geben wird. Das ist ein ganz altes Thema bei Gewerkschaften.
Früher, als nur Väter in der Vorstellung von Gewerkschaften arbeiten gegangen sind, gab es in den 60er Jahren die Kampagne für die 5-Tage-Woche. Die lautete nicht, den Samstag frei zu machen, sondern die Kampagne hieß „Samstags gehört Vati mir“. Dahinter steckte ja die Idee, dass wenigstens am Wochenende Familie sozusagen gemeinschaftlich leben kann. Das beziehen eben heute viele Menschen auf ihr ganzes Arbeitsleben.
Ich kann mir auch vorstellen, dass man, wenn man 18 Jahre alt und die Ausbildung abgeschlossen hat, man vermutlich 40 und auch mehr Stunden arbeitet - Hauptsache, es wird bezahlt. Wenn die Menschen Kinder bekommen, möchten sie eigentlich weniger arbeiten, brauchen aber das Geld. Wenn die Kinder in die Pubertät kommen, wollen sie ganz viel arbeiten, damit sie sie nicht so oft treffen - bei uns war das so. Wenn sie zwischen 40 und 50 sind - das ist die Hochphase der beruflichen Leistungsfähigkeit -, dann können sie durchaus mehr arbeiten. Das ganze Thema „Rente mit 67“ erledigt sich dann auf eine ganz andere Weise, weil man am Ende des Arbeitslebens nicht abrupt aufhört, sondern auch Konten nutzen kann, um langsam aufzuhören oder zwischendurch eine weitere Ausbildung, einen Meisterlehrgang und vieles andere mehr zu machen. Darüber, wie man das gestaltet, wird die Politik zu reden haben. Welche Rahmenbedingungen braucht man dafür? Wie macht man so etwas von einem Arbeitgeber zum nächsten portabel? Aber es ist keineswegs so, dass das ausschließlich eine staatliche Aufgabe ist, sondern im Dialog zwischen Sozialpartnern und Politik wird man einfach das machen müssen, weil die Menschen es wollen und weil die Ökonomie und die Demografie es erzwingen.
Frage: Ich möchte noch einmal auf die absolute Aktualität zurückkommen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am Anfang das Thema Ukraine angesprochen. Hat sich die Bundesregierung schon eine Meinung darüber gebildet, ob sie Maßnahmen gegen die ukrainische Regierung für nötig hält, Sanktionen oder Ähnliches? Wissen Sie zufällig, ob Herr Klitschko Herrn Steinmeier bei der Sicherheitstagung in München treffen wird?
Zu einem anderen aktuellen Thema: Wir lesen heute die Überschrift „Die Bundesregierung will riskante Finanzprodukte mit Blick auf den Prokon-Fall verbieten“. Gibt es dafür eine zutreffende Begründung in den Plänen der Bundesregierung, die ja auch im Finanz- und Steuerbereich bestehen? Gibt es das Vorhaben, Finanzprodukte noch stärker zu verbieten, zu kontrollieren und Ähnliches zu tun?
BK’in Merkel: Zur ersten Frage: Wir haben darüber gesprochen. Sowohl der Bundesaußenminister als auch ich halten Sanktionen im Augenblick nicht für das Gebot der Stunde, sondern es geht jetzt darum, Gewalt zu verhindern und darauf hinzuwirken, dass vernünftige rechtliche Rahmenbedingungen in der Ukraine herrschen. Darüber hat ja auch der Bundesaußenminister zum Beispiel mit seinem Außenministerkollegen in der Ukraine gesprochen. Wir stehen auch in verschiedenster Weise mit den Oppositionskräften in Kontakt. Wir sehen es so, dass alles, was Deutschland im Augenblick tun kann - ich sehe die gleiche Entwicklung auch in Europa -, ist, dafür Sorge zu tragen, dass Gesprächskanäle eröffnet werden und dass die ukrainische Regierung ihre Verpflichtungen nachkommt, die demokratischen Grundrechte wieder zu sichern.
Was das Zweite anbelangt: Der Verbraucherschutzminister hat darauf hingewiesen, dass wir natürlich auch mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung immer wieder schauen müssen, wie sicher solche Produkte sind. Das gilt sicherlich auch für Prokon. Herr Maas als Verbraucherschutzminister wird dazu - sicherlich auch in Abstimmung mit Herrn Schäuble - noch einmal Vorschläge machen. Genauso hat der Agrarminister darüber gesprochen, dass auch die Spekulation mit Lebensmitteln begrenzt werden muss und dass diesem nur auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Handel mit Lebensmitteln ein Ende gesetzt werden muss. Das Thema ist also in vielfacher Weise bei dieser Klausur aufgetaucht.
Frage: Ist denn der mögliche Einsatz der Bundeswehr in Afrika thematisiert worden? Gibt es Details über die mögliche Ausgestaltung?
BK’in Merkel: Es gibt keine Details. Wir haben natürlich die Konfliktherde in Afrika besprochen, insbesondere die Situation in Mali und auch in Zentralafrika. Es ist die gemeinsame Überzeugung der Bundesregierung, dass wir in Zentralafrika keine Kampftruppen bereitstellen werden. Wir haben keine weitergehenden Entscheidungen getroffen, auch nicht für Zentralafrika. Es wird jetzt eine Phase geben, die, glaube ich, bis zum 10. Februar geht, in der die verschiedenen europäischen Länder nach ihren technischen Fähigkeiten gefragt werden. Unser Engagement konzentriert sich jetzt erst einmal auf die Ausbildungsmission in Mali. Wir können uns durchaus vorstellen, hier noch mehr zu tun, was die Ausbildung malischer Soldaten anbelangt. Darüber gibt es ein großes Einvernehmen. Das andere wird besprochen. Aber Zentralafrika ist ein Land, mit dem wir wenig Erfahrung haben, und insofern sind dazu jetzt keine Beschlüsse gefasst worden.