Im Wortlaut
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 1. Februar 2021
Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Regierender Bürgermeister Michael Müller, Ministerpräsident Markus Söder
StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Bund, Länder, Industrievertreter und Kommissare der Europäischen Kommission haben ein Fachgespräch zur Impfstoffversorgung geführt. Darüber berichten Ihnen jetzt die Bundeskanzlerin, der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Bayerische Ministerpräsident.
BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben heute in der Tat dieses Gespräch geführt. Herr Seibert hat den Kreis der Beteiligten schon dargelegt - ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Das waren wirklich wichtige Beratungen für Bund und Länder, weil sie uns auch auf einen gemeinsamen Informationsstand gebracht haben. Aus meiner Sicht waren sie sehr wertvoll, aber auch aufschlussreich. Ich will vorneweg noch einmal sagen: Jeder versteht ja - das zeigt sich auch im öffentlichen Interesse jedes Bürgers und jeder Bürgerin -, welche Dringlichkeit in der Frage liegt, wie wir nun mit dem Impfen weiter umgehen und was wir in welchem Zeitabschnitt erreichen können.
Ich möchte zu Anfang ein großes Dankeschön an diejenigen richten, die täglich daran arbeiten, Impfstoffe für uns zu produzieren. Es sind vollkommen neue und auch für sie unbekannte Wege, die sie dabei gehen, und deshalb können sie auch nicht für einen beliebig langen Zeitraum Voraussagen machen. Wir haben unsererseits aber deutlich gemacht, dass das höchste Maß an Planbarkeit für uns alle wichtig ist - ganz besonders für die Länder, weil natürlich der zur Verfügung stehende Impfstoff verimpft werden muss. Es geht also nicht nur um die Produktion des Impfstoffs, sondern es geht auch darum, dass er bei den Ländern und dann bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Ich möchte auch ein Dankeschön an diejenigen sagen, die dieses Fachgespräch vorgeschlagen habe; denn ich glaube, dass das ein guter Impuls war, der uns auch in der weiteren Arbeit gut begleiten wird.
Nun haben wir im Grunde Fragen, die jeden interessieren. Hinzu kommt, dass wir es mit mutierten Viren zu tun haben, das heißt, dass die Gefährlichkeit und die Aggressivität des Virus noch einmal zunehmen könnten. Man darf nicht vergessen: Unsere Diskussion findet ja nicht im normalen Leben statt, sondern unsere Diskussion findet in einem Umfeld statt, in dem wir im Lockdown sitzen, in dem Schulen und Kitas nicht normal funktionieren, in dem die Geschäfte geschlossen sind, Kulturveranstaltungen nicht stattfinden, Reisen nicht möglich sind, Bürgerinnen und Bürger sich beschränken müssen. Wir alle wissen: Das Impfen ist ein großer Teil des Weges aus der Pandemie, und deshalb besteht natürlich auch diese Dringlichkeit.
Dabei geht es, glaube ich, um drei Fragen, die wir heute auch in verschiedenen Formaten besprochen haben. Die erste Frage ist: Kommen wirklich die Mengen, die zugesagt wurden, gibt es da Verlässlichkeit? Zweitens treibt uns natürlich die Frage um: Wie sieht der Vergleich mit anderen Ländern aus? Man hört aus Israel, aus den Vereinigten Staaten von Amerika und aus Großbritannien dies und jenes. Deshalb haben auch Vertreter der Europäischen Kommission an dem Gespräch teilgenommen. Die dritte Frage ist: Was wollen wir bei unserem Vorgehen, wie wir es jetzt praktizieren, beibehalten, und was wollen wir ändern oder ergänzen? Zu diesen drei Fragen möchte ich Stellung nehmen.
Erstens. Wir haben Berechenbarkeit für die Lieferungen der Unternehmen für die verschiedenen Quartale dieses Jahres. Da müssen wir unterscheiden zwischen den Zusagen derjenigen Impfstoffhersteller, deren Impfstoffe bereits eine Zulassung haben - das sind BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca -, und zwei weiteren Impfstoffherstellern - die auch an dem heutigen Gespräch teilgenommen haben -, nämlich Johnson & Johnson und CureVac, die beide zwar von Antragstellungen auf Zulassung im zweiten Quartal oder Anfang des dritten Quartals ausgehen, aber noch keine Zulassungen haben. Deren Liefermengen sind schon im Raum - sie produzieren ja auch vor; dafür haben sie von der Europäischen Kommission, also auch vom deutschen Steuerzahler, Geld bekommen -, aber mit denen können wir noch nicht abschließend rechnen.
Das heißt, wir haben es im Grunde mit der Situation zu tun, dass wir eine Minimalvariante haben, mit der wir jetzt relativ gut rechnen können, und dass wir eine Maximalvariante haben, wenn alle Impfstoffe eine Zulassung bekommen. In beiden Varianten - die Zahlen werden vom Gesundheitsministerium noch herausgegeben, falls sie Ihnen noch nicht vorliegen sollten - kann man sagen, dass wir unsere Aussage, dass wir bis Ende des dritten Quartals, also bis Ende des Sommers, jedem Bürger ein Impfangebot machen können, aufrechterhalten können. Allerdings haben uns die Hersteller heute auch gesagt: Es kann in der Produktion immer wieder etwas auftreten - sie alle haben damit auch noch keine Erfahrung -, was sie nicht voraussehen. Ich glaube aber, die Zahlen für die Quartale im Großen und Ganzen haben schon eine große Relevanz.
Wir haben etwa neun Millionen Kinder in Deutschland; für die sind die bisherigen Impfstoffe nicht zugelassen. Der Impfstoff von Moderna ist, glaube ich, ab 16 zugelassen, der Impfstoff von BioNTech ab 18. Ansonsten gibt es für Kinder noch keine zugelassenen Impfstoffe. Das wird auch frühestens in den Sommermonaten kommen. Das heißt, bei 83 Millionen Einwohnern brauchen wir im Grunde für ungefähr 73 Millionen ein Impfangebot. Wenn man sich die Zahlen für die einzelnen Quartale anschaut, sieht man: Selbst dann, wenn Johnson & Johnson und CureVac keine Zulassung bekommen, kann nach den jetzt vorliegenden Zahlen für jeden ein Impfangebot gemacht werden. Sollten auch die beiden anderen Impfstoffe eine Zulassung bekommen, dann hätten wir sogar ein größeres Angebot.
Wir haben des Weiteren die Frage zu beantworten: Wie ist das im Vergleich mit anderen Ländern? In diesem Zusammenhang haben wir heute natürlich auch über die Frage gesprochen: Was sind die Produktionsstandorte, aus denen heraus Europa beliefert wird? Diesbezüglich muss man sehen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika durch ihren „War Act“ eine Situation haben, in der sie im Grunde kaum an Drittstaaten exportieren. Das heißt also, dass die Impfstoffherstellung an US-Produktionsstandorten im Grunde für deren eigenen Bedarf läuft. Europa ist damit auf seine eigenen Standorte zurückverwiesen. Diese Standorte gibt es glücklicherweise; darüber können wir uns freuen. Es werden auch immer mehr Kooperationsangebote eingegangen, wie heute von CureVac und Bayer; das wird aber erst im dritten oder vierten Quartal oder erst Anfang 2022 wichtig. Europa hat aber nicht unendlich viele solcher Standorte, das heißt, unsere Produktionskapazitäten sind begrenzt, insbesondere im ersten Quartal - im zweiten Quartal wird es schon deutlich besser.
Zweitens. Die Europäische Union hat sich nicht für Notzulassungen entschieden. Wir wissen, dass zum Beispiel Großbritannien binnen 24 Stunden den Impfstoff von AstraZeneca zugelassen hat. Ich finde, aus guten Gründen - es geht hier nämlich auch um Vertrauen - hat die Europäische Union sich an die Zulassung der EMA gehalten. Das ist keine Notzulassung, sondern eine vorläufige Zulassung, hat also eine andere Qualität.
Drittens. Wir haben uns entschieden - das hat uns der Chef der Ständigen Impfkommission heute noch einmal gesagt -, die zweite Impfung im von der EMA angegebenen Intervall zu geben. Das heißt, nach einer bestimmten Zahl von Wochen gibt es die zweite Impfung. Es wird ja auch diskutiert, ob man davon abweichen kann. Wir haben uns zu dieser Abweichung bisher nicht entschieden, weil wir glauben, wir sollten auf fachlicher Grundlage arbeiten.
Ein weiterer Punkt: Es gibt Länder - ich nenne hier Israel -, die in ganz anderer Weise mit Daten umgehen und Digitalisierung betreiben. Das ist etwas, wo Datenschutz eine große Rolle spielt. Dies werden wir sicherlich in den nächsten Jahren immer wieder diskutieren. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir - das ist so ähnlich wie bei der App - möglichst viele vertrauenswürdige Gesten machen, damit die Menschen auch Vertrauen zu dem Impfen haben, und hier den Datenschutz sehr hochhalten.
Letzter Punkt. Die Europäische Union hat zum Teil auch sehr lange verhandelt, weil es um Haftungsfragen ging: Nicht die gesamte Haftung auf die politische Ebene zu nehmen, sondern sie auch ein Stück bei den Herstellern zu lassen; das ist eine Entscheidung, bei der ich die Europäische Kommission unterstütze. Um diese Haftungsfragen hat man auch lange gerungen; denn wenn etwas passieren würde, dann würde das jedenfalls bei uns in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern eine sehr große Bedeutung haben. Deshalb ist der Weg an einigen Stellen langsamer gewesen; das ist richtig. Ich finde aber, es gibt auch gute Gründe dafür, dass er langsamer war.
Was wollen wir nach dem, was wir heute besprochen haben, beibehalten, und was wollen wir verändern? Beibehalten wollen wir, dass wir weiterhin alles für das Vertrauen tun, wie ich gesagt habe. Ein wirklich wichtiger Punkt, den wir bis jetzt auch immer ins Auge gefasst haben, war der freie Warenverkehr. Darum haben uns die Hersteller heute noch einmal sehr gebeten. Man kann mehr Transparenz herstellen, aber die Lieferketten - hinein in die Europäische Union, heraus aus der Europäischen Union und wieder zurück in die Europäische Union - sind sehr miteinander verwoben. Es sind viele, viele Schritte notwendig, bis so ein Impfstoff entsteht.
Dann wollen wir uns weiter an die Priorisierung halten, die uns die Ständige Impfkommission vorgegeben hat. Ich glaube, Transparenz auch bei dem gesamten Verimpfen ist weiterhin das allerhöchste Gebot.
Wir wollen dann etwas verändern, weil die Länder mit Recht gesagt haben: Wir brauchen im Grunde ein gutes Management dessen, wann die Impftermine für die Bürgerinnen und Bürger vergeben werden könne. Es gibt eine Nationale Impfstrategie. Die ist zwischen dem Bundesgesundheitsminister und den Bundesländern entwickelt worden. Diese Nationale Impfstrategie wird jetzt auch einen nationalen Impfplan enthalten, und entsprechend diesem Plan werden wir jeweils nach bestem Wissen über die Liefertermine und das, was kommen kann, voraussagen, was das bedeutet. Dort, wo man das noch nicht voraussagen kann – uns sagt heute kein Hersteller für das zweite Quartal, welche Liefermengen seine Lieferungen pro Woche umfassen werden, und die Hersteller haben uns auch ganz deutlich gesagt, warum das nicht geht -, werden wir modellieren. Wir werden modellieren, ob die Dinge pro Monat wochengleich kommen werden oder ob sie vielleicht Ende des Monats kommen werden, und die verschiedenen Szenarien miteinander entwickeln, um einfach auch mehr Sicherheit in Bezug darauf zu geben, wie dann das Einladungsmanagement für die Menschen im Lande erfolgen kann - entlang der Prioritätenliste der Ständigen Impfkommission. Darüber herrschte, glaube ich, heute auch Übereinstimmung. Wir haben verabredet, dass uns der Stand der Arbeiten an diesem nationalen Impfplan vom Gesundheitsminister, der ihn ja gemeinsam mit den Landesgesundheitsministern entwickelt, schon zur nächsten MP-Konferenz vorgetragen werden wird.
Die gute Nachricht ist: Für BioNTech kennen wir jetzt - bis zum 22./23. Februar - die Liefertermine, für die anderen beiden Impfstoffe nur bis zum 17. Februar. Das ist, wenn man Bürgerinnen und Bürger einlädt, nicht lange, insbesondere dann, wenn es hochbetagte Menschen sind. Wir haben, glaube ich, auch den Herstellern sehr klargemacht, dass jede zusätzliche Woche, die sie uns etwas voraussagen können, gut ist. Aber sie haben uns wiederum verdeutlicht, und das finde ich auch verständlich, dass sie nicht mehr zusagen können, als für sie redlich ist. Ich finde, das Thema der Transparenz, aber auch das Thema der Redlichkeit - was können wir in einem solchen Prozess versprechen, was können wir nicht versprechen? - sind ganz wichtig.
Letzter Punkt. Wir haben natürlich auch gefragt: Wo können wir unterstützen? - Es gibt einige Punkte, an denen wir dazu aufgefordert wurden. Wir - der Bundeswirtschaftsminister zusammen mit dem VCI - werden eine Plattform entwickeln, durch die wir insbesondere zwei Bereiche transparent machen werden, die Ampullen- und die Stopfenherstellung. Das hört sich etwas trivial an, aber wenn man das nicht abfüllen kann, dann kommt man in Schwierigkeiten. Das betrifft auch die Verimpfungsvarianten, also Spritzen und Ähnliches. Da muss geschaut werden. Das gilt auch bei sensiblen Substanzen und dafür, wie wir dabei alle Möglichkeiten ausloten, um vielleicht auch wirklich noch mehr Produktion möglich zu machen. Es gibt Zwischenstoffe, die von so entscheidender strategischer Bedeutung sind, dass man, wenn man mehr von ihnen hätte, auch mehr Impfdosen produzieren könnte, aber die hat inzwischen kein Hersteller mehr. Wenn wir dabei als Politik hilfreich sein können, (werden wir das sein). An Geld und auch an Einsatz wird es dabei nicht fehlen, aber das hängt natürlich auch von den fachlichen Möglichkeiten ab.
Insgesamt herrschen also Klarheit über die Quartalslieferungen, damit über die Solidität für nach jetzigem Stand - mehr kann ich nicht sagen - das Versprechen, dass wir Ende des Sommers - also am Ende des dritten Quartals; das Ende des Sommers ist am 21. September; ich weiß es - jedem Bürger ein Impfangebot machen können, selbst wenn Johnson & Johnson und CureVac keine Zulassung bekommen sollten, und Klarheit darüber, wie „just in time“ die Produktion ist. Aber Bund und Länder werden politisch versuchen, durch Modellierung bestmöglich vorzuschreiben, wie man das größte Maß an Verlässlichkeit in die Voraussage der Lieferung hineinbekommen kann. Herzlichen Dank.
BGM Müller: Ich finde, es hat sich gelohnt, die Initiative zu ergreifen, zu so einer Gesprächsrunde einzuladen, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, wirklich die unterschiedlichen Interessen auch einmal zusammenzuführen und sich direkt austauschen zu können. Das ist das erste Mal, dass es so eine Runde gegeben hat.
Ich glaube, wir haben alle miteinander auch voneinander gelernt und haben auch wirklich verstanden, wie sensibel diese nächsten Wochen von uns zu begleiten sein werden. Man muss es auch wirklich noch einmal ganz konkret herunterbrechen, und das haben wir vonseiten der Länder auch entsprechend vermittelt: 100 000 Impfdosen mehr oder weniger zu haben, ist nichts Abstraktes, ist nichts, was einfach eine bloße Zahl ist. 100 000 Impfdosen mehr oder weniger bedeuten für 50 000 Menschen mehr Sicherheit und mehr Gesundheitsschutz. Darum geht es. Genau das war heute der entscheidende Punkt: eins zu eins zu vermitteln, warum wir vonseiten der Länder und sicherlich auch des Bundesgesundheitsministeriums so darauf drängen, möglichst früh möglichst umfassende Informationen zu erhalten und möglichst früh zu wissen, wer was bekommen kann und wen wir wann einladen können. Das war das Entscheidende, und ich glaube, die Botschaft ist in aller Klarheit angekommen.
Umgekehrt, muss man auch sagen, haben mit Sicherheit auch wir gelernt, wie kompliziert die gesamten Lieferketten miteinander zusammenhängen, welch sensibler Produktionsprozess das wiederum ist und dass man das nicht von heute auf morgen beliebig oft wiederholen und hochfahren kann. Auch das war mit Sicherheit ein Lernprozess. Wir haben das erlebt. Wir haben es jetzt auch auf Berliner Ebene erlebt. Es gab Unternehmen, mit denen Gespräche geführt wurden, die nicht für eine Produktion zur Verfügung stehen, die es schlichtweg technisch nicht können. Es gab heute andere - die schöne Botschaft, als mich der Bayer-Chef heute Morgen angerufen hat, hat mich sehr gefreut -, die die entsprechenden Möglichkeiten haben und das auch nutzen werden.
Aber auch an dieser Stelle muss man klar sagen: Das wird Monate dauern. Es wird Monate dauern, bis selbst mit diesem Know-how weitere Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen werden, die dann auch zu einer Entlastung führen. Das ist gut und richtig, und auch in Monaten werden wir diese Entlastung brauchen. Aber das ist eben nicht von heute auf morgen darstellbar, selbst für solche Profis und solche Firmen, die gewohnt sind, eben auch mit diesen Kapazitäten und mit diesem entsprechenden Know-how zu arbeiten.
Insofern war das also eine wichtige Runde, um auch noch einmal einen gemeinsamen Sachstand zu haben.
Es war dann auch wichtig, weitere Schritte, wenn vielleicht auch Kleine Schritte, miteinander verabreden zu können, so, dass wir uns im Rahmen der Impfstrategie auch noch einmal einem konkreten Plan zuwenden, auch einer Modellierung dessen, wann aufgrund der jetzt zugesagten Lieferung was und wie verimpft werden kann. Das ist wichtig. Wir müssen uns darauf einstellen können. Wir müssen uns insbesondere auch darauf einstellen können, wenn wir größere Lieferungen erwarten. Wir haben ja im Moment „leider“ eine relativ entspannte Situation in den Impfzentren. Wir vergeben Termine, die zu Impfenden kommen, sie bekommen ihre Impfung, und wir erleben sehr positive Reaktionen auf dieses ganze Verfahren. Aber natürlich wird es für die Länder und für die Kommunen noch einmal spannend werden, wenn wir deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung haben werden. Wir müssen uns dann rechtzeitig darauf einrichten können, was Personalkapazitäten anbelangt, was Räumlichkeiten anbelangt, was das gesamte Einladungsmanagement anbelangt. Dass wir uns dem jetzt aufgrund der Daten und der Mengen, die uns genannt wurden, frühzeitig zuwenden, insbesondere eben auch für das zweite, dritte oder vierte Quartal, ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Schritt.
Ich will abschließend noch einmal sagen: Man muss - Stand heute - ehrlicherweise sagen, dass der Impfstoff im ersten Quartal knapp bleiben wird. Wir werden im Moment leider nicht das, was die Menschen erwarten, zu hundert Prozent erfüllen können, weil eben die Impfstoffproduktion nicht beliebig schnell und nicht beliebig umfangreich zu erweitern ist. Insofern wird es im ersten Quartal knapp bleiben. Wir werden, glaube ich, im zweiten, dritten und erst recht im vierten Quartal so viel Impfstoffmengen zur Verfügung haben, dass es mit großen Schritten vorangeht.
Es ist bedauerlich, dass der Impfstoff offensichtlich im ersten Quartal so knapp ist. Trotzdem will ich das zumindest für mich nach wie vor einordnen und sagen: Es ist ein Glücksfall, dass wir überhaupt diesen Impfstoff oder diese Impfstoffe zur Verfügung haben. Es ist nach wie vor spektakulär, dass das gelungen ist, dass es in einer gemeinsamen Anstrengung von Wissenschaft, Forschung und internationalen Netzwerken gelungen ist, mehrere Impfstoffe zur Verfügung zu haben, die jetzt auch in immer größeren Mengen zur Verfügung stehen.
Eines muss man einfach sehen: Im Rahmen einer globalen Pandemie, die wir hier gemeinsam bekämpfen, ist es uns tatsächlich gelungen, mit anderen Maßnahmen - Einschränkungen und Abstands- und Hygieneregeln - genau jetzt für diese Phase Zeit zu gewinnen, wo wir anfangen können, die Impfstoffe im großen Stil umzusetzen und damit Menschen zu schützen.
Es bleiben angespannte Wochen, die vor uns liegen. Es werden aber auch entspannte Wochen auf uns zukommen, wo wir mit den Impfstoffen vor allen Dingen natürlich auch Bevölkerungsgruppen wie die Älteren, die Erkrankten oder die Menschen aus besonderen Berufsgruppen umfangreicher impfen und damit schützen können.
MP Söder: Auch ich bin dankbar, dass wir heute dieses ausführliche Gespräch hatten. Noch einmal Dank an die Kanzlerin, die das Impfen schon zur Chefsache gemacht hat, was man heute gerade gegenüber der EU und den anderen Partnern gemerkt hat. Ich glaube, das ist in dieser doch zentralen Frage sehr, sehr wichtig. Wenn es um Corona geht, trifft Impfen den Nerv unserer Bevölkerung. Denn Impfen ist die einzige echte Langzeitstrategie, die wir haben. Impfen macht große Hoffnung. Impfen führt bislang aber zu Verunsicherung, zum Teil auch zu Enttäuschung. Deshalb war es heute schon wichtig, eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen, die klarmacht, dass wir das Thema nicht dauernd schlechtreden dürfen. Wir sollten es uns aber auch nicht schönreden. Es bleibt eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Monate.
Die Europäische Union hat dargestellt, dass aus ihrer Sicht alles nach Plan gelaufen ist. Die Wahrheit ist natürlich, dass viele Menschen erkennen, dass es im Vergleich zu anderen Regionen der Welt beim Impfen in Europa große Unterschiede gibt. Die Kanzlerin hat dargestellt, was die Gründe dafür sind. Gründe sind natürlich da. Trotzdem es ist für viele Menschen schwierig, insbesondere dann, wenn die Impfstoffproduktion dem nicht ganz hinterherkommt und feststehende Impftermine abgesagt werden müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir so viel Planbarkeit wie möglich bekommen. Deswegen ist es wichtig, auch eine gemeinsame Plattform zu entwickeln, wo wir uns abstimmen und wir versuchen, mehr Ordnung und Struktur hineinzubekommen.
Klar ist auch: Im ersten Quartal wird es nicht ein Mehr an Impfstoffen geben; das steht fest. Was die weiteren Quartale angeht, ist es so, dass der Impfstoff ausreichen dürfte, und zwar weit ausreichen dürfte. Fakt ist eben dann nur die Frage der Zeitachsen. Andere Länder und andere Regionen der Welt könnten noch schneller geimpft sein. Aber es hilft nichts. Wir müssen jetzt versuchen, das Beste zu machen.
Heute wurde auch sehr deutlich, dass eine punktgenaue Planung aus Sicht der Unternehmen schwer möglich ist. Quartalsmäßig ja, Wochentag quasi nicht, denn dafür sind zu viele Variablen im Spiel, und zwar Variablen in der Produktion, aber auch in Bezug auf die Variable Mutation. Das muss man einfach so sehen. Deswegen werden wir das nicht mit der Stechuhr und der Stoppuhr machen können, sondern wir werden an der Stelle ein hohes Maß an Flexibilität haben müssen.
Das führt auch dazu, dass die Kommunikation des Erwartungsmanagements anders laufen muss als vielleicht in den vergangenen Wochen, wo man vielleicht am Anfang den Eindruck gemacht hat, dass alles gelöst ist und in drei, vier Wochen alles vorbei ist. Man muss dies schon entsprechend hinsichtlich einer langen Zeitachse - jedenfalls mindestens für das nächste halbe Jahr - darstellen. Das wird für die Geduld der Menschen - darüber dürfen wir uns nicht täuschen - noch einmal eine echte Herausforderung. Das ist sozusagen der ernüchternde Teil der heutigen Besprechung. Trotzdem ist es wichtig, dass wir einfach einmal die Dinge übereinanderlegen und nicht im Nebel stochern und Hoffnungen aussprechen, die nicht erfüllbar wird. Das wird eine große Herausforderung. Wir werden den - in Anführungsstrichen - Rückstand gegenüber anderen vielleicht nicht aufholen, aber wir können deutlich besser werden. Im Übrigen hilft eine ständig erneute Fehleranalyse nichts. Jetzt muss man sozusagen in den Modus des Gelingen- und Verbessern-Wollens kommen.
Es wird auch noch einmal wichtig sein, die Prioritäten zu definieren. Der Bundesgesundheitsminister hat zugesagt, nach der Zulassung von AstraZeneca in den nächsten Tagen beziehungsweise im Laufe der nächsten Woche für Klarheit zu sorgen.
Ich würde mir auch wünschen, dass wir in den nächsten Wochen, wenn mehr Impfstoff zur Verfügung steht, das noch einmal diskutieren, um auch anderen - Jüngeren, Lehrern und Erziehern - Perspektiven zu bieten. Denn Corona und auch das Impfen ist für alle wichtig. Es ist zunächst einmal für die Risikogruppen ganz entscheidend. Wir brauchen aber auch ein Angebot für Jüngere, für Schulen und Kitas, um entsprechend mehr Möglichkeiten und mehr Freiräume zu haben. Denn das ist ja das, was alle so betrifft. Corona ist eine echte Herausforderung für die Gesundheit, aber auch ein echter Stresstest für die Nerven unserer Bevölkerung. Deswegen muss auch klar sein, dass wir alles dafür tun, um in dem Bereich besser zu werden.
Zusammenfassend gesagt: Wir haben uns heute vorgenommen, so viel Impfstoff so schnell wie möglich mit den Partnern zu akquirieren, wollen aber auch die Klarheit darüber haben, dass das nicht über Nacht gehen kann und dass es auch keine Garantie gibt. Die Unternehmen haben Zusagen für die Quartale gemacht, aber eben keine hundertprozentigen Garantien. Das ist, wie gesagt, die Wahrheit. Man soll sie nicht dauernd schlechtreden und man sollte daraus auch kein parteitaktisches Spiel machen. Man muss das aber auch einfach einmal wahrheitsgemäß analysieren und eine Bestandsaufnahme machen.
Für mich ist allerdings auch klar: Hätte es nicht diese Idee dazu gegeben, aber spürbar auch die klare Führung in der Frage, wäre das jetzt viel undurchsichtiger. Insofern noch einmal danke schön. Ich denke, das ist schon ein wichtiger Beitrag, um auch eine geistige Ordnung in das Thema zu bringen.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, sehr viele Menschen interessiert auch, wie es nächste Woche mit Blick auf den 15. Februar weitergeht. Rechnen Sie angesichts der Tatsache, dass der Inzidenzwert heruntergeht, mit weiteren Lockerungen oder möglicherweise wegen der Mutationen noch mit Verschärfungen?
Wenn Sie erlauben, eine Frage an die Ministerpräsidenten. Sie haben es selbst angesprochen: Wenn im zweiten Quartal tatsächlich 77 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, kommt man, wenn man das umrechnet, auf 856 000 Impfungen pro Tag. Ist das in den Impfzentren umzusetzen? Können Sie das überhaupt leisten, gerade wenn es vielleicht bei den Materialen Probleme geben wird?
BK’in Merkel: Wir haben heute die Pressekonferenz vom 1. Februar und nicht die vom 15. Februar oder, besser gesagt, vom 10. Februar, wo wir wahrscheinlich die nächste MPK abhalten werden. Wir werden bis zum 10. Februar noch mehr Daten bekommen.
Erstens sinken im Augenblick in den einzelnen Bundesländern die Inzidenzwerte mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.
Zweitens erhoffen wir uns bis zum 10. Februar mehr Klarheit über die Verbreitung der Mutationen in Deutschland. Das wird natürlich auch eine Rolle spielen. Wir sehen ja im Augenblick, was in Portugal passiert ist, als man in einem Lockdown praktisch die Oberhand der britischen Mutante gesehen hat, und zu welchem Ergebnissen das führt. Das wollen wir natürlich nicht. Insofern kann ich heute den Diskussionen nicht vorgreifen.
Es wird in den nächsten Tagen zwischen Bund und Ländern Diskussionen über eine Öffnungsstrategie geben. Einige Bundesländer haben bereits Vorschläge gemacht, andere denken auch darüber nach. Deshalb stand heute das Impfen im Vordergrund und auch, wie Sie schon richtig gesagt haben, die Modellierungen. Wenn man im zweiten Quartal um die 70 Millionen Dosen sozusagen verimpfen muss, dann macht es einen Riesenunterschied, ob das zwölf Wochen lang Woche für Woche konstant kommt, ob in den ersten beiden Wochen vielleicht nur ein Drittel oder jedenfalls sehr viel weniger kommt als in den letzten zehn Wochen oder ob in den ersten sechs Wochen wenig und in den zweiten sechs Wochen sehr viel kommt. Darauf muss man sich vorbereiten.
Es wird einen Punkt geben, an dem so viel Impfstoff zur Verfügung steht, dass auch die Hausarztpraxen mit einsteigen können. Deshalb war heute richtigerweise - Herr Müller hat das vorgetragen - die Kassenärztliche Vereinigung in Person von Herrn Gassen mit dabei. Die Hausärzte können sehr viel verimpfen. Das heißt, dass nicht alles über die Impfzentren gehen muss. Jetzt im ersten Quartal ist BioNTech sozusagen noch unser wesentlicher Zulieferer. Das wird sich dann ändern. Es wird mehr von AstraZeneca geben, auch mehr von Moderna. Diese Impfstoffe brauchen auch nicht mehr minus 70 Grad. Auch dadurch wird man noch einmal Veränderungen haben. Deshalb ist die Modellierung so wichtig. Denn heute kann uns das kein Hersteller ganz genau sagen. Aber ich denke, dass man mit 450 Impfzentren schon eine Menge schaffen kann.
Sicherlich wird es ziemlich kompliziert, immer auch die Verimpfung von zwei Dosen pro Bürger sicherzustellen. Auch darüber ist noch einmal gesprochen worden. BioNTech hat uns angeboten, uns bei Modellierungen zu helfen mit Blick darauf, bei welcher Unsicherheit der Lieferung man wie viel zurückhalten und wie viel verimpfen kann. Das sind ziemlich schwierige Fragestellungen. Aber ich denke, dass wir heute auch etwas dazugelernt und uns etwas vorgenommen haben, um diesen nationalen Impfplan immer weiter fortzuschreiben.
BGM Müller: Das kann ich nur bestätigen. Wir haben jetzt allein in Berlin sechs Impfzentren. Wir haben die mobilen Teams. Wir haben das Rote Kreuz und die Bundeswehr an Bord. Dann haben wir perspektivisch die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhäuser - die darf man ja nicht vergessen -, die auch mithelfen können.
Wir können also Tausende von Impfungen pro Tag vornehmen und stehen dafür auch mit der Infrastruktur bereit. Aber es kommt darauf an, dass man sich rechtzeitig darauf vorbereiten kann - das ist das A und O -, sodass wir die Möglichkeit haben, diese Systeme dann auch entsprechend schnell hochzufahren. Aber die Infrastruktur ist da, um dann auch mit den hohen Zahlen von Impfdosen umgehen zu können.
MP Söder: Wir müssen es schaffen, und deswegen werden wir uns darauf vorbereiten. Allerdings denke ich, dass der entscheidende Punkt ist, dass es dann über die Ärzte gehen kann. Wenn dann so viel Impfstoff da ist, dann geht das Ganze weitgehend von selbst; das glaube ich schon. Denn dann hat man die verschiedenen Bereiche mit den Krankenhäusern und den Arztpraxen. Dort wird dann der Prozess sein. Das hat auch den großen Vorteil, dass dann die Anmeldelagen wesentlich einfacher sind, weil man eben einfach zu seinem Hausarzt oder Spezialarzt geht. Auch die Impfstoffe sind dann da. Das wird dann hoffentlich gelingen.
Die Phase bis dorthin ist die psychologisch schwierige. Denn man darf eines nicht vergessen: Die Situation, was das Thema von Lockerungen betrifft, sehe ich außerordentlich skeptisch. Ich mache mir keine Illusionen. Wir sind noch weit entfernt von dem, was zu einer umfangreichen Lockerung führen könnte. Wir sollten jetzt, gerade bei einer wachsenden Gefahr der Mutation, auf keinen Fall den Fehler machen, überstürzte Lockerungen vorzunehmen. All die Pläne, die gemacht werden, können nach zwei Wochen Makulatur sein. Wir spüren auch bei der Bevölkerung eher die Bereitschaft, länger und dafür konsequenter und sicherer zu agieren, als jetzt irgendeinem Drang nach Lockerungen nachzugeben. Deswegen, weil wir die Impfung eben noch nicht in ausreichendem Maß haben, ist beim Thema von Stabilität und Lockdown eher die Variante „Nummer sicher“ die bessere.
BK’in Merkel: Ich möchte darauf hinweisen, dass die Ständige Impfkommission, im Grunde genommen, fünf Prioritätenstufen gebildet hat, die für knapp 40 Millionen Menschen gelten oder sogar weniger; ich habe es jetzt nicht ganz addiert. Es bleiben aber 45 Millionen Menschen, die mit diesen Prioritäten gar nicht erfasst sind. Wenn wir einmal bei dieser Impfgruppe sind, dann wird es auch in den Betrieben Impfungen geben. All die großen Unternehmen, zum Beispiel BASF, haben schon gesagt, dass sie ihre Mitarbeiter samt ihren Familien sofort durchimpfen können. Das wird dann organisatorisch kein Problem mehr sein.
In der mittleren Phase, in der sehr viel mehr Impfstoff kommt, muss es einfach Planbarkeit geben, weil man die Gruppen noch sehr streng auseinanderhalten muss.
Frage: Ein großer Kummer besteht für viele Bürger darin, dass sie bei den Hotlines nicht durchkommen und keine Termine und auch keine Information bekommen. Wenn Sie jetzt einen Impfplan in die Strategie integrieren, was genau stellen Sie sich darunter vor? Soll jetzt zum Beispiel das Einladungsmanagement professionalisiert werden?
Wird es - diese Frage bitte an alle drei - für Geimpfte neue Freiheiten geben, die nicht Geimpfte noch nicht bekommen?
BK’in Merkel: Die Länder haben ihre eigenen Einladungsmanagements entworfen. Das wird nicht bundeszentral gemacht. Insofern müssten die beiden Länderchefs darauf gleich noch antworten. Aber es bleibt ja sozusagen national das gleiche Thema. Wir müssen wissen, wie viele wir impfen können, damit wir wissen, wen wir einladen und anschreiben können. Deshalb werden wir diese Modellierungen natürlich auch immer im Blick darauf machen, wie groß eine Gruppe ist. Die Prioritätengruppe eins umfasst 8,6 Millionen Menschen. Wenn man sagt, dass wir in Quartal eins zuzüglich dessen, was in Quartal vier des vergangenen Jahres gemacht wurde, 9,6 Millionen Menschen impfen können, dann hat man jetzt schon wieder eine Variante, nämlich den Impfstoff von AstraZeneca, der nur für die unter 65-Jährigen zu verwenden ist. Damit kann man also zum Beispiel vorrangig das medizinische und das Pflegepersonal aus der Prioritätengruppe impfen. Das alles muss einmal modelliert werden, damit man dann weiß, wie man in dem in dem jeweiligen Land geltenden Einladungsmanagement vorangeht. Aber dazu kann ich wenig sagen.
Zu den Freiheiten: Wir haben es ja schon öfter gesagt. Bis jetzt ist noch nicht nachgewiesen, dass diejenigen, die geimpft sind, nicht trotzdem das Virus weitergeben können. Solange wir eine Situation wie jetzt haben, dass eine ganz Kleine Minderheit geimpft ist und eine große Mehrheit nicht, wird es keine neuen Freiheiten geben. Ansonsten haben wir das heute nicht diskutiert.
Wenn wir jedem ein Impfangebot gemacht haben, dann sieht die Sache anders aus. Was dazwischen passiert, wird sicherlich auch noch Gegenstand der Diskussion sein, ist aber heute nicht besprochen worden.
BGM Müller: Wir haben das auch schon im Rahmen der Pressekonferenz hier dargestellt. Es gibt unterschiedliche Verfahrenswege. Einige Bundesländer haben ausschließlich Onlineanmeldeverfahren. Andere - ich glaube, neben uns auch Bayern - arbeiten mit einer schriftlichen Einladung. Ich habe zu 90 Prozent, zu 95 Prozent positive Rückmeldungen darauf. Die Menschen empfinden es wirklich als sehr wohltuend, mit diesem Brief eingeladen zu werden. Sie können sich in einem Callcenter melden. Die Bundeswehr macht dabei einen hervorragenden Job, unterstützt auch von anderen. Die Terminvergaben laufen. Es funktioniert vor Ort.
Mein Eindruck ist auch, dass akzeptiert wird, dass es - ich sage es noch einmal - im Rahmen einer weltweiten Krise und einer Pandemie auch einmal ein paar Tage dauern kann, bis man seinen Termin hat. Ja, das nervt, und man wünscht sich das nicht, aber das ist zu akzeptieren.
Wichtig ist, dass der Termin für die Verimpfung, den man dann hat, auch wirklich steht. Das ist das Entscheidende. Großen Unmut gibt es an der Stelle, wo aufgrund von Lieferengpässen und knappen Ressourcen die Termine nicht gehalten werden können. Das ist das, was die Menschen ärgert, nicht, dass man in solch einer angespannten Lage, wie wir sie haben, vielleicht fünfmal anrufen muss, um den Termin zu bekommen. Aber über dieses Einladungsmanagement - das muss ich zumindest aus der Berliner Erfahrung sagen - funktioniert es sehr gut.
Wir werden an dem System festhalten, dass wir Schritt für Schritt die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen einladen, wie es von der Kommission vorgeschlagen wurde, und uns parallel dazu auch schon andere Bevölkerungsgruppen vornehmen, die wir mit ansteuern können, auch über die mobilen Teams oder das Verimpfen in den Krankenhäusern. Das alles läuft parallel.
MP Söder: Ich schließe mich den beiden Äußerungen an.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in der Analyse dessen, wie die Impfstoffbeschaffung bisher gelaufen ist, mehrere aus Ihrer Sicht gute Gründe genannt, warum sie länger als in anderen Staaten - in Israel, Großbritannien und den USA - gedauert hat. Mich würden die schlechten Gründe interessieren.
Es wird ja in der öffentlichen Diskussion zum einen kritisiert, dass die EU zu lange zu geizig verhandelt hat, also den Preis zu lange senken wollte, und sie nicht früh genug mit großen Geldbeträgen und großen Optionsbestellungen Anreize gesetzt hat, die frühe Produktion anzukurbeln. Wie stehen Sie dazu? Welche Verantwortung sehen Sie da auch bei der Bundesregierung und bei Ihnen in der Begleitung dieses Prozesses? Was ist aus Sicht der Bundesregierung und in Ihrer Verantwortung schiefgelaufen?
Noch eine kurze Frage an Herrn Söder: Wenn Sie sagen, die Bundeskanzlerin habe jetzt das Impfen zur Chefsache gemacht, dann - würde ich sagen - schwingt dabei Kritik mit: Warum erst jetzt? - Teilen Sie diese Interpretation?
BK’in Merkel: Dazu muss dann Herr Söder etwas sagen.
Ich kann nur sagen, dass ich erstens in unserem Kabinett einen Gesundheitsminister habe, der exzellente Arbeit macht, und ich mich immer dann, wenn es geklemmt hat, mit darum gekümmert habe.
Wir haben heute mit dem BioNTech-Vertreter gesprochen. Nun, Moderna liefert ja einen relativ kleinen Beitrag und ist auch eine amerikanische Firma. BioNTech/Pfizer ist ein deutsch-amerikanisches Team, und AstraZeneca ist ja erst kurzfristig zugelassen worden. Wir haben also mit dem Vertreter von BioNTech gesprochen. Er hat ganz deutlich gesagt: Mehr Geld hätte auch nicht mehr Kapazitäten mit sich gebracht.
Die Bestellung von BioNTech ist übrigens ziemlich opulent. Die Amerikaner hatten zwar mehr Optionen, aber die 200 Millionen Grundbestellung sind sehr hoch gewesen. Kaum war die Produktionskapazität in Marburg im Blick, hat die Europäische Kommission ja schon den zweiten Vertrag verhandelt. Also es ging immer - das haben sie sehr deutlich gesagt - um die Produktions- und um die Zulieferkapazitäten.
Was für mich heute neu war: Wenn man von einem der zentralen Stoffe, den sogenannten Lipiden, etwas mehr hätte, dann könnte man sogar mehr Dosen produzieren.
Ich glaube, dass sicherlich die Erwartungen hoch waren, weil man so große Mengen genannt hat, und wir nicht darüber gesprochen haben, was gleich am Anfang kommt. Aber ich sehe nicht, dass wir mit europäischen Produktionskapazitäten bedeutend mehr - ich kann es jetzt nicht für die tausend Tonnen sagen; aber so war die Auskunft heute - hätten produzieren können, weil wir es einfach nicht haben.
Marburg macht jetzt den großen Unterschied. Da haben wir uns alle, die hessische Landesregierung, von Anfang an gekümmert. Wir haben für die Vorproduktion Hunderte von Millionen an die Unternehmen gegeben. Nur deshalb hatte BioNTech schon vor der Zulassung etwas fertig produziert. Ich muss also sagen: Ich verstehe vielleicht die Enttäuschung. Jeder hat gedacht: Wenn so viel bestellt ist, dann wird das auch sehr viel schneller da sein.
Aber man muss heute einfach noch einmal sagen: Es werden im ersten Quartal Impfstoffe für 9,15 Millionen Menschen da sein, also doppelt so viele Dosen. Daran können sie auch nichts ändern. Sie haben uns gesagt: Sie produzieren und haben für den Stoff, der darin ist, noch nicht die Zulassung. Sie bekommen ihn von der EMA, und in dem Moment rollt die Produktion vom Band. Denn sie wissen auch nicht auf die Stunde genau, wann sie die Zulassung für ein neues Produkt bekommen. Jedes Produkt, das in diesem Impfstoff verwendet wird - zum Beispiel, wenn es ein Lipid von einem anderen Hersteller ist -, muss wieder neu zertifiziert werden. Man hat heute schon sehr gut gesehen, was das für ein komplizierter Prozess ist. Deshalb glaube ich, dass wir das nach bestem Wissen und Gewissen gemacht haben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben wahrscheinlich mehr Produktionsmöglichkeiten.
Worauf noch einmal hingewiesen wurde, war auch: Für diese mRNA-Impfstoffe gab es ja bis jetzt noch gar keine großen Produktionsanlagen. Wir haben mit Marburg unheimlich Glück gehabt, dass es ein Werk von Novartis war, das schon einmal für Impfstoffherstellung genutzt wurde und leer stand. Sonst hätte das alles noch sehr viel länger gedauert.
MP Söder: Das war als Anerkennung und Dank gemeint, dass wir das heute gemacht haben und nicht anders.
BK’in Merkel: Ich habe ja wiederum auch denen, die die Initiative ergriffen haben, gedankt. Das war am Anfang mal Herr Lindner, dann war es Herr Woidke, dann Frau Dreyer. Ich glaube, das war eine gute Idee, weil es für uns alle den Blickwinkel auf eine gemeinsame Grundlage gestellt hat.
Frage: Sie hatten es erwähnt: Sie haben heute viel Verständnis untereinander hergestellt. Sie haben auch den Frust erwähnt, den man ja haben kann, wenn man sieht, wie andere Länder da vorgegangen sind, was dort geklappt hat.
Ein solcher Impfgipfel, den Sie heute gemacht haben, hat ja auch Erwartungen geweckt. Mich würde noch einmal zu den Ergebnissen, die Sie genannt haben, interessieren: Was ist denn in Ihren Augen jetzt dabei, was die Bevölkerung optimistischer werden lassen kann? Oder muss man ehrlicherweise einfach sagen: Es geht gerade nicht anders. Wir müssen jetzt warten. Es kommt nicht mehr. Das tut uns leid.
BK’in Merkel: Was ist dabei, was die Bevölkerung optimistischer werden lassen kann? - Es ist ja in den letzten Tagen sehr oft gesagt worden: Na ja, wenn jetzt in Woche 3 BioNTech schon anfängt, weniger zu liefern, welche Gewissheit haben wir eigentlich, dass die ganzen Prognosen stimmen?
Die allerallerletzte Gewissheit kann keiner geben. Wenn zum Beispiel eine Mutante auftritt, auf die der Impfstoff nicht wirkt, dann fangen wir wieder von vorne an. Das haben sie auch dargestellt.
Aber unter den Annahmen, wie wir ja auch andere Abschätzungen in der Politik machen, und den Annahmen, was uns die Hersteller heute gesagt haben, können wir sagen: Bis zum Ende des dritten Quartals - ich sage jetzt einmal bis zum Ende des Sommers - können wir jedem Bundesbürger ein Impfangebot machen.
Das ist gut. Das ist auch wichtig. Trotzdem weiß ich, dass das für mich bedeutet, wenn ich jetzt - sagen wir einmal - fünfzig bin und nicht zu einer prioritären Gruppe gehöre, dass ich bis zum Sommer warten muss. Das ist eine lange Zeitstrecke.
Ich glaube, wir haben heute auch ein Stück Realismus in die Debatte bringen können. Denn Wunder werden jetzt nicht passieren. Das wird sich gut entwickeln; das wird zunehmen. Aber diese Wegstrecke dauert es.
Wir müssen dann auch sehen - das muss man gleich dazu sagen -: Es kann sein, dass wir noch viele Jahre impfen müssen - so ähnlich wie beim Grippe-Impfstoff, bei dem man jedes Mal die neue Mutation des Virus verimpft. Es kann sein, dass das nicht ein einmaliger Prozess ist, sondern wenn sich dieses Virus weiter verändert, dann haben wir noch ein Problem. - Damit ist der Rahmen da, und das finde ich schon einmal gut.
Zweitens haben wir aus der Situation zwischen „wir wissen gar nichts“ und „wir möchten Tag für Tag über die nächsten vierzig oder dreißig Wochen alles wissen“, wie sie uns die Hersteller gesagt haben, das Beste gemacht. Wir haben gesagt: Okay. Dann müssen wir uns hinsetzen und den Rahmen nehmen.
In der Situation, in der der eine gesagt hat „Ich weiß aber in vier Wochen nicht, was ist“ und der andere „Ich will es aber wissen“, haben wir gesagt: Wir müssen verschiedene Modelle annehmen, mit denen wir auch eine bessere Gewissheit bekommen: Was passiert in den Impfzentren? Wann kann vielleicht auf die Hausarztpraxen übergegangen werden?
Diese Modellierungen sind auch ein Fortschritt. Sie bringen jetzt keinem Bürger einen Impftermin, aber sie bringen mehr Sicherheit, dass das, was da ist, auch wirklich verimpft werden kann.
Das sind die beiden Dinge, die für mich ein deutlicher Fortschritt sind.