Im Wortlaut: Maas
"Gerade zum Schutz der vielen Flüchtlinge, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, müssen wir alle Straftäter konsequent zur Rechenschaft ziehen," fordert der Justizminister in dem Interview. Gemeinsam mit dem Innenminister werde er prüfen, ob die derzeitigen Möglichkeiten ausreichen, um Kriminelle zurückzuschicken.
- Interview mit Heiko Maas
- Bild am Sonntag
Das Interview im Wortlaut:
BILD am SONNTAG: Herr Minister, sind die massiven Übergriffe auf Frauen in Köln, Hamburg und anderen Großstädten in der Silvesternacht Ergebnis einer falschen Politik?
Heiko Maas: Nein, das ist mir zu pauschal. Aber: Wir müssen dringend aufklären, wie es zu diesen abscheulichen Taten kommen konnte. Wenn sich eine solche Horde trifft, um Straftaten zu begehen, scheint das in irgendeiner Form geplant worden zu sein. Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt oder vorbereitet wurde.
BILD am SONNTAG: Haben Sie Hinweise, dass es einen Zusammenhang zwischen den Straftaten gibt?
Maas: Alle Verbindungen müssen sehr sorgfältig geprüft werden. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein bestimmtes Datum und zu erwartende Menschenmengen herausgesucht wurden. Das hätte dann noch einmal eine andere Dimension.
BILD am SONNTAG: In der Silvesternacht war der Staat nicht in der Lage, seine Bürger zu schützen. Die Kölner Polizei aber schrieb in einer Pressemitteilung am Neujahrstag noch von einem weitgehend "friedlichen Verlauf" der Silvesterfeiern. Ist da absichtlich etwas verschwiegen worden?
Maas: Diese unsägliche Pressemitteilung wäre besser nie geschrieben worden. So naiv, zu glauben, man könne solche Gewaltexzesse verschweigen, kann eigentlich niemand sein. Wer die Mitteilung verfasst hat, hatte die Berichte der Einsatzkräfte aus der Nacht offenbar nicht gelesen. Diese Berichte sind erschütternd und müssen umfassend aufgearbeitet werden.
BILD am SONNTAG: Haben Sie den Eindruck, dass die Polizei generell bei Straftaten, bei denen Ausländer beteiligt sind, zurückhaltender berichtet?
Maas: Nein. Und es wäre falsch. Denn: Im Strafrecht kommt es nicht darauf an, woher jemand kommt, sondern was er getan hat.
BILD am SONNTAG: Die Straftaten sind nach derzeitiger Erkenntnis von Menschen mit Migrationshintergrund begangen worden. Was bedeutet das?
Maas: Aus den Straftaten den allgemeinen Schluss zu ziehen, die Integration sei komplett gescheitert, ist weder angemessen noch zutreffend. Wer an diesen Taten beteiligt war, ist ein Krimineller und so muss er auch behandelt werden. Die Straftaten als Beweis dafür zu sehen, dass alle Ausländer bei uns nicht integrierbar sind, halte ich für kompletten Unsinn.
BILD am SONNTAG: Spielt der kulturelle Hintergrund bei den Kölner Vorfällen eine Rolle?
Maas: Der kulturelle Hintergrund rechtfertigt oder entschuldigt nichts. Er wäre noch nicht mal als Erklärung akzeptabel. Bei uns sind Frauen und Männer in allen Beziehungen gleichberechtigt. Das hat jeder zu akzeptieren, der hier lebt. Das große Problem ist doch: Wir haben viel zu viele Sexualstraftaten in Deutschland. Vergewaltigung ist Vergewaltigung - egal von wem oder woher er kommt.
BILD am SONNTAG: Ist die Gesetzestreue bei Ausländern genauso hoch wie bei Deutschen?
Maas: Aus der Herkunft eines Menschen abzuleiten, dass er eher straffällig wird oder nicht, halte ich für abenteuerlich. Es gibt statistische Erhebungen über die Straffälligkeit von Flüchtlingen.
BILD am SONNTAG: Sie zeigen, dass die Kriminalitätsrate genauso hoch ist wie bei den Deutschen. angesprochen. Zugleich haben wir im letzten Jahr den Zuzug von über einer Million Flüchtlingen. Ist es unzulässig, da einen Zusammenhang zu sehen?
Maas: Es ist schlicht falsch. Natürlich sind unter den mehr als eine Million Menschen auch solche, die Straftaten begehen. Aber es gibt keinen Hinweis, dass die Anzahl der Straftaten durch den Zuzug überproportional gestiegen ist. Stumpfe Vorurteile haben sich gerade nicht bestätigt. Klar bleibt allerdings: jede Straftat ist eine zu viel und muss bestraft werden.
BILD am SONNTAG: Sie haben gefordert, dass alle Täter von Köln konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Bislang gibt es nur wenige Verdächtige. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Täter noch geschnappt oder gar verurteilt werden?
Maas: Auch wenn es nicht so einfach ist, denn es war eine Masse an Menschen beteiligt: Die Täter müssen möglichst schnell und mit aller Konsequenz bestraft werden. Das sind wir vor allem den Opfern schuldig. Es gibt bereits erste Festnahmen.
BILD am SONNTAG: Wir glauben nicht, dass es am Ende zu einer einzigen Verurteilung wegen der sexuellen Übergriffe kommt.
Maas: Ich halte dagegen. Ich bin mir sicher, die Behörden werden alles tun, um die Täter zu ermitteln, anzuklagen und zu verurteilen.
BILD am SONNTAG: Seit dem Jahr 2000 sind in Deutschland bei der Polizei laut Gewerkschaft rund 16 000 Stellen ersatzlos gestrichen worden. Warum spart die Politik seit Jahren an der Sicherheit der Bürger?
Maas: Die Länder sind durch die Schuldenbremse unter einem erheblichen Sparzwang. Das betrifft nicht nur die Polizei, sondern auch die Schulen oder die Justiz. Die grausamen Zustände von Köln zeigen allerdings: Es fehlt weniger an Gesetzen als an Polizisten. Ein wichtiger erster Schritt war daher, dass wir gerade 3000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei geschaffen haben. Wenn wir unseren Rechtsstaat durchsetzen wollen, dürfen wir ihn nicht kaputt sparen.
BILD am SONNTAG: Warum werden kriminelle Asylbewerber nicht schnell abgeschoben?
Maas: Seit dem 1. Januar ist eine Ausweisung bereits ab einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr möglich. Daher: Ich halte im Fall von Köln bei den Sexualdelikten Ausweisungen für absolut denkbar und auch angemessen.
BILD am SONNTAG: Müssen wir über eine Verschärfung des Asyl- beziehungsweise Ausländerrechts reden oder reichen die bestehenden Gesetze aus?
Maas: Wir können schon jetzt mit dem neuen Ausweisungsrecht einfacher ausweisen als vorher. Und: Ich werde jetzt gemeinsam mit dem Innenminister noch einmal prüfen, ob unsere Möglichkeiten ausreichen, um Kriminelle zurückzuschicken. Wenn nicht, werden wir Vorschläge machen. Gerade zum Schutz der vielen Flüchtlinge, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, müssen wir alle Straftäter konsequent zur Rechenschaft ziehen. Niemand darf sich bei uns über Recht und Gesetz stellen.
BILD am SONNTAG: Die Vorfälle von Köln werden von rechten Gruppierungen im Netz instrumentalisiert. Da ist von "Massenvergewaltigungen" die Rede. Kippt die gesellschaftliche Stimmung im Land?
Maas: Das hoffe ich nicht. AfD und Pegida scheinen allerdings nur auf diese Vorfälle gewartet zu haben. Anders lässt sich nicht erklären, wie sie jetzt schamlos pauschale Hetze gegen alle Ausländer betreiben. Dem müssen wir alle gemeinsam entschieden entgegentreten. Wir dürfen radikalen Brandstiftern nicht das Feld überlassen. Und: Hier braucht es auch eine starke Antwort des Rechtsstaats.
BILD am SONNTAG: Wie soll die denn aussehen?
Maas: Volksverhetzung, Gewaltandrohungen oder Aufrufe zu Straftaten gehören nicht ins Netz, sondern vor einen Richter. Bei rassistischen Äußerungen in sozialen Netzwerken wird immer härter durchgegriffen und verurteilt. Zwei Beispiele aus den letzten Monaten: 7500 Euro Geldstrafe für einen 25-Jährigen in Passau wegen Volksverhetzung, der auf Facebook geschrieben hatte: ,Willkommensgeschenk" für Asylbewerber, "Ich hätte da ne Gasflasche und ne Handgranate rumliegen!" Oder: 2 Jahre und 3 Monate Haft ohne Bewährung vom Amtsgericht Kitzingen wegen Volksverhetzung und Aufforderung zu Gewalt gegen Flüchtlinge, Ausländer und Juden bis hin zu Mord. Auch über solche Strafen sollte jeder mal nachdenken, der seinen fremdenfeindlichen Müll bei Facebook und anderswo absondert.
Das Interview führten Roman Eichinger und Miriam Hollstein für die
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