Meeresforschung
Küstenauftriebssysteme gehören zu den ertragreichsten Meeresregionen weltweit. Hier entsteht der meiste Fisch: Obwohl sie nur zwei Prozent der Meeresoberfläche ausmachen, liefern sie 20 Prozent des weltweiten Fischfangs. Durch den Klimawandel sind diese Nahrungsquellen gefährdet.
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Auf der aktuellen Expedition mit dem Forschungsschiff "Maria S. Merian" untersuchten Wissenschaftler, warum gerade das Küstenauftriebsgebiet des Humboldtstroms vor Peru besonders produktiv ist.
Größte Tierwanderung der Erde
Kurz vor Sonnenuntergang machen sich überall in den Weltmeeren winzige Meereslebewesen – Planktonorganismen und Fische – auf ihre Wanderung zur Meeresoberfläche, um dort im Schutz der Dunkelheit winzige Algen zu fressen. Bei Sonnenaufgang sinken sie dann wieder mehrere hundert Meter tief ab, wo sie bei kälteren Temperaturen den Tag verbringen.
"Dieses Phänomen heißt tagesperiodische Vertikalwanderung", erklärt der Bremer Meeresbiologe Holger Auel, der die aktuelle Expedition mit dem Forschungsschiff "Maria S. Merian" leitet. Dabei handele es sich um die "mit großem Abstand größte Tierwanderung und Biomasseverschiebung auf der Erde". Auf der Expedition hatten die Forschenden die einmalige Gelegenheit, diese Wanderung rund um die Uhr zu beobachten und mit ihren Messinstrumenten zu untersuchen.
Besonders beeindruckt war Auel von den riesigen Krebstierschwärmen: "Pünktlich eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang machte sich der Krill Euphausia mucronata auf den Weg von seinem Tagesaufenthalt in 300 Metern Tiefe zur Oberfläche, wo er die Nacht über blieb", berichtet der Meeresforscher fasziniert.
Auftriebsgebiete sind Regionen im Meer, in denen kaltes Tiefenwasser nach oben steigt und viele Nährstoffe an die Oberfläche transportiert. Als Nahrungsquelle damit ähnlich wichtig wie der Regenwald oder intensiv genutzte Ackerbauflächen.
Nahrung für Milliarden Menschen
Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen auf Fisch und andere Meereslebewesen als primäre Proteinquelle angewiesen. Auel will auf der MERIAN-Expedition in erster Linie herausfinden, woher der Fischreichtum herrührt. "Sobald die Nährstoffe an die lichtdurchflutete Oberfläche des Meeres kommen, düngen sie Algen, die dann wiederum als Nahrung für Planktonkrebse und Fische zur Verfügung stehen", erklärt Auels Kollege Ulf Riebesell die außergewöhnlich hohen Erträge der Auftriebsgebiete.
Auftriebsgebiete gibt es überall dort, wo bestimmte Windverhältnisse und Wassertemperaturen aufeinandertreffen: "Manchmal ist sogar die Kieler Förde ein Auftriebsgebiet", berichtet Riebesell, der die Forschungseinheit Biologische Ozeanografie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel leitet. "Nämlich immer dann, wenn starker Südwestwind das Oberflächenwasser aus der Kieler Förde treibt und nährstoffreiches Tiefenwasser aus der Kieler Bucht nachdrängt."
Jedes zehnte Kilo Fisch kommt aus dem Humboldtstrom
Eine Besonderheit zeigt dabei der Humboldtstrom, den die Forscherinnen und Forscher auf der "Maria S. Merian" unter die Lupe nehmen: "Obwohl alle diese Systeme eine ähnliche Auftriebsstärke haben, übertrifft der Humboldtstrom die anderen beim Fischerei-Ertrag um das Acht- bis Zehnfache", sagt Auel.
Allein eine Fischart, die peruanische Sardelle, trage in manchen Jahren bis zu zwölf Millionen Tonnen zum Fang bei – das entspreche mehr als zehn Prozent des weltweiten Fischerei-Ertrags aus dem Meer. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam geht Auel daher der Frage nach, warum gerade der Humboldtstrom vor Peru so viel Fisch liefert.
Die vier größten Auftriebsgebiete auf der Erde sind der Humboldtstrom vor Peru, der Kanarenstrom vor Nordwest-Afrika, der Benguelastrom vor Südwest-Afrika und der Kalifornienstrom vor der nordamerikanischen Pazifikküste.
Kurze Nahrungskette: Von winzigen Algen zum Speisefisch
"Die Besonderheit der Auftriebsgebiete sind die kurzen Nahrungsketten", erklärt Ulf Riebesell, der das Forschungsprojekt koordiniert. Die kürzeste Nahrungskette gibt es im Humboldtstrom vor Peru: "Kleine Algen werden von Zooplankton oder Krill gefressen, von dem sich wiederum die peruanische Sardelle ernährt, in der Bevölkerung oft besser als Anchovis bekannt."
Biologen gehen davon aus, dass von einer Stufe der Nahrungskette zur nächsthöheren rund zehn Prozent der Biomasse weitergegeben werden: Vereinfacht gesagt werden aus hundert Kilogramm Algen zehn Kilogramm Krill, die wiederum einem Kilogramm Sardellen entsprechen.
Neue Erkenntnisse aus dem Südpazifik
Die Forscher auf der "Maria S. Merian" beobachten, dass der Auftrieb entlang der langen peruanischen Küste ein komplexes, räumlich und zeitlich sehr variables Phänomen ist, das stark von der aktuellen Windstärke abhängt.
Holger Auel schreibt an seine Kollegen in Kiel: "Leider haben wir zurzeit sehr schwache Winde, so dass der windgetriebene Auftrieb momentan nur schwach ist. Relativ warmes Wasser mit 22 Grad Celsius erstreckt sich bis an die Küste. Wir haben auf dieser Expedition daher bislang keine aktive Auftriebszelle angetroffen."
Die Nachricht aus dem Südpazifik macht den Ozeanografen Riebesell hellhörig: "Eigentlich würde man erwarten, dass es da gerade jetzt gerade kräftigen Auftrieb gibt." Zwar breche der Auftrieb etwa alle sieben bis zwölf Jahre zusammen, was auf das Wetterphänomen El Niño zurückzuführen sei.
"Wir hatten aber gerade in den Jahren 2015 und 2016 einen großen El Niño", sagt Riebesell, weshalb der Auftrieb und damit auch der Fischfang aktuell und für die nächsten Jahre hoch sein sollten.
Das Extremwetterphänomen El Niño – spanisch für "Christkind" – tritt in unregelmäßigen Abständen etwa alle vier Jahre zur Weihnachtszeit auf und hat durch Veränderungen der Strömungen im ozeanographisch-meteorologischen System weltweite Auswirkungen auf das Klima. Etwa alle sieben bis zwölf Jahre ist der El Niño so verheerend, dass der Auftrieb vor Südamerika ganz zum Erliegen kommt und die Fischbestände massiv einbrechen.
"Physikalisch nicht zu erklären"
Bereits im Jahr 2017 beobachteten Riebesell und sein Forscherteam vor Ort ein bislang unerklärliches Phänomen: Unvermittelt brach der Auftrieb vor Perus Küste komplett zusammen, allerdings beschränkt auf die Küstenregion. Dieses seltene, als Küsten-El Niño bezeichnete Ereignis wurde bisher nur einmal vor etwa 100 Jahren beobachtet.
"Das war verbunden mit enormen Überschwemmungen an Land, hervorgerufen durch heftigen Regen über den Anden, und mit einem Einbruch des Fischfangs", so Riebesell, "ein dramatisches Ereignis für die Region."
Die Ozeanografen um Riebesell rätseln noch, welche physikalische Ursache dem ungewöhnlichen Zusammenbruch des Auftriebs entlang der Küste zugrunde liegt, der das Klima nicht nur regional, sondern großflächig massiv verändert habe: "Niemand kann aktuell sagen, wie es dazu kam", sagt der Forscher.
Verändert sich der Fischbestand mit dem Klimawandel?
Ob der veränderte Auftrieb mit dem fortschreitenden Klimawandel zusammenhängt, können die Wissenschaftler bisher nur vermuten. Und auch ob wir uns darauf verlassen können, dass die Auftriebsgebiete so ertragreich bleiben und die Fischerei mit dem Klimawandel weiterhin die gewohnten Erträge aus dem Meer erzielen kann, ist unklar.
Zwei Prozesse könnten gegenläufig wirken, erklärt Riebesell: "Wenn der Ozean wärmer wird, wird die Durchmischung zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser geringer, was dazu führt, dass die Ozeane weniger produktiv werden."
Dem gegenüber steht die Prognose, dass sich die Winde global verstärken, was zu mehr Auftrieb vor den Küsten führen würde – und der wirkt sich positiv auf den Fischbestand aus. "Welcher Effekt da überwiegt, wissen wir noch nicht."
Auch wenn die genauen Zusammenhänge noch nicht erforscht sind, ist sich Riebesell sicher: Der Klimawandel betrifft nicht nur die Lebensgemeinschaften im Meer, sondern er wird auch enorme wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Die Bundesregierung fördert die Forschung zu dem nährstoffreichen Auftriebsgebieten vor den Küsten im Rahmen des Projekts CUSCO (Coastal Upwelling System in a Changing Ocean) mit rund 3,2 Millionen Euro.