Uns geht es nur gut, wenn es anderen gut geht

Kanzlerin beim Leserforum der Ostsee-Zeitung Uns geht es nur gut, wenn es anderen gut geht

75 Minuten, 16 Fragen. Kanzlerin Merkel macht Tempo beim Leserforum der Ostsee-Zeitung im Ozeaneum in Stralsund. Von Flüchtlingspolitik, Fakenews, Greta Thunberg, dem Klima und dem Denken für kommende Generationen ist die Rede - bis hin zu ihrer Gesundheit und dem perfekten Tag.

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Bundeskanzlerin Merkel steht im Ozeaneum in Stralsund.

Kanzlerin Merkel in Stralsund: Gute Gespräche im Norden.

Foto: Bundesregierung/Steins

Immerhin 16 Teilnehmern schaffte es Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Leserforum in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) zu antworten. Wer nicht zu Wort gekommen war, dessen Fragen wollte sie mitnehmen und eine schriftlich Antwort schicken. Merkel war um keine Antwort verlegen, selbst wenn die Fragen weit - auch in ihre persönliche - Zukunft reichten.

Flüchtlingspolitik

"Seenotrettung ist ein Gebot der Menschlichkeit", sagt Merkel. Zudem habe die Bundeswehr mit der Militärmission "Sophia" die lybische Küstenwache unterstützt. Nicht alle Menschen, die über das Mittelmeer kämen, seien die ärmsten und schwächsten. "Unser Ziel muss sein, mit den afrikanischen Ländern zu sprechen: Wo können wir helfen? Wie können wir helfen? - aber nicht das Geschäft der Schlepper und Schleuser zu unterstützen." Zufriedenstellend sei die Lage im Augenblick nicht. Aber: "Wir sind Teil der Welt. Uns geht es nur gut, wenn es anderen gut geht."

Umgang mit Fakenews (Falschmeldungen)

Merkel macht sich Sorgen über die Vermischung von Fakten und Gefühlen. Fakten könne man aus Statistiken beispielsweise leicht entnehmen, um Sachverhalte zu prüfen. Das geht mit Gefühlen nicht. "Mich bewegt, dass das Gefühl heute oft über das Faktische gestellt wird".

Greta Thunberg

"Ein außergewöhnliches Mädchen, das viel ins Rollen gebracht hat. Ich nehme sie sehr ernst."

02:26

Die Bundeskanzlerin in Stralsund  Im Austausch mit den Bürgern

Was tun gegen die Erderwärmung?

"Ich war von 1994 bis 1998 Umweltministerin. Wir haben das Kyoto-Protokoll in Berlin verhandelt, aber viele Länder haben nicht ratifiziert. Dann gab es 2015 das Klimaabkommen von Paris. Da sind jetzt wieder die USA ausgestiegen." Deutschland müsse Vorreiter sein, weil es sonst andere Länder nicht überzeugen könne, den Weg des Kampfes gegen die Erderwärmung einzuschlagen.

"Wir sollten überlegen, wie wir unser gesamtes Leben in einem Kreislauf denken – wie es zum Beispiel die Waldbesitzer tun." Die Menschen "nach uns" sollten auch noch etwas haben. Das könne einem ein gutes Gefühl geben, dass man "an andere gedacht hat", so Merkel. Moderne Technologien würden dabei helfen.

Kosten von Kohlendioxid-Ausstoß

"Wir werden eine CO2-Bepreisung brauchen. Ich bin dafür. Über Zertifikate kann man sie besser steuern." Doch auch heute gebe es schon eine faktische CO2-Bepreisung durch die Mineralöl- und Heizöl-Steuer.

Ihre Gesundheit und private Rückzugsräume

"Wenn ich mich entscheide, in die Politik zu gehen, weiß ich, dass ich eine Person des öffentlichen Lebens bin." Sie verstehe, dass die Menschen sich Sorgen um sie machten. Sie habe sich private Rückzugsräume geschaffen, wo sie traurig oder fröhlich sein könne und habe erlebt, dass das akzeptiert werde.

Gerade hier, im Norden, ihrer politischen Heimat, seien gute und auch vertrauliche Gespräche möglich oder mit ihren Mitarbeitern – wo nicht gleich alles, was sie sage "einen Marktwert" bekomme.

Pflege

"Wir versuchen, die Pflegeberufe attraktiver zu machen: kein Schulgeld in der Ausbildung mehr, Kranken- und Altenpflegeausbildung zusammengelegt, Bemühen um Tariflöhne." Und: Die jungen Menschen müssten auch überzeugt werden, dass es sehr schöne Berufe seien.

Die Probleme der ambulanten Intensivpflege, vorgetragen von der Leiterin eines örtlichen Pflegedienstes, waren Merkel in dem Ausmaß nicht bekannt. Die Intensivpflege ist vor allem unterfinanziert. "Das werde ich mitnehmen und morgen früh 'einspeisen'" – in die Befassung im politischen Raum, meint Merkel.

Fischerei

Erinnert an ein Foto aus ihrem ersten Wahlkampf 1990, auf dem sie mit den Fischern von Lobbe auf Rügen in einer Hütte sitzt, berichtet Merkel, dass sie zu den Fischern Kontakt gehalten habe und deren Probleme kenne: Auflagen wegen der Fischnetze, Kormorane, fehlende Vermarktungsketten für die Küstenfischer. Die meisten Auflagen kämen von der Europäischen Union. Sie hätte sich gewünscht, hier mehr zu erreichen. Doch sie kann darauf verweisen, dass Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der EU ausgehandelt habe, dass kleine Küstenfischer weiterhin Dorsch fangen dürften, für den ab 2020 ein Fangverbot besteht.

Barrierefreier bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit Behinderung

"Das müssen wir besser in die gesamte Stadtplanung einbeziehen."

Ihre Zukunft, Tierliebe und der perfekte Tag

"30 Jahre Politik sind ein langer Lebensabschnitt." Politische Ämter wolle sie nach 2021 nicht mehr ausüben. Merkel beobachtet gerne Tiere, vor allem in der Wildnis: Hasen, Rehe, Vögel – "ich finde Kraniche wunderschöne Vögel". Aber sie finde auch Erdkröten und Fledermäuse interessant, weil sie Zeichen einer intakten Umwelt seien.

Der perfekte Tag – ist auf keinen Fall planbar. "Ich muss immer erreichbar und verfügbar sein, kann nicht sagen: habe gerade den perfekten Tag, in 24 Stunden können Sie mich wieder anrufen." Aber wenn es sich ergebe, wäre das: länger schlafen, in Ruhe frühstücken, an der frischen Luft gewesen sein und abends mit dem Mann oder Freunden plaudern, in die Oper oder ins Theater gehen, ein Buch lesen.

Was soll über Merkel in den Geschichtsbüchern stehen?

"Sie hat sich bemüht." Der Saal lacht.

Gefreut hat sich sicher auch Humboldt-Pinguin-Weibchen Alexandra, denn die Kanzlerin hat sie besucht. Merkel ist dessen Patin im Ozeaneum. "Sie sieht gerade nicht so schmuck aus. Sie mausert sich", weiß die Kanzlerin zu berichten.