Gesundheitsforschung
Oftmals kommt es nach einer Grippe zu einer Koinfektion – wenn neben Influenza-Viren auch bakterielle Erreger den menschlichen Körper befallen. Dieses Phänomen haben Forschende aus Mecklenburg-Vorpommern untersucht - ein Gespräch mit dem Leiter des Projekts KoInfekt, Professor Sven Hammerschmidt.
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Was macht Koinfektionen so gefährlich?
Professor Sven Hammerschmidt: Bei den meisten Infektionen breitet sich nur ein krankmachender Erreger in unserem Körper aus. In gut einem Drittel der Fälle kommt es jedoch zu einer Infektion mit zwei verschiedenen Erregern, zumeist Viren und Bakterien. Das bedeutet eine hohe Belastung für den menschlichen Körper. Viele Patienten schleppen sich über Tage durch und gehen nicht zum Arzt. Irgendwann kann es allerdings zu schwerwiegenden Komplikationen wie einer Lungenentzündung kommen. In unserem Projekt haben wir untersucht, wie Koinfektionen frühzeitiger erkannt und behandelt werden können.
Wie kann man sich den Verlauf dieser doppelten Infektion vorstellen?
Hammerschmidt: Influenza-Viren wirken wie ein Dosenöffner für nachfolgende bakterielle Infektionen. Sie schwächen die Immunabwehr und schädigen somit die körperlichen Barrieren. Dann haben Bakterien wie zum Beispiel Pneumokokken, Staphylokokken und Streptokokken, die im Fokus unserer Untersuchungen standen, ein relativ leichtes Spiel. Die Bakterien befallen oftmals die Atemwege und führen in Kombination mit den Viren zu schwersten Krankheitsverläufen, nicht selten bis zum Tod.
Im Winter wurde befürchtet, dass es zu einem Zusammentreffen der Covid-19-Pandemie mit der Grippewelle kommt. Sind diese Befürchtungen berechtigt?
Hammerschmidt: Zur Interaktion beider Viren gibt es noch viele Fragezeichen, es fehlen dazu noch wissenschaftliche Studien. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Hygienemaßnahmen zu einer deutlichen Eindämmung der Grippewelle und zu einer schwächeren Verbreitung von Pneumokokken geführt haben. Es kann zu einer Infektion mit beiden Erregern kommen, aber das ist bislang kein häufiges Phänomen.
Sie sagten, dass bakto-virale Koinfektionen mit schwersten Krankheitsverläufen verbunden sein können. Ist die Medizin auf diese Fälle vorbereitet?
Hammerschmidt: Es gibt noch großen Forschungsbedarf. Die entsprechenden bakteriellen Erreger sind zwar gut bekannt und können vielfach noch gut mit Antibiotika behandelt werden. Doch uns fehlen Strategien für die Bekämpfung und vor allem Früherkennung von Koinfektionen. Wichtige Fragen sind noch unbeantwortet: Wie entwickeln sich bestimmte Koinfektionen? Wie reagiert das Immunsystem auf das Zusammenspiel verschiedener Erreger? Welche molekularen Biomarker eignen sich zur Identifizierung von Infektionen? Wie können wir den Erfolgsverlauf einer Therapie überprüfen?
Es gibt also noch keine Strategien zur Eindämmung?
Hammerschmidt: Die wirksamste Maßnahme sind Impfungen. Diese helfen gegen die Ausbreitung der Influenza und bislang auch gegen ein Viertel der Subtypen von Pneumokokken. Nur gegen Staphylokokken kann man sich noch nicht impfen. Pneumokokken können, wie gesagt, schwere Erkrankungen wie Hirnhaut- oder Lungenentzündungen verursachen. Dieser Erreger verändert sich immer wieder, es bilden sich neue Subtypen, die Verteilung ändert sich. Eine Zahl zur Verdeutlichung des Problems: Jährlich sterben weltweit eine Millionen Kinder insbesondere in Entwicklungsländern an den Folgen einer Pneumokokken-Infektion. Daher sollte die Entwicklung neuer Impfstoffe vorangetrieben werden.
Welche Erreger sind besonders problematisch – vor allem im Hinblick auf Multiresistenzen?
Hammerschmidt: Es sind die weithin bekannten Erreger. Dazu zählt der gegen Methicillin resistente Staphylococcus aureus, kurz MRSA. Zudem lassen sich zunehmende Resistenzen gegen Penicillin bei Pneumokokken beobachten. Gleiches gilt für Mycobakterien, die Tuberkulose auslösen. Hier gibt es ebenfalls seit Jahren eine Zunahme von Antibiotika-Resistenzen. Tuberkulose wiederum stellt eine häufige Koinfektion im Zusammenspiel mit HIV-Viren dar. In vielen armen Ländern ist Tuberkulose die Todesursache Nummer eins bei Aids-Patienten.
Zum Abschluss noch eine kurze Bilanz zum Projekt KoInfekt: Welchen Handlungsbedarf konnten Sie aufgrund Ihrer Forschungsarbeit identifizieren?
Hammerschmidt: Wir müssen die Diagnostik von Koinfektionen verbessern, vor allem den zeitlichen Verlauf besser analysieren. Anzeichen für Koinfektionen lassen sich bereits in der Atemluft feststellen. Auf dieser Basis sind völlig neue Diagnoseverfahren denkbar, mit denen sich die Erreger deutlich schneller nachweisen lassen. Ich denke da an eine Art Schnelltest wie er für SARS-CoV-2 entwickelt wurde und bislang sehr erfolgreich eingesetzt wird. Gleichzeitig sollten wir die Impfstoff-Forschung auf verschiedenen Ebenen vorantreiben – wie es geht, das zeigt die aktuelle Pandemie. Hier bieten die neuartigen mRNA-Impfstoffe das größte Potenzial für die Zukunft.
Im Projekt KoInfekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen der Universität Greifswald, des Friedrich-Loeffler-Instituts sowie der Universitätsmedizin in Greifswald und Rostock das gefährliche Zusammenspiel von Infektionen mit Grippeviren und bakteriellen Infektionen untersucht. Das Vorhaben wurde im Rahmen des Exzellenzforschungsprogramms Mecklenburg-Vorpommern mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert.