Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Vorsitzenden internationaler Wirtschafts- und Finanzorganisationen

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christine Lagarde (IWF), Jim Yong Kim (Weltbank), Angel Gurría (OECD), Roberto Azevêdo (WTO), Guy Ryder (ILO)

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Der erste Teil des Treffens der Bundeskanzlerin mit den Chefs der Wirtschafts- und Finanzorganisationen ist vorbei. Es schließt sich dann noch ein Arbeitsabendessen an, aber vorher sollen Sie informiert werden. - Frau Bundeskanzlerin, bitte.

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir uns in einer schon fast als Tradition zu bezeichnenden Folge heute wieder mit den Chefs der internationalen Organisationen OECD, ILO, WTO, IWF und Weltbank treffen konnten und wichtige Themen besprechen konnten. Wir haben diese Treffen inzwischen seit 2007 immer wieder jährlich durchgeführt. Ich glaube, das hat auch dazu geführt, dass international klarer geworden ist, dass die globalen Organisationen unverzichtbar geworden sind bei der Gestaltung einer gerechteren, wirtschaftlich starken und sozialen globalen Welt, deren Probleme ja vielfältig sind.

So freue ich mich, dass wir heute wieder über vier Themen sprechen konnten, die alle von großer Bedeutung sind.

Das war einmal die Lage der Weltwirtschaft, natürlich auch mit einem Schwerpunkt auf den Gegebenheiten in Europa und auch ganz besonders in der Eurozone, aber auch mit Blick auf andere Regionen der Welt. Zu diesem Thema haben insbesondere Christine Lagarde und Angel Gurría ihre Sichtweise dargelegt.

Das war zum Zweiten, dass wir uns vertieft mit dem Thema der Arbeitslosigkeit - insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit - befassen konnten. Dazu hat uns Guy Ryder von der ILO einen Einblick gegeben.

Dann gab es einen Bericht der WTO von Robert Azevêdo, der heute zum ersten Mal an diesem Treffen teilnimmt und den ich deshalb besonders herzlich begrüße, in dem es um die multilaterale Handelspolitik ging, die neben all den bilateralen Freihandelsabkommen doch weiterhin eine wichtige Rolle spielen soll. Wir wissen alle, dass der Handel auch einen Beitrag zum weltwirtschaftlichen Wachstum leisten kann.

Last, but not least, hat uns Jim Yong Kim, der Chef der Weltbank, über die Erreichung der Millennium Development Goals, also der Entwicklungsziele, berichtet, aber vor allen Dingen auch über die vorbereitende Arbeit, die für die Fortsetzung dieser Ziele jetzt läuft und im nächsten Jahr bei den Vereinten Nationen auch abgeschlossen werden soll.

Für Deutschland ist in diesem Jahr die Tatsache, dass all die Chefs der internationalen Organisationen hier sind, auch noch einmal eine gute Grundlage, um unsere G7-Präsidentschaft für das nächste Jahr vorzubereiten. Denn im nächsten Jahr werden sowohl die internationale Klimakonferenz Ende 2015 als auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen, bei der es um die Millenniumsziele geht, stattfinden. Wir können die G7-Präsidentschaft nutzen, um hierfür unter den Industrieländern schon vorbereitende Arbeiten durchzuführen und damit einen Beitrag zu einem - gewünschten - Erfolg dieser internationalen Konferenzen zu leisten. Das wird nicht einfach sein, insbesondere auch, was die internationale Klimakonferenz anbelangt. Wir alle kommen von Kopenhagen und wissen: Dort waren die Erwartungen hoch und die Enttäuschungen groß. Ich habe mit dem französischen Präsidenten François Hollande aber auch besprochen, dass Deutschland alles daransetzen wird, zu helfen, dass diese Konferenz ein Erfolg wird.

Wir waren uns einig, dass wir große Krisen ein Stück weit gemeistert haben, aber dass uns das bei keiner dieser Krisen Anlass dazu gibt, bereits die Hände in den Schoß zu legen. Insbesondere die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - ich denke hierbei auch an die Eurokrise - ist nach wie vor das zentrale Thema, das auch in den nächsten Jahren gelöst werden muss. Deshalb haben die Themen Strukturreformen, gute Bildung und Arbeit der Zukunft eine zentrale Rolle gespielt hinsichtlich der Frage: Wie kann auch Europa aus seinen Problemen herauskommen?

Ich möchte abschließend noch einmal Danke sagen für die Bereitschaft, hierherzukommen und zum Teil auch weite Reisen auf sich zu nehmen, und möchte Sie alle noch einmal herzlich begrüßen.

Lagarde: Danke schön! Es ist mir eine Freude, dass ich heute wieder bei Ihnen sein kann. Es ist das dritte Mal, dass ich Ihrer Einladung Folge leisten kann und hier sein kann. Ich denke, es ist eine sehr wertvolle Initiative Deutschlands und der Bundeskanzlerin, dass sie uns hier gemeinsam zu einer solchen Arbeitssitzung zusammenbringen.

Vom makroökonomischen Standpunkt aus - dazu wurde ich ja befragt - kann ich nur Folgendes sagen: Ich konnte feststellen, dass sich die weltwirtschaftliche Lage verbessert. Wir kommen von einem Wachstum von 3 Prozent im letzten Jahr vermutlich zu einem Wachstum von 3,6 Prozent in diesem Jahr, und für das nächste Jahr sehen wir 3,9 Prozent voraus. Das wird im Wesentlichen darauf zurückzuführen sein, dass die Industrieländer Fortschritte erzielen, denn das Wachstum der Schwellenländer ist im Moment etwas verlangsamt; sie haben gerade auch im Bereich der Finanzierung eingeschränktere Möglichkeiten.

Des Weiteren stellen wir fest, dass die Inflation in der Eurozone, aber vor allem auch insgesamt bei den Industrieländern im Moment dauerhaft niedrig - fast zu niedrig - ist. Auch das Rückführen der Politik des lockeren Geldes seitens der Fed hat natürlich entsprechende Effekte auf die Schwellenländer und ihre Wirtschaften.

Der dritte Faktor, der vor sechs Monaten noch nicht so sehr im Fokus stand, ist das geopolitische Risiko vor allen Dingen im Herzen Europas, das wir zurzeit zu gewärtigen haben.

Was die Politik in der Zukunft angeht, so muss man sich auf zwei Ziele konzentrieren, nämlich Wachstum und Arbeitsplätze. Die Politik, die wir dazu empfehlen würden, wäre für die Vereinigten Staaten und die Industrieländer insgesamt die allmähliche Rückführung des leichten Geldes - was aber auch entsprechend kommuniziert werden muss -, die Vervollständigung der Bankenunion und die Vervollständigung dessen, was sich alle Industrieländer hinsichtlich der Reform des Finanzsystems, der Finanzmärkte insgesamt vorgenommen haben, damit man dann sozusagen auch eine gemeinsame, gleiche Ausgangslage hat. Was die Schwellenländer betrifft, so empfehlen wir, dass man die Wechselkurse nutzt, um zu versuchen, die Politik in den Bereichen weiter voranzutreiben, in denen man sich Fortschritte wünscht.

Gurría: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Heute haben wir der Bundeskanzlerin den Deutschland-Bericht vorgestellt; wir stellen ihn hier regelmäßig vor. Dazu möchte ich sagen, dass Ihr Zeugnis sehr gut ist - herzlichen Glückwunsch.

Ich kann Ihnen sagen, dass viele der Probleme, die in der Welt zu finden sind, Deutschland weniger betreffen; Deutschland ist da die positive, löbliche Ausnahme, insbesondere beim Wachstum, bei den niedrigen Arbeitslosenzahlen, die sogar niedriger als vor der Krise sind, sowie was die bewundernswerte Fähigkeit der Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft, den Gewerkschaften und der Regierung, die vorbildlichen Leistungen im Bereich der Exportwirtschaft, die Innovationsfähigkeit, neue Technologien und das Zusammenbringen neuer Technologien mit den traditionellen Bereichen im industriellen Gewerbe, im fertigenden Gewerbe, betrifft. All das ist sehr gut. Kurz gesagt: Herzlichen Glückwunsch! Es gibt einige Probleme, die wir angesprochen haben, beispielsweise im sozialen Bereich; insgesamt ist das aber ein sehr gutes Zeugnis.

Wir haben natürlich auch die weltweiten Probleme besprochen. Es geht uns besser als beim letzten Mal, als wir hier waren - wir hatten letztes Mal ziemlich lange Gesichter. Wir sind aber immer noch nicht über den Berg. Wir tragen immer noch das Vermächtnis der Krise mit uns, schleppen diese Bürde mit uns herum: niedrigere Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit und eine große Vertrauenskrise. Diese Dinge müssen wir durch Handel, durch Investitionen, durch Kredite angehen. All das läuft erst bei halber Kraft. Es gibt Verbesserungen, aber sie gehen noch langsam vonstatten. Das heißt, jetzt geht es darum, wie wir diese Themen angehen.

Wir haben im Bereich der Währungspolitik eigentlich ungefähr alles getan, was möglich ist. Die Fed reduziert den Stimulus inzwischen schon wieder, Japan stimuliert noch immer, und die EZB ist vielleicht diejenige Zentralbank, die hier noch am meisten tun muss.

Was die Haushaltspolitik angeht, können wir nicht die Ausgaben weiter erhöhen. Wir haben die Ausgaben in den letzten fünf Jahren bereits um 30 Prozent erhöht und müssen das Haushaltsdefizit jetzt zurückbringen, wir müssen Konsolidierung betreiben.

Wir wissen also: Wir können mit der Währungspolitik nicht mehr viel machen und wir können auch im Bereich der Finanzpolitik nicht mehr sehr viel machen. Was können wir also noch machen? Wir können Strukturreformen durchführen und wir können bei Bildung, Innovation, Wettbewerb, den Steuersystemen der einzelnen Länder, den Regelwerken in den Ländern sowie der Infrastruktur und dem Umgang damit noch etwas tun. Außerdem können wir bei Fachkräften und Fachwissen noch etwas tun. Dabei geht es um die Frage: Bilden wir unsere jungen Leute angemessen aus, sodass sie die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes befriedigen? Wir haben festgestellt, dass das nicht der Fall ist; hier ist wirklich noch sehr viel zu tun. Bei Forschung und Entwicklung müssen wir uns fragen: Wird das in den richtigen Sektoren und von den richtigen Akteuren betrieben, gibt es ausreichende Verbindungen zwischen der Grundlagenforschung und den marktorientierteren Bereichen, also mit den Unternehmen, die ihre Produkte dann vertreiben können?

Mit all diesen Dingen haben wir es also zu tun. Wie ich bereits gesagt habe, ist das eine sehr schwere Bürde, die aufgrund der Krise noch auf uns lastet. Wir sind noch nicht über den Berg. Christine Lagarde und die Bundeskanzlerin haben über einige der Risiken gesprochen, mit denen wir noch immer zu tun haben. Wir müssen immer auch ein wenig über die Schulter schauen, um zu sehen, ob da nicht doch noch ein wenig der Schatten dieser Risiken hinter uns ist. Es gibt eine Versuchung im Bereich der Politik: Es gibt die Versuchung hin zum Protektionismus. Protektionismus im Handelsbereich, bei den Investitionen und auch im Bereich der Währungen sowie der Bewertung der Währungen ist in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Wachstums eine große Versuchung.

Das ist also insgesamt eine Situation, die sich verbessert, aber sie ist noch immer schwierig. Es sind immer noch große Anstrengungen seitens der Politiker erforderlich und es ist viel Koordination zwischen den Politikern in der G7 und in der G20 erforderlich. Wir brauchen aber natürlich auch die Art der Zusammenarbeit, die wir hier heute haben. Das ist auf Initiative von Frau Merkel möglich.

Ryder: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, und vielen Dank für diese sehr wertvolle Möglichkeit, hier heute unsere Ideen auszutauschen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass sich seit dem letzten Mal, als wir hier vor ungefähr 18 Monaten zusammenkamen, die Situation doch verbessert hat und es eine Erholung gegeben hat; der Weltwirtschaft geht es sicherlich besser. Aber wenn man das einmal aus der Perspektive des Arbeitsmarktes betrachtet, dann muss man feststellen, dass sich die Situation global gesehen nicht sehr verbessert hat; denn die Arbeitslosigkeit steigt, und das trotz des Wirtschaftswachstums, und es sind ungefähr 40 Millionen Menschen, die jährlich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömen. Das führt natürlich zu großen Problemen für die Zukunft.

Gerade Arbeit für junge Leute ist ein ganz großes Thema. Wir haben heute Nachmittag über Jugendbeschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit gesprochen, und ich fand das sehr nützlich. Wir haben darüber gesprochen, was wir tun müssen, damit das funktioniert, aber wir alle haben festgestellt, dass es keine einfache Antwort gibt. Es geht um Bildung, um die richtigen Arbeitsmarktbestimmungen, um Wachstum - all das spielt eine Rolle. Das ist etwas, worauf wir uns alle einigen können. Wir müssen miteinander sprechen; die Regierungen müssen mit den Arbeitgebern und mit den Gewerkschaften sprechen, und dann muss man gemeinsam Lösungen finden.

Ich denke, Deutschland kann überaus zufrieden sein mit seiner Leistung. Das hat mit Vertrauen, mit Gerechtigkeit und auch mit den Ergebnissen, die in sehr schwierigen Zeiten erzielt wurden, zu tun. Ich muss sagen, dass ich es manchmal schwer habe, Argumente für die Sozialpartnerschaft rüberzubringen, und ich kann dann sagen: Gucken Sie sich an, wie das in Deutschland läuft; denn es geht um die Ergebnisse, nicht um die Theorie.

Ich denke also, das Thema der Arbeitsplätze muss ganz fest in der Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen für die Zeit nach 2015 verankert sein. Wir müssen hier eine ganz klare, verständliche Agenda finden, die auch glaubwürdig ist. Wir müssen etwas beschließen, was wir dann auch wirklich leisten können.

Ich möchte noch ganz kurz auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen: Die internationale Gemeinschaft muss sich mit dem Thema Migration stärker auseinandersetzen. Wir müssen uns auch für die Migration einsetzen, denn es gibt momentan zu viel Raum, das einzuschränken.

Wir haben den Einsturz der Fabrik in Bangladesch vor einem Jahr alle noch vor Augen. Wir müssen uns mit den globalen Zulieferketten beschäftigen, damit nicht die großen Profite an der einen Seite der Zulieferkette eingefahren werden und das auf den Schultern derer, die am unteren Ende der Zulieferkette arbeiten, geschieht.

Vielen Dank!

Azevêdo: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Das ist mein erstes Treffen dieser Art, wie ich schon gesagt habe. Ich habe es als sehr nützlich empfunden. Es ist sehr interessant, hier diese internationalen Organisationen zu haben. Wir haben sehr unterschiedliche Sichtweisen, aber wir ergänzen einander. Wir können auf diese Weise etwas zu dem Wachstum beisteuern.

Ich denke, ich kann hier auch meine Perspektive beisteuern. Ich habe darüber gesprochen, wie der Handel zu Wachstum in der Welt führen kann. Wir haben auch darüber gesprochen, wie das internationale Handelssystem durch andere Initiativen wie zum Beispiel bilaterale Freihandelsabkommen oder auch Freihandelsabkommen zwischen verschiedenen Parteien ergänzt wird. Im September hatten wir die Ministerkonferenz in Bali. Das war ein Erfolg, nicht zuletzt auch dank deutscher Hilfe. Wir haben uns sehr über diesen Erfolg gefreut, und das hat wirklich sehr viel bewirkt.

Ich denke, jetzt in Genf gibt es viel bessere Voraussetzungen für die multilateralen Verhandlungen. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir die Ergebnisse von Bali tatsächlich umsetzen. Wir haben auch heute darüber gesprochen. Gleichzeitig müssen wir aber auch weiter gehen. Wir müssen nach vorne schauen. Wir müssen letztlich versuchen, die Doha-Runde abzuschließen, die seit 2001 offen ist. Wir müssen hier so schnell wie möglich Fortschritte erzielen. Das wird schwierig sein. Multilaterale Verhandlungen dieser Art sind im Handelssystem niemals einfach, aber es ist durchaus möglich. Ich denke, dass wir, wenn wir hier Erfolg haben, tatsächlich auch in einer Position sind, in der wir der Weltwirtschaft einen guten Anstoß geben können, auch in diesen schwierigen Zeiten zu wachsen.

Das heißt, für mich war dieses Gespräch sehr nützlich. Ich hoffe, dass wir weiterhin auf Deutschlands Unterstützung für dieses Handelssystem zählen können.

Kim: Herzlichen Dank! Die Bundeskanzlerin hat bereits davon gesprochen, dass wir einige sehr wichtige Möglichkeiten haben, die vor uns liegen. Sie hat schon das Thema „COP21“, die Verhandlungen in Paris und natürlich die Agenda nach 2015 angesprochen. Hier gibt es Überschneidungen, denn bei den nächsten Millenniumszielen wird es große Nachhaltigkeits- und Klimaziele geben. Bei diesem Prozess ist es so, dass es sehr komplizierte Verhandlungen und Diskussionen gibt. Eine der Arbeitsgruppen hat mehr als 100 mögliche Ziele für die Agenda nach 2015 vorgestellt. Die Möglichkeit, die hier besteht, ist, denke ich, sehr groß. Wir können viel erreichen. Das gilt ganz besonders für Deutschland und für Kanzlerin Merkel.

Weltweite gemeinsame Ziele in Sachen Armutsbekämpfung, Wachstum, Zugang und Gesundheit und Bildung - das sind alles Möglichkeiten, hier große Fortschritte zu erzielen. Beim Thema „Klimawandel“ müssen wir natürlich in den nächsten zwei Jahren schauen, dass wir große Fortschritte erzielen. Es geht wirklich um die nächsten zwei Jahre, was den Weg in die Zukunft angeht.

Frau Bundeskanzlerin Merkel hat uns einen sehr guten Rat gegeben. Sie hat gesagt: Halten Sie es einfach, und sorgen Sie dafür, dass wir wirklich die Versprechen, die Zusagen einhalten können, dass wir also einen Finanzierungsplan haben und das durchführen können. Ich denke, das war ein sehr guter Ratschlag. Wir erwarten, dass die deutsche Führung, die Bundeskanzlerin im Rahmen der G7-Präsidentschaft uns helfen wird, mit einer Stimme zu sprechen, diese Möglichkeit tatsächlich auch zu nutzen und sie nicht zu verpassen, wie es in Kopenhagen geschehen ist. - Vielen Dank!

Frage: Frau Lagarde, Sie hatten als Risiko für die Weltwirtschaft die Situation mitten in Europa angesprochen. Ich vermute, Sie meinen auch die Ukraine. Vielleicht könnten Sie das ein bisschen präzisieren. Wenn sich die Ukraine-Krise etwas mehr zuspitzt, wie glauben Sie dann, dass sich bestimmte Kennzahlen der Weltwirtschaft - Arbeitslosigkeit, Konjunkturdaten usw. - verändern werden?

Wenn wir gerade beim Thema sind: Frau Merkel, wie bewerten Sie die Lage in der Ukraine nach dem Referendum vom Sonntag? Glauben Sie, dass es richtig ist, dass die ukrainische Regierung ablehnt, dass die sogenannten Separatisten an den runden Tischen teilnehmen?

Lagarde: Vielen Dank für Ihre Frage. - Unsere Aufgabe ist es, der Ukraine dabei zu helfen, ihre Regierung zu stabilisieren, die sich natürlich in einer schwierigen Krise befindet. Es geht darum, wieder etwas Stabilität herzustellen. Dafür haben wir ein Programm von über 17 Milliarden Dollar zusammengestellt. Aber das wird natürlich nicht ausreichen. Die 15 Milliarden Dollar, die von anderen internationalen Organisationen zugesagt wurden, und die bilateralen Darlehen werden nötig sein, um die ukrainische Wirtschaft zu stärken. Die Behörden versuchen, hier ihre Zusagen einzuhalten. Aber ohne politische Stabilität wird auch die wirtschaftliche Stabilität schwer herzustellen sein, wird sich das Projekt schlecht umsetzen lassen. Wir hoffen, dass jede betroffene Partei, einschließlich Russland, an diesem Stabilisierungsprozess mitwirken wird. Diese politische Stabilität wird bei den nächsten Präsidentschaftswahlen am 25. Mai auf eine Zerreißprobe gestellt werden.

Die Situation hat natürlich jetzt schon Auswirkungen. Wir haben die Wachstumsprognosen für Russland bereits nach unten korrigiert, und zwar auf 0,2 Prozent für dieses Jahr und 1 Prozent für 2015. Das setzt voraus, dass die Situation gelöst wird. Wenn das nicht der Fall sein wird, dann ist es so, dass die Unsicherheit in der jetzigen Situation die Situation noch weiter verschlechtern würde.

BK’in Merkel: Ich will vorneweg noch darauf hinweisen, dass unsere Überlegungen und auch Schwerpunkte in einer gemeinsamen Erklärung von uns allen zusammengefasst worden sind, die Sie natürlich zur Verfügung gestellt bekommen.

Was die Ukraine anbelangt, so arbeiten wir - die Bundesregierung insgesamt, der Außenminister genauso wie ich - dafür, dass die Wahl am 25. Mai so stattfinden kann, wie das eben auch von Frau Lagarde gesagt wurde. Es sind alle dazu aufgerufen, auch Russland, dazu einen Beitrag zu leisten. Wir glauben, dass die Möglichkeit von runden Tischen unter der Führung der OSZE hierfür eine gute Möglichkeit bietet. Je repräsentativer die runden Tische sind, umso besser ist das. Aber klar ist natürlich auch, dass nur die willkommen sein können, die bereit sind und die glaubhaft machen, dass sie ihre Ziele nicht mit Gewalt erreichen.

Es ist jetzt an allen Gruppen, die mitreden wollen, dieses so glaubwürdig darzustellen, dass sie dann auch an den runden Tischen über den politischen Prozess mit diskutieren können. Je repräsentativer, umso besser. Aber Gewalt zur Lösung der eigenen Probleme darf nicht angewendet werden.

Frage: Frau Merkel, was denken Sie genau über das Ergebnis des Referendums in der Ukraine?

BK’in Merkel: Ich denke, dass das Referendum illegal ist. Deshalb interessiert mich auch das Ergebnis nicht so sehr, sondern ich warte auf die Wahlen am 25. Mai. Ich werde alles daran setzen, mitzuhelfen, dass diese Wahlen dann wirklich repräsentativ sind und von allen auch wahrgenommen werden können.