Frauen sichtbar machen

Interview mit Pauline Tillmann Frauen sichtbar machen

Die Journalistin Pauline Tillmann gründete das digitale Magazin "Deine Korrespondentin", um Frauen und ihre Geschichten in den Fokus zu rücken. Im Gespräch erzählt sie, wie aufregend sie den Medienwandel findet und warum es ihrer Meinung nach mehr weibliche Role Models geben sollte

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Porträtfoto von Pauline Tillmann

Hat den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt: Pauline Tillmann ist Gründerin des digitalen Magazins "Deine Korrespondentin".

Foto: Evgeny Makarov

Seit wann sind Sie selbstständig und wie kam es dazu?

Pauline Tillmann: Ich habe 2007 bis 2009 beim Bayerischen Rundfunk in München volontiert. Danach war ich feste freie Mitarbeiterin. Das heißt, ich hatte einen Zwischenstatus. Richtig frei gearbeitet habe ich als, ich nach Sankt Petersburg gegangen bin. Dort war ich vier Jahre lang freie Auslandskorrespondentin und habe für die ARD über Russland und die Ukraine berichtet. Als ich 2015 nach Deutschland zurückgekommen bin, habe ich weiter als freie Journalistin gearbeitet und für unterschiedliche Medien gearbeitet. Daneben habe ich das digitale Magazin "Deine Korrespondentin" gegründet, dessen Chefredakteurin und Geschäftsführerin ich bin.

Was sollte man mitbringen, um selbst ein Unternehmen zu gründen?

Pauline Tillmann: Mut. Man sollte einfach mutig seinem Herzen folgen und Rückschläge in Kauf nehmen. Die wird es eine Menge geben, aber man sollte sich davon niemals abbringen lassen, seine Visionen zu verwirklichen. Außerdem sollte man sich mit Gleichgesinnten umgeben. Gerade in Deutschland gibt es viel zu viele Bedenkenträger, die einem innovative Projekte schlecht reden. Das sollte man gar nicht erst zulassen. Stattdessen ist es meiner Erfahrung nach sinnvoller, den Kontakt zu anderen Gründer und Gründerinnen zu suchen und sich dort Tipps zu holen beziehungsweise über Learnings zu informieren, um Fehler zu vermeiden. Natürlich macht man als Gründer oder Gründerin dann immer noch ziemlich viele Fehler – Stichwort "Trial-and-Error" – aber man muss ja nicht schwerwiegende Fehler von anderen zwangsläufig wiederholen.

Was ist die größte Herausforderung, die Sie als selbstständige Journalistin und Gründerin meistern müssen?

Pauline Tillmann: Ich war immer davon überzeugt, dass ich nur vom Journalismus leben kann. Das hat sich bis heute bewahrheitet. Ich habe niemals PR-Jobs angenommen – würde das aber auch nicht grundsätzlich verurteilen, solange man es transparent macht. Das größte Problem ist, dass Artikel heutzutage nicht mehr gut bezahlt werden und mein Geschäftsmodell nur deshalb funktioniert, weil ich multimedial aufgestellt bin und Geschichten mehrfach verwerten kann. Das heißt, ich kann Artikel schreiben, aber genauso gut Radio-Beiträge zum gleichen Thema produzieren. Deshalb kann ich von meiner Arbeit leben. Andere Journalisten und Journalistinnen, die nur ein Medium bedienen können, tun sich da mit Sicherheit zunehmend schwerer.

Ist es für Frauen schwieriger, ein eigenes Unternehmen zu gründen, oder gibt es da keine Unterschiede zu Männern?

Pauline Tillmann: Statistiken besagen, dass nur 14 Prozent der Gründer und Gründerinnen Frauen sind. Das hat sicher damit zu tun, dass es mit einem großen Risiko verbunden ist, ein Startup zu gründen. Die meisten Startups scheitern – und führen nicht dazu, dass man mittelfristig zum Teil oder sogar vollständig davon leben kann. Wenn man jung ist, ist das vielleicht nicht so relevant. Die meisten Gründer und Gründerinnen sind aber Anfang oder Mitte 30, da spielt es durchaus eine Rolle, ob man davon auch eine Familie ernähren kann – oder eben nicht.

Ich glaube schon, dass Männer grundsätzlich risikofreudiger sind und so ein Projekt mitunter als Abenteuer sehen. Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn noch mehr Gründerinnen sichtbar wären – Stichwort Role Models – um anderen Frauen Mut zu machen, diese Option ernsthaft in Betracht zu ziehen. 

Wie können Frauen aus Ihrer Sicht ermutigt werden, mit einer Geschäftsidee den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?

Pauline Tillmann: Sie sollten noch mehr Coaching- und Beratungsangebote vorfinden. Wenn man aus dem klassischen Journalismus kommt, ist es eher unwahrscheinlich, dass man zusätzlich betriebswirtschaftliche Kenntnisse vorweisen kann. Dieses Business-Know-how ist aber essentiell, wenn es darum geht, ein Unternehmen zu gründen – und viel wichtiger – zum Erfolg zu führen. Da geht es um Dinge wie einen soliden Businessplan, um Zielgruppenanalyse, Online-Marketing, Liquiditätsraten und vieles mehr. Um mehr Frauen zu ermutigen, bräuchte es deshalb aus meiner Sicht eine Anlaufstelle, um auf Augenhöhe wesentliche Aspekte zum Thema Gründen zu besprechen.

Wie sind Sie darauf gekommen, "Deine Korrespondentin" zu gründen?

Pauline Tillmann: Ich war im Herbst 2014 mit einem Recherchestipendium drei Monate in den USA und habe zur Zukunft des Journalismus zahlreiche Interviews geführt. Daraus ist ein Radiofeature und das eBook "10 Trends für Journalisten von heute" entstanden, das man sich kostenlos herunterladen kann. Die vielen Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen von New York Times, BuzzFeed, Washington Post, Facebook, aber auch mit vielen Startup-Gründern haben mich so inspiriert, dass ich mein eigenes Unternehmen gründen wollte. Ich wollte den Medienwandel aktiv mitgestalten. Denn klar ist: Der Journalismus wird im Moment neu gedacht und es wahnsinnig aufregend, innovative Dinge einfach auszuprobieren.

Wie haben Sie Ihre Korrespondentinnen gefunden?

Pauline Tillmann: Die ersten Korrespondentinnen, mit denen ich 2015 das Crowdfunding für die Anschubfinanzierung gestartet habe, habe ich persönlich angesprochen. Inzwischen haben wir einige Bewerbungsrunden hinter uns, bei denen immer wieder neue Korrespondentinnen dazu gestoßen sind. Ich werde jede Woche von neuen Korrespondentinnen angeschrieben, die gerne Teil des Netzwerks wären, aber ich kann nicht mehr als zehn gleichzeitig koordinieren. Deshalb bewegt sich die Zahl immer um diesen Dreh herum.

Wieso ist es Ihrer Meinung nach schwieriger, in den herkömmlichen Medien Berichte über Frauen unterzubringen?

Pauline Tillmann: Untersuchungen zeigen, dass fünf Mal mehr über Männer als über Frauen berichtet wird. Wir wollen das aktiv ändern und die Sichtbarkeit von spannenden Frauen erhöhen. Dass Frauen nicht so oft in der Berichterstattung vorkommen, hat natürlich mit vielen (Führungs-)Positionen zu tun, die noch immer mehrheitlich männlich besetzt sind. Hinzu kommt, dass Frauen nicht auf jedes Thema aufspringen und ihre Meinung kundtun. Das heißt, es gibt zwar Expertinnen, aber sie treten weniger laut auf als ihre Kollegen. Man muss Frauen immer noch dazu ermutigen, an Podiumsdiskussionen teilzunehmen und sich damit angreifbar zu machen. Und last but not least: Viele Redaktionen sind männlich besetzt. Nehmen wir die Auslands- oder Politikressorts: Dort sitzen mehrheitlich Männer, die nicht verstehen, warum sie ein großes Porträt einer argentinischen Umweltaktivistin ins Blatt hieven sollen, die seit 20 Jahren gegen Monsanto kämpft. Frauen in ähnlichen Positionen begreifen sofort, dass sie damit ihr Alleinstellungsmerkmal stärken und noch mehr Leserinnen ansprechen.

Würden Sie anderen Journalisten und Journalistinnen auch zur Selbstständigkeit raten?

Pauline Tillmann: Junge Kollegen und Kolleginnen streben oftmals eine Festanstellung an, was mich regelmäßig überrascht. Ich sage immer: frei ist das neue fest. Soll heißen: Es wird in Zukunft noch viel mehr freie Journalisten und Journalistinnen geben. Das ist auch gar nicht schlimm, solange man wirtschaftlich arbeitet und nicht dazu tendiert, sich dauerhaft selbst auszubeuten.

Ich habe das mit "Deine Korrespondentin" ehrlicherweise auch jahrelang gemacht. Aber jetzt sind wir nach vier Jahren endlich soweit, dass ich alle laufenden Kosten decken und mir so etwas wie eine Aufwandspauschale ausbezahlen kann. Auch wenn Geld nicht alles ist – dass sich die Kraft und die Zeit, die ich in das Projekt gesteckt habe, jetzt endlich auch monetär auszahlt, fühlt sich unglaublich gut an.

Eine Kollegin hat mal gesagt: "Ich kann es mir gar nicht leisten, festangestellt zu sein." Und wenn man bedenkt, dass die etablierten Medienhäuser in den nächsten Jahren sicher noch die eine oder andere Entlassungswelle vornehmen werden, ist an diesem Spruch durchaus viel Wahres dran.