Diskussion mit Bundeskanzlerin Merkel am Lowy Institut für Internationale Politik

Direktor Fullilove: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank für diese wirklich reiche Vorlesung, in der Sie verschiedene Themen - von der Wirtschaft über das Klima bis zu den bilateralen Beziehungen zwischen Australien und Deutschland - angesprochen haben. Wir haben jetzt ungefähr 25 Minuten für Fragen. Ich beginne einmal mit der ersten und werde dann den Zuschauern die Möglichkeit geben, Ihnen eine Frage zu stellen.

Frau Bundeskanzlerin, meine bezieht sich auf das erste Thema, das Sie heute erwähnt haben. Als die Berliner Mauer fiel, war Wladimir Putin ein KGB-Agent in Dresden. Kein westlicher Führer kennt Herrn Putin besser als Sie. Wir haben heute Morgen gelesen, dass Sie bilaterale Gespräche in Brisbane mit Herrn Putin hatten. Meine Frage: Wie können wir Herrn Putin beeinflussen? In den letzten paar Monaten gab es ein starkes Sanktionsprogramm gegen Russland, und wie Sie wissen hat Russland eine endlose Kapazität, etwas zu ertragen, und wir sehen, dass die Sanktionen seine Popularität nur steigern. Was wäre die beste Zuckerbrot-und-Peitschen-Strategie in diesem Falle?

BK’in Merkel: Ich möchte aber Wert darauf legen, dass ich Herrn Putin nicht gekannt habe, als er in der DDR gearbeitet hat, sondern die Bekanntschaft erst aus der Zeit nach der deutschen Einheit herrührt.

Wir brauchen im 21. Jahrhundert für bestimmte politische Erfolge einen langen Atem. Wenn man die deutsche Teilung nach einem halben Jahr für endgültig erklärt hätte, dann wären wir nicht weit gekommen bei der Überwindung des Kalten Kriegs. Es gibt Dinge, die dauern eine ganze Weile und die erfordern auch sehr, sehr viel Glauben an die Richtigkeit des eigenen Weges. Ob er richtig war oder nicht, stellt sich in der Geschichte manchmal erst sehr viel später heraus.

Wir hatten jetzt dieses Gedenkjahr, und wir in Deutschland und ganz Europa haben uns eigentlich darauf konzentriert, Gedenkveranstaltungen durchzuführen und über die Vergangenheit zu sprechen. Und plötzlich sind wir mit einem Konflikt konfrontiert, der sozusagen in das Zentrum unserer Werte geht. Jetzt können wir nicht mehr Reden zu Gedenkstunden halten, sondern jetzt müssen wir irgendwie zeigen, was wir nun aus all dem gelernt haben. Da man aber die Zukunft nicht voraussehen kann, ist es nicht einfach, den richtigen Weg zu finden.

Wir wissen aus der Geschichte, dass man nicht zu friedfertig sein darf, dass man Worte schon ernst nehmen sollte und genau hinhören sollte. Wir wissen auf der anderen Seite, dass regionale Konflikte sich sehr schnell zu einem Flächenbrand ausweiten können. Wir haben aus diesem Grunde die Schlussfolgerung gezogen: Militärisch ist dieser Konflikt nicht zu lösen. Das würde in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland führen, die mit Sicherheit keine lokale wäre. Auf der anderen Seite kann man nicht sagen: Weil wir das militärisch nicht lösen können, können wir es überhaupt nicht lösen.

Was haben wir jetzt für Mittel? Wir haben die Frage unserer ökonomischen Kraft, und wir sind jetzt aufgefordert, auch eigene Nachteile durch die Sanktionen in Kauf zu nehmen. Ich glaube aber, die Wirtschaftskraft ist schon eine Stärke der westlichen Staaten, und deshalb sollten wir sie an dieser Stelle einsetzen - aber nicht als Selbstzweck.

Jetzt ist die Frage: Wie lange muss man warten? Da denke ich an meine persönliche Erfahrung aus der Geschichte der DDR: Wie viele hatten schon aufgegeben? Es gab Radiosender, die haben 40 Jahre lang erklärt, dass die DDR nicht Bestand haben wird, aber am Ende haben selbst die es fast schon aufgegeben, daran zu glauben, dass die DDR noch zusammenfällt. Und als eigentlich fast keiner mehr daran geglaubt hat, da ist es passiert. Ein paar haben immer dazugehalten. Wenn Sie sich heute einmal die Zitate anschauen, wer im Jahre 1990 was über den Bestand der deutschen Einheit oder den Bestand der Mauer und die Zukunft der deutschen Einheit gesagt hat, dann sehen Sie: Da gab es Richtiges und da gab es Falsches.

Deshalb darf man sich nicht beirren lassen. Wenn die Popularität einmal kurzfristig steigt, dann steigt sie eben. Wenn wir nicht daran glauben, dass unsere Werte so viel wert sind, dass sie sie sich irgendwann durchsetzen, dann brauchen wir auch unsere Sonntagsreden nicht mehr zu halten. Deshalb habe ich da ein ganz sicheres Gefühl, dass das von der Grundrichtung stimmt und dass die größte Gefahr ist, dass wir uns auseinanderdividieren lassen - in Europa oder auch in der Welt. Deshalb ist es die ganze Zeit über sehr, sehr wichtig gewesen, dass Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika einen gleichen Weg gegangen sind. Das ist nicht immer einfach. 28 Staaten in Europa sind oft viel langsamer darin, Entscheidungen zu fällen, als ein amerikanischer Präsident oder ein amerikanischer Kongress das sind. Der amerikanische Präsident Barack Obama hat immer darauf gesetzt, dass wir das gemeinsam tun müssen. Das halte ich für absolut richtig. Diesen Weg müssen wir fortsetzen.

Direktor Fullilove: Noch eine weitere Frage zu diesem Thema: Wie reagieren Sie auf die Kritik des Westens oder der westlichen Politik, die sagen, dass der Westen Putin geschaffen hat, indem Sie sich nach Osten, in die russische Einflusssphäre, erweitert haben?

BK’in Merkel: Das ist jetzt die Frage: Gibt es nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa die Möglichkeit, dass die Menschen eines Landes selbst für sich bestimmen können, was sie wollen? Wenn die Mehrheit der Menschen in der Ukraine sich entschieden hätte, dass sie gerne der eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland, Kasachstan und Weißrussland beitreten möchten, dann hätte in ganz Westeuropa kein Mensch auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass wir deshalb an der polnisch-ukrainischen Grenze mit denen irgendeinen Krach anfangen, sondern wir hätten gesagt: „Bitte schön, wenn das euer Wunsch ist, macht es.“ Wenn sich umgekehrt die Menschen in der Ukraine entschieden haben, dass sie mehrheitlich gerne ein Assoziierungsabkommen mit der EU machen wollen, dann stand die Frage im Raum, ob wir ihnen sagen sollten: „Nein, passt mal auf, das dürft ihr nicht - da kriegen wir alle Ärger, und weil wir den Ärger kriegen, müssen wir stillhalten.“

Jetzt will ich ganz deutlich sagen: Ich habe mich im Jahre 2008 bei einem Nato-Gipfel in Bukarest gegen nahezu alle Nato-Mitgliedstaaten dagegen ausgesprochen - nicht ich alleine, sondern die deutsche Bundesregierung, aber ich war Bundeskanzlerin -, dass die Ukraine einen Membership Action Plan bekommt, also einen Schritt auf die Nato-Mitgliedstaaten zumacht, weil ich damals gesagt habe - und das würde ich heute bezüglich der Nato wieder sagen -, dass hier noch einmal eine andere Qualität vorliegt und dass man da zumindest vorsichtig sein muss. Bei der Frage eines Handelsabkommens oder eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union bin ich aber der Meinung: Es kann nicht sein, dass man das einem Land verbietet und es sich nicht frei entscheiden kann. Es ist schon schwierig genug bei der Nato, und viele sind da auch anderer Meinung, aber bei dieser Frage muss es möglich sein.

Insofern sollten wir uns jetzt nicht selbst bezichtigen. Selbst der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch, der ja nun wirklich russlandfreundlich war, hat alles darangesetzt, immer wieder mit der EU zu verhandeln, um dieses Abkommen zu unterschreiben. Ansonsten müssen wir sagen: „Wir sind so schwach, passt auf, Leute, wir können keinen mehr aufnehmen - wir fragen erst in Moskau nach, ob das möglich ist.“ So war es ja 40 Jahre lang oder länger, und dahin wollte ich eigentlich nicht wieder zurück. Es geht ja nicht nur um die Ukraine, sondern es geht um Moldawien, es geht um Georgien. Wenn das so weitergeht, kann man fragen: Muss man bei Serbien fragen, muss man bei den Westbalkanstaaten fragen? Das ist jedenfalls nicht vereinbar mit unseren Werten.

Direktor Fullilove: Vielen Dank! - Meine Damen und Herren, wir werden jetzt Fragen von den Zuschauern nehmen.

Frage: Machen Sie sich Sorgen über das Davontreiben der Politik des Vereinten Königreichs von Europa, wie sehen Sie das?

BK’in Merkel: Ich hoffe ja, dass das Davontreiben nicht stattfindet, aber ich sage ganz einfach: Sorgen ist kein guter Ratgeber. Ich tue, was in meiner Kraft liegt, dafür zu werben, dass Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibt, und zwar aus richtigem deutschem Interesse. Was die Briten für sich entscheiden, das ist ihre Entscheidung, das werden sie sich nicht von anderen vorschreiben lassen - im Gegenteil. Aber das Interesse Deutschlands ist, Großbritannien in der Europäischen Union zu haben. Großbritannien ist ein weltoffenes Land, Großbritannien ist ein innovatives Land. Großbritannien hat einen anderen Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika und auch hier in Ihre Region, als das alle kontinentaleuropäischen Länder haben. Deshalb brauchen wir Großbritannien; denn Großbritannien hilft uns, nicht zu vergessen, was sonst auf der Welt noch los ist. Wir Kontinentaleuropäer neigen manchmal dazu, den Durchschnitt von uns selbst zu bilden und dann zu glauben, wir seien schon wichtig auf der Welt. Großbritannien hilft uns dabei, diesen Prozess nicht so zu sehen. Deshalb werde ich alles dafür tun - und ich hoffe, dass uns das vielleicht gelingt -, dass Großbritannien doch Mitglied der Europäischen Union bleibt. Bis jetzt gehe ich davon erst einmal aus. Nun neigen die Briten zu engen Abstimmungen; wir haben es ja bei Schottland schon erlebt. Das ist ja auch gutgegangen. Mal sehen, wie es weitergeht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine große Rolle gespielt bei der europäischen Schuldenkrise in den letzten Jahren. Könnten Sie bitte erklären, welche Lektionen gelernt worden sind für den Fall, dass es in den nächsten Jahren zu einer neuen Krise kommen wird?

BK’in Merkel: Ich glaube, eine Lektion ist, dass wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht zu hoch verschulden. Es ist hier auf dem G20-Gipfel noch einmal recht deutlich geworden, dass die europäischen Länder insgesamt schon recht hohe Schuldenstände haben. Das wird gerade auch deutlich, wenn man sich die Länder anschaut, die sozusagen die westlichen Werte teilen, also wenn man etwa Japan und auch die Vereinigten Staaten von Amerika noch dazunimmt. Wir haben also relativ hohe Schuldenquoten. Australien steht da besser da. Viele Entwicklungsländer oder „Emerging Economies“ stehen an der Stelle auch sehr viel besser da. Wenn man noch hinzunimmt, dass ein großer Teil unserer Länder demografische Probleme hat - also im Grunde „Aging Societies“ sind -, dann verstärkt das diesen Effekt noch einmal. Das heißt, wir müssen zu unseren Verabredungen in Europa stehen, was Defizitkriterien und was Gesamtverschuldung anbelangt.

Zweitens. Wir haben zu lange gedacht, dass in Europa jeder ökonomisch machen kann, was er will, wenn man eine gemeinsame Währung hat. Wir sind jetzt 18 Länder mit einer Zentralbank und nicht nur 18 verschiedenen Haushaltspolitiken, sondern auch verschiedenen Wirtschaftspolitiken. Das geht auf Dauer nicht gut. Die Entscheidung für die gemeinsame Währung war auch eine Entscheidung für mehr Integration. Da kann nicht ein Land 0,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung ausgeben und ein anderes Land 3,5 Prozent, und das entwickelt sich immer weiter auseinander. Vielmehr muss es da eine gewisse Kohärenz geben. Wenn der eine weit über 50 Prozent Staatsquote hat, und der andere hat unter 40 Prozent, dann geht das auf Dauer nicht zusammen. Das heißt, es muss nicht jeder das Gleiche machen. Wir können eine gewisse Vielfalt erhalten, aber die Sache darf sich nicht immer weiter auseinanderentwickeln. Diese Lektion zu lernen und auch umzusetzen, da sind wir noch sehr am Anfang. Denn natürlich ist ein nationales Parlament nicht so begeistert, wenn aus Brüssel plötzlich Empfehlungen kommen, wie man bitte schön seine Rechtssetzung machen sollte. Deutschland ist da auch nicht immer vorbildlich. Aber auf Dauer wird man nicht umhinkommen, das zu lernen - und das ist die Lektion, bei der wir noch dabei sind, sie zu lernen.

Dann haben wir zwei qualitativ große Schritte getan. Das eine ist die Bankenunion, das heißt, alle systemisch relevanten Banken in Europa sind jetzt unter der Aufsicht der Europäischen Zentralbank. Das ist ein Riesenschritt gewesen. Das zweite sind die Firewalls; wir haben uns also mit riesigen Mengen an Garantien, die wir anderen Ländern geben können, gegen Staatsschuldenkrisen abgesichert. Auch das war sozusagen eine Bereitschaft, sich gegen Druck aus den Märkten zu verteidigen. Damit sind wir für weitere Krisen sehr gut gewappnet.

Die Frage für Europa wird aber sein - - Nehmen wir einmal an, wir schaffen das alles, dann müssen wir immer noch darauf achten, dass nicht der langsamste den europäischen Durchschnitt bestimmt; denn wir dürfen nicht ausblenden, was auf der Welt sonst noch los ist. Das ist der Punkt. Heute wird Australien ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnen. Das ist ein Riesending. Die Verhandlungen zum TPP gehen massiv voran. Wenn ich aber sehe, wie viele sehr mühevolle Diskussionen wir in Europa über die Frage eines transatlantischen Freihandelsabkommens haben, dann ermuntert mich das einfach nur, noch mehr zu werben und noch mehr zu erklären, warum das dringend notwendig ist - nämlich deshalb, weil wir sonst einfach vom Rest der Welt abgehängt werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zum Thema China: Sie interessieren sich ja persönlich für die Beziehungen mit China. Wir hier in Australien fragen uns auch: Was möchte China Ihrer Erfahrung nach mit chinesischen Führungskräften in der globalen oder regionalen Rolle des Landes erreichen, was denken Sie, was die wollen?

BK’in Merkel: Ich glaube, China hat den ganz klaren Anspruch, an 2.000 Jahre erfolgreiche Geschichte anzuknüpfen. China war es gewöhnt - wenn ich es richtig im Kopf habe -, 30 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts über 1.800 Jahre zur Verfügung zu stellen - natürlich hat das variiert. Jetzt hatte China aus der chinesischen Perspektive 200 etwas schwache Jahre. Die jetzige chinesische Führung ist in einer sehr großen Kontinuität auf dem Weg, nicht an die letzten 200 Jahre anzuknüpfen, sondern an die Zeit davor. Dafür wird China alles tun. China ist sicherlich - bei aller Kritik, die man haben kann - das Land, das das größte Armutsüberwindungsprojekt weltweit ist; das muss man einfach so sehen, wenn man einmal überlegt, wie viele Menschen dort aus ganz unsäglichen Lebensbedingungen heraus in einen Mittelklasse-Wohlstand kommen. Allein das ist schon eine Herkulesaufgabe.

Wir haben ein unglaubliches Interesse an einem stabilen China - es ist eine Nuklearmacht, es hat 1,3 Milliarden Euro Einwohner. China hat einfach eine solche Wohlstandsentwicklung vor sich, dass es natürlich ein sehr attraktiver Markt ist. China wird sich Schritt für Schritt mehr in die internationale Politik einbringen. Wenn man schaut, an welchen auch militärischen Missionen internationaler Art China teilnimmt, dann sieht man, dass es dabei immer um die Sicherung der Handelswege geht. China betrachtet die Länder - auch kleine Länder - mit sehr großem Respekt. Der chinesische Präsident war bis jetzt nicht nur in Australien; er wird auch nach Neuseeland fahren, und dann wird er die Fidschi-Inseln besuchen. Auch in Afrika ist China sehr, sehr präsent - China hat sich jetzt unglaublich bei der Bekämpfung der Ebola-Katastrophe engagiert. Man merkt also, wie China Schritt für Schritt sozusagen auch zu einem internationalen Faktor wird. Natürlich ist gerade auch das chinesisch-amerikanische Verhältnis von allergrößter Bedeutung.

Es wird sich eben zeigen, wie weit China dann auch fähig ist, in der Region Respekt und Anerkennung von anderen zu bekommen; denn dort spürt man jetzt - das hört man, wenn man in Vietnam ist, in den Philippinen ist, mit Malaysia spricht - doch auch große Sorgen. Diesbezüglich wird es sehr spannend sein, wie China die Fragen, die es dort gibt, dann so löst, dass es seinem geäußerten Anspruch, eine harmonische Kraft auf der Welt zu sein beziehungsweise eine Kraft auf der Welt zu sein, die harmonische Entwicklungen unterstützt, gerecht werden kann.

Der chinesische Präsident hat völlig klare Vorstellungen über die Bindungen, die Seidenstraßenkonzepte - sowohl die kontinentale als auch die maritime Seidenstraße sind unglaublich interessant - und wie man den Bogen Richtung Europa schlägt. China hat sich in der Staatsschuldenkrise Europas sehr für den Euro eingesetzt, weil man an Multilateralität Interesse hat. China wird mit seiner Währung langsam marktfähig werden.

Wir haben sehr viel über die Quotenreform des IWF gesprochen, wie also der Anteil der Schwellenländer erhöht wird. Der amerikanische Kongress sieht sich seit Jahren nicht im Stande, das zu entscheiden; Ähnliches ist bei dem Grundkapital der Weltbank zu beobachten. Das führt dann dazu, dass diese Schwellenländer anfangen - natürlich ganz stark unter Führung von China -, ihre eigenen internationalen Institutionen - die „Shanghai-Gruppe“, die BRICS-Staaten, eine Entwicklungsbank - zu gründen. Wir haben eigentlich in den westlichen Ländern, wo ich Australien und Deutschland gemeinsam hinzurechne, ein unglaubliches Interesse, nicht eine total zersplitterte Globalisierungslandschaft zu bekommen, sondern die globalen Institutionen, die sich über viele Jahre bewährt haben, zu nutzen. Da macht mir einiges ein bisschen Sorge, dass im Augenblick zum Beispiel sehr viel parallel stattfindet.

Frage: Guten Morgen, Frau Bundeskanzlerin. Ich bin Präsident der australischen Menschenrechtskommission. Vielen Dank, dass Sie die Themen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Ihrer Rede erwähnt haben. Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wie Sie Investitionen und Business auf globaler Ebene als Förderer der Menschenrechte sehen?

BK’in Merkel: Es gibt gute Aspekte und es gibt schwierige Aspekte. Wir haben über die Sanktionen mit Russland gesprochen. Wir können auch über die Frage von Menschenrechten in anderen Regionen sprechen. Ich glaube, dass Handel und Wandel erst einmal immer Offenheit erzeugen. Man lernt sich kennen, man verändert die Gegebenheiten in einem Land. Damit muss das Land per Definition offener werden und sich auch mit anderen Kulturen auseinandersetzen. Das ist für Menschenrechte sicherlich hilfreich, denn es werden zum Beispiel erst einmal bestimmte Fälle bekannt. Was abgeschottete Länder, mit denen man schon wirtschaftlich nicht zusammenarbeitet, betrifft, so weiß man ja oft gar nicht, wer dort in den Gefängnissen sitzt. Ein Treiber der deutschen Einheit war zum Beispiel, dass es immer Journalisten und Menschenrechtsorganisationen gab, die sich dafür interessiert haben, was mit bestimmten Menschen passiert ist. In diesem Sinne ist das produktiv und positiv.

Auf der anderen Seite wird natürlich von manchen Ländern sehr schnell eine Verbindung hergestellt. Wer dauernd nur über Menschenrechte redet, wird vielleicht auch ökonomisch schlechter behandelt. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Demokratien zusammenstehen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, weil sonst immer wieder versucht wird - selbst von der Seite derer, die nicht so gerne über Menschenrechte sprechen -, vieles nach dem Motto „teile und herrsche“ zu machen. Das ist sicherlich gerade in der Europäischen Union immer wieder eine Riesenaufgabe. Deshalb ist es immer gut, dass man aus eigener Kraft wirtschaftlich stark ist und sich nicht in zu große ökonomische Abhängigkeiten begibt. Wenn man zum Schluss weltweit davon abhängig ist, ob die Finanzwelt einem noch Kredite gibt oder nicht, weil man so hohe Schuldenstände hat, ist man politisch auch nicht mehr hundertprozentig autark. Deshalb hängen diese Dinge sehr zusammen. Ich begebe mich immer in andere Einflusssphären und kann nicht davon ausgehen, dass mir alle nur freundlich gesonnen sind. Das muss man mit jeder Schuld, die man aufnimmt, wissen.

Frage: Wenn wir darüber sprechen, dass sich Staaten gegenseitig ausspielen, wie sieht es mit dem Westen aus, der verhindern will, dass der Iran eine Nuklearwaffe bekommt? Wie zuversichtlich sind Sie, dass es weiterhin internationale Solidarität geben wird?

BK’in Merkel: (Ich kann sagen), dass wir an der Stelle schon eine ganze Menge erreicht haben, zum Teil auch durch ein sehr stringentes Vorgehen der Vereinigten Staaten von Amerika, was man an dieser Stelle sagen muss. Aber wir haben doch große Schwierigkeiten, zum Beispiel China und Russland auf einen ähnlichen Weg zu bringen. Ganz zum Schluss sind die Wirkungen am kräftigsten, wenn es gelingt, im UN-Sicherheitsrat Beschlüsse zu fassen und China und Russland auch dabei sind. Es ist zum Beispiel nicht im chinesischen Interesse - das haben wir immer wieder mit China besprochen -, dass der Iran eine nukleare Bewaffnung bekommt. Deshalb laufen eigentlich auch die Nordkorea-Gespräche mit guter Unterstützung Chinas, deshalb gibt es die Iran-Verhandlungen, wo China mit dabei ist. Das ist ganz wichtig, denn je größer der Anteil am Weltinlandsprodukt ist, umso wirkungsloser werden natürlich auch Sanktionen, an denen China zum Beispiel nicht beteiligt ist. Das muss man ja auch sehen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich stelle Ihnen eine letzte Frage, wenn ich darf. Sie erinnern sich wahrscheinlich an den Kandidaten Barack Obama, der 2008 Berlin besucht hat. Er hat gesagt, dass wahre Partnerschaft und wahrer Fortschritt Alliierte erfordert, die sich zuhören. Im Fall von Deutschland hat die Nationale Sicherheitsagentur diesen Kommentar wortwörtlich genommen, wie Sie herausgefunden haben. Wie sollten westliche Länder ein Gleichgewicht herstellen bei der Sammlung von Geheimdienstinformationen für die Sicherheit und anderseits nicht übermäßig aktiv zu werden und damit einen Schaden zwischen Freunden anzurichten?

BK’in Merkel: Australien gehört ja zu den sogenannten „Five Eyes“, also zu einer Kooperation der privilegierten Partnerschaft. Aber auch Deutschland hat natürlich eine enge Kooperation mit den amerikanischen Diensten oder den Nachrichtendiensten der „Five Eyes“. Wir brauchen diese Kooperation. Die Dinge, die sich im Zusammenhang mit Edward Snowden ergeben haben, haben uns gezeigt, dass es unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, in welchem Umfang man Informationen sammeln sollte und möchte.

Ich glaube, es betrifft sehr das Grundverständnis in den einzelnen Ländern, wie das Verhältnis von Sicherheit, die der Staat garantieren muss, zu der individuellen persönlichen Freiheit ist. Das mag in den Vereinigten Staaten von Amerika anders ausgeprägt sein, als das in Deutschland der Fall ist. Das ist in Großbritannien total anders ausgeprägt als in Deutschland. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sicherlich gibt es eine inneramerikanische Diskussion, die sich damit auseinandersetzt.

Was ich nicht teile - da gibt es halt auch Meinungsverschiedenheiten mit den Vereinigten Staaten -, ist, dass man meiner Meinung nach das politische Berlin, wenn ich das so sagen darf, nicht nachrichtendienstlich überwachen muss, um herauszufinden, was die Leute denken. Sie müssen ab und zu einmal mit jemandem Abendessen oder Mittagessen gehen, dann müssen Sie aufmerksam die Zeitung lesen und kennen dann 99,9 Prozent von dem, was dort gesprochen wird. Das ist also meiner Meinung nach vergebliche Mühe. Wenn ich gehört habe, dass man in Amerika sagt, dass es immer schön ist, die Verhandlungsposition eines Partners schon einen Tag vorher zu kennen, um dann besser darauf reagieren zu können, so muss ich sagen, dass ich auch ganz gut ohne das auskomme. Ich glaube, dass man, wenn man sich kennt, das alles doch ziemlich voraussehen kann. Ich würde sagen, dass es eigentlich eine falsche Konzentration auf etwas ist, was man auch anderweitig herausfinden kann, ohne nicht so viele Irritationen hervorzurufen.

Ansonsten muss ich aber wiederum sagen: Deutschlands Sicherheitsinteressen können ohne die Zusammenarbeit mit internationalen befreundeten Diensten nicht wahrgenommen werden. Wir können den Kampf gegen den Terrorismus, der nicht eine Fiktion, sondern leider sehr real ist, ohne diese Kooperation nicht führen. Deshalb sind und bleiben die Vereinigten Staaten von Amerika für uns der wichtige Partner.

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