Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten von Mazedonien, Gruevski

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, heute ist bei uns Ministerpräsident Gruevski aus Mazedonien zu Gast. Wir freuen uns, dass er nach seinem Besuch 2006 zum zweiten Mal hier ist.

Ich darf sagen, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Mazedonien sehr gut sind. Wir haben fast 80.000 mazedonische Staatsangehörige bei uns in Deutschland, die sich, glaube ich, in unserem Lande auch wohlfühlen.

Wir haben auch über die wirtschaftliche Zusammenarbeit gesprochen, die sicherlich noch ausgebaut werden kann und die aus unserer Sicht auch entwickelt werden sollte. Ich habe darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft von allergrößter Bedeutung sind.

Wir haben selbstverständlich auch über die Einschätzung seitens der Europäischen Union bezüglich der Beitrittsverhandlungen, die mit Mazedonien aufgenommen werden könnten, gesprochen. Hier weist die Europäische Union darauf hin, dass gerade im Bereich des Rechtssystems und auch der Transparenz der rechtlichen Rahmenbedingungen noch Einiges getan werden kann. Wir haben uns darüber unterhalten, dass die mazedonische Regierung ihre Arbeit hieran entschlossen fortsetzen wird.

Des Weiteren haben wir darüber gesprochen, dass wir uns wünschen, dass Mazedonien auch Mitglied der NATO wird. Hier gibt es den Namensstreit, also den Streit darüber, wie die Republik genannt werden soll. Deutschland hat sich immer darauf eingesetzt, dass in den Gesprächen mit Griechenland eine Lösung gefunden wird. Leider ist das noch nicht der Fall. Natürlich haben wir auch heute wieder darüber gesprochen, dass wir dieses Thema lösen wollen; denn wir arbeiten in Afghanistan, in der ISAF-Mission, sehr eng zusammen, und wir würden uns von deutscher Seite natürlich wünschen, dass das Land nunmehr auch Mitglied der NATO werden kann. Insofern war das ein wesentlicher Punkt in unseren Gesprächen. Allerdings habe ich auch deutlich gemacht, dass das Namensproblem gelöst werden muss; ansonsten glaube ich nicht, dass wir eine Einigkeit für den NATO-Beitritt und für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union bekommen.

Wir haben hier also noch ein Thema vor uns. Das wollen wir aber so lösen, dass wir im Gespräch bleiben. Deutschland bietet auch, wo immer das möglich ist, seine Hilfe an.

Herzlich willkommen noch einmal hier in Berlin!

MP Gruevski: Vielen Dank! ‑ Sehr geehrte Anwesende, ich möchte der Bundeskanzlerin, Frau Merkel, zum Anfang unseren Dank für die Gelegenheit, dieses Treffen hier durchzuführen, aussprechen. In Anbetracht der vielen Aufgaben, mit denen Kanzlerin im Augenblick überlastet ist, schätze ich das sehr.

Dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland und Mazedonien sehr gute, ausgezeichnete Beziehungen haben und dass Deutschland einer der wichtigsten Unterstützer und Förderer Mazedoniens in wirtschaftlicher und in technischer Hinsicht ist, sind wir dankbar. Unsere Aufgabe ist es, diese Beziehungen auf der Basis der europäischen und euro-atlantischen Werte, die die Grundlage für eine dynamischere und intensivere Zusammenarbeit sind, weiterzuentwickeln.

Wir sind uns durchaus dessen bewusst, wie ernsthaft die aktuelle wirtschaftliche Lage in Europa ist, ganz besonders, was die Mitglieder der Eurozone betrifft. Im Namen unserer Delegation spreche ich Deutschland gegenüber Dank und Anerkennung für seine Rolle hierbei aus ‑ ganz besonders Ihnen persönlich, Frau Bundeskanzlerin, für die Art, wie Sie mit diesen kontinentalen Herausforderungen arbeiten. Wir möchten uns bedanken für Ihre Anstrengungen, die wirtschaftliche Konsolidierung und die Entwicklung der Länder zu gewährleisten. Mazedonien schließt sich allen Bemühungen derjenigen Länder an, die versuchen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden, und die weiter auf die Verbesserung des Lebensstandards der europäischen Bürger hinarbeiten.

Wir streben weiterhin unsere Mitgliedschaft in der NATO und in der EU an. Ich habe die Bundeskanzlerin in diesem Zusammenhang über die Anstrengungen und die Reformen informiert, die wir unternehmen, um die europäischen Standards zu erreichen und uns auf allen Sektoren, wo dies nötig ist, zu verbessern. Seit drei Jahren bekommt die Republik Mazedonien positive Statusberichte von der Kommission, und sie hat bereits alle Kriterien für die NATO-Mitgliedstaaten erfüllt. Das wurde von der Allianz auch 2008 in Bukarest bestätigt. Ich habe unseren Dank ausgesprochen für die gesamte Unterstützung, die Deutschland uns gegenüber zeigt, damit die Tore der Allianz weiter offen bleiben.

Praktisch ist Mazedonien bereits Mitglied der NATO, weil es überall dort, wo es nötig ist, seinen Beitrag leistet. Unsere Friedenskräfte nehmen teil an NATO-Einheiten. In unserem Parlament hat es noch nie eine Gegenstimme gegen unsere Beteiligung gegeben. Mazedonien ist bei der Anzahl der Soldaten pro Kopf in Afghanistan an fünfter Stelle, und einen sehr hohen Anteil unseres Haushalts wenden wir für unsere Bemühungen in Afghanistan auf.

Wir sind aber wegen eines virtuellen Streits, den unser Nachbar Griechenland mit uns hat, daran gehindert, Vollmitglied zu werden. Der Grund dafür ist der Widerspruch Griechenlands, unseren eigenen Namen, unsere eigene Identität und unsere Sprache, die mazedonisch sind, anzuerkennen. Der Internationale Gerichtshof hat unlängst den Beschluss gefasst, dass Griechenland ungerechtfertigt und unberechtigt unseren Beitritt verhindert hat und dass wir keineswegs mit solchen oder ähnlichen Vorwänden an unserem Beitritt in die NATO gehindert werden dürfen. Wir erwarten deswegen, dass auf dem NATO-Gipfel in Chicago das internationale Recht und unsere Bemühungen berücksichtigt werden. Wir unternehmen alles Nötige, um uns die Unterstützung derjenigen Länder zu sichern, die der Meinung sind, dass dieser Gerichtsbeschluss als ein Integrationsmoment genutzt werden sollte. Wir setzen auf die Länder, die an das Recht und an die Unveränderbarkeit des internationalen Rechts glauben. Zweifellos ist Deutschland eins dieser Länder. Trotz dieses positiven Beschlusses auf höchstem gerichtlichem Niveau der UN versuchen wir aber weiterhin, die Gespräche mit Griechenland fortzusetzen, damit wir eine gemeinsame Lösung finden. Dies wird unsererseits auch in Zukunft so sein.

FRAGE: Das Abkommen über die Benutzung des alten Namens, des zeitweiligen Namens, das Griechenland gebrochen hat, war ja ein grundsätzliches Dokument ‑ und das einzige Dokument ‑, das Griechenland mit uns unterschrieben hat. Frau Merkel, in Anbetracht Ihrer großen, gigantischen politischen Erfahrung als politische Führerin Deutschlands möchte ich Sie vor diesem Hintergrund fragen: Wie wäre es, wenn Sie an der Stelle des Ministerpräsidenten Gruevski wären? Würden Sie den Griechen nach diesen Vorgängen im nächsten Jahr und in der Zukunft weiterhin glauben?

BK’in Merkel: Ich würde mich weiterhin mit Griechenland darum bemühen, eine Lösung für das Problem zu finden. Die Regeln sind klar: Es ist unstrittig, dass der Internationale Gerichtshof ein Urteil gesprochen hat, das ein Erfolg auch für die mazedonische Regierung ist. Aber für mich persönlich wäre die Aufnahme in die NATO ein sehr hohes Gut. Deshalb würde ich auf jeden Fall mit Griechenland weiter verhandeln und versuchen, eine Lösung zu finden.

Schauen Sie, wir sind in der Europäischen Union. Wir sind 27 Mitgliedstaaten. Wir haben dauernd Probleme zu lösen. Kroatien und Slowenien haben es geschafft, ihr Problem zu lösen. Wir setzen uns dafür ein, dass alle das schaffen. Wir sind alle daran gewöhnt, dass wir Kompromisse machen müssen, denn sonst könnte die Europäische Union gar nicht bestehen.

FRAGE: Eine Frage an den Ministerpräsidenten. Wir bekommen viele Informationen über die schlechte wirtschaftliche Lage in Griechenland. Ich hätte gerne gewusst, wie die Auswirkungen dieser griechischen Krise und ihrer Nachbarstaaten aus der EU auf Mazedonien selber  sind und was Sie empfehlen, wie man Griechenland helfen kann.

Frau Bundeskanzlerin, eine Frage angesichts der Beitrittsverhandlungen, die mit Mazedonien stattfinden. Muss sich die EU nicht erst einmal grundlegend ändern, bevor sie in der Lage ist, künftig weitere Mitglieder aufzunehmen?

MP Gruevski: Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Die wirtschaftliche Lage in Griechenland wirkt sich selbstverständlich negativ auf unsere Republik Mazedonien aus. Aber noch größere negative Auswirkungen bemerken wir eigentlich von der europäischen Schuldenkrise, denn 60 Prozent unseres Exports geht in die EU. Ich würde es so sagen: Es ist kein günstiger Augenblick für unsere Wirtschaft. Aber nichtsdestotrotz machen wir alles Mögliche, um diese Probleme zu bekämpfen. In den ersten drei Quartalen des vorigen Jahres haben wir es geschafft, mit einem Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent abzuschließen. Es gibt weitere positive Parameter, wie zum Beispiel die laufende Haushaltsverschuldung, die im letzten Jahr nur 2,8 Prozent betrug.

Ich betone es noch einmal: Wir spüren diese Probleme auf jeden Fall, und zwar sowohl was unseren Nachbar Griechenland in wirtschaftlicher Hinsicht und wegen seiner finanziellen Probleme betrifft, aber auch wegen der gesamten Krise in der Eurozone, die wir alle allzu gut kennen.

BK’in Merkel: Von meiner Seite aus kann ich nur noch einmal wiederholen, dass die Länder des westlichen Balkans die Sicherheit und die Zusage haben, dass, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, auch die Beitrittsperspektive realisiert werden kann. Wir haben das am Beispiel Kroatien gezeigt. Wir haben das am Beispiel Slowenien gezeigt. Wir werden das an den weiteren Beispielen auch zeigen.

Wir haben viele Verfahren innerhalb der Europäischen Union deshalb geändert ‑ zum Beispiel die ganze Diskussion um den Lissabon-Vertrag ‑, um handlungsfähiger zu werden. Das muss sicherlich weiter vervollkommnet werden. Das sehen wir an verschiedenen Arbeiten, die wir zu tun haben. Aber wir können jetzt nicht eine Zusage, die wir gegeben haben, wieder aufheben, weil wir ansonsten Probleme haben, die zum Teil vor Jahren entstanden sind.

Wir fühlen uns von deutscher Seite darin bestätigt, dass allerdings keine Kompromisse gemacht werden können, wenn bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind. Das gilt für die Aufnahme in den Euroraum. Das gilt genauso für die Aufnahme in die Europäische Union oder für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.

FRAGE: Frau Merkel, meinen Sie ausgehend von Ihrer reichhaltigen politischen Erfahrung, dass die Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag bindend und legal sind, dass sie also die legale Kraft haben?

BK’in Merkel: Die Beschlüsse sind anzuerkennen; das ist vollkommen richtig. Insofern liegt dort auch eine Verpflichtung für Griechenland vor. Trotzdem muss das auf der Basis geschehen, dass Griechenland und Mazedonien dann zu einer Einigung über den Namen kommen. Es wird nicht ohne Gespräche gehen, denn faktisch ist es noch notwendig, trotzdem zu versuchen, sich zu einigen. Der Ministerpräsident hat mir auch noch einmal gesagt, dass er solchen Gesprächen offen gegenüber steht. Er hat es hier in der Pressekonferenz auch noch einmal erklärt.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, bitte eine Frage zur Innenpolitik. Unterstützen Sie den Vorstoß junger Unionsabgeordneter nach einer Abgabe für Kinderlose?

BK’in Merkel: In der Pflegeversicherung ist ja eine Komponente enthalten. Ich glaube nicht, dass der Vorstoß die Probleme einer nachhaltigen Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme Richtung Kapitaldeckung löst. Deshalb ist das Anliegen der jungen Gruppe berechtigt, dass wir eine Lösung suchen, wie wir die sozialen Sicherungssysteme noch nachhaltiger machen können. Darüber habe ich auch mit der jungen Gruppe gesprochen. Ich glaube, die Diskussion der Einteilung in Menschen mit Kindern und ohne Kinder ist hier nicht zielführend. Deshalb glaube ich, dass wir andere Wege finden müssen.