Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel, Professor Issing und Bundesfinanzminister Schäuble

BK'IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir heute vor dem G20-Treffen in Kanada wieder einmal die Expertengruppe, die von Professor Issing geleitet wird, bei uns zu Gast hatten und dass wir gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister darüber diskutieren konnten, welche Beurteilungen diese Expertengruppe zum Stand der Regulierung abgibt und welche Vorschläge sie uns für das zukünftige Handeln macht.

Dabei haben drei Dinge eine Rolle gespielt. Zum einen ging es um die Frage: Wo stehen wir bei der internationalen Finanzmarktregulierung? Wir waren, glaube ich, ähnlicher Meinung, nämlich dass man alle Kraft darauf lenken muss, die Anstrengungen nicht erlahmen zu lassen und wirklich jeden Akteur, jedes Produkt und auch jeden Finanzplatz einer gewissen Regulierung und Transparenz zu unterwerfen.

In diesem Zusammenhang hat die Gruppe uns neue Vorschläge gemacht, die sehr wichtig sind. Dabei ging es zum einen um die Frage: Wie können wir nicht nur die Banken an den Kosten beteiligen, sondern vor allen Dingen auch erreichen, dass für zukünftige Fälle die Einbeziehung des Steuerzahlers nicht mehr stattfindet? Außerdem ging es vor allen Dingen um die Frage ‑ das ist der Gruppe noch wichtiger ‑: Wie können wir auf verantwortungsvolles Verhalten gerade von den Finanzinstituten hinwirken, die systemische Risiken darstellen?

Der dritte Punkt war, dass wir uns auch über die Frage der wirtschaftlichen Ungleichgewichte unterhalten haben ‑ Herr Professor Issing wird dazu gleich noch etwas sagen ‑; denn das spielt in der Frage „Wie entsteht weltweites Wachstum?“ und auch in den Diskussionen, die wir in Toronto führen werden, eine zentrale Rolle. Insofern bin ich sehr dankbar für all die Vorschläge, die hier gemacht wurden.

Wir haben heute gerade auch das Thema Bankenabgaben sehr intensiv diskutiert. Die Bundesregierung hat dazu ja auch Vorschläge gemacht. Wir haben auf dem letzten europäischen Rat sehr deutlich gesagt, dass wir an dieser Stelle erreichen wollen, dass wir als Europa gemeinsam vorgehen und auch gemeinsame Vorschläge unterbreiten. Ich glaube, auch von der Expertengruppe „Neue Finanzmarktarchitektur“ wird immer wieder hervorgehoben: Je kohärenter das weltweite Herangehensweise ist, umso besser werden die Ergebnisse sein.

Wir haben auch über die Finanzmarkttransaktionssteuer gesprochen, die natürlich genau dann am sinnvollsten wäre, wenn wir sie global einführen könnten. Auch hierzu haben uns die Fachleute bestimmte Restriktionen genannt, auf die man achten müsste, wenn man so etwas überhaupt in Betracht zieht. Wir haben unsererseits darüber berichtet, was unsere Vorstellungen sind und wofür wir in Kanada werben werden.

Herzlichen Dank noch einmal für Ihre Arbeit. Ein Gruppenmitglied hat inzwischen auch eine Tätigkeit im Umfeld der Fazilität, die den Euro rettet, gefunden. Dafür sind wir besonders dankbar. Ansonsten noch einmal herzlichen Dank, dass wir diesen intensiven Dialog miteinander pflegen können.

PROF. DR. ISSING: Meine Damen und Herren, wir haben eine sehr intensive Diskussion mit der Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister und Mitarbeitern gehabt. Wir haben einen schriftlichen Vorschlag unterbreitet, der in der Kontinuität unserer Berichte zu den G20-Gipfeln der Vergangenheit steht.

Der jetzige Vorschlag konzentriert sich ‑ die Bundeskanzlerin hat das schon erwähnt ‑ vor allem darauf, die Wahrscheinlichkeit, dass wir in der Zukunft erneut in eine vergleichbare Krise geraten, sehr stark zu reduzieren. Zu diesem Zweck haben wir eine Bankenabgabe vorgeschlagen, eine Abgabe, die sich an der Risikostruktur von Bankaktivitäten orientiert. Das heißt, riskante Geschäfte werden mit einer stärkeren Abgabe belastet. Wir wollen damit vor allem das Verhalten beeinflussen, die Risikoneigung der Banken beschränken und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu systemischen Risiken kommt, reduzieren. Dieser Vorschlag ist also vorwärts gerichtet; ein stabileres Finanzsystem ist das Ziel. Dass dabei nebenbei auch Einnahmen für den Staat abfallen, ist nicht der Hauptzweck, ist aber eine nicht unwichtige Begleiterscheinung.

Wir haben uns zweitens darauf konzentriert, dass man für die Zukunft niemals ausschließen kann, dass einzelne Institute wieder in eine krisenhafte Situation geraten. In diesem Sinne haben wir Vorschläge zur Restrukturierung von Banken gemacht, um sie von der Eigenkapitalseite her stabiler zu machen. Das soll dadurch erreicht werden, dass Wandelschuldverschreibungen in einer solchen Situation zu Eigenkapital werden, was konkret bedeutet, dass die Inhaber solcher Anleihen ‑ so wie die Kapitaleigner auch ‑ in einer solchen Situation mehr oder weniger leer ausgehen. Für den Fall, dass das immer noch nicht ausreicht, um ein einzelnes Institut zu retten, haben wir Vorschläge gemacht, wie man Ansteckungseffekte vermeidet.

Schließlich haben wir uns drittens zum Thema globaler Ungleichgewichte und der Frage, wie man damit umgeht, geäußert. Wir sehen diese Ungleichgewichte nicht als Folge unterschiedliche Nachfrageentwicklungen in den einzelnen Ländern, sondern wir sehen dahinter tiefe strukturelle Unterschiede bzw. Schwächen. Ein Land wie Deutschland, das einen stark unterbelichteten privaten Servicesektor hat, könnte hier mit der Beseitigung von Restriktionen eine Menge unternehmen, um mehr Beschäftigung und mehr Konsum zu schaffen, der sich dann sicherlich auch nicht in höheren Exporten ‑ andere werfen uns ja vor, dass unser Exportanteil zu hoch ist ‑ äußern würde.

Wir sehen die Lösung der gegenwärtigen Ungleichgewichte aber nicht darin, dass die einzelnen Länder verstärkt noch mehr Schulden anhäufen, als das bisher der Fall war. Das würde das Vertrauen der Märkte schwächen und das würde in vielen Fällen genau zum Gegenteil dessen führen, was mit solchen Vorschlägen beabsichtigt ist. Deutschland wird vorgeworfen ‑ (hiermit) will ich das Programm der Regierung nicht kritisieren ‑, insgesamt gesehen seien die Sparanstrengungen im Moment noch viel zu stark und würden die Konjunktur abschwächen. Das ist eigentlich nicht der Vorwurf, den ich sehe. Noch einmal: Es ist für den Finanzminister schwierig, das umzusetzen, was Theoretiker für richtig halten. Es ist jetzt aber nicht nur die Schuldenbremse, die als Verfassungsgrundsatz nicht beschädigt werden darf, sondern es ist auch die ökonomische Vernunft, die dagegen spricht, die Defizite weiter zu erhöhen.

BM SCHÄUBLE: Ich will nur zwei zusätzliche Bemerkungen machen, meine Damen und Herren.

Wir fühlen uns insgesamt durch das, was uns die Issing-Gruppe schriftlich übermittelt hat und was wir jetzt auch intensiv diskutiert haben, in unseren Bemühungen bestärkt. Wir haben als Bundesregierung vor der Osterpause die Eckwerte einer Restrukturierungslösung für den Bankensektor im Kabinett beschlossen. Wir sind dabei, das in einen Gesetzentwurf umzusetzen. Der Ansatz ist ähnlich dem, was Herr Issing eben zusammenfassend vorgetragen hat, nämlich danach zu schauen, wie wir Anreize gegen das Eingehen systemischer Risiken zusätzlich verstärken können. Natürlich brauchen wir dazu auch die entsprechenden Restrukturierungsverfahren für systemrelevante Banken. Auch daran arbeiten das Justiz- und Finanzministerium gemeinsam.

Im Übrigen will ich eines am Rande sagen: Nach den Erfahrungen der letzten Monate werden wir nicht um diese Debatte bei den Diskussionen auf europäischer Ebene herumkommen, was die Mitglieder einer gemeinsamen Währungsunion anbetrifft.

Die zweite Bemerkung: Zu dieser Debatte um die „global imbalances“ und die Frage, ob wir mit dem, was wir als Eckwerte für den Haushalt 2011 und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung beschlossen haben, gegen die internationalen Anforderungen einer abgestimmten für nachhaltiges Wachstum verstoßen, will ich in aller Klarheit sagen: Wir setzen genau das um, was international seit Monaten als Exit-Strategie besprochen worden ist, dass wir im Jahr 2009 die automatischen Stabilisatoren wirken lassen, dass wir das im Jahr 2010, je nachdem, wie sich die wirtschaftliche Erholung manifestiert ‑ und sie manifestiert sich in Deutschland glücklicherweise besser, als wir am Anfang des Jahres gehofft haben ‑ auswirken lassen und dass wir ab dem Jahr 2011 mit einer maßvoll dosierten Rückführung der zu hohen öffentlichen Defizite beginnen.

Es kann nicht im Ernst bestritten werden, dass die zu hohe öffentliche Verschuldung ‑ ich habe gestern mit Herrn Krugman in Kiel diskutiert, deswegen bin ich noch ein wenig in Fahrt ‑ nicht nur in Europa eine der Hauptursachen der Krise ist. Deswegen muss sie maßvoll zurückgeführt werden.

Wir haben im Übrigen bei dem, was wir als Eckwerte beschlossen haben, ausdrücklich darauf geachtet, dass wir durch unsere Maßnahmen keinerlei Wachstumsimpulse gefährden. Wir haben keine Investitionen beschnitten. Wir versuchen, unser System sozialer Hilfen daraufhin zu überprüfen, dass es Anreize für mehr Beschäftigung fördert und nicht das Gegenteil. Im Übrigen weiß man aus vielen Untersuchungen, dass eines der Hauptargumente gegen mehr Konsum und Investitionsnachfrage in Deutschland eine wachsende Verunsicherung wegen zu hoher öffentlicher Verschuldung ist. Ich glaube, der Sachverständigenrat hat schon in seinem Jahresgutachten 2002 darauf hingewiesen, dass eine Begrenzung der öffentlichen Verschuldung ein wichtiger Anreiz für nachhaltiges Wachstum ist. Um nachhaltiges Wachstum geht es uns. Deswegen werden wir uns den internationalen Debatten stellen und auch mit einem hinreichenden Selbstbewusstsein stellen können.

FRAGE: Herr Issing, Sie sagten, dass es nicht das Hauptziel sei, Einnahmen für den Staat zu generieren, aber dass es ein wichtiger Nebeneffekt sei. Sind es denn Einnahmen für den Staat, oder sind es Einnahmen für einen Fonds? Es geht ja immer so ein bisschen hin und her, wo das Geld eigentlich hin soll.

PROF. DR. ISSING: Wir haben das diskutiert. In unserem Vorschlag würden die Abgaben, die von den Banken zu leisten sind, unmittelbar über Wandelschuldverschreibungen an die Banken zurückgeleitet. Der Staat würde die Zinsen einnehmen und könnte diese Wandelschuldverschreibungen auch am Markt verkaufen. Die Fondslösung ist eine Variante davon. Man kann sich auch eine Mischung vorstellen. Das sind sicher Dinge, die noch im Einzelnen zu klären sind.

Wenn ich noch ein Wort zu den globalen Ungleichgewichten sagen darf: Es gibt Schätzungen, dass der Bruttorefinanzierungsbedarf, aggregiert für die Vereinigten Staaten, Japan, Großbritannien und den Euroraum, in diesem Jahr 5,5 Billionen Dollar beträgt. Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, zu sehen, dass in einer Erhöhung des Finanzierungsbedarfs der Ausweg aus der weltweiten Krise zu finden ist.

BK’IN DR. MERKEL: Auch für den Euroraum ‑ da sind es 1,2 Billionen Bruttoinlandsprodukt, davon fast 900 Milliarden Verschuldung ‑ haben wir es uns neulich auch vor Augen geführt. Es kann unmöglich gut sein, das weiter voranzubringen. Ich glaube, wir müssen wirklich viel mehr auf die Strukturen schauen. Wo können wir Strukturverbesserungen erreichen? Das ist in Deutschland zum Beispiel die Frage der Beschäftigungsanreize, wie Herr Schäuble das gesagt hat. Unser ganzes Programm zur Verbesserung der Defizitstruktur des Haushalts ist nur darauf ausgerichtet, nicht Investitionen zu sparen, sondern Anreize zur Arbeitsaufnahme voranzubringen. Ich glaube, das muss man sehr viel mehr erklären.

FRAGE: Daran anknüpfend: Was sagen Sie denn zu dem Brief von US-Präsident Obama genau zu diesem Punkt? Er sagt ja, die Priorität sollte der wirtschaftliche Aufschwung sein und nicht das Umschwenken auf ein radikales Sparprogramm.

BK’IN DR. MERKEL: Ich sage dazu, dass sich das nicht gegen das richtet, was wir tun. Es geht nicht um ein radikales Sparprogramm, sondern es geht darum, dass man bei einem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung nicht die gleichen Konjunkturprogramme immer weiter fahren muss, die man bisher durchgesetzt hat. Nur darum geht es.

Wir haben eine strukturelle Verschuldung im Bundeshaushalt von 65, 70 Milliarden Euro. Es geht jetzt darum, ein Sechstel oder ein Siebtel davon in den Griff zu bekommen und gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die Wachstum fördern und voranbringen, so zum Beispiel in Bildung und Forschung zu investieren. Ich glaube, wenn wir das erklären, dann wird auch sichtbar, dass wir genug für das Wachstum tun.

Der zweite Punkt ist, dass man bei den globalen Ungleichgewichten auch noch einmal schauen muss, dass Deutschland im Binnenmarkt die größte Volkswirtschaft ist. Über zwei Drittel unserer Exporte gehen in den europäischen Binnenmarkt. Wenn Sie sich den europäischen Binnenmarkt als einheitliche Größe anschauen, haben wir eine relativ ausgeglichene Handelsbilanz.

Das heißt also, man kann nicht Europa in bestimmten Sachen als Ganzes betrachten ‑ wenn wir zum Beispiel den Euro retten, dann ist jeder mit dabei ‑ und sich auf der anderen Seite wieder Land für Land heraussuchen und denjenigen betrachten.

Ich wiederhole es noch einmal: Es geht um strukturelle Schwächen, die wir natürlich auch in unserem Land beheben müssen. Ansonsten müssen Sie sich bei dem Defizit immer anschauen, wie sich die Demografie in den nächsten Jahren entwickelt und wie viel Nachhaltigkeit es gibt.

Unsere gemeinsame Haltung ist: Wenn wir nicht zu einem nachhaltigen Wachstumspfad kommen, sondern wieder aufgeblähtes Wachstum generieren, werden wir das durch eine nächste Krise bezahlen. Das ist unsere tiefe Überzeugung. Wenn man sich die Asienkrise, (die Vorgänge um) 9/11 und die Geldpolitik anschaut, die in den Vereinigten Staaten gefahren wurde, dürfen wir in diesen Fehler nicht wieder verfallen. Das ist jedenfalls meine Überzeugung.

Ich bedanke mich!