Merkel: Anstehende Aufgaben überzeugend umsetzen

Sommerinterview Merkel: Anstehende Aufgaben überzeugend umsetzen

Im Sommerinterview mit N24 spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem über die Energiepolitik, das deutsche Gesundheitssystem und die Finanzkrise. "Deutschland ist bis jetzt sehr gut durch die Krise gekommen", so Merkel. Das liege an der Politik, aber auch an den Arbeitgebern sowie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

  • Interview mit Angela Merkel
  • in "N24 - Sommerinterview"
Porträt Bundeskanzlerin Merkel

Foto: REGIERUNGonline/Kugler

Fußball-WM

Frage: Kommen wir in diesem Interview zunächst zu den schönen Dingen des Lebens, dem Fußball. Gleich geht es gegen Spanien. Sind Sie siegesgewiss und warum sind Sie eigentlich nicht hingefahren?

BK´in Merkel: Es wird ein sehr schweres Spiel für uns. Ich drücke natürlich der Mannschaft nicht nur beide Daumen, sondern hoffe, wie viele, viele andere auch, dass es gut klappt. Mein Tipp ist 2:1. Aber ich sage noch einmal, es wird ein sehr schweres Spiel.

Und es ist, glaube ich, verständlich - ich war beim Viertelfinale da -, wir haben jetzt die letzte parlamentarische Woche, viele Entscheidungen zu treffen. Da werde ich hier gebraucht.

Frage: Was bewundern Sie an dem Team und gehören Sie auch zu denjenigen, die hoffen, dass Jogi Löw nach der WM weitermacht?

BK´in Merkel: Jetzt machen wir erst einmal die WM. Der Trainer hat ja immer wieder gesagt, dass man sich auf das konzentriert, was gerade anliegt und das finde ich sehr sympathisch an ihm. Und ansonsten hat er der Mannschaft geradezu Flügel gegeben. Ich glaube, es gibt ein großes Einvernehmen zwischen den Einschätzungen und Taktiken des Trainers und der Umsetzung durch die Spieler und das gefällt mir gut.

Frage: Jetzt waren Sie beim Viertelfinale gegen Argentinien in Südafrika. Da gibt es dann immer wieder Kritik, warum Politiker dann dahin fliegen und sich vielleicht an die Erfolge der Sportler "dranhängen". Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?

BK´in Merkel: Ich finde, die haben sich von selbst erledigt und ich habe den Eindruck, dass inzwischen doch auch klar geworden ist, dass solche Reisen dazu gehören. Wenn man sieht, was andere dort auch tun. Und ich habe im Übrigen wunderbare Projekte besucht, die auch die deutsche Entwicklungshilfe in den Townships von Südafrika macht, ich habe die Möglichkeit gehabt, mir das anzuschauen und wir können eigentlich stolz darauf sein. Und der Name Deutschlands klingt auch gut in Südafrika, das ist auch sehr wichtig.

Wirtschaftliche Lage

Frage: Jetzt ist die Stimmung fußballbedingt im Land hervorragend und es liegt nicht unbedingt - die gute Stimmung jedenfalls - an der Regierung, die wir im Moment haben, jedenfalls (nicht) an ihrer Performance. Betrübt Sie das?

BK´in Merkel: Ich glaube, dass nicht nur die gute Stimmung da ist, weil wir im Fußball toll spielen, sondern dass sie auch wegen der wirtschaftlichen Daten so ist. Und da muss man ganz einfach sagen, Deutschland ist bis jetzt sehr gut durch die Krise gekommen und das liegt an der Politik, das will ich ausdrücklich sagen. Ich glaube, da haben wir Vieles richtig gemacht.

Aber es liegt natürlich auch an den Arbeitgebern, an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wenn wir eine Arbeitslosigkeit haben, die geringer ist als vor der Krise, wenn wir zum ersten Mal seit 20 Jahren unter einer Million Arbeitslose in den neuen Bundesländern haben, wenn wir sagen können, es gibt gute Chancen, dass jeder junge Mensch, der jetzt aus der Schule kommt, einen Ausbildungsplatz bekommt, dann sind das tolle Daten. Und wenn wir uns daran erinnern, dass in Spanien zum Beispiel 40 Prozent der Jugendlichen keine Arbeit haben, dann kann Deutschland darauf stolz sein. Und deshalb ist die Stimmung auch (deshalb) gut. Und in der Regierung haben wir jetzt auch wichtige Entscheidungen getroffen, die, glaube ich, auch ihre Wirkung haben werden.

Schwarz-gelbe Koalition

Frage: Aber bisher war das Erscheinungsbild eher ein zerstrittener Hühnerhaufen, und viele haben sich abgewendet, auch in den Umfragen. Wie konnte das passieren, dass eine bürgerliche Regierung so abstürzt?

BK´in Merkel: Also, erst einmal benutze ich solche Worte ja per se nicht. Deshalb sage ich auch ganz einfach: Wir haben darüber auch in den Fraktionen gesprochen. Ich spüre einen großen Willen, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren und auch nach außen deutlich machen - selbst wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, das wird es in einer Koalition immer geben -, dass man damit pfleglich umgeht.

Frage: Nun sind Worte gefallen wie Gurkentruppe, Wildsau. Werden Sie denn da jetzt energischer gegen angehen, wenn wieder solche Bemerkungen kommen werden in der Koalition?

BK´in Merkel: Also, diese Dinge liegen hinter uns, und ich hoffe, dass sie nicht wieder auftauchen. Und wenn, dann werde ich mich zu Wort melden.

Frage: Und wie werden Sie sich zu Wort melden?

BK´in Merkel: Ich hoffe ja nicht, dass es dazu kommt.

Frage: Der Abgeordnete Michael Brand hat Ihnen wörtlich vorgeworfen: Es kann nicht sein, dass das übergroße Misstrauen von Angela Merkel wir alle ausbaden müssen. Es muss sich einiges ändern. Wir wollen keine Mauer mehr, auch nicht um das Kanzleramt herum. Hat der Mann Recht - und was entgegnen Sie ihm?

BK´in Merkel: Ich habe dazu auch Stellung genommen. Ich werde mich mit (ihm) auch noch einmal selber unterhalten, was ihn beschwert. Ich glaube, insgesamt ist klar, dass wir ein sehr enges Verhältnis auch gerade zu den Mitgliedern des Deutschen Bundestages haben. Ich spreche sehr, sehr viel.

Es ist natürlich auch in den letzten Monaten sehr viel Abstimmungsbedarf gewesen. Wir haben zweimal zum Beispiel Rettungsaktionen für den Euro machen müssen: einmal mit Griechenland, einmal den Gesamteuroschirm, wo auch gerade sehr viele und sehr schnelle Entscheidungen durch das Parlament gefordert waren. Ich bin sehr dankbar, dass die Parlamentarier dort immer mitgezogen haben. Aber manchmal ist das eben auch eine sehr hohe Taktzahl dann.

Frage: Nun hat ja auch die Wahl von Christian Wulff gezeigt, dass Unmut ist in der Partei. Was wollen Sie denn der Partei in den nächsten Wochen und Monaten sagen und was wollen Sie tun, damit da wieder ein neuer Spirit kommt?

BK´in Merkel: Also, ich glaube, der Rücktritt eines Bundespräsidenten ist natürlich ein einschneidendes Ereignis. (Er war) ja auch mit den Stimmen von Union und FDP gewählt worden. Wir haben jetzt einen neuen Bundespräsidenten, der nach meiner festen Überzeugung dem Land sehr gut tun wird. Und er ist im dritten Wahlgang überzeugend gewählt worden, das sollten wir nicht vergessen.

Was jetzt wichtig ist, ist, dass die anstehenden Aufgaben Schritt für Schritt nicht nur abgearbeitet, sondern einfach umgesetzt werden, auch überzeugend umgesetzt (werden). Wir haben in diesen Tagen die sehr schwierige Entscheidung gefällt, wie wir mit dem Gesundheitssystem weitergehen wollen. Wir haben heute einen Haushalt verabschiedet. Wir werden im August, Anfang September über die Energiepolitik beraten. Wir werden die Neuregelung der "Hartz IV"-Sätze haben und dann auch die neue Struktur der Bundeswehr, an der der Bundesverteidigungsminister arbeitet. Es liegt viel Arbeit vor uns, und das wird auch, glaube ich, das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Gesundheitsreform

Frage: Nun ist die Gesundheitsreform gerade beschlossen worden, und es gibt großen Aufschrei im Land.

BK´in Merkel: Also, erst einmal ist, glaube ich, überhaupt noch nie ein Tag gewesen, an dem eine Gesundheitsreform von allen Seiten bejubelt wurde, weil wir es bei der Gesundheit mit einem Thema zu tun haben, was einfach durch die besseren medizinischen Möglichkeiten und die veränderte Altersstruktur unserer Bevölkerung dazu führt, dass das Gesundheitssystem jedes Jahr mehr Geld braucht - auch wenn wir sparen, auch wenn wir effizienter werden - als im Vorjahr, wenn wir den Standard der gesundheitlichen Versorgung aufrecht erhalten wollen, und das will ich.

Deutschland ist vielleicht das Land mit dem besten oder einem der besten Gesundheitssysteme der Welt. Und wenn wir das erhalten wollen, werden wir mehr Geld ausgeben müssen. Das bedeutet dann natürlich, dass ich immer wieder auch gucken muss, wo kann ich sparen. Wir werden bei den Ärzten nicht die Forderungen erfüllen, die die Ärzte haben. Wir werden bei den Apotheken etwas tun, das ist schon Teil des - - -

Frage: Was werden Sie da machen?

BK´in Merkel: Dort werden wieder neue Beschränkungen eingeführt im Zusammenhang mit den Preisen für Arzneimittel. Die Apotheker haben viele solche Runden durchgemacht. Wir werden etwas tun bei den Honoraren der Ärzte, das sagte ich schon. Im Krankenhausbereich dürfen die Kosten nur weniger steigen, als man das eigentlich möchte. Bei den Krankenkassen werden wir verlangen, dass in den nächsten beiden Jahren die Verwaltungskosten überhaupt nicht steigen dürfen. Das heißt also, wenn dort Gehaltserhöhungen sind, muss da eingespart werden. Aber auf der anderen Seite haben wir das, was wir verändern, dann auch so verteilt, dass wir nichts aus dem Leistungskatalog der Krankenversorgung streichen, dass wir den Kranken nichts zusätzlich zumuten von Praxisgebühr bis zu Fahrtkosten oder anderen Dingen. Sondern wir haben gesagt, wir wollen die ansteigenden Kosten fair auf alle Versicherten verteilen, den Wettbewerb stärken und das System transparenter machen. Und wenn das gewollt wird, dann müssen die Arbeitgeber ihren Beitrag leisten. Wir erhöhen den Beitrag auf den Prozentsatz, den wir schon vor der Krise hatten. Man muss da auch wirklich aufpassen, dass man sich erinnert, wo wir schon mal waren.

Frage: Aber die Zusatzbeiträge können jetzt sehr viel stärker erhoben werden ...

BK´in Merkel: Wir werden dann auf Dauer die Entkopplung der Arbeitskosten von den Gesundheitskosten haben. Da kann ich nur sagen: Würden wir die Arbeitskosten und die Gesundheitskosten immer so zusammenlassen, wie wir sie heute haben, würde das zu einer Zweiklassenmedizin führen, weil die Arbeitskosten nicht so stark steigen dürfen wegen des internationalen Wettbewerbs. Deshalb werden die Zusatzbeiträge steigen, aber niemand wird mehr zahlen müssen als zwei Prozent seines Einkommens. Das ist eine soziale Überforderungsklausel, die sicherstellt, dass die Menschen nicht über Gebühr belastet werden. Ich glaube, das ist die wichtige Botschaft. Dann wird der Sozialausgleich für die, die nicht alles zahlen können, aus dem Steuersystem kommen. Das wird noch einige Jahre dauern, aber der wird aus dem Steuersystem kommen. Das ist die gerechteste Art, denn dann wird es auf alle Schultern verteilt, vor allen Dingen auch auf die, die viel Steuern zahlen.

Atomkraft

Frage: Kommen wir zur Frage der Atomkraftwerke und den Restlaufzeiten. Da ist Ihr Umweltminister Röttgen eher vorsichtig, was die Verlängerung anbelangt, während die Fraktionsspitzen Ihrer Koalition eher darauf drängen, dass längere Laufzeiten ins Spiel gebracht werden. Droht Ihnen da ein neuer Koalitionsstreit?

BK´in Merkel: Ich glaube, dass es jetzt sowieso nicht die Zeit ist, über die Laufzeitverlängerung zu sprechen. Wir haben gesagt, wir wollen ein Energieprogramm erarbeiten. Das wird im Augenblick errechnet mit verschiedenen Szenarien. In unserer Energiepolitik heißt es, wir wollen möglichst schnell das Zeitalter der regenerativen Energien erreichen. Wir werden dafür nach unserer Überzeugung die Kernenergie als Brückentechnologie brauchen. Die Energieszenarien werden uns ein Hinweis darauf geben, wie lange wir die Kernenergie noch brauchen, wenn wir gleichzeitig die erneuerbaren Energien massiv fördern.

Frage: Sie wollen sich jetzt noch nicht festlegen?

BK´in Merkel: Ich will mich nicht festlegen, weil wir uns verabredet haben, das am Beispiel eines Energiekonzepts zu sehen. Wir werden die Kernenergie als Brückentechnologie brauchen. Wie lang die Brücke ist, wird sich aus dem Energiekonzept ergeben.

Frage: Ist denn sichergestellt, dass wenn Sie deutlicher verlängern, dann tatsächlich die Gewinne, die dann in die Kassen der Energiekonzerne fließen, für den Aufbau von regenerativen Energien verwandt werden?

BK´in Merkel: Man muss sehen, dass heute die Energieunternehmen selber schon sehr viel für erneuerbare Energien tun. Wir haben in unserem Haushaltsplan die Brennelementesteuer eingeführt. Das heißt, wir wollen natürlich Gewinne abschöpfen, und wir werden mit den Unternehmen darüber sprechen, wie man noch besser dann auch erneuerbare Energien fördern kann. Aber man darf jetzt nicht den dritten Schritt vor dem zweiten und dem ersten tun. Der erste ist das Energiekonzept. Der zweite ist die Entscheidung: Wie lange müssen die Kernkraftwerke laufen? Und der dritte ist dann: Was machen wir denn mit den Gewinnen und wie setzen wir die so ein, dass das Zeitalter der erneuerbaren Energien möglichst schnell erreicht wird?

Finanzmärkte

Frage: Die Eurokrise ist vorerst aus den Schlagzeilen verschwunden, wahrscheinlich auch dank der Weltmeisterschaft. Wie groß ist Ihre Sorge, dass es da wieder zu Schwierigkeiten kommen kann?

BK´in Merkel: Ich glaube, das hat mit der Weltmeisterschaft nichts zu tun, sondern der Euro hat sich im Augenblick stabilisiert. Es ist auch ein wichtiges Signal, dass die Stresstests für die Banken durchgeführt werden, damit wir noch mehr Transparenz in das gesamte System bekommen. Die Ergebnisse werden am 23. Juli veröffentlicht. Das Wichtige ist aber, dass wir dem Euro mit dem Rettungsschirm nur Zeit gegeben haben, dass alle Länder die notwendige Haushaltskonsolidierung durchführen - und wenn es notwendig ist, auch Strukturmaßnahmen durchführen. Da ist es sehr erfreulich, dass anders, als das im frühen Frühjahr war, inzwischen fast alle Länder in Europa sagen: Wir müssen unsere Defizite abbauen, wir müssen Strukturreformen durchführen - und dass wir auf dem G20-Gipfel-Treffen in Kanada festlegen konnten, die Industrieländer sollen bis 2013 ihre Defizite halbiert haben und danach sogar Schulden abbauen.

Frage: Sind Sie zuversichtlich, dass es zu solchen Turbulenzen wie um Griechenland in absehbarer Zeit nicht mehr kommt?

BK´in Merkel: Wenn die Maßnahmen konsequent durchgeführt werden, die wir verabredet haben, dann wird das bedeuten, dass der Euro auf einem festeren Fundament steht als vor der Krise. Nun müssen wir natürlich den Stresstest der Banken abwarten, aber wir sind durch den Euro-Rettungsschirm vorbereitet, den Euro jederzeit zu stabilisieren.

Persönliches

Frage: Sie haben jetzt noch eine längere Auslandsreise vor sich und dann geht’s in den Urlaub. Sie hatten anstrengende Monate. Waren Sie selten so urlaubsreif wie diesmal und wie wollen Sie sich im Urlaub betätigen?

BK´in Merkel: Ich habe mich jedes Jahr auf meinen Urlaub gefreut, das sage ich ganz ehrlich. Aber ich kann es auch noch gut bis zum Urlaub aushalten. Ich werde natürlich versuchen, viel an der frischen Luft zu sein und ab und zu mal eine Oper zu hören, zum Beispiel in Bayreuth.