Geschichten, die bewegen

25 Jahre Freiheit und Einheit Geschichten, die bewegen

Herbst 1989: Die DDR-Bürger gehen gegen die Diktatur auf die Straße. Wie groß war ihre Angst? Wie groß ihr Mut? Beim Tag der offenen Tür im Bundespresseamt erzählten auch am Sonntag viele Zeitzeugen, was sie vor 25 Jahren hautnah erlebt haben.

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Zeitzeugengespräch mit Peter Wensierski

Journalist Hans-Peter Wensierski im Zeitzeugengespräch beim Tag der offenen Tür.

Foto: Bundesregierung/Denzel

Er darf nicht reisen, keine Literatur aus dem Westen lesen, wird von der Stasi bespitzelt: Siegbert Schefke aus Berlin weiß Mitte der 1980er Jahre, dass er in diesem System nicht länger leben will. "Wir wollten uns das nicht mehr gefallen lassen", sagt Schefke heute, 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution, beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung.

Mit einem Freund beginnt er in den 80ern, Filmaufnahmen in den Westen zu schmuggeln. Dort hat er Kontakt zu den TV-Journalisten Roland Jahn und Peter Wensierski, die aus Schefkes Material aufwühlende TV-Berichte schneiden. Schefke filmt die Umweltprobleme der DDR, den Zerfall der Altstädte – und schließlich die Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989.

Vom Feierabend- zum Ganztags-Revolutionär

"Es wäre viel zu gefährlich gewesen, in der Menschenmenge mitzulaufen und zu filmen", erinnert er sich. "Deshalb mussten wir uns auf dem Turm der Reformierten Kirche verstecken." Die Aufnahmen werden legendär: Schefke schafft es auch diesmal, die Videobilder in den Westen zu bringen. Ein Umweg, der nötig ist, weil das DDR-Fernsehen Missstände verschweigt. In den Tagesthemen ausgestrahlt, erreichen sie ein Millionenpublikum. In West und Ost. Das SED-Regime kann nicht länger verheimlichen, dass das Volk auf die Straße geht.

Berichte, die bewegen – auch nach einem Vierteljahrhundert. Im Bundespresseamt nutzen viele Besucher am Wochenende die Chance, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Eine Besucherin will von Siegbert Schefke wissen, woher er die Motivation, den Mut genommen hat, sich gegen das System zu wehren. "Die SED hat mich vom Feierabend-Revolutionär zum Ganztags-Revolutionär gemacht", antwortet Schefke – und spielt darauf an, dass das Regime ihn wegen seiner kritischen Gesinnung aus dem Beruf als Bauingenieur gedrängt hat.

Seibert: "Großes historisches Glück"

Den Mut der DDR-Bürger im Herbst 1989 würdigt auch Regierungssprecher Steffen Seibert beim Tag der offenen Tür. Es sei ein "großes historisches Glück", dass die Deutschen die Möglichkeit genutzt haben, den Weg in die Freiheit zu gehen – und das friedlich. Seibert erzählt, wie er als ZDF-Redakteur in den Monaten nach dem Mauerfall über die Entwicklungen im Osten Deutschlands berichtet hat. Heute sei es wichtig, die Erinnerung an die Ereignisse von 1989 und 1990 wachzuhalten. Das gelinge am besten, "indem man denjenigen zuhört, die aus dieser Zeit etwas zu erzählen haben." Ein Punkt, den auch der Politologe Klaus Schroeder hervorhebt: "Junge Menschen müssen nicht jede Jahreszahl in der deutsch-deutschen Geschichte kennen. Aber sie müssen über die Hintergründe Bescheid wissen."

Auf der Bühne im Bundespresseamt vermittelt Rudolf Seiters genau solche Hintergründe. Als Chef des Bundeskanzleramts ist er 1989 und 1990 maßgeblich daran beteiligt, die Deutsche Einheit auf den Weg zu bringen. Bei seinem Amtsantritt im April habe er sich nicht vorstellen können, dass so große Umbrüche auf das geteilte Deutschland zukommen könnten. Doch dann geht alles ganz schnell: Am 19. Dezember 1989 redet Bundeskanzler Helmut Kohl vor den Ruinen der Dresdner Frauenkirche – und Rudolf Seiters ist sich zum ersten Mal sicher: Die Einheit wird kommen.

"Es gab kein historisches Vorbild für den Einheitsprozess, der dann folgte", sagt Seiters heute. Aber dass dieser Prozess gelungen ist, daran könne es keinen Zweifel geben. Junge Menschen bezeichneten sich schließlich heute längst nicht mehr als Ost- oder Westdeutsche – "sondern einfach als Deutsche", so der frühere Minister. "Und das ist doch eine gute Entwicklung."