"Wir müssen präventiv tätig werden"

Im Wortlaut: Müller "Wir müssen präventiv tätig werden"

Europa müsse in der Flüchtlingskrise besser zusammenarbeiten, vor allem präventiv tätig werden. Das fordert Entwicklungsminister Müller im Interview. Deutschland leiste bereits einen großen Beitrag. Die Bundesregierung habe den Etat für Entwicklungshilfe aufgestockt.

  • Interview mit Gerd Müller
  • Rheinische Post
Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit

Müller: "Viele Menschen haben keine andere Chance als zu fliehen, wenn sie überleben wollen."

Foto: Bundesregierung/Steins

Das Interview im Wortlaut:

Rheinische Post (RP): Ist die Massenflucht nicht auch ein Aufstand der Armen gegen die globale Ungleichheit?

Gerd Müller: Das stimmt. Viele Menschen haben keine andere Chance als zu fliehen, wenn sie überleben wollen.

RP: Stehen wir also erst am Anfang der großen Flucht?

Müller: Wir müssen vor allem die Dynamik auf dem afrikanischen Kontinent im Blick haben. Mehrere Hundert Millionen Jugendliche sind dort ohne Job ...

RP: ... und wollen zu uns.

Müller: Nein. Die meisten wollen nicht weg aus ihrer Heimat. Aber wenn sie dort keine Chance haben und über ihr Smartphone erfahren, wie gut wir hier leben, ist der Anreiz zur Flucht groß.

RP: Wie wollen Sie die von der Flucht abhalten?

Müller: Wir müssen präventiv tätig werden.

RP: Das hört sich schön an. Was ist aber, wenn sich Hunderttausende jetzt auf den Weg machen?

Müller: Wir haben in der Vergangenheit große Fehler gemacht. Westliche Flugzeuge haben etwa Libyen bombardiert, um Gaddafi zu stürzen. Danach hat man das Land sich selbst überlassen. Jetzt bedrohen marodierende Tuareg und der mörderische Islamische Staat die Stabilität gleich in mehreren Ländern. Man hätte die Tuareg entwaffnen und staatliche Strukturen aufbauen müssen. Das verstehe ich unter Prävention.

RP: Warum gibt man Milliarden für die Flüchtlinge hierzulande aus, während Sie als Entwicklungsminister um jeden Euro kämpfen müssen?

Müller: Ich bin unserem Finanzminister Wolfgang Schäuble sehr dankbar, dass er meinen Etat in diesem Jahr um 850 Millionen Euro und 2017 um 500 Millionen Euro aufgestockt hat.

RP: Reicht das?

Müller: Wir Deutschen leisten schon jetzt einen großen Teil der aktuellen Hilfen. Beim World Food Programme, der schnellen Ernährungshilfe, sind es 50 Prozent. Aber ich gebe Ihnen recht: Wir brauchen unbedingt einen gesamteuropäischen Marshall-Plan für die Bewältigung der Flüchtlingskrise mit einem eigenständigen EU-Flüchtlingskommissar.

RP: Ähnlich dem UN-Flüchtlingskommissar?

Müller: Ganz genau. Es ist eine Schande, dass Europa bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht besser zusammenarbeitet. Die Europäische Union sollte sich ein Beispiel an der Uno nehmen. Die UN-Flüchtlingshilfe arbeitet sehr effizient und hilft.

RP: In den Krisenregionen Afrikas kommt offenbar jede Hilfe zu spät. Auf welche neuen Flüchtlingsströme aus diesem Kontinent müssen wir uns einstellen?

Müller: Nach unseren Informationen warten allein in Libyen 100.000 bis 200.000 Afrikaner, die aus Staaten südlich der Sahara kommen, auf ihre Überfahrt nach Europa. Die Schlepper-Mafia ist dort schon voll in Aktion.

RP: Und was tun wir?

Müller: Wir müssen sofort handeln. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier kümmert sich intensiv darum, die jetzige libysche Regierung zu stabilisieren. Die Regierung braucht Autorität, Institutionen, Ausbildung von Polizei und den Ausbau der Küstenwache.

Das Interview führten Michael Bröcker und Martin Kessler für die Rheinische Post .