„Putin benutzt einen Werkzeugkasten der Desinformation“

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digitale Bildschirme zeigen unterschiedliche Fernsehsender

Der Krieg in der Ukraine wird auch im Netz geführt.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Welche Narrative verbreitet Russland aktuell zum Krieg in der Ukraine?

Güllner: Wir haben es mit drei großen Themenblöcken zu tun.
Erstens sind Falschinformationen zum Kriegsverlauf im Umlauf, zum Beispiel falsche Verlust- oder Erfolgsmeldungen. Der zweite große Block geht um die Frage Ursache und Wirkung. Wer ist der Aggressor? Wo kommt die Gefahr her? Hier werden Tatsachen entweder falsch oder verdreht dargestellt. Immer wieder wird die Nato oder der Westen als Aggressor genannt, gegen den sich Russland wehren muss. Der dritte große Bereich bezieht sich schließlich auf die Ukraine selbst, deren Existenzrecht abgesprochen wird. Die politische Führung der Ukraine wird diskreditiert, eine gemeinsame Historie konstruiert. Russland spricht von Entnazifizierung und einer Friedensmission. Und es gibt zudem sehr viele Unternarrative, die immer wieder bedient werden. 

Was ist das Hauptziel, das Russland damit verfolgt?

Güllner: Innenpolitisch versucht Russland, sein Handeln gegenüber seiner eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen. Mit einem neuen Gesetz kontrolliert Putin jetzt die russische Öffentlichkeit noch stärker als zuvor. Nicht Kreml-genehme Berichterstattung wird unter Strafe gestellt. 
Die zweite Zielgruppe ist die Bevölkerung in der Ukraine. Die Ukrainer sollen glauben, dass der Westen sie aufgegeben hat. Die dritte Zielgruppe sind wir, der Westen. Es wird so dargestellt, als ob der Westen gegen die internationalen Regeln verstößt, nicht Putin.

Wo findet die Verbreitung der Desinformation statt?

Güllner: Jede Zielgruppe wird gezielt angesprochen, dafür werden ganz unterschiedliche Instrumente und Kanäle benutzt. Man muss sich das wie eine Art Werkzeugkasten vorstellen. Erstens: die offiziellen Kanäle, dazu gehören z.B. auch Verlautbarungen des Präsidenten selbst oder des Außenministeriums. Zweitens: die Staatsmedien. Drittens: der etwas obskure Bereich der sogenannten Informationsportale. Die sind oftmals eng mit dem Staat, manchmal sogar mit den russischen Geheimdiensten verbunden. Und viertens gibt es schließlich einen verdeckten Bereich in den sozialen Medien, wo zum Teil falsche Identitäten im Einsatz sind, deren Reichweite wiederum künstlich verstärkt werden. 

Lutz Güllner

Lutz Güllner: „Wir haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, Desinformation zu erkennen und zu entlarven.“

Foto: Lutz Güllner

Zur Person: Lutz Güllner leitet die Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst  (EAD) in Brüssel, die sich um die Aufdeckung und Bekämpfung von ausländischer Desinformation beschäftigt. 

Und was tut der EAD ganz konkret dagegen?

Güllner: Unser wichtigstes Ziel ist, über die Existenz von Desinformation aufzuklären: Licht ins Dunkel bringen, um zu zeigen, dass Informationen bewusst manipuliert werden. Es geht nicht darum, einen einzelnen Meinungsbeitrag als richtig oder falsch, genehm oder nicht genehm zu klassifizieren, sondern das koordinierte Vorgehen an sich zu entlarven. Das ist der eine Aspekt unserer Arbeit. Der zweite ist die Offen- und Widerlegung einzelner Narrative . Wir erklären, warum bestimmte Behauptungen und Erzählungen weder schlüssig sind, noch mit Fakten unterlegt werden können. Und zum Dritten geht es darum, das Bewusstsein der Bevölkerung zu schärfen und eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation zu entwickeln.

Verfängt Putins Propaganda?

Güllner: Das ist schwierig zu messen. Man kann in den sozialen Medien zwar sehen, ob ein Beitrag oft geteilt wird. Aber ob die Desinformationskampagnen deshalb auch wirken, wissen wir nicht. Wir können nicht in die Köpfe der Menschen schauen. Zumal auch, wie bereits erwähnt, ganz unterschiedliche Zielgruppen adressiert werden. Oftmals ist es so, dass eine manipulierte Nachricht zwar kurzfristig in den Umlauf gebracht wird. Der Erfolg bemisst sich aber auch darin, ein Narrativ so lange zu wiederholen, bis es „kleben“ bleibt. Festzuhalten bleibt: Hätte es keinen Erfolg, würden Desinformation und Propaganda als Waffe nicht zum Einsatz kommen. Zumal so massiv, mit großen Budgets und viel, wie wir es beobachten. Vielleicht noch eine optimistische Bemerkung zum Schluss: Wir haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, Desinformation zu erkennen und zu entlarven.  Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg, auch wenn wir noch ein Stückchen gehen müssen.

Aktuelle Desinformation zum Krieg in der Ukraine deckt die Task Force in englischer Sprache  auf. Einzelne Texte sind hier  auf Deutsch abrufbar.