„Wir vergessen die Betroffenen nicht. Wir stehen an ihrer Seite“

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Interview mit Pascal Kober „Wir vergessen die Betroffenen nicht. Wir stehen an ihrer Seite“

Der 11. März ist der neue Nationale Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt. Als Opferbeauftragter der Bundesregierung ist Pascal Kober Ansprechpartner für Betroffene und Hinterbliebene. Im Interview spricht er darüber, wie er hilft, was Betroffenen wichtig ist und warum seine Arbeit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken kann.

5 Min. Lesedauer

Das Bild zeigt den Opferbeauftragten im Gespräch.

Pascal Kober will in seiner Amtszeit noch mehr über die Perspektive der Betroffenen erfahren und so Veränderungen anstoßen.

Foto: Bundesregierung/Kugler

Zur Person: Pascal Kober, 50, ist Abgeordneter im Deutschen Bundestag und evangelischer Theologe. Als Militärseelsorger hat er Soldatinnen und Soldaten auch zu Auslandseinsätzen begleitet. Seit Januar 2022 ist Kober Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland.

Warum benötigt die Bundesregierung einen Opferbeauftragten und was sind Ihre konkreten Aufgaben?

Pascal Kober: Das Amt des Bundesopferbeauftragten wurde nach dem islamistischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 geschaffen. Damals hat sich auf schmerzliche Weise gezeigt, dass im Bereich der Opferunterstützung großer Verbesserungsbedarf bestand. Viele Betroffene fühlten sich vom Staat nicht hinreichend unterstützt. Es fehlte ein zentraler Ansprechpartner auf Bundesebene.

Hieraus hat die Bundesregierung Konsequenzen gezogen. Zunächst hat sich Kurt Beck mit großem Engagement um die Betroffenen des Anschlags auf dem Breitscheidplatz gekümmert. Im April 2018 wurde das Amt des Bundesopferbeauftragten verstetigt. Im Januar dieses Jahres habe ich das Amt von meinem Vorgänger Prof. Edgar Franke übernommen. 

Im Falle eines Anschlags in Deutschland gehört es zu meinen Aufgaben, unmittelbar vor Ort Ansprechpartner für die Betroffenen zu sein. Hierbei arbeite ich Hand in Hand mit den Opferbeauftragten und den zentralen Ansprechstellen in den Ländern, die es mittlerweile in 15 Ländern gibt. Das hat sich bei der Unterstützung von Betroffenen bewährt. Wir gehen proaktiv auf die Betroffenen zu und bieten gemeinsam Unterstützung an, etwa durch Vermittlung von psychosozialen, finanziellen und praktischen Hilfen.

Zusätzlich schalten wir unmittelbar nach dem Anschlag eine rund um die Uhr besetzte Hotline für Betrroffene. Dort bieten psychosoziale Fachkräfte telefonische Akuthilfe an. Auch für die Zeit danach bleibe ich Ansprechpartner für die Anliegen der Betroffenen, zusammen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Justizministerium. Betroffene können sich auch noch Jahre nach einem Anschlag an uns wenden.

Das Amt des Opferbeauftragten wurde im April 2018 verstetigt. Was wurde seitdem erreicht?

Kober: Meine beiden Vorgänger im Amt, Kurt Beck und Prof. Dr. Edgar Franke, haben sich mit großem Einsatz für die Verbesserung der Unterstützung von Terroropfern in Deutschland starkgemacht. Es wurde hier viel erreicht: Die sogenannten Härteleistungen als freiwillige Solidaritätsleistung des Staates für Betroffene wurden erhöht, das Informationsangebot für Betroffene wurde ausgebaut und das Soziale Entschädigungsrecht umfassend reformiert, um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts wird deutliche Verbesserungen für die Opfer mit sich bringen, wenn sie ab Januar 2024 vollständig in Kraft ist. 

Es bleibt aber auch noch genug für mich zu tun. Ich sehe beispielsweise Verbesserungsbedarf beim Umgang mit Betroffenen durch die Behörden. Auch die Hürden, denen sich Betroffene beim Antragsprozess für Leistungen ausgesetzt sehen, sind ein wichtiges Thema. Und es gibt noch weitere wichtige Punkte. In einer globalisierten Welt sind im Falle von terroristischen Anschlägen in aller Regel Personen aus verschiedenen Ländern betroffen. Das gilt besonders in Europa. Die EU hat hier schon viele Impulse gesetzt. Das betrifft vor allem die Betreuung von Opfern und deren Unterrichtung über ihre Rechte. Gleichwohl besteht auch hier noch Verbesserungsbedarf, insbesondere bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der nationalen Behörden. 

Mein Ziel ist es, noch mehr über die Perspektive der Betroffenen zu erfahren und diese Erkenntnisse in Überlegungen zur Verbesserung der Situation der Betroffenen einfließen zu lassen. Viele Betroffene engagieren sich fortwährend und mit großem Einsatz, um auf ihre Situation und die Notwendigkeit von Verbesserungen aufmerksam zu machen. Ihnen gebührt Respekt und Anerkennung. 

Bundeskanzler Scholz hat zuletzt an den schrecklichen Anschlag von Hanau erinnert und dabei die konsequente Bekämpfung der Ursachen rechtsextremistischer Anschläge sowie staatliche Unterstützung für die Betroffenen zugesagt. Wie können Sie dazu beitragen, Rassismus in Deutschland zu bekämpfen?

Kober: Von meinem Engagement gemeinsam mit vielen anderen Akteuren in Deutschland erhoffe ich mir ein starkes Signal gerade an die Betroffenen von rassistischen Anschlägen, dass Staat und Gesellschaft eng an ihrer Seite stehen. Indem wir uns den Opfern zuwenden und sie stärken, entmutigen wir auch die Täter. Denn ihr Plan, die Gesellschaft zu spalten, wird nicht aufgehen.

Wie wollen Sie den Anliegen der Hinterbliebenen, denen es insbesondere um das Gedenken an die Opfer, eine zügige Aufarbeitung und die Frage von Entschädigungszahlungen geht, gerecht werden?

Kober: Die Anliegen der Hinterbliebenen sind vielfältig. Das wird gerade am Beispiel Hanau deutlich. Ich war vor Kurzem zu den Gedenkveranstaltungen anlässlich des zweiten Jahrestages des Anschlags in der Stadt. Dort bin ich mit vielen Hinterbliebenen ins Gespräch gekommen. Aus diesen Gesprächen nehme ich mit, dass es noch immer Fragen und Unzufriedenheit gibt. Das will ich nicht verschweigen. Gleichwohl habe ich gesehen, wie sehr sich die Zivilgesellschaft, die Stadt, das Land und auch der Bund gekümmert haben. Allein der Bund hat Härte- und Unterstützungsleistungen im Umfang von 1,3 Millionen Euro ausgezahlt. Das Land Hessen hat einen Opferfonds aufgelegt, aus dem ebenfalls Hilfszahlungen geleistet werden. Um eventuelle Versäumnisse von Behörden zu untersuchen, hat der Hessische Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Die Ergebnisse werden die Fragen der Hinterbliebenen hoffentlich beantworten.

Darüber hinaus hat die neue Bundesregierung das Bedürfnis nach einem öffentlichen Gedenken an die Opfer von Anschlägen erkannt und deshalb einen nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt beschlossen. Wir begehen den Tag schon in diesem Jahr zum ersten Mal: am 11. März. Das finde ich ausgesprochen wichtig. Staat und Gesellschaft rufen sich die Situation der Betroffenen öffentlich ins Bewusstsein und schaffen damit einen Raum für das Erinnern und Innehalten. Und der Gedenktag zeigt auch: Wir vergessen die Betroffenen nicht. Wir stehen an ihrer Seite. Nicht nur unmittelbar nach einem Anschlag, nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Tag.

Wohin können sich Betroffene unter welchen Voraussetzungen wenden?

Kober: Zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meiner Geschäftsstelle bin ich Ansprechpartner für die Anliegen der Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland. Hierfür gibt es keine besonderen Voraussetzungen. Auch wenn wir den Betroffenen mit ihrem konkreten Anliegen nicht weiterhelfen können, so wissen wir doch meist, wer das kann und vermitteln den Kontakt. Zudem haben wir auf der Seite www.hilfe-info.de zahlreiche Angebote und Kontaktdaten zu den Themen Opferschutz und Opferhilfe zusammengetragen und leicht zugänglich aufbereitet.