„Jede Form von Antisemitismus bekämpfen“

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Interview mit Felix Klein „Jede Form von Antisemitismus bekämpfen“

Jüdisches Leben ist ein selbstverständlicher Teil der deutschen Realität – das betont Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung. Im Interview spricht er über Solidarität mit Israel nach den Angriffen der Hamas, Ängste jüdischer Menschen in Deutschland – und darüber, wie wir alle mit Antisemitismus umgehen sollten.

6 Min. Lesedauer

Felix Klein

Felix Klein ist Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung.

Foto: Bundesregierung/Torsten Silz

Herr Klein, wie geht es Ihnen in diesen Tagen? 

Felix Klein: Ich bin seit dem 7. Oktober dieses Jahres im Dauereinsatz. Mein Terminkalender ist aus den Fugen geraten. Ich spreche mit besorgten jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, beantworte Presseanfragen, Anfragen aus dem Bundestag, bespreche mich mit den Ressorts der Bundesregierung und arbeite auch jetzt weiter an Konzepten und Vorschlägen, wie wir reagieren können auf die jetzige Situation.

Am Morgen des 7. Oktober 2023 hat die Terrororganisation Hamas einen Angriff auf Israel gestartet. Wohnungen und Krankenhäuser wurden von Raketen getroffen, Menschen wahllos erschossen. Nach israelischen Angaben wurden mehr als 100 Menschen entführt und verschleppt. Mehr zur aktuellen Lage in Israel hier beim Auswärtigen Amt .

Was sagen Ihnen jüdische Menschen in Deutschland, die mit Ihnen in Kontakt treten?

Klein: Jüdische Menschen in Deutschland sind sehr besorgt. Einige jüdische Familien schicken ihre Kinder nicht mehr in die Schule und in den Kindergarten, weil sie Angst haben, insbesondere wenn sie in jüdische Einrichtungen gehen. Auf der anderen Seite sehen aber Jüdinnen und Juden die große Solidarität, die Israel und jüdischen Menschen in Deutschland entgegengebracht wird – zwar leider nicht von allen, jedoch von vielen. Es ist gut, dass die Entschlossenheit da ist und die öffentliche Meinung in Deutschland größtenteils so klar auf der israelischen Seite steht.

Haben Sie das Gefühl, dass sich gerade etwas ändert im Alltag jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen?

Klein: Ja, wenn wir sehen, dass Häuser, in denen jüdische Menschen wohnen, markiert werden, dann erinnert das an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte und das verunsichert viele. Hier merke ich auch, dass einige Hemmungen haben, in einem koscheren Supermarkt einzukaufen, in jüdische Restaurants zu gehen. Das ist wirklich nicht hinnehmbar. Wir müssen alles dagegen tun, dass diese Unsicherheit überhaupt aufkommen kann.

Aber können sich jüdische Menschen in Deutschland noch sicher fühlen?

Klein: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Und darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wo fängt denn für Sie Antisemitismus an?

Klein: Antisemitismus fängt an, wenn man Menschen anders behandelt, nur weil sie jüdisch sind. Konkret heißt das, Menschen nicht nach ihren individuellen Eigenschaften behandelt, sondern von einem allgemeinen Vorurteil auf das persönliche Verhalten schließt. Oder andersherum, wenn sich jemand in einer Art und Weise äußert, dies dann zur Bestätigung eines meist negativen Vorurteils genutzt wird. Das geht nicht. Im Übrigen kann jede Person antisemitisch diskriminiert werden, auch selbst wenn man gar nicht jüdisch ist. Wenn sich Männer zum Beispiel eine Kippa aufsetzen, werden sie von anderen Menschen als jüdisch wahrgenommen, auch wenn sie es gar nicht sind.

Verstecken sich die Deutschen jetzt hinter dem Begriff importierter Antisemitismus?

Klein: Wenn wir jetzt auf den Antisemitismus von anderen zeigen, hat das keinen Zweck und hilft überhaupt nicht weiter. Wir müssen jede Form von Antisemitismus bekämpfen. Ich halte nichts davon, dass wir einen Generalverdacht gegen Muslime hier in Deutschland aussprechen oder auch gegen Palästinenser. Die meisten sind, glaube ich, genauso betroffen und bestürzt über die Situation wie alle. Und deswegen verwahre ich mich sehr dagegen, dass wir nur auf diese Gruppe zeigen. Aber wir müssen natürlich auch keine Scheu davor haben, den Antisemitismus in arabischstämmigen Milieus genauer zu untersuchen und auch die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wie können wir die in Deutschland lebenden Menschen besser für das Problem Antisemitismus sensibilisieren?

Klein: Ich stelle zunächst einmal fest: Das Bewusstsein darüber, dass Antisemitismus ein Problem ist, ist sehr gestiegen in Deutschland. Als ich mein Amt antrat, waren etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung der Auffassung, dass Antisemitismus ein schwerwiegendes Problem ist. Dieser Wert hat sich auf etwa 70 Prozent erhöht. Das ist gut. Vertreterinnen und Vertreter der Medien und Politik schauen besser hin. Trotzdem müssen wir weiter sensibilisieren, denn ohne eine wachsame und mutige Zivilgesellschaft werden wir es nicht schaffen, Antisemitismus wirksam zurückzudrängen. Es gibt viele Formate, die dazu geeignet sind, für Antisemitismus zu sensibilisieren, wie zum Beispiel Aktionswochen. Es gibt Fernsehsendungen, Artikel in verschiedenen Medien über jüdisches Leben und Antisemitismus, Kampagnen wie die „Fragemauer“ der Organisation Elnet, die ich auch unterstütze, wo niedrigschwellig, auch humorvoll Vorurteile abgebaut werden. Die Bandbreite ist also sehr groß.

Und was glauben Sie, kann jeder Einzelne tun, um Solidarität mit jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu zeigen?

Klein: Also einmal wäre es wichtig, dass wenn jemand antisemitische Äußerungen in seinem privaten Umfeld mitbekommt, sofort zu widersprechen und dem etwas entgegenzuhalten. Wichtig ist, die Solidarität mit jüdischen Bürgern und Bürgerinnen zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht einmal in eine Synagoge zu gehen, vielleicht noch mal einen Stolperstein in der eigenen Stadt zu reinigen, sich also überhaupt erstmal über jüdisches Leben, die jüdische Geschichte in Deutschland und Antisemitismus zu informieren. Es gibt wirklich mittlerweile bundesweit sehr gute Angebote zur Information, auch solche, die Spaß machen, wie Konzerte, Ausstellungen, Kochkurse. Auch hier ist die Bandbreite sehr groß.

Gibt es auch Ereignisse oder Gespräche mit Menschen in Deutschland, die ihnen in diesen Tagen Hoffnungen machen, was die Situation in Deutschland betrifft?

Klein: Ich bin erst mal sehr, sehr dankbar darüber, dass parteiübergreifend ein großer Konsens darüber herrscht, dass wir jetzt gegen Antisemitismus vorgehen müssen. Es gibt überall im Land Solidaritätsbekundungen für Israel, zum Beispiel am Brandenburger Tor mit tausenden von Menschen. Also das gibt mir Mut, dass wir wirklich auch als Gesellschaft wehrhaft gegen Antisemitismus sind. Natürlich kann es immer noch besser sein: 100.000 Teilnehmerinnen und -teilnehmer wären ein noch größeres Zeichen. Es gibt also noch weitere Arbeit zu tun, was der Tragweite des Terrors gegen Israel und dem Anstieg des Judenhasses hierzulande noch besser gerecht werden würde.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit eindeutig rassistischen oder antisemitischen Äußerungen von Politikerinnen und Politikern umgehen?

Klein: Man sollte ganz klar machen, dass solche Äußerungen nicht zum politischen Diskurs gehören, der ernst genommen wird. Unmissverständliche Distanzierung gehört dazu! Das gilt besonders für Äußerungen, die den Holocaust relativieren, die nach einem Schlussstrich unter die deutsche Geschichte verlangen, Verschwörungstheorien salonfähig machen sollen. Das ist ganz klar. Und noch eine Sache finde ich wirklich wichtig. Jeder, der politische Verantwortung trägt in diesem Land, muss sich eindeutig von den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen distanzieren. Und jedes politische Handeln muss aus dieser Geisteshaltung heraus erfolgen. Das muss Grundkonsens sein für alle Demokratinnen und Demokraten in Deutschland.

Gibt es noch einen Punkt, der Ihnen mit Blick auf jüdisches Leben in Deutschland besonders wichtig ist?

Klein: Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass die Menschen, wenn sie das Wort Juden hören oder jüdisches Leben, dass sie sofort an Antisemitismus denken, an die Nahostkonflikte und antisemitische Vorfälle. Sondern wir müssen lernen, auch als Gesellschaft, dass jüdisches Leben ein ganz selbstverständlicher Teil der deutschen Realität ist. Und je normaler das ist, je selbstverständlicher das wahrgenommen wird, desto weniger wird es auch Gefahr geben, dass jüdisches Leben angegriffen wird.