"Der Migrationshintergrund kann auch ein Wettbewerbsvorteil sein"

Interview mit DSI-Geschäftsführerin "Der Migrationshintergrund kann auch ein Wettbewerbsvorteil sein"

Sie war die erste türkischstämmige Beamtin im Kanzleramt, heute ist sie Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration: Gonca Türkeli-Dehnert erzählt im Interview, wie sich die Diskussionen in Deutschland verändert haben und wie sie selbst zum Begriff "Integration" steht.

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Eine schwarze Lehrerin unterrichtet im Klassenzimmer eine diverse Gruppe geflüchteter Menschen.

Heute bietet der Staat früh Sprach- und Integrationskurse an, erklart Türkeli-Dehnert.

Foto: Köhler/photothek.net

Sie haben im Stab von Maria Böhmer gearbeitet, die von 2005 bis 2013 Integrationsbeauftragte der Bundesregierung war. Wie hat sich die Gesellschaft seitdem in Bezug auf Integration und Zuwanderung entwickelt?

Gonca Türkeli-Dehnert: Seit dem Jahr 2005 hat sich vieles zum Positiven gewendet. Integration wurde von der Bundeskanzlerin zur Chefinnensache erklärt, die Integrationsbeauftragte wurde zur Staatsministerin im Bundeskanzleramt aufgewertet. Dadurch hat das Thema Integration eine nie da gewesene Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte erhalten.

Neue Projekte wurden angestoßen: Der Integrationsgipfel, zu dem erstmals Migrantinnen und Migranten ins Kanzleramt eingeladen wurden, um gemeinsam und auf Augenhöhe mit der Bundesregierung einen Nationalen Integrations- und Aktionsplan zu entwickeln. Dabei war eine Aufbruchstimmung zu spüren. Gleichzeitig hat man die Herausforderungen und Schwierigkeiten beim Thema Integration offen angesprochen.

Welche Parallelen und Unterschiede sehen Sie zwischen den früheren Diskussionen um die Integration von Gastarbeiterfamilien und den heutigen Debatten über die Integration von Geflüchteten?

Gonca Türkeli-Dehnert: Die Befürchtung in Teilen der Aufnahmegesellschaft, dass die neu zu uns gekommenen Menschen sich nicht anpassen können oder wollen, hat es immer gegeben. Die sogenannten Gastarbeiter sollten nur Gäste auf Zeit sein und bald wieder gehen. Wir haben aber gelernt, dass viele von ihnen geblieben sind. Sie leben mittlerweile teilweise in vierter Generation in unserem Land.

Wir haben seinerzeit als Staat keine Angebote zur Integration gemacht. Heute haben wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Wir bieten sehr früh Sprach- und Integrationskurse für Menschen an, die eine Bleibeperspektive haben. Dieser Mechanismus gilt immer mehr auch für den Arbeitsmarkt: Je früher Menschen Zugang zu Arbeit haben, desto schneller können sie auch ein Teil dieses Landes werden.

Zu sehen ist Gonca Türkeli-Dehnert, die sich mit verschränkten Armen an eine Wand anlehnt.

Gonca Türkeli-Dehnert leitet seit dem 1. Feburar 2018 die Deutschlandstiftung Integration.

Foto: privat

Der Begriff Integration wird zunehmend auch kritisch diskutiert. Der Vorwurf: Das Wort suggeriere eine einseitige Bringschuld der Zugewanderten, sich an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Wie stehen Sie dazu?

Gonca Türkeli-Dehnert: Ich kann durchaus verstehen, warum gerade Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte mit dem Wort Integration hadern. Ich werte ihre kritische Sicht als Zeichen, dass sie sich längst als selbstverständlicher Teil dieses Landes wahrnehmen. Sie wollen unter dem Label Integration nicht immer wieder auf die Fragen zurückgeworfen werden, die schon ihre Eltern beantworten mussten.

Gleichwohl brauchen wir den Begriff Integration als Orientierungsrahmen für Neuzuwanderer, die zum Beispiel die deutsche Sprache erlernen. Ich denke, dass es in Zukunft noch stärker darauf ankommen sollte, in welchem Kontext wir welche Begriffe nutzen. Deshalb sollten wir uns stärker damit auseinandersetzen, wie vielfältig unsere Gesellschaft bereits ist. Dafür müssen wir die Migrationsbiografien der Menschen in diesem Land sehr viel differenzierter wahrnehmen und anerkennen.

Sie sind Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration, die engagierte und talentierte Studierende mit Zuwanderungsgeschichte fördert. Haben Kinder aus zugewanderten Familien heute dieselben Teilhabechancen wie Kinder aus Familien, die keinerlei Wurzeln im Ausland haben?

Gonca Türkeli-Dehnert: Teilhabechancen hängen meines Erachtens von vielen Faktoren ab. Der Migrationshintergrund kann sich nachteilig auswirken, wenn weitere Faktoren wie etwa Einkommensschwäche oder Bildungsferne hinzukommen.

Der Migrationshintergrund und eine gelebte Vielsprachigkeit können in einer sich globalisierenden Arbeitswelt aber auch ein Wettbewerbsvorteil sein, den unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten zu ihren Gunsten nutzen sollten. Ich denke, dass hier in vielen Branchen und Unternehmen bereits ein Umdenken eingesetzt hat. Aber ja, von gleichen Teilhabechancen sind wir noch entfernt.

Welchen Rat geben Sie jungen Menschen aus eingewanderten oder geflüchteten Familien?

Gonca Türkeli-Dehnert: Ich glaube, dass Deutschland ein wunderbares Land ist, das ihnen viele Chancen bietet. Ich empfehle ihnen, sich stärker mit dem Land, in dem sie leben, auseinanderzusetzen und mitzumischen, egal ob nun am Arbeitsplatz, in Verbänden, Parteien oder Sportvereinen.

Auch wenn es viel Kraft kostet, sollten sie sich bei Diskriminierungserfahrungen nicht zurückzuziehen, sondern die Herausforderung annehmen, dieses Land noch liebenswerter, gerechter und offener zu machen. Statt sich entmutigen zu lassen, sollten sie sich herausgefordert sehen, diese Gesellschaft mitzugestalten.

Die Deutschlandstiftung Integration fördert unter der Schirmherrschaft von Kanzlerin Merkel engagierte Studierende mit Zuwanderungsgeschichte. Beim "Geh Deinen Weg"-Stipendium engagiert sich auch Regierungssprecher Steffen Seibert als Mentor. Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes hat die Stiftung die Kampagne "Mein Deutschland. Ich lebe hier auf gutem Grund. " ins Leben gerufen. Darin werben Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für einzelne Artikel der Verfassung.