„Der offensichtlichste Unterschied sind die technologischen Möglichkeiten“

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Interview zu russischer Desinformation „Der offensichtlichste Unterschied sind die technologischen Möglichkeiten“

Wie hat russische Desinformation die Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate geprägt? Wie können wir mit Informationsmanipulation umgehen? Darüber spricht Jakub Kalenský, Experte für russische Desinformation, im Interview – aus Anlass des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine vor einem Jahr.

5 Min. Lesedauer

Die Erde aus dem Weltall gesehen

Desinformationskampagnen aufdecken und Menschen schon im Vorfeld sensibilisieren – diese und weitere Strategien empfiehlt der Analyst Jakub Kalenský vom Netzwerk Hybrid CoE in Helsinki.

Foto: Getty Images

Sie sind seit vielen Jahren intensiv daran beteiligt, Erzählmuster aus Russland im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu überwachen, analysieren und dokumentieren. Welche dieser sogenannten Narrative im Zusammenhang mit Russlands Aggressionen dominieren heute aus Ihrer Sicht besonders und wie haben sich diese im vergangenen Jahr verändert?

Jakub Kalenský: Ich würde sagen, dass die Narrative wahrscheinlich die stabilste Komponente der russischen Desinformation sind. Und das aus einem sehr guten Grund. Jede Kommunikationskampagne setzt auf Wiederholung und ist erfolgreicher, wenn die Botschaften ständig wiederholt werden, mehr Menschen erreichen und so auch tiefer in die Köpfe der Menschen eindringen können. Einige der Erzählungen, die wir heute hören, sind bereits Ende 2013 oder Anfang 2014 im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und der Invasion des Donbass vor neun Jahren aufgekommen.

Aber einige sind noch älter und haben ihren Ursprung im Kalten Krieg – zum Beispiel, dass der Westen für alles Böse verantwortlich sei, was auf der Welt passiert. Aber auch wenn sie alt sind, macht sie das nicht weniger gefährlich und beweist, dass sie vom Kreml als erfolgreich oder besonders nützlich bewertet werden.

Was hat sich im Vergleich zum Kalten Krieg daran geändert, wie Russlands auf unser aktuelles Informationsklima Einfluss nimmt und was lässt sich insbesondere für das vergangene Jahr darüber sagen?

Kalenský: Der offensichtlichste Unterschied sind die technologischen Möglichkeiten. Die „Informationswäsche“ erforderte früher eine genaue Planung und Nachrichten mussten in traditionellen Medien platziert werden – in der Hoffnung, dass sie überhaupt veröffentlicht wurden. Heutzutage geschieht dieser Vorgang innerhalb von Stunden. Es ist auch viel einfacher vorzugeben, jemand anderes zu sein. Das Publikum zu verwirren, ist heute viel einfacher. Gleichzeitig sagen einige, sei es heutzutage wiederum einfacher, Manipulation zu erkennen. Daher denke ich, dass die Geschwindigkeit den großen Unterschied zur bisherigen Verbreitung von Desinformationen ausmacht.

Ansonsten gibt es nicht viele Unterschiede zu den Zeiten des Kalten Krieges, da die Konfrontation mit dem Westen beziehungsweise demokratischen Ländern schon damals sehr stark betont wurde. Sehr ähnlich ist auch, wie viele Ressourcen in die Desinformations-Kampagnen flossen und jetzt fließen, die Russland durchführte und durchführt. Das Budget für andere Themen wie Gesundheit und Bildung ging im Vergleich zu den Ausgaben für Kommunikation und Medien deutlich zurück – so wie heute auch.

Welche technologischen Trends werden wahrscheinlich die weitere Durchführung und Rezeption von Desinformationsoperationen beeinflussen?

Kalenský: Ich muss zugeben, dass ich bin kein Experte für KI bin. Dennoch denke ich, dass neue Technologien wie ChatGPT die Verbreitung von Desinformationen erleichtern können. Nichtsdestotrotz kann falsche Information auch durch Technologie und KI unterstützend erkannt werden. Wir hatten kürzlich einen Fall in Finnland, in dem ein russischer Troll versuchte, die NATO zu diskreditieren, und ein Wort in einem Tweet falsch geschrieben hatte. Es war eigentlich ziemlich lustig – Finnisch ist eine sehr schwierige Sprache und das hat die Manipulation so sichtbar gemacht. Aber es ist wahrscheinlich, dass KI auch dabei helfen könnte, solche dummen Fehler zu vermeiden.

Jakub Kalenský, Senior Analyst, The European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats.

Jakub Kalenský ist Analyst und spezialisiert auf russische Desinformation.

Foto: Jakub Kalenský

Können Sie uns erklären, warum die Einmischung von außen in die öffentliche Meinung so problematisch für den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Länder und der Europäischen Union ist?

Kalenský: Erfolgreiche Desinformation kann die Unterstützung für die Ukraine verringern. Wenn sich das Narrativ noch verbreitet, dass der Westen am Krieg schuld ist, wird es schwierig, die Unterstützung der Ukraine auf lange Sicht zu rechtfertigen. Und es würde Russlands Kriegsverbrechen erheblich erleichtern. Es gibt zwei Dimensionen, warum externe Eingriffe in den Informationsbereich uns in Europa schaden.

Erstens sucht Russland Unterstützung in extremistischen Teilen der Gesellschaft, was zu einer stärkeren Polarisierung innerhalb der einzelnen Länder führen kann. Zweitens nimmt durch die Manipulation von Information, die wir erleben, das Vertrauen in demokratische Institutionen ab. Dies betrifft nicht nur das Vertrauen in die Regierung, sondern auch in die Medien. Dies ist gefährlich, wenn wir andere Krisen bewältigen wollen, wie zu Pandemiezeiten oder Wirtschaftsrückgängen. Im Moment ist das wichtigste Thema meiner Meinung nach jedoch die potenzielle innenpolitische Missbilligung, die Ukraine in Zukunft zu unterstützen.

Wenn wir davon ausgehen, dass es Russland gelungen ist, nicht nur der Ukraine, sondern auch bestimmten demokratischen Prozessen zu schaden, was empfehlen Sie demokratischen Gesellschaften, wenn es darum geht, sich auf weitere Kampagnen im Zusammenhang mit Informationsmanipulation vorzubereiten?

Kalenský: Es gibt tatsächlich unterschiedliche Ansichten darüber, ob Russland erfolgreich ist oder nicht – ich denke, dass sie es leider sind. Auch wenn sie zunehmend in der Welt isoliert sind, was ihnen egal ist, bleibt abzuwarten, wie sehr russische Narrative den Ausgang von Wahlen in demokratischen Ländern verändern und wie sie Staaten im globalen Süden beeinflussen könnten.

In Bezug auf die Definition von Gegenmaßnahmen schlage ich vor, vier Aspekte zu betrachten, um aufzuschlüsseln, was wir gegen Desinformation tun können. Die erste Komponente ist die Beobachtung und Dokumentation von Desinformation. Es gibt noch viel mehr, was wir tun können und sollten, um diese kohärent, systematisch und in Echtzeit sammeln und sichtbar machen zu können. Zweitens umfassen die Gegenmaßnahmen die Sensibilisierung für Informationsmanipulationen, in dem wir Kampagnen aufdecken und in sogenannte Prebunking-Initiativen investieren, die die Menschen für Desinformation im Vorfeld sensibilisieren.

Ein dritter Aspekt ist, sich für Medien- und Nachrichtenkompetenz einzusetzen und damit zu mehr sozialem Zusammenhalt beizutragen. Neben diesen drei auf Resilienzbildung fokussierten Themen möchte ich die Chancen hervorheben, die bereits bestehende Gesetze, Sanktionen und Regulierungen bieten. Die vierte Komponente der Bekämpfung von Desinformation umfasst daher, Akteure zu begrenzen, bestrafen und abzuschrecken, wenn sie falsche Informationen streuen. Dazu gehören auch Organisationen. Es könnte noch viel mehr getan werden, Nachrichtenagenturen und Medienunternehmen einzudämmen, die Desinformation verbreiten, und nicht nur Einzelpersonen.

Nur wenn wir all diese Probleme gemeinsam angehen und die Aktivitäten in jedem einzelnen von ihnen verstärken, können wir sicherstellen, dass nützliche Instrumente entwickelt werden, um russischer Desinformation entgegenzuwirken und die Unterstützung für die ukrainische Sache aufrechtzuerhalten.

Jakub Kalenský ist als leitender Analyst im European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats (Hybrid CoE) tätig, einem Netzwerk mit Sitz in Helsinki unter der Schirmherrschaft der EU und der NATO. Er konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Sicherung demokratischer Prozesse.

Kalenský spezialisierte sich seit 2015 auf Desinformation und hybride Aktivitäten aus Russland, als er der neu geschaffenen East StratCom Task Force des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) beitrat. Er und seine Kollegen gründeten im Zuge dessen die EUvsDisinfo -Kampagne. 2018 trat Kalenský dem Atlantic Council bei, wo er in der ukrainischen Wahlkommission und im Digital Forensic Research Lab arbeitete und sich mit russischer Desinformation und Gegenmaßnahmen beschäftigte.

Er hat bereits im Europäischen Parlament und im US-Kongress über russische Desinformationsangriffe in Europa und Gegenmaßnahmen ausgesagt. Bevor er sich auf die Bekämpfung von Desinformation spezialisierte, arbeitete Kalenský als Journalist in der Tschechischen Republik.