Jutta Hieronymus, Christof Harnau, John Wegener Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.

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Die zivilgesellschaftliche Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) begrüßt die Entwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) außerordentlich und freut sich über die Möglichkeit, inhaltliche Impulse zur Weiterentwicklung geben zu dürfen. Die nachfolgenden Empfeh¬lungen stammen von unterschiedlichsten GWÖ-Organisationen, die Kommunen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen darin begleiten, ihre Tätigkeit stärker mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit sowie demokratischen Grundwerten in Einklang zu bringen. Diese Empfehlungen werden zudem von unterschiedlichen Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft unterstützt (siehe Seite 4).


1) ERHÖHUNG DER VERBINDLICHKEIT UND RELEVANZ DER DNS
Die DNS sollte innerhalb der Regierung einen höheren Stellenwert bekom¬men, indem sie zukünftig als verbindliches Leitprinzip, bzw. Prüfinstanz für alle politische Entscheidungen dient.


Vorschlag 1.1 –  Stellenwert der DNS als ganzheitliche Wohlfahrtsmessung
Aufnahme der folgenden Vision in die DNS: Die Ziele und Indikatoren der DNS sollen als Grund¬lage einer qualitativen, volkswirtschaftlichen Wohlstandsmessung z.B. als „Gemeinwohl-Produkt“ verstanden und etabliert werden und somit eine Erweiterung der rein finanziellen Erfolgsmessung mittels Bruttoinlandsprodukt (BIP) darstellen. In diesem Sinne sollte die DNS durch entsprechende Kommunikation in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich stärker verankert werden.

Begründung: Aktuell wird Wohlstand und dessen Zuwachs überwiegend finanziell betrachtet. Ein solcher Fokus wird dem Anspruch der nachhaltigen Entwicklung nicht gerecht. Das BIP ist laut dem UN Global Sustainable Development Report (GSDR) 2019 als Gradmesser für Wohlstand ungeeignet, da es negative Ergebnisse, wie ökologische Folgekosten ignoriert. Einer Umfrage des Umweltbundesamtes zufolge plädieren 67% der Be-fragten dafür, das BIP durch ein übergeordneten Wohlfahrtskonzept abzulösen und diesem andere Politikziele unterzuorden.  Die Bundesregie¬rung orientiert sich mit der DNS auch „an dem Ziel eines qualitativen Wachstums, das neben ökonomischen auch soziale und ökologische Ziele beinhaltet“ (S. 164). Die Indikatoren der DNS ermöglichen eine alternative qualitative Betrachtungs¬weise der Volkswirtschaft (“beyond GDP“).


Vorschlag 1.2 – Klare Verantwortlichkeiten und Berichtspflicht
Den verschiedenen Zielen der DNS werden hauptverantwortliche Ministerien zugeordnet, welche sich in regelmäßigen Abständen vor dem Parlament verantworten müssen. Sind die Entwicklun¬gen in den Bereichen „Off-Track“, erhöht sich die Frequenz, in denen die zuständigen Ministerien dem Parlament darlegen müssen, wie eine Kurskorrektur erreicht werden soll.
Begründung: Bisher fehlt es der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie an Verbindlichkeit. Bei negativen Entwicklungen gibt es keinerlei Sanktions- und Verantwortungsmechanismen für die verantwortlichen Personen, bzw. Gremien.

Vorschlag 1.3 – Mechanismen zur Verhinderung von Off-Track-Indikatoren
A) Die Verabschiedung von Gesetzen und Verordnungen, die gemäß der Nachhaltigkeitsprüfung (S. 63) eindeutig negativ auf Off-Track-Indikatoren (S. 56f.) wirken, sollte höheren Hürden unter-liegen, wie zum Beispiel einer parlamentarischen 2/3 Mehrheit oder der Zustimmung des gesamten Kabinetts.
B) Subventionen (S. 63), die eindeutig negativ auf Off-Track-Indikatoren (S. 56f.) wirken, ohne gleichzeitig andere Off-Track-Indikatoren eindeutig positiv zu fördern, sollten innerhalb von 2 Jahren abgeschafft werden.
Begründung: Um die Erreichung der Ziele noch konsequenter sicherzustellen, insbesondere bei negativen Trends (Off-Track-Indikatoren), ist es notwendig, Automatismen bei politischen Entschei¬dungen zu etablieren.


2) NACHHALTIGKEITSBERICHTSERSTATTUNG - STANDARDS UND RECHTSFOLGEN

Vorschläge 2.1 – Entwicklung eines anspruchsvollen Standards der Nachhaltigkeitsbe¬richterstattung
Im Bereich „12.2 Umweltmanagement“ (Vergleich S. 239) sollten die Aktivitäten zur Verzahnung zwischen EMAS und einem Nachhaltigkeitsmanagement wie folgt ergänzt werden:
„Die Bundesregierung definiert gemeinsam mit der Nachhaltigkeitsforschung einen ambitionierten Standard für Nachhaltigkeitsberichtserstattung. Dieser orientiert sich in Anlehnung an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss  und der Studie des IASS  an folgenden Kriterien:

1) Thematisch vollständig bezogen auf die SDGs, 2) praktikabel für Anwender*innen, 3) durch ein quantitatives Bewertungsschema zwischen Unternehmen vergleichbar 4) für Interessenträger verständlich aufbereitet, 5) öffentlich zugänglich, 6) extern überprüft.
In diesem Zuge wird die Anwendung von jenen Standards verbreitet und gefördert, welche diesen Kriterien am besten genügen. Damit wirkt die Bundesregierung auf einen einheitlichen, umfassenden und möglichst vergleichbaren Standard der Nachhaltigkeitsberichterstattung hin.“

Begründung: Die DNS erhebt den Anspruch, dass „Transparente und unabhängige Zertifizierungs- und Zeichensysteme erkennbar machen, ob die Produkte Nachhaltigkeitskriterien entsprechen“ (S. 225). Diese Anforderungen für Transparenz sollten nicht nur auf Produktebene gelten, sondern auch für die Unternehmensebene. Mit Hilfe transparenter und unabhängiger Zertifizierungs- und Zeichensysteme für Nachhaltigkeitsberichte erhalten Anspruchsgruppen (z.B. Lieferant*innen, Finanzpartner*innen, Mitarbeitende, Verbraucher*innen, Wirtschaftsförderung, öffentlicher Einkauf) eine verlässliche Transparenz über den Beitrag einer Organisation zur nachhaltigen Entwicklung. Darüber hinaus wird erst durch einen einheitlichen Standard eine vergleichende Bewertung über die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen ermöglicht.


Vorschlag 2.2 – Wirtschaftspolitische Anreizmechanismen
Im Bereich „12.2 Umweltmanagement“ (vgl. S. 239) sollten folgende Aktivitäten ergänzt werden:
„Die Bundesregierung weitet das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz auch auf nicht kapitalmarkt-orientierte, große Unternehmen (>500 Mitarbeitende > 50 Mio. € Umsatz) aus.
Die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten nach einem thematisch vollständigen, vergleichbaren und extern überprüften Nachhaltigkeitsstandard wird finanziell gefördert, indem Teile der anfallenden Sach- und Personalkosten übernommen werden.

Die Bundesregierung lässt wissenschaftlich überprüfen, inwiefern steuerliche Anreize und Maßnahmen der Wirtschaftsförderung systematisch an das Ergebnis von Nachhaltigkeitsberichten geknüpft werden können, bzw. wie bisherige Anreize im Zusammenhang mit einem umfassenden Nachhaltigkeitsbericht harmonisiert werden können.“
Begründung: Die Einführung von Nachhaltigkeitsmanagementsystemen sowie nachhaltiger Praktiken stellen positive, externe Effekte für die Gesamtgesellschaft dar, die in der Regel mit höheren betrieblichen Kosten einhergehen. Grundsätzlich betont die DNS, dass eine nachhaltige Produktion nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen darf (vgl. S. 226). Derzeit existieren jedoch strukturelle Wettbewerbsnachteile für Unternehmen, die  durch eine nachhaltige Wirtschaftsweise freiwillig negative, externe Effekte auf Mensch und Umwelt reduzieren. Dieser Anspruch führt zu finanziellen Mehrausgaben im Vergleich zu den Wettbewerbern, die solche externe Kosten an die Gesellschaft auslagern. Wie bereits von der DNS im Zusammenhang mit der Einführung von Nachhaltigkeismanagementsystemen erwähnt wird, sind hier finanzielle Anreize für Unternehmen von entscheidender Bedeutung (vgl. S. 239). Durch die Verknüpfung von Ergebnissen aus einer  Nachhaltigberichterstattung mit rechtlichen Anreizen können strukturelle Wettbewerbsnachteile für nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen verringert oder sogar in Wettbewerbsvorteile umgekehrt werden, sodass Investitionsanreize hin zu nachhaltigem Wirtschaften entstehen.


3) ANPASSUNGEN BEI DEN INDIKATOREN

Vorschlag 3.1 – Indikator zur Nachhaltigen Produktion (12.2) anpassen
Der Indikator für den Bereich 12.2 „Nachhaltige Produktion“ (S. 61, 237) sollte ersetzt werden, von bisher „Anzahl der EMAS-Organisationsstandorte“ zu:
„Anteil mittlerer und großer Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen, der den Anforderungen des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes entspricht (z.B. DNK, GRI, Gemeinwohl-Bilanz, ISO 26 000, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte).“
Begründung: Nachhaltige Produktion umfasst mehr als Umweltmanagement. Soziale Themen müssen für eine nachhaltige Produktion ebenfalls systematisch berücksichtigt werden. Eine aktu¬elle Studie des IASS  zeigt zudem, dass die verschiedenen Rahmenwerke einer Nachhaltigkeitsberichtserstattung in unterschiedlichem Maße eine thematische Vollständigkeit, Vergleichbarkeit oder externe Überprüfbarkeit gewährleisten. Deshalb sollten mittelfristig nur Rahmenwerke zu Grunde gelegt werden, welche diese Kriterien in überdurchschnittlichem Maße erfüllen. Die Gemeinwohl-Bilanz erfüllt dabei derzeit die höchsten Standards und sollte langfristig als Benchmark an¬gesehen werden.


Vorschlag 3.2 – Indikator für nachhaltige Beschaffung (12.3.a) anpassen
Der Indikator „12.3a Nachhaltige Beschaffung“ (S. 61, 240f.) sollte angepasst werden von bisher „Anteil des Papiers mit Blauem Engel am Gesamtpapierverbrauch der unmittelbaren Bundesverwaltung“ zu:
„Anteil öffentlicher Beschaffung von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen (perspektivisch: Marktanteil von Produkten und Dienstleistungen, die mit glaubwürdigen und anspruchsvollen Umwelt- und Sozialsiegeln ausgezeichnet sind).“
Ziele: „Steigerung des Beschaffungsanteils auf 95 Prozent bis 2030.“
Begründung: Die nachhaltige Beschaffung spielt eine Schlüsselrolle für eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Die Betrachtung muss deshalb weit über den Papierverbrauch hinaus gehen. Für den Einkauf der öffentlichen Hand sollte derselbe Indikator wie für den privaten Konsum (12.1.a) zu Grunde gelegt werden, da für diesen bereits eine solide Datenlage besteht (vgl. S. 240ff.).


DIESE STELLUNGNAHME WIRD UNTERSTÜTZT VON

Christian Felber, Initiator und Sprecher der internationalen Gemeinwohl-Ökonomie Bewegung
Jutta Hieronymus, Vorstand Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.
Albrecht Binder, Kuratoriumsmitglied Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW
Johannes Dolderer, Vorstand Gemeinwohl-Ökonomie Baden-Württemberg e.V.
Neno Rieger, Vorstand Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg e.V.
Harro Colshorn, Vorstand Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e.V.

Carsten Torke, Bürgermeister der Stadt Steinheim (Westfalen)
Hermann Temme, Bürgermeister Stadt Brakel
Hans Hermann Bluhm, Bürgermeister Stadt Willebadessen
Werner Schweizer, Bürgermeister Klixbüll

Prof. Dr. René Fahr, Universität Paderborn
Prof. Dr. rer. pol. Petra Teitscheid, Fachhochschule Münster
Prof. Dr. Maike Sippel, Hochschule Konstanz
Prof. Dr. Anja Grothe, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin

Antje von Dewitz, Sprecherin Gemeinwohl-Ökonomie, Geschäftsführerin Vaude Sport GmbH & Co.KG
Christoph Harrach, Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie, Träger Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2010
Helmut Lind, Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie, Vorstandsvorsitzender Sparda-Bank München eG
Gerd Hofielen, Sprecher und Koordinator des AK Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie