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Einleitung
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist ressortübergreifend, langfristig und holistisch. Seit ihren Anfängen vor fast 20 Jahren stellt sie den Versuch dar, die Politik der Bundesregierung auf die Notwendigkeiten auszurichten, die sich aus umfassend verstandener Nachhaltigkeit ergeben.
Es gilt festzuhalten, dass das aktuelle Strategiedokument (Dialogfassung) einige sehr wichtige grundsätzliche Prinzipien enthält, insbesondere
•    die Erkenntnis der globalen Verantwortung Deutschlands und die daraus folgende Notwendigkeit eines konkreteren internationalen Lösungsansatzes. Bei der aktuellen Gefahr einer Entwicklung hin zur De-Integration der Staatengemeinschaft ist diese konsequente und prominent positionierte Grundidee von großer Bedeutung;
•    die explizite Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit verstanden werden muss vor dem Hintergrund multipler, miteinander verschränkter Transformationen, was integrierte und langfristig orientierte Ansätze erfordert;
•    die Grundidee, dass der Staat selbst Treiber dieser Transformationen sein muss, dass aber die umfassende Mobilisierung der Gesellschaft unabdingbar ist;
•    der Versuch der ressortübergreifenden Governance, die Nachhaltigkeit als horizontales Regierungsprinzip versteht und Maßnahmen positiv koordiniert.
Unter den vielen wichtigen Aspekten der Strategie wollen wir uns auf eine aus unserer Sicht zentrale Dimension konzentrieren. Die multiplen Transformationen in fast allen Politik- und Lebensbereichen, die für eine umfassende Nachhaltigkeit notwendig sind, sind nur dann zu erreichen, wenn wir innovative Technologien und innovative soziale Praktiken entwickeln und in der Breite von Wirtschaft und Gesellschaft zur Wirkung bringen. Unser Diskussionsbeitrag konzentriert sich deshalb auf diesen wesentlichen Punkt, der ja auch im Zentrum der Seiten 189-195 der Dialogfassung steht.
Stellenwert von Innovationen für alle SDG
Wir begrüßen explizit, dass im Text auf S. 190 auf die wichtige Rolle von Wissenschaft und Forschung für alle SDG verwiesen wird. Allerdings erfordert dies aus unserer Sicht auch, innovationsbezogene Ziele und Indikatoren nicht nur für F&E allgemein anzugeben, sondern auch stärker die Output-Seite des Innovationsprozesses zu betonen und beides spezifisch in alle einzelnen SDG zu integrieren. Denn mit den SDG kommt ja gerade der Direktionalität und dem Lösungsbeitrag der Innovationen zentrale Bedeutung zu. Das spricht für die Ergänzung von Indikatoren über das allgemeine Niveau von Innovationen durch solche über ihre Richtung hin zu den SDG. Daher sollte das System der Nachhaltigkeitsindikatoren um spezifische Innovationsindikatoren und
-ziele für alle SDGs ergänzt werden.
Gerade für Umwelt-Innovationen liegen hier auch bereits erhebliche Vorarbeiten vor (vgl. Walz 2016; Gehrke et al. 2019). So ist es im Bereich der Forschungsförderung energiebezogener Innovationen zu einer Steigerung gekommen. Andererseits gibt es bei den anderen Umweltthemen keine Dynamik, die dem Anspruch einer Erreichung der umweltbezogenen SDG genügt (Walz et al. 2019). Auch am Beispiel der Patentindikatoren als einem Output-Indikator lässt sich illustrieren, welche zusätzlichen empirischen Befunde in die nationale Nachhaltigkeitsberichterstattung eingehen würden:
•    Die Dynamik der Umweltpatente - gemessen an der Zahl der jährlichen Patentanmeldungen - bleibt in Deutschland hinter der Dynamik der allgemeinen technologischen Entwicklung - gemessen an der Gesamtzahl der jährlichen Patentanmeldungen - zurück. Seit 2010 schrumpft die Zahl der jährlich gemeldeten Umweltpatente (Gehrke et al. 2019. S. 91).
•    Im internationalen Vergleich weist Deutschland relativ viele Umweltpatente auf: Sein Anteil an allen Umweltpatenten weltweit lag im letzten 5-Jahreszeitraum (2012 - 2016) bei etwas über 13,5 % Damit liegt es weltweit auf Platz drei hinter Japan (19,6 %) und den USA (18,4 %) (Gehrke et al. 2019, S. 96f).
•    Der Patentanteil Deutschlands bei Umwelttechnologien lag in den letzten 15 Jahren (2002 - 2016) immer über seinem Anteil bei allen Patenten insgesamt. Damit liegt eine stabile, leicht positive Spezialisierung Deutschlands auf Umwelttechnologien vor (Gehrke et al. 2019, S. 99).
Wenn sich Deutschland das Ziel setzt, die Entwicklung seiner Wissensbasis stringent an den Herausforderungen der Nachhaltigkeit und der Erfüllung der Sustainable Development Goals auszurichten, sollten für diese Indikatoren Zielwerte angestrebt werden. Beispiel hierfür wäre ein Ziel für (stärkere) Zuwächse bei der F&E für Umwelttechnologien einerseits, und in der Zahl der deutschen Umweltpatente in diesem Technologiebereich (und auch eine klarere und vor allem zunehmende Spezialisierung) andererseits. Nach den gegenwärtigen Indikatoren hat Deutschland noch bislang ungenutztes Potenzial, seine Wissensbasis stärker für Nachhaltigkeit einzusetzen.
 
Missionsorientierung der HTS
Für eine konsequente Einbindung des Innovationsgedankens ist eine alle Ressorts übergreifende innovationsorientierte Politikstrategie erforderlich. Mit der missionsorientierten Innovationspolitik im Rahmen der Hightech-Strategie steht der Regierung schon ein im Prinzip passender Ansatz zur Verfügung. Der kursorische Verweis auf die laufenden Missionen greift aber wesentlich zu kurz. Forschungsarbeiten am Fraunhofer ISI im Rahmen der Begleitforschung zur Hightech-Strategie sowie Aktivitäten mit der OECD zeigen, dass missionsorientierte Innovationspolitik ein sehr erfolgsversprechender Hebel für Transformationen sein kann, der allerdings sehr voraussetzungsreich ist. Notwendig ist deshalb eine neue Form der Verschränkung von innovationspolitischen und ressortpolitischen Ansätzen. Entlang sämtlicher SDGs sollten die betreffenden Ressorts gemeinsam konkrete Transformations- und Nachhaltigkeitsziele ("Missionen") formulieren und sich dabei konsequent die Frage stellen, welche Art von Innovationen für deren Erreichung gebraucht werden. Auf dieser Basis können innovationspolitische Programme aufgelegt werden, die jeweils flexibel durch BMBF, BMU, BMWi oder ein federführendes anderes Ressort umgesetzt werden. Die Steuerung solcher Missionen müsste ähnlich wie die Nachhaltigkeitsstrategie selbst durch hochrangige Koordinationsgremien der gesamten Regierung oder im Einzelfall gar durch eigene Agenturen geleistet werden. Alle Ressorts, die ein Interesse an der Mission haben, müssten auf diese Mission verpflichtet werden.
Fortführung von FONA
Angesichts des auf S. 192 konstatierten Erfolgs von FONA ist die Fortführung und Weiterentwicklung des Programms eine logische Konsequenz. Die angesprochene Strukturierung in mit Zielen unterlegten Aktionen bietet Potenzial zur stärkeren Umsetzung einer Missionsorientierung, wie sie im obigen Punkt skizziert und auch in der angesprochenen Evaluierung von FONA (Bührer et al. 2020) empfohlen wurde. Darüber hinaus erscheint es uns auch als wichtig, die Akteursvielfalt innerhalb der Förderung weiter zu erhöhen, gerade was den Einbezug weiterer Stakeholder aus Kommunen und der Zivilgesellschaft angeht. Die Evaluierung von FONA sieht wichtige Erfolgsmerkmale des Programms in den - auch in Zukunft weiter zu intensivierenden -  Strukturmerkmalen von FONA, d. h. in der Inter- und Transdisziplinarität und der Einnahme einer Systemsicht. Neben FONA weisen aber auch zahlreiche weitere Forschungsprogramme sowie auch die institutionelle Forschungsförderung wichtige Bezüge zu den SDG auf. Aus strategischer Sicht sollten daher die Erfolgsmerkmale von FONA auch auf diese Bereiche übertragen werden. Gleichzeitig wird es erforderlich sein, die vom BMBF angestoßene Initiative "Nachhaltigkeit in der Wissenschaft" (SISI) fortzuführen und in diesem Kontext auch eine Schärfung dessen herbeizuführen, was Exzellenz als Leitbild einer hohen Forschungsqualität im Zeitalter globaler Nachhaltigkeitsherausforderungen bedeutet.
Technologiesouveränität
Nicht erst seit der aktuellen Corona-Krise werden die Rufe nach Technologiesouveränität in Europa lauter. Wachsende geopolitische Unsicherheiten und dro¬hende globale Handelskonflikte stellen den Verflechtungsoptimismus der letzten Jahrzehnte in Frage. Dies löst auch in Deutschland eine Diskussion darüber aus, wie unabhängig ein Staat oder ein Staatenbund in Bezug auf kritische Technologien sein muss und sein kann. Die in diesem Kontext in der Dialogfassung angeführte Förderung von Schlüsseltechnologien weist zwar in die Richtung einer Erhöhung der Technologiesouveränität. Andererseits kann Technologiesouveränität nicht bedeuten, nun alle Technologien und Kenntnisse im Inland vorhalten zu wollen. Im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sollte daher ein Dialog über die Kriterien und die daraus folgende Prioritätensetzung angestoßen werden. Sie müsste erstens berücksichtigen, welche Technologien für die Nachhaltigkeit Deutschlands besonders wichtig sind, und zweitens, wie es um die Technologiesouveränität bei diesen Technologien bestellt ist. Da Technologiesouveränität ja durchaus auch als gesichert gelten kann, wenn der Zugang zu ausländischen Technologien nicht gefährdet ist, erfordert dies ein ausdifferenziertes Beurteilungssystem (vgl. Edler et al. 2020).
Der Staat als Vorbild und Vorreiter: Akzeptanz und Nachfrage für nachhaltige Transformation
Umfragen in der Bevölkerung zeigen seit Jahren im Prinzip eine große Unterstützung für Nachhaltigkeitsziele. Gleichzeitig nimmt jedoch die Zahl derer massiv ab, die dem Staat, insbesondere auch der Bundesregierung, attestieren, genug für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun (Rubik et al 2019). Die notwendigen massiven Veränderungen sind nur dann denkbar, wenn der Staat - als primus inter pares im Wandlungsprozess -  wesentlich stärker als Vorbild, als Vorreiter wahrgenommen wird, durch die Formulierung und konkrete Umsetzung der vielfältigen Maßnahmen, aber insbesondere auch durch eigenes Verhalten. Der Staat sollte, auf allen Ebenen, viel bewusster sein eigenes Innovationsverhalten auf nachhaltige Transformationen ausrichten.
Ein zentraler Hebel dafür ist die eigene Nachfrage des Staates. Die moderne Innovationsforschung hebt darauf ab, dass Innovationen einen sozialen Prozess darstellen, bei der Kommunikation zwischen den Akteuren eine zentrale Erfolgsbedingung ist. Entsprechend kommt es nicht nur auf den Input von Ressourcen in Form von F&E-Mitteln an, sondern auch auf den Einbezug der Nachfrager in die Gestaltung der Innovation. Unter dem Schlagwort der nachfrageorientierten Innovationspolitik ist dies zu einem wichtigen Bestandteil des innovationspolitischen Instrumentenkastens geworden. Gleichzeitig sind für multiple Transformation, die konsequent auf mehr Nachhaltigkeit zielen, in einem dergestalt innovationsorientierten Ansatz umfassende Verhaltensänderungen sowie die Bereitschaft zur Anwendung innovativer Technologien und sozialer Praktiken notwendig. Durch die gezielte Formulierung von ambitionierten Anforderungen an neue Produkte und Dienstleistungen in öffentlichen Ausschreibungen können nachhaltige Innovationen überhaupt erstmals induziert werden, die dann in der öffentlichen Hand ihren ersten Nutzer finden und so Risiken bei Anbietern abbauen. Instrumente wie die vorwettbewerbliche Beschaffung oder die Innovationspartnerschaften, welche das europäische Beschaffungsrecht zulässt, könnten flächendeckend als Initiatoren von transformationsrelevanten Innovationen eingesetzt werden. Beschaffung für nachhaltige Innovationen ist damit eine Kombination aus der gezielten Nachfrage nach noch nicht existierenden Neuerungen, die transformationsrelevant sein können (strategische Beschaffung) und einer Offenheit für die operative Beschaffung von nachhaltigen Innovationen, die im Markt angeboten werden und deren Diffusion beschleunigt werden sollte. Eine solche transformationsorientierte Beschaffung würde über die auch vom Bundesumweltministerium seit vielen Jahren propagierte nachhaltige Beschaffung hinausgehen, weil sie gezielt Innovationen für die Zwecke nachhaltiger Transformationen mobilisieren würde. Das Potenzial hierfür ist immens, die öffentliche Beschaffung in Deutschland beträgt 13% des Bruttosozialproduktes, im Vergleich zu 1% des BIP, die auf öffentlich finanzierte Forschung fallen.

Jakob Edler, Rainer Walz, Katrin Ostertag