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Fünf Jahre sind seit der Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung vergangen. Es steht außer Zweifel, dass wir mit der Umsetzung viel zu langsam voranschreiten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass ein Verfehlen der Ziele für eine friedliche, faire und gleichberechtigte Welt, in der Umwelt, Natur und Mensch Respekt und Schutz erfahren, möglich oder sogar wahrscheinlich ist.

Dabei ist ein effektives, ambitioniertes Handeln hin zu mehr Nachhaltigkeit in allen Bereichen essentiell. Mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit leiden unter Mangelernährung. 821 Millionen Menschen sind von Hunger und chronischer Unterernährung betroffen. Unser Wohlstand und technologischer Fortschritt in Deutschland beruht vielfach auf menschenrechtsverletzenden und umweltzerstörerischen Anbau-, Abbau-, Produktions- und Beschäftigungsbedingungen. Das Klima wird immer wärmer, die Auswirkungen zeigen sich weltweit in vielen Ökosystemen wie den Meeren, aber auch in Naturkatastrophen und andauernden Hitzewellen. Darüber hinaus werden unsere Gesellschaften immer ungleicher, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, in diesem Jahr nun noch einmal besonders stark.

All das betrifft Deutschland auf vielfältig Weise. Oft ist unsere Art zu Wirtschaften und zu Leben der direkte Verursacher. Gleichzeitig sind all diese Krisen auch Realität in Deutschland, sei es das von der industriellen Landwirtschaft befeuerte Insektensterben, sei es der katastrophale Zustand unserer Wälder nach drei Hitzesommern, sei es die Tatsache, dass auch in Deutschland das reichste 1% so viel besitzt wie 87% der restlichen Bevölkerung.  
Vergleicht man die Realpolitik mit dem Ambitionsniveau der SDGs und der politischen Relevanz der Nachhaltigkeitsstrategie, zeigt sich, dass die Entscheidungen, die in den letzten vier Jahren in Deutschland gefällt wurden, sehr wenig mit der transformativen Agenda der SDGs zu tun haben.

Corona ist Kontrastmittel und Krisen-Testlauf zugleich

Durch die globale Corona-Pandemie und die damit einhergehenden politischen Maßnahmen sind Missstände global in so gut wie allen Gesellschafts- und Politik- und Wirtschaftsbereichen noch einmal deutlicher hervorgetreten. Es wird deutlich, wie die Lebensrealität für viele Menschen eigentlich aussieht. Nun ist zu befürchten, dass die Corona-Krise als Ausrede genommen wird, warum wir 2030 die SDGs nicht erreicht haben werden. Doch auch vor der Corona-Krise war die Umsetzung zu langsam und teilweise sogar rückläufig. Unser Umgang mit der Corona-Krise wird zeigen, inwiefern wir gewillt sind, substantiell in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen. Corona ist gleichermaßen ein Kontrastmittel das zeigt, wie weit wir es noch in eine nachhaltige Zukunft für alle Menschen und den Planeten haben und der Testlauf für die noch kommenden Klima-Biodiversitäts-Ungleichheits-Krisen und unsere Antworten darauf.

Eine Nachhaltigkeitsstrategie muss Missstände aufzeigen und lösen
Eine funktionierende, ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie reflektiert diese Missstände, analysiert sie und findet Lösungen. Sie kritisiert ehrlich bestehende unnachhaltige Praktiken, falsche politische Entscheidungen und Unzulänglichkeiten. Und sie findet – auch gegen Widerstände – konkrete Ansätze, Pfade und Maßnahmen, die den Weg in Richtung Nachhaltigkeit neu formen und diese auch wirklich erreichen lassen.
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie leistet dies nicht – auch nicht in der nun vorliegenden Weiterentwicklung. So begrüßenswert ihre Existenz, regelmäßige Überarbeitung und Einbettung in die deutsche Nachhaltigkeitsarchitektur auch ist, so wenig bringt sie uns weiter, wenn Nachhaltigkeit als Entscheidungskriterium immer zweit-, dritt- oder zehntrangig bleibt. Zahlreiche Indikatoren bleiben auch in der neuen Strategie schwach, belanglos oder werden schlicht nicht erreicht. Indikatoren zu wichtigen Bereichen fehlen vollständig. Maßnahmen über Maßnahmen werden aufgelistet, ohne das erkennbar ist, inwiefern diese erreicht werden oder welchen realen Einfluss sie auf Nachhaltigkeit haben. Oft ist nicht klar, wer sie umsetzen soll oder wer die Verantwortung für Nichtumsetzung trägt. Ganze Politikfelder, die in den SDGs herausgestellt sind, werden ausgelassen. Die Überwindung unnachhaltiger Politik bleibt zweitrangig in dieser monumentalen Darbietung von Regierungsmaßnahmen, durch die die DNS wie eine Zusammenfassung aktueller Handlungsfelder der Ressorts wirkt – aber nicht wie eine Strategie.

Solange die Umsetzung der Agenda 2030 keine politische Priorität hat, kann die versprochene Transformation unserer Welt niemals bewerkstelligt werden. Die Agenda 2030 und die SDGs dürfen nicht an Bedeutung verlieren, sondern müssen als eines der ambitioniertesten Gemeinschaftsprojekte der UN endlich ernst genommen werden. Angesichts des Engagements, das die Bundesregierung in die Verhandlungen der Agenda 2030 gesteckt hat, und der anfänglichen Bemühungen die SDGs in Deutschland für alle Ressorts relevant zu machen, enttäuscht der Stand der Umsetzung in Deutschland und der bestehende Widerspruch zur Realpolitik besonders.
In unserer Stellungnahme zur Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2020 konzentrieren wir uns aus diesem Grund auf einige inhaltliche sowie einige prozedurale Kernpunkte, die in der Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung widergespiegelt sein müssen.

I.    Transformationsbereiche 2.0
Die Nennung einiger zentraler Transformationsbereiche in der Nachhaltigkeitsstrategie ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie eine Anerkennung der besonderen Brisanz sowie Vernachlässigung dieser Bereiche erkennen lässt. Auch wir sehen diese Bereiche als zentrale Handlungsfelder für Deutschland. Widersprechen würden wir jedoch der Bewertung des Umsetzungsstands dieser Fachbereiche und der ausgewählten Maßnahmen. Angelehnt an die in der Nachhaltigkeitsstrategie genannten Transformationsbereiche sehen wir dringenden Handlungsbedarf in den folgenden Bereichen:

1)    Energiewende und Klimaschutz
Die deutsche Klimapolitik im Energiesektor ist unzureichend, im Verkehr und Wärmesektor findet sie fast gar nicht statt. Der zögerliche Kohleausstiegsfahrplan und auch das Kohleausstiegsgesetz sind mit dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar. Der Kohleausstieg muss beschleunigt werden. Dass 2020 noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen konnte, ist mit einer ambitionierten Klimapolitik unvereinbar. Es braucht ein Erneuerbare-Energien-Gesetz für eine dezentrale Energiewende in BürgerInnenhand, die Beseitigung der Hindernisse für den EE-Ausbau wie Solardeckel und überzogene Abstandsregeln für Windkraft, ein Verbot von Fracking, sowie eine faire Verteilung der Kosten der Energiewende, die die Kohle- und Atomindustrie nicht aus der Verantwortung nimmt. Es steht zu befürchten, dass nach dem Auslaufen der 20-Jahres-Einspeisegarantie sehr viele Solar- und Windkraftanlagen in den nächsten Jahren vom Netz gehen werden, obwohl sie noch voll funktionsfähig sind. Die Inbetriebnahme von Datteln 4 muss zurückgenommen werden. Sie widerspricht den Empfehlungen der Kohlekommission und ist ein fataler Rückschritt gegenüber einer kohlefreien Zukunft. Anstatt hieran weiter festzuhalten, sollten wir uns Österreich, Belgien und Schweden als Vorbild nehmen, die zeigen, dass ein kohlefreies Industrieland möglich ist.

2)    Kreislaufwirtschaft und deutliche Reduzierung des Ressourcenverbrauchs
Deutschland hat einen überdimensionierten ökologischen Fußabdruck, überhöhte CO2-Emissionen, einen massiven Rohstoff- und Ressourcenverbrauch, und ist Exportweltmeister zulasten des Globalen Südens und unserer Nachbarn in der EU und Europameister in der Müllproduktion. Die Erkenntnis, dass das westliche Wohlstandsmodell nicht globalisierbar ist, muss endlich auch in politischen Entscheidungen ankommen. Der global ungerecht verteilte Rohstoffkonsum zugunsten von Industrieländern wie Deutschland verlagert die sozial-ökologischen Folgekosten des Rohstoffabbaus etwa für Umweltschäden und Gesundheitsauswirkungen in die Abbauländer. Auch in anderen Bereichen wirkt sich der massive Rohstoffverbrauch Deutschlands negativ aus auf Mensch und Natur. Eine giftfreie Kreislaufwirtschaft zu etablieren, und mit rechtlichen Mitteln bei Nichteinhaltung zu versehen, ist ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus muss aber auch eine absolute Reduktion des deutschen Rohstoff- und Ressourcenverbrauchs erreicht werden mit klar definierten Reduktionszielen und entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen.

3)    Verkehrswende
Auch wir fordern eine Verkehrswende. Dazu gehört der umfangreiche Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der städtischen Radinfrastruktur, eine klimagerechte Umverteilung der Kosten, u.a. durch die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen wie des Dienstwagenprivilegs, der Dieselsubventionen und der ausbleibenden Besteuerung von Kerosin und internationalen Flügen, sowie eine massive Verlagerung des Fern- und Güterverkehrs auf die Schiene.

4)    Nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme
Gerade erst wurde mit der GAP-Verhandlungen deutlich, wie bitter es um die Agrarpolitik in Europa steht. Die vorliegenden Ergebnisse sind ein herber Rückschlag für den Umwelt-, Natur- und Tierschutz. Anstatt die EU-Agrarpolitik in Einklang mit den Anforderungen des Green Deals zu bringen und den Stopp des Höfe- und Artensterbens zur politischen Zielvorgabe zu machen, wurde einmal mehr auf Weiter-So gesetzt. Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist ein Notstandsgebiet der Nachhaltigkeitspolitik und muss grundlegend neu orientiert werden, wenn wir das Artensterben und das Höfesterben stoppen wollen. Wir brauchen eine sozial und ökologisch orientierte Agrarwende, u.a. im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union. Kleine und mittlere Betriebe müssen gefördert und dafür mehr in bäuerlich-ökologischere Landwirtschaft investieren werden. Subventionen an Agrarkonzerne gehören beendet. Der Grundsatz muss gelten: Öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen. Artgerechte Tierhaltung und umweltschonendere Bewirtschaftung müssen durchgesetzt werden, dazu gehört die ausnahmslose Umsetzung von Tierschutzgesetzen, die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes um mindestens 50%, das Einführen von Obergrenzen für Viehbestände und eine Bindung der Tierzahl an die Fläche. Dies ist nur möglich, wenn die Weltmarktorientierung der deutschen und EU-Agrarpolitik aufgegeben wird. Denn die deutsche bzw. europäische Agrar- und Handelspolitik erfolgt zudem noch immer zu Lasten der Menschen im Globalen Süden. Wo lokale Märkte im Süden mit europäisch subventionierten, billigen Exportprodukten überschwemmt werden, werden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus ihrem Markt gedrängt. Wir fordern eine Agrarpolitik, die globale Ungleichheiten und Armut nicht weiter verschärft und das Menschenrecht auf Nahrung fördert, nicht verletzt.

5)    Schadstofffreie Umwelt
Menschen und Tiere weltweit leiden unter den Auswirkungen von Schadstoffen aus der Herstellung von Chemikalien und den Endprodukten. Die WHO führt mehr als 1,6 Millionen Todesfälle jährlich auf die Belastung mit Chemikalien zurück. Millionen Menschen leiden an Krankheiten, die mit Schadstoffen in ihrer Nahrung, Umwelt und Produkten in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig ist vorhersehbar, dass sich die Produktion von Chemikalien bis 2030 im Vergleich zu 2017 verdoppeln wird. Trotzdem bleibt die Chemieindustrie von den enormen Folgekosten verschont, trotz rasanten Wachstums und jährlicher Billionenumsätze und im Widerspruch zum Verursacherprinzip. Die Chemieindustrie verschärft darüber hinaus als größter industrieller Stromverbraucher und drittgrößter Emittent von CO2 die Klimakrise. Deutschland steht als einer der weltgrößten Chemie-Standorte besonders in der Verantwortung. Die Bundesregierung muss mehr tun als bisher. Pestizide zählen zu den weltweit meistgehandelten Chemikalien. Deutschland kann und sollte damit beginnen, Doppelstandards im Pestizidhandel abzubauen und den Export in der EU verbotener hochgefährlicher Pestizide und weiterer Chemikalien zu unterbinden – in Einklang mit der im Oktober 2020 verabschiedeten EU-Chemikalienstrategie. Sie sollte in präventive Technologien wie nicht-chemische Alternativen und nicht-fossile Grundchemikalien investieren. Zuletzt sollte sie sich auf globaler Ebene für durchsetzbare, rechtsverbindliche Instrumente einsetzen, die über die bestehenden Konventionen zum Umgang mit giftigen Chemikalien hinausgehen.

6)    Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit
Im europäischen und internationalen Vergleich zählt Deutschland zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit. Extreme Ungleichheit ist kein Naturgesetz. Deutschland ist das Land mit dem größten Niedriglohnsektor der Eurozone und das ist politisch so gewollt. Das Lohnniveau leidet unter der fortschreitenden Aushöhlung der Tarifbindung, um sich greifender Scheinselbständigkeit und Zeitarbeit. Um Ungleichheit zu reduzieren und niemanden zurückzulassen, muss Deutschland für eine faire Besteuerung sorgen, in öffentliche soziale Grunddienste wie Bildung und Gesundheit investieren und die strukturelle Benachteiligung von Menschen beseitigen. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, die Ungleichheit reduziert statt sie zu schaffen. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich eine vorausschauende Krisenpräventionspolitik im Gesundheits- und Pflegesektor zu Herzen nimmt und dort deutliche finanzielle und strukturelle Verbesserungen vornimmt. Politische Konsequenz der Corona-Krise muss eine Re-Kommunalisierung des Gesundheits- und Pflegesektors sein, inklusive einer deutlichen Lohnerhöhung des Pflegepersonals. Damit würde auch ein Beitrag zu größerer sozialer Gerechtigkeit geleistet – und zu größerer Geschlechtergerechtigkeit. Dies muss auch für andere Berufe umgesetzt werden, die zwar nun als systemrelevant eingestuft aber schon immer und weiterhin prekär bezahlt sind (u.a. Einzelhandel, Reinigungssektor, Kinderbetreuung).

7)    Globale Gerechtigkeit muss als Transformationsbereich hinzukommen
Die weltweite Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten steigt und die Chance auf ein würdiges Leben in Frieden bleibt Millionen Menschen verwehrt. Um dem wirksam entgegenwirken zu können, sind staatliche Handlungsfähigkeit und politischer Willen essentiell. Dass die Schaffung von globaler Gerechtigkeit nicht als Transformationsbereich definiert ist, zeigt erneut, wie wenig dies als Teil der deutschen Nachhaltigkeitspolitik wahrgenommen zu werden scheint. Ein wichtiger Schritt für die Schaffung einer gerechteren Welt ist beispielsweise die Beendigung unfairer Handelspraktiken der EU, die Deutschland massiv antreibt. Dazu gehört u.a., das geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern zu stoppen. In der Corona-Krise haben sich hyper-globalisierte Lieferketten als äußerst verwundbar gezeigt. Wir brauchen eine Neujustierung des Verhältnisses zwischen globalen, regionalen und lokalen Märkten. Insbesondere im Agrarsektor, aber auch in der Produktion von anderen lebensnotwendigen Gütern brauchen wir weniger Globalisierung. Darüber hinaus hat sich nicht erst seit der Corona-Pandemie gezeigt, dass Privatisierung oder Beschränkung der Zugangsrechte zu diesen Gütern (z.B. Wasser, Medikamente, Saatgut) Armut und Ungleichheit verstärkt. Die extreme Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft sollte zurückgefahren, nicht noch weiter ausgebaut werden. Die Prioritäten der maßgeblich von der deutschen Bundesregierung geprägten EU-Handelspolitik müssen geändert werden. Weitere Marktöffnungen, insbesondere im Dienstleistungs- und Agrarsektor und „regulatorische Kooperation“, sind nicht sinnvoll und Hindernisse auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Wenn Länder Umwelt- oder Sozialstandards verbessern und dadurch mehr Nachhaltigkeit erreichen wollen, darf das nicht als „Handelshemmnis“ eingestuft und behindert werden.
 
II.    Notwendige Veränderungen der Nachhaltigkeitsarchitektur

1)    Accelerated actions-SDG-Strategie einführen
Zehn Jahre sind es nur noch bis zum von der internationalen Staatengemeinschaft und den Vereinten Nationen festgelegte Zieldatum der SDGs. In, mit und durch Deutschland wird dies durch die Nachhaltigkeitsstrategie nicht erreicht werden. Wir brauchen deswegen, wie auch von der UN festgelegt, accelerated actions.

  • Wir schlagen deswegen erneut vor, zur Umsetzung der 2030-Agenda in, durch und mit Deutschland einen umfassenden und verbindlichen nationalen Umsetzungsplan zu verabschieden. Dieser sollte sich auf die Nachhaltigkeitsstrategie beziehen, muss politisch deutlich relevanter sein und eine echte Strategie darstellen. Er sollte mit der Zivilgesellschaft diskutiert und vom Bundestag beraten und beschlossen werden. Der Fokus muss darauf liegen, in Kernbereichen (bspw. Verkehrs-, Agrar-, Energie-, Handels- und Sozialpolitik) deutliche, strategisch-relevante und verbindliche Maßnahme zu verabschieden, die bis 2030 umgesetzt werden müssen.

2)    Verbindlichkeit für Nachhaltigkeitspolitik schaffen
Mit der Accelerated actions-SDG-Umsetzungsstrategie muss Verbindlichkeit in den Nachhaltigkeitspolitik Deutschlands Einzug finden.
•    Dazu gehört unbedingt auch die Stärkung des Bundestags in seinen Aufgaben und Pflichten hinsichtlich der SDG-Umsetzung. Die aktuelle Gesetzesfolgenabschätzung muss über formale Kriterien hinausgehen und die materiellen Folgen tatsächlich bewerten. Sämtliche Gesetzesvorhaben und Sektorpolitiken müssen künftig auf Kompatibilität mit der 2030-Agenda geprüft und ggf. korrigiert werden. Dies gilt auch für die Politik der Bundesregierung auf EU-Ebene sowie in internationalen und multilateralen Institutionen.

  • Ein solch systematischer ex-ante „SDG-TÜV“ braucht durchsetzungsfähige Strukturen. Die Umsetzung der 2030-Agenda erfordert institutionelle Reformen: Ein entsprechend aufgewerteter Parlamentarischer Beirat für Nachhaltige Entwicklung (PBNE) könnte beim SDG-TÜV als regulärer Bundestagsausschuss eine zentrale Funktion übernehmen.
  • Verbindlichkeit kann auch dadurch geschaffen werden, dass Nachhaltigkeit im Grundgesetz aufgenommen wird.

3)    Politische Priorität erhöhen
„Die Umsetzung der Agenda 2030 und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung sind Maßstab des Regierungshandelns. Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wollen wir kontinuierlich und ambitioniert weiterentwickeln“, so steht es im Koalitionsvertrag 19. der Legislaturperiode. Die nächsten Koalitionsverträge in den kommenden 10-Jahren dürfen die SDGs nicht mehr nur länger als nichtssagenden Einleitungssatz missbrauchen, sondern müssen diese als Leitfaden der folgenden Politik auffassen. Hierfür braucht es neben Verbindlichkeit endlich eine Priorisierung von Nachhaltigkeitspolitik. Die Schaffung eines SDG-TÜVs kann hierbei der Kompass sein, inwiefern bestehende oder neue Maßnahmen wirklich der Agenda 2030 entsprechen oder diese konterkarieren. Mögliche Zielkonflikte abzuwägen und aufzufangen ist hierbei eine mittlerweile vielfach analysierte Herausforderung.

  • Um den Anforderungen an eine ambitionierte Nachhaltigkeitspolitik gerecht zu werden, müssen ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen, Zivilgesellschaft, Fachbehörden wie statistische Ämter usw.) bereitgestellt werden.
  • Des Weiteren sollte ein interdisziplinäres Beratungsgremium für Indikatoren (mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Statistisches Bundesamt, Bundesrechnungshof, Ministerien und Zivilgesellschaft) eingeführt werden, welches das Monitoring und die Erreichung der internationalen SDG-Indikatoren zur Aufgabe hat. Die Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie sind bisher deutlich zu eng und eingegrenzt, um einen breiten Handlungsansatz für Nachhaltigkeit sicherzustellen. Die Lücke zwischen den internationalen und den nationalen Indikatoren bleibt eine maßgebliche Schwäche des deutschen Monitoring-Ansatzes. Es bleibt unverständlich, wieso die Bundesregierung weiterhin zahlreiche der internationalen Indikatoren nicht misst, und die die gemessen werden, nicht umfänglich in der Nachhaltigkeitsstrategie auftauchen. Eine Verbindung der beiden Monitoring-Bereiche ist dringend notwendig.
  • Und schließlich braucht es zur Aufwertung der SDGs einen Bundeshaushalt, der ihrer Umsetzung ebenfalls Priorität einräumt. Die Finanzierung der SDGs muss primär durch den nachhaltigen Umbau öffentlicher Haushalte und Einnahmesysteme erfolgen. Dazu gehören u.a. umfangreiche Reformen der Steuer- und Subventionssysteme. Beispiele aus anderen Ländern können hierbei Leitlinie für die Schaffung eines solchen SDG-Haushaltes sein. Er muss auf jeden Fall mehr sein, als Mittel für eine SDG-Kommunikationskampagne.

4)    HLPF zu mehr als einer „Imageshow“ aufwerten
Das Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) wurde konzipiert, damit Staaten über ihre Fortschritte in der Umsetzung berichten und sich gegenseitig darin beraten können. In den meisten Fällen bleibt eine kritische Analyse aber aus und die Regierungen zeigen lediglich „Image-Filmchen“ über ihr Land. Die Dringlichkeit der Erreichung der SDGs ist anscheinend nicht angekommen, vor allem auch nicht bei den Staaten, deren Wirtschaftssysteme Menschen und Umwelt weltweit gefährden. Die von der Bundesregierung geplante Verbindung zwischen Nachhaltigkeitsstrategie und freiwilligem Staatenbericht (Voluntary National Review, VNR) beim HLPF ist zu begrüßen. Beim aktuellen Stand der Nachhaltigkeitsstratgie ist jedoch zu befürchten, dass der deutsche Bericht beim HLPF Deutschland wieder als Vorreiter und Strukturvorbild darstellt – und keine kritische Reflektion über die Realität der deutschen Nachhaltigkeitspolitik erfolgt.

  • Es braucht einen klaren Prozess hinsichtlich des VNR beim HLPF 2021 nach dem Vorbild Finnlands oder Österreichs mit einer strukturierten, frühzeitigen (Ende 2020!) transparenten Einbeziehung der Zivilgesellschaft (auch jenseits der Verbändelandschaft) in der Erarbeitung des VNR-Berichtes sowie der Präsentation.
  • Die beim HLPF 2021 vorgestellten Aspekte müssen relevant, ambitioniert und nachvollziehbar sein und auch faktische Schwächen der Nachhaltigkeit in Deutschland aufzeigen.
  • Genannte Maßnahmen müssen anschließend auch tatsächlich umgesetzt werden (ungleich HLPF-Bericht 2016)