Eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

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Im Wortlaut: Müller Eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

"Grüne Innovationszentren" in Afrika und eine Sonderinitiative zur Flüchtlingspolitik - das sind nur zwei der Vorhaben von Bundesentwicklungsminister Müller. Im Interview spricht er auch über das angestrebte Gütesiegel für die Textilbranche, das für die Einhaltung sozialer und ökologische Standards stehen soll.

  • Interview mit Gerd Müller
  • Die Zeit
Reisernte in Afrika

Müller: Afrikanische Bauern könnten ihre Produktivität erhöhen, wenn sie zusammenarbeiten.

Foto: Barbara Rocksloh-Papendieck

Das Interview im Wortlaut:

DIE ZEIT: Herr Müller, Sie sprechen sich für eine werteorientierte Entwicklungspolitik aus. Auf Fotos umarmen Sie aber den südsudanesischen Präsidenten Salva Kür. Kür werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Muss man sich in Ihrem Amt so verbiegen?

Gerd Müller: Natürlich bauen wir unsere Arbeit auf weltweit anerkannten Grundwerten auf. Wo Staatenlenker Menschenrechte verletzen, da gibt es auch keine Projekte der Bundesregierung, da fördern wir nur Nichtregierungsorganisationen. Aber wenn man nicht miteinander redet, dann ändert sich nichts. Für mich war entscheidend, Salva Kür zu fragen: Wo sind die sechs Milliarden Dollar, die Südsudan als Öleinnahmen im Staatshaushalt verbucht? Wie in vielen anderen Rohstoffstaaten auch müssen wir fordern, dass dieses Geld in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung fließt. Und wir müssen verhindern, dass eine korrupte Elite jährlich allein aus Afrika 50 Milliarden Dollar Schwarzgeld aus dem Land bringen kann.

ZEIT: Wie wollen Sie das stoppen?

Müller: Wir fordern Klarheit darüber, wohin das Geld fließt. Die Finanzbeamten der Regierungen, die privaten Ölexportfirmen, die Banken: Alle müssen in Haftung genommen werden. In der Rohstoff-Transparenzinitiative EITI verpflichten sich einige Staaten schon jetzt dazu, die Einkünfte aus Rohstoffverkäufen offenzulegen und Kontrollen wirksamer zu gestalten.

ZEIT: Eine Ihrer neuen Sonderinitiativen gilt der Flüchtlingspolitik. Wenn man die Dramen vor Lampedusa sieht: Soll Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Müller: Wir müssen auf alle Fälle das Anerkennungsverfahren beschleunigen und deshalb auch die Kapazitäten der Behörden verstärken.

ZEIT: Ihre Partei, die CSU, hat vor der Europawahl mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" gegen Zuwanderer Stimmung gemacht.

Müller: Kein Mensch darf betrügen, da sind wir uns ja wohl einig. Unsere Flüchtlingspolitik reicht viel weiter. Wir wollen dazu beitragen, dass Flüchtlinge in ihrer Heimat reintegriert werden, so wie hoffentlich die Millionen von Menschen aus Syrien nach einem Waffenstillstand. Und wir wollen die Ursachen der Flucht in den Ländern bekämpfen.

ZEIT: Wo sehen Sie die zentrale Ursache?

Müller: In Nigeria zum Beispiel sind über 50 Prozent der Bevölkerung unter 18 Jahre alt, und über die Hälfte der jungen Leute ist arbeitslos und ohne Perspektive. Wenn wir ihnen nicht Arbeit und Ausbildung bieten, drohen Kriege und Konflikte. Wir sehen es jetzt bei den Terroranschlägen von Boko Haram. Und dann werden sich gewaltige Fluchtwellen nach Europa in Bewegung setzen. Deshalb verstärken wir unsere Zusammenarbeit bei der Berufsausbildung mit Nigeria.

ZEIT: Wie sieht eine präventive Flüchtlingspolitik praktisch aus?

Müller: In den afrikanischen Problemstaaten ist der Aufbau verlässlicher staatlicher Institutionen und stabiler Wirtschaftsstrukturen am wichtigsten. Wir sehen das in Ländern wie Ghana oder Kenia, wo es einen klaren Rechtsrahmen und Investitionssicherheit gibt. Solche Länder haben hohe Wachstumsraten und kommen voran.

ZEIT: Wirtschaftliche Entwicklung beginnt in Afrika auf dem Land, deshalb haben Sie für den Agrarsektor zehn grüne Innovationszentren angekündigt. Exportieren Sie da ein Modell nach Afrika mit deutschen Traktoren und Pestiziden?

Müller: Ich empfinde es als Schande, in Afrika hungernden Menschen zu begegnen. Der Kontinent importiert Lebensmittel für 35 Milliarden Dollar im Jahr. Dabei hat er das Potenzial, nicht nur sich selbst zu ernähren, sondern auch noch andere Kontinente. Die Ursache ist, dass in Afrika der Boden wie im 19. Jahrhundert mit Pflug und Hacke bestellt wird. Wenn wir moderne Bewässerung, Landtechnik, Pflanzenschutz und Saatgut einsetzen, dann können wir die Produktivität verdoppeln. Ebenso beschämend ist, dass bis zu 50 Prozent der Ernte verrotten. Es fehlen Verarbeitung, Lagerung und Logistik. Das technische Wissen und die Ausbildung dafür wollen wir in den grünen Zentren vermitteln.

ZEIT: Profitieren davon nicht wieder die ohnehin gebildeteren und reicheren Landwirte?

Müller: Meine Antwort lautet: Raiffeisen. Die Urzellen dieses Agrarverbandes waren in Deutschland im 19. Jahrhundert einmal sogenannte Hungervereine. Da haben 20 Bauern mit ihren kleinen Anwesen Genossenschaften gebildet, Lagerhäuser gebaut und Dorfbanken gegründet. Auch afrikanische Bauern können ihre Erträge optimieren, wenn sie zusammenarbeiten. In unseren Zentren werden wir solche Strukturen aufbauen.

ZEIT: Dabei arbeiten Sie auch mit dem Agrobusiness zusammen. Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die Unternehmen dabei die Agenda diktieren.

Müller: Für mich ist die Grundbedingung, dass die lokalen Bauern ihren Besitz behalten und dass die Dorfgemeinschaften mitwirken, dass sich regionaler Handel entwickelt und die Bauern mehr Einkommen erzielen.

ZEIT: Sie wollen den Handel nachhaltig gestalten und haben jüngst einen Runden Tisch für die Textilindustrie zusammengerufen. Soll noch ein weiteres Siegel die Verbraucher verwirren?

Müller: Die Branche unterläuft vielfach am Beginn der Produktionskette europäische Standards, ob bei Arbeitsschutz, Mindestlöhnen, Chemikalieneinsatz oder Abwasserklärung, indem sie die Produktion nach Bangladesch, Vietnam oder Afrika verlagert. Dort zahlen sie den Näherinnen fünf Cent in der Stunde. Deutsche Konsumenten würden das zu Hause niemals akzeptieren, aber sie tragen die Kleidung. Deshalb haben wir die Textilwirtschaft gebeten, Vorschläge zu unterbreiten, wie wir soziale und ökologische Mindeststandards in der gesamten Kette vom Baumwollfeld bis zum Bügel im Kaufhaus bei uns umsetzen, garantieren und transparent für den Kunden darstellen können.

ZEIT: Ein Appell an die Unternehmen. Aber muss der Entwicklungsminister nicht auch für ein anderes Kaufverhalten werben?

Müller: Jeder Einzelne muss umdenken. Bei jedem Produkt, das ich kaufe, steht am Anfang der Kette ein Mensch. Wenn ich einen Joghurt für 19 Cent kaufe, dann muss ich wissen, dass am Anfang ein Milchbauer oder Erdbeerpflücker steht, der von diesem Preis nicht leben kann. Die gleiche Frage stellt sich bei einer Jeans für 9,50 Euro, da stehen am Anfang ein Baumwollproduzent und eine Näherin, die fünf Cent in der Stunde bekommt. Wir müssen die Kette transparent gestalten und dem Verbraucher die Möglichkeit geben, sich für Produkte mit fairen Produktionsbedingungen zu entscheiden.

ZEIT: Aber Unternehmer sagen, die Waren würden bei strengen Standards zu teuer. Überfordern höhere Preise die Konsumenten?

Müller: Es muss nicht teurer werden, wenn man es klug anstellt. Aber die Grundregel muss sein: Was wir hier bei den Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren, können wir auch der Bevölkerung in Bangladesch nicht zumuten, nur damit wir billige Turnschuhe und Kleidung tragen können.

ZEIT: Woher nehmen Sie den Optimismus, dass sich die Industrie auf einen so umfassenden Wandel einlässt? Viele wollten ja nicht einmal so etwas Selbstverständliches wie das Gebäudeschutzabkommen unterzeichnen, das nach dem Unglück in Bangladesch erstritten wurde.

Müller: Im Textilbereich gibt es bereits Markenführer, die sich für faire Standards einsetzen. Sie zeigen: Es ist möglich, nachhaltig zu produzieren. Nun geht es darum, die Unternehmen in der Breite darauf zu verpflichten.

ZEIT: Und wenn sie nicht wollen?

Müller: Sollten wir uns nicht im Wege der Freiwilligkeit einigen können, werden gesetzliche Maßnahmen notwendig. In der EU wird schon darüber nachgedacht.

ZEIT: Neue EU -Vorschriften: Dagegen macht Ihre Partei Front. Wie überzeugen Sie die CSU?

Müller: Wenn ich einem Bayern sage: "Deine Lederhose ist in Marokko gegerbt worden von zwölfjährigen Kindern, die barfuß und ohne Handschuhe in der Chemiebrühe stehen, Dämpfe einatmen und zehn Jahre später sterben", und frage: "Willst Du so eine Lederhose tragen?", dann sagt der: "Ist doch entsetzlich, gibt's doch nicht!" Solche Standards akzeptiert auch der Lederhosenbayer nicht.

ZEIT: Die ärmsten Länder leiden stark unter den Folgen des Klimawandels. Aber die Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine Ihrer Entwicklungsagenturen, fördert im Ausland weiter den Bau von Kohlekraftwerken. Muss man nicht umsteuern?

Müller: In vielen Schwellenländern laufen heute noch Kohlekraftwerke, die so schmutzig sind wie früher bei uns in der DDR; den süßlichen Geruch der Braunkohle haben wir doch alle noch in der Nase. Diese Länder können einen Jahrhundertsprung machen, wenn wir ihnen die modernsten Kraftwerkstechnologien liefern. Die KfW gestaltet dafür den Finanzrahmen, und das ist sinnvoll.

ZEIT: Aber damit zementiert die Bundesregierung die Nutzung der klimaschädlichen Kohle weltweit auf lange Sicht.

Müller: Der Umstieg auf die Erneuerbaren wird nicht in wenigen Jahren gelingen. Gerade in Schwellenländern werden wir auf die Kohle nicht verzichten können. Zugleich sehe ich es aber als äußerst positiv, dass die Entwicklungsländer zunehmend auf erneuerbare Energien setzen. Deren Förderung verstärken wir massiv. Das ist unsere Toppriorität von Indien bis China, und mit afrikanischen Ländern wollen wir neue Energiepartnerschaften zur Förderung von Wind und Sonne anstoßen.

Das Gespräch führten Christiane Grefe und Michael Thumann.