Staatsbesuch des Bundespräsidenten in China und Nepal vom 18. bis 30. November 1996 - Staatsbesuch in der Volksrepublik China

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Bundespräsident Roman Herzog und Frau Christiane
Herzog statteten der Volksrepublik China vom 18. bis
25. November 1996 und dem Königreich Nepal vom 25. bis 30. November 1996 einen
Staatsbesuch ab.

Empfang in Peking

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei seinem Empfang für deutsche und
chinesische Gäste im Hotel Shangri-La in Peking am 20. November 1996 folgende
Ansprache:

Meine Herren Minister und Vizeminister,
Exzellenzen, meine Damen und Herren,

es ist mir eine ganz besondere Freude, heute nicht nur deutsche Landsleute,
sondern auch chinesische Freunde und Partner begrüßen zu können. Daß wir heute
über so gute Beziehungen verfügen, ist zu einem großen Teil Ihr Verdienst. Aus
Ihrem Personenkreis rekrutieren sich die Personen, die die
deutsch-chinesischen Beziehungen mit Leben erfüllen. Viele unter Ihnen haben
durch ihr Wirken eine wesentliche Vorarbeit für meinen Staatsbesuch in China
geleistet, einen Besuch, der mir in ganz besonders am Herzen liegt.

Mein Besuch steht in einer Reihe intensiver Konsultationen zwischen hohen
Repräsentanten unserer beiden Länder. Im vergangenen Jahr hat Staatspräsident
Jiang Zemin Deutschland den ersten Staatsbesuch eines chinesischen
Staatsoberhauptes abgestattet. In den letzten drei Jahren haben sich die
Regierungschefs gegenseitig dreimal besucht. Auch unsere Außenminister treffen
regelmäßig in China, Deutschland oder an dritten Orten zu Konsultationen
zusammen. Darüber hinaus vergeht kaum ein Monat, ohne daß ein Bundesminister
oder der Ministerpräsident eines Bundeslandes nach China reist. Umgekehrt
freuen wir uns über den Besuch chinesischer Delegationen in Deutschland und
heißen sie stets auf das wärmste willkommen.

Unser politisches Interesse an China ist groß. Daher nimmt Ihr Land im
Asien-Konzept der Bundesregierung auch einen zentralen Platz ein. Es ist unser
Wunsch, die schon heute ausgezeichneten bilateralen Beziehungen über die
gesamte Bandbreite von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur immer
enger und vertrauensvoller zu gestalten.

Der Ausbau des Netzes von Generalkonsulaten, die Errichtung einer neuen
Botschaftskanzlei und weiterführende Pläne für die deutsche Schule in Peking
sind zusätzliche, ganz praktische Belege für unser Engagement vor Ort. Dieses
breit angelegte Interesse an China können Sie im übrigen auch an der
Zusammensetzung meiner offiziellen Delegation ablesen, der zu einem
bedeutenden Teil Vertreter aus dem Wirtschafts-, Wissenschafts- und
Kulturbereich angehören.

Lassen Sie mich bekräftigen: Mein Staatsbesuch unterstreicht den deutschen
Wunsch, den Dialog auf allen Ebenen und über alle Themen auszubauen.
Partnerschaftlicher Dialog heißt nicht, daß bei jedem Thema sofort Einigkeit
erzielt werden kann. So verrate ich Ihnen nichts Neues, wenn ich darauf
hinweise, daß nach wie vor unterschiedliche Auffassungen in Fragen der
Menschenrechte bestehen.

Die universelle Beachtung der Menschenrechte ist wesentlicher Bestandteil der
deutschen Außenpolitik. Ich habe mich in den vergangenen Monaten mehrfach zu
dieser Frage geäußert, und jeder, der es will, kann meine Meinung zu diesem
Thema nachlesen. Auffassungsunterschiede in dieser für beide Seiten wichtigen
Frage sollten aber nicht einer ausgewogenen und differenzierten Einschätzung
der politischen und rechtlichen Entwicklung Chinas in den letzten Jahren im
Wege stehen.

Ein Zweck meines Besuches ist es auch, mir einen eigenen Eindruck vom Stand
der politischen und rechtlichen Reformen zu verschaffen. Die Informationen,
die ich von meinen chinesischen Gesprächspartnern gestern und heute zu diesem
Themenkomplex erhalten habe, waren höchst aufschlußreich und haben bei mir
wesentlich zum besseren Verständnis der großen Herausforderungen beigetragen,
denen sich China gegenübersieht.

Aus meinen Gesprächen konnte ich den Eindruck gewinnen, daß zum Beispiel im
Rechtswesen, bei der Rechtsstellung des einzelnen im Verhältnis zur Verwaltung
und bei der Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen auf der Ebene der
Kommunen und Kreise beträchtliche Fortschritte erzielt werden konnten. Die
rechtliche Stellung der meisten Chinesen hat sich seit dem Beginn der Reform-
und der Öffnungspolitik ohne Zweifel erheblich verbessert. Ich bin
zuversichtlich, daß sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren
fortsetzen wird. Daher erneuert die Bundesrepublik Deutschland auch ihr
Angebot zu einer vertieften, vertrauensvollen Zusammenarbeit gerade im
Rechtsbereich.

Meine Damen und Herren, nachdem das Stichwort der Reform- und Öffnungspolitik
gefallen ist, erlauben Sie mir bitte einige Anmerkungen zu der faszinierenden,
rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas. Um diese Entwicklung in eine
angemessene Perspektive zu stellen, sei ein kurzer Blick auf die Vergangenheit
gestattet.

Vor nicht einmal fünf Dekaden schien China noch in Armut zu versinken. Erst
einmal galt es, die Leiden und Opfer des Krieges und Bürgerkrieges zu
verkraften. China waren wesentliche Teile seines Vermögens und seines
"Humankapitals" verlorengegangen. Die Wirtschaft war durch Mißmanagement,
Korruption und Hyperinflation in den Ruin getrieben worden. Unter diesen
Bedingungen war es eine völlig offene Frage, wie die junge Volksrepublik die
eigene Bevölkerung mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft würde versorgen
können.

Vergleichen Sie diese Lage mit der Situation heute. China hat schon heute die
kleineren der G7-Staaten in der gesamtwirtschaftlichen Produktion überrundet.
Wirtschaftsexperten sprechen davon, daß China schon während der Lebenszeit der
nächsten Generation das Bruttosozialprodukt Japans und der USA übertreffen
werde. Es hätte dann die größte Volkswirtschaft der Welt, eine auch aus
deutscher Sicht durchaus realistische Perspektive – Frieden, Stabilität und
fortdauernde Prosperität vorausgesetzt.

Auch China selbst blickt optimistisch in die Zukunft. Angesichts
durchschnittlicher Wachstumsraten zwischen neun und zehn Prozent während der
letzten beiden Dekaden, angesichts von Exportzuwächsen in oftmals doppelter
Höhe, zunehmenden Devisenreserven und einem sprunghaften Anstieg ausländischer
Direktinvestitionen erscheint diese Zuversicht in jeder Hinsicht berechtigt.

Jenseits der neiderweckenden wirtschaftlichen Indikatoren ist die Bilanz nicht
weniger eindrucksvoll. Angesichts der Verlängerung der Lebenserwartung um mehr
als ein Fünftel innerhalb nur einer Generation, des Rückgangs der
Analphabetenrate unter Erwachsenen um rund zwei Drittel und der Reduzierung
der Kindersterblichkeit um einen vergleichbar großen Prozentanteil kann der
Erfolg des Kurses, den China eingeschlagen hat, von niemandem in Frage
gestellt werden.

Und doch – das werden Sie, die Sie hier vor Ort tätig sind, sicher bestätigen
können – steht die chinesische Wirtschaft vor einer Reihe von ganz besonderen
Herausforderungen. Aus der Sicht der ausländischen Wirtschaftspartner Chinas
bergen diese freilich auch besondere Chancen, gerade auch für deutsche
Unternehmen. So ist die Beteiligung deutscher Firmen beim Aufbau moderner
Industrieanlagen, bei Infrastrukturinvestitionen, in den Bereichen
Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Verkehr und Kommunikation wie beim
Technologietransfer in China hoch willkommen.

Die deutsche Industrie nutzt diese Chancen. Das läßt sich am steilen Anstieg
der Investitionen in den vergangenen drei Jahren ablesen. Sie tritt mit
modernsten Technologien, besten Produkten und attraktiven Konditionen an, um
in diesem großen und rasch wachsenden Markt zu bestehen. Ihr liegt aber auch,
wie wir alle wissen, besonders an einer Planungssicherheit für ihr langfristig
angelegtes China-Engagement.

Es gibt eine Fülle anderer Felder und bilateraler Aktivitäten, die Erwähnung
verdienen: die Bereiche Kultur und Kulturerhalt, Entwicklungszusammenarbeit,
Patentwesen, wissenschaftliche Kooperation und Städtepartnerschaften – um nur
einige zu nennen. Ich freue mich, daß Vertreter aus all diesen Bereichen –
Deutsche wie Chinesen – heute abend unter uns weilen, und ich hoffe, daß ich
die Zeit finden werde, um mit einer möglichst großen Zahl von ihnen sprechen
zu können.

Zunächst aber möchte ich Sie einladen, einige Kostproben der deutschen Küche
zu sich zu nehmen, die es in einem Land mit einer so großen kulinarischen
Tradition wie China natürlich besonders schwer hat, zu bestehen. Ich wünsche
Ihnen einen angenehmen und erlebnisreichen Abend.