Kabinett beschließt Selbstbestimmungsgesetz
Zur Menschenwürde und zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehört auch das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Das Bundeskabinett hat deshalb nun ein Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Es soll das nicht mehr zeitgemäße Transsexuellengesetz ablösen. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu.
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Das Selbstbestimmungsgesetz leistet einen Beitrag zum Grundrechtsschutz für die Betroffenen. Denn das Grundgesetz schützt auch das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität, wenn diese vom Geschlechtseintrag abweicht.
Foto: Bundesregierung
„Mit dem Selbstbestimmungsgesetz verwirklichen wir das Recht jedes Menschen, in seiner Geschlechtsidentität geachtet und respektvoll behandelt zu werden. Das Selbstbestimmungsgesetz dient dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und ist ein gesellschaftspolitischer Fortschritt“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus anlässlich des Kabinettbeschlusses.
Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte dazu: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet. Und um dieses Menschenrecht geht es uns.“
„Deutschland ist vielfältig. Deshalb passen wir unsere Gesetze den verschiedenen Lebensrealitäten an. Ob bei der Frage des Geschlechts, des Namens oder der Staatsangehörigkeit – im Kabinett haben wir wichtige Beschlüsse gefasst, die unsere Gesellschaft weiter modernisieren.“
Bundeskanzler Olaf Scholz
Mit dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag soll es insbesondere trans- und intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtert werden, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen beim Standesamt ändern zu lassen. Die Änderung soll in Zukunft durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt vorgenommen werden können.
Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung – wie nach dem bisher geltenden Transsexuellengesetz – soll nicht mehr erforderlich sein. Auch die Notwendigkeit, zwei Sachverständigengutachten einzuholen, soll entfallen. Damit wird eine gesetzliche Vorgabe außer Kraft gesetzt, die von den Betroffenen häufig als entwürdigend empfunden wird. Stattdessen soll künftig eine Selbstauskunft mit Eigenversicherung ausreichen.
Transgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Intergeschlechtliche Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. Das betrifft zum Beispiel die Geschlechtsorgane, den Chromosomensatz oder die Hormonproduktion. „Nichtbinär" ist eine Selbstbezeichnung für Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren.
Das Selbstbestimmungsgesetz leistet einen Beitrag zum Grundrechtsschutz für die Betroffenen. Denn das Grundgesetz schützt auch das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität, wenn diese vom Geschlechtseintrag abweicht.
Viele Betroffene empfinden die Vorgaben des aktuell geltenden Transsexuellengesetzes als entwürdigend, insbesondere die Notwendigkeit, sich vor Änderung des Geschlechtseintrags einer Begutachtung zu unterziehen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht das Transsexuellengesetz in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Schon deshalb ist eine Reform notwendig.
Das Selbstbestimmungsgesetz sichert das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung für Betroffene und behält zugleich auch die Interessen der gesamten Gesellschaft im Blick.
Es ist vorgesehen, dass drei Monate vor der Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen eine schriftliche oder mündliche Anmeldung beim Standesamt erfolgen muss.
Der Zeitraum zwischen Anmeldung und Erklärung dient als Überlegungs- und Reflexionsfrist und soll nicht ernsthaft gemeinte Erklärungen verhindern sowie die Bedeutung der Änderungserklärung verdeutlichen.
Wird nach der Anmeldung die Erklärung nicht abgegeben, werden im Personenstandsregister keine Angaben zum Geschlecht und zu den Vornamen geändert. Nach Ablauf von sechs Monaten nach der Anmeldung ist davon auszugehen, dass die angemeldete Änderungserklärung nicht abgegeben werden soll, und die Anmeldung wird gegenstandslos.
Zudem ist eine einjährige Sperrfrist nach der Erklärung vorgesehen: Erst nach deren Ablauf kann eine neuerliche Erklärung abgegeben werden.
Dies soll dazu führen, dass insbesondere volljährige Personen sich der Tragweite ihrer Erklärung bewusst sind, weil klar ist, dass sie an die Erklärung mit den entsprechenden Einträgen mindestens ein Jahr gebunden sind. Die Sperrfrist soll zudem dazu beitragen, Personen, die in Erwägung ziehen, die Regelung aus anderen Gründen nutzen zu wollen, als aus dem Bedürfnis Geschlechtseintrag und Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen, davon abzuhalten.
Hinsichtlich des Geschlechtseintrags sowie des Vornamens gilt grundsätzlich ein Offenbarungsverbot, das heißt, dass die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden dürfen. Bei Missachtung soll dies künftig mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro geahndet werden können, sofern es absichtlich missachtet wurde, um der Person zu schaden. Ausnahmen sind insbesondere für Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden vorgesehen.
Geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen werden in dem Gesetz nicht geregelt.
Minderjährige bis 14 Jahre sollen die Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags nicht selbst abgeben können. Für sie sollen die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt übernehmen können.
Für Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Minderjährigen die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten abgeben können. In den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, soll das Familiengericht die Entscheidung der Eltern auf Antrag der minderjährigen Person ersetzen können. Dabei soll sich stets am Kindeswohl orientiert werden.
Die Vertragsfreiheit und das Hausrecht gelten wie bisher weiter. Durch das Selbstbestimmungsgesetz ändert sich daran nichts.
Wie bislang sind gesetzliche Grenzen der Vertragsfreiheit und des Hausrechts zu beachten – zum Beispiel der Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Danach ist eine Zurückweisung speziell von transgeschlechtlichen Personen allein aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität unzulässig.
Unterschiedliche Behandlungen wegen des Geschlechts sind aber zulässig, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, so zum Beispiel beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Toiletten, Umkleideräumen oder Saunen oder auch zu Frauenhäusern.
Das Gesetz soll am 1. November 2024 in Kraft treten. Gleichzeitig soll das Transsexuellengesetz dann außer Kraft treten.

Deutschland ist ein vielfältiges Land – den verschiedenen Lebensrealitäten passt die Bundesregierung nun drei Gesetze an.
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