Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum 40-jährigen Jubiläum der AG DOK

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum 40-jährigen Jubiläum der AG DOK

"Mit Ihrem Anliegen, dem Dokumentarfilm mehr Wahrnehmung und Wertschätzung zu verschaffen, haben Sie bei mir immer offene Türen eingerannt", erklärte die Kulturstaatsministerin beim Empfang zum 40-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm in Berlin. Insbesondere was die Vergütung und die Sendeplätze für dokumentarische Formate betrifft, bleibe für die Zukunft noch einiges zu tun, so Grütters.

Donnerstag, 27. Februar 2020

Ab 40, die Älteren unter uns wissen es, ab 40 merkt man, dass man älter wird, die einen mehr, die anderen weniger: Man kann sich in den besten Jahren wähnen – oder in der Midlifecrisis stecken. Man kann mit dem Pfund der Lebenserfahrung wuchern – oder die ersten Sorgenfalten zählen. Man kann die Ärmel hochkrempeln und nochmal was Neues anpacken – oder angesichts verpasster Chancen Torschlusspanik schieben. Man kann es so sehen wie der Regisseur der Komödie „Immer Ärger mit 40“, die 2013 im Kino lief: Einigermaßen gut aussehen, meinte er, das ginge bis 40. Der Rest des Lebens bestehe eigentlich nur darin, den Verfall aufzuhalten. Man kann es aber auch so sehen wie die AG DOK: „Das Jubiläum ist uns Ansporn zu neuem Aufbruch. (…) 40 ist das neue 20. Es gibt viel zu tun!“

Fest steht: Sollte sich jemals ein Dokumentarfilm dem Lebensgefühl der 40jährigen, der nicht mehr Jungen und noch nicht Alten widmen, die AG DOK wäre das beste Beispiel einer vor Energie, Zuversicht, Selbstbewusstsein und Tatendrang strotzenden 40-jährigen. Das mag niemanden verwundern – angesichts ihrer beeindruckenden Entwicklung von den Anfängen als bescheidene Arbeitsgemeinschaft im Dienste eines stiefmütterlich behandelten Filmgenres zum größten Berufsverband der Filmbranche. Das mag niemanden verwundern angesichts ihrer hervorragenden Reputation als hoch geschätzte – von manchen durchaus auch gefürchtete – Lobby des Dokumentarfilms, dem sie in den vergangenen  Jahrzehnten einen festen Platz in der Filmförderung wie auch auf Festivals und Preisverleihungen verschafft hat. Doch die Kämpfe, die dafür zu führen waren, haben bisweilen enorme Kraft gekostet, und manche Kämpfe – zum Beispiel jener um angemessene Vergütung – sind noch lange nicht ausgefochten. Da könnte es mit 40 durchaus auch zu ersten Verschleißerscheinungen kommen … .

Davon ist bei der AG DOK nichts zu spüren, ganz im Gegenteil: Mit viel Elan und Enthusiasmus bleibt sie für ihre rund 900 Mitglieder dran an ihren Themen, und das hat sicherlich damit zu tun, dass dabei nicht nur berechtigte wirtschaftliche Interessen im Spiel sind, sondern auch eine ganze Menge Idealismus: die Überzeugung nämlich, dass gute Dokumentarfilme mit ihrem Beitrag zu einem tieferen Weltverständnis Lebenselixier für unsere Demokratie sind. Dieses Credo ist die Energiequelle eines Verbands, der mit 40 voll in Saft und Kraft steht. Und Sie, lieber Thomas Frickel, haben dieses Credo als Vorsitzender und Geschäftsführer der AG DOK buchstäblich verkörpert. Knapp 35 Jahre lang waren Sie die laut vernehmbare, ja unüberhörbare Stimme der Dokumentarfilmkunst. Mit Ihrem unermüdlichen, mit Ihrem ebenso leidenschaftlichen wie sachkundigen Engagement haben Sie es geschafft, die AG DOK in film- und medienpolitischen Diskussionen zu einer nicht im Mindestens grauen, aber umso wirkmächtigeren Eminenz des Dokumentarfilmschaffens zu machen. Wer einmal mit Ihnen zu tun hatte, weiß, dass Sie nicht lockerlassen, wenn es darum geht, dem Dokumentarfilm zu besseren Rahmenbedingungen zu verhelfen, sei es im Filmförderungsgesetz, sei es in der Zusammenarbeit mit den Verwertungsgesellschaften oder den Sendern. So hieß es vor einigen Jahren mal anerkennend in einem Zeitungsporträt über Sie, ich zitiere: „Thomas Frickel hat es mit hartnäckigen und subversiven Wortmeldungen geschafft, die größte Nervensäge im öffentlich-rechtlichen System zu werden.“ Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen: Ihr Einsatz für eine lebendige Dokumentarfilmkultur und für die Belange ihrer Schöpferinnen und Schöpfer hatte durchaus Nervensägen-Qualität – und das dürfen Sie getrost als Kompliment verstehen. Denn erstens braucht es eine gewisse Penetranz, um politisch etwas zu bewegen – und zweitens habe ich mich als Liebhaberin des Dokumentarfilms gerne von Ihnen überzeugen lassen. Mit Ihrem Anliegen, dem Dokumentarfilm mehr Wahrnehmung und Wertschätzung zu verschaffen, haben Sie bei mir immer offene Türen eingerannt.

Das erkennen Sie allein schon daran, meine Damen und Herren, dass der Dokumentarfilm in der Filmpolitik und der Filmförderung der BKM eine wichtige Rolle spielt – beispielsweise in der kulturellen Filmförderung, die ich deutlich aufgestockt habe, um gerade auch im Dokumentarfilmbereich für mehr Unabhängigkeit zu sorgen. Hier haben wir die Fördermöglichkeiten für die einzelnen Filmproduktionen deutlich erhöht, das Höchstbudget der antragsberechtigten Filme angehoben, den zulässigen Anteil der BKM-Fördersumme deutlich erhöht und neben einer Stoffentwicklungsförderung eigenständige Jurys für den Dokumentarfilm eingeführt. Wie wir die Entwicklung von Filmen – auch Dokumentarfilmen – mit besonderer kultureller Relevanz noch besser unterstützen können, prüfen wir gerade im Rahmen der aktuell laufenden Überarbeitung der Richtlinie zur kulturellen Filmförderung. Auch bei der aktuellen Novellierung des FFG haben wir den Dokumentarfilm auf dem Schirm, zum Beispiel, indem wir noch einmal die Stoff- und Projektentwicklung, aber auch Verleih und Vermarktung stärken.

Der Dokumentarfilm profitiert auch von der wirtschaftlichen Filmförderung
des DFFF I. Darüber hinaus wollen wir hochbudgetierte High-End-Dokumentarserien künftig auch im Rahmen des German Motion Picture Fund (GMPF) fördern. Und last but not least freue ich mich, dass es im Rahmen der Reform des EU-Urheberrechts gelungen ist, große Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen. Dafür habe ich mich im Sinne der Urheber mit Nachdruck eingesetzt.

Bei alldem waren Sie für mich und für mein Haus immer ein inspirierender Gesprächspartner, lieber Herr Frickel! Ich danke Ihnen herzlich für Ihr beherztes Engagement, mit dem Sie sich den Ruf „als größte Nervensäge im öffentlich-rechtlichen System“ wahrlich hart erarbeitet haben. Dass Sie sich in Ihrem Ruhestand tatsächlich zur Ruhe setzen wollen, traue ich Ihnen, offen gesagt, nicht wirklich zu. Ich hoffe und ich bin ziemlich sicher, wir werden weiterhin von Ihnen hören! Für die Umsetzung der Filmideen, die Sie (wie ich aus sicheren Quellen erfahren habe) im Kopf haben, wünsche ich Ihnen jedenfalls viel Freude und Erfolg. Und ich bin – mit Blick auf Ihre bisherigen eindrucksvollen Produktionen (zum Beispiel auf das durch aus meinem Etat geförderte und 2017 mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnete Projekt „Wunder der Wirklichkeit“) – sehr gespannt darauf.

Dem neuen Vorstand gratuliere ich herzlich zur Wahl. Auch wenn die AG DOK mit 40 schon auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken kann, bleibt für die Zukunft noch einiges zu tun, insbesondere was die Vergütung und die Sendeplätze für dokumentarische Formate betrifft. Kürzlich zum Beispiel habe ich spät nach Mitternacht noch den Fernseher eingeschaltet und bin im ZDF hängen geblieben: bei einer glänzend recherchierten, sehr differenzierten Dokumentation über geraubte Kunst, die sich auf wohltuende Weise abhob von der oft recht schablonenhaften medialen Darstellung. Warum läuft so ein Beitrag, von dem die öffentliche Debatte über ein so komplexes Thema nur profitieren kann, um 0.35 Uhr? Das macht mich ehrlich ratlos! Aber auch mir bleibt hier nur, immer wieder an die Programmverantwortlichen zu appellieren, hochwertigen Dokumentationen und Dokumentarfilmen mehr Raum zu besseren Sendezeiten zu geben, und daran zu erinnern, dass die Sender genau damit das Qualitätsversprechen einlösen würden, das an das Privileg der Gebührenfinanzierung geknüpft ist. Der renommierte Fernsehkritiker Torsten Körner hat es vor Jahren mal auf den Punkt gebracht, ich zitiere: „Dieses forschende, lebensnachfühlende Erzählen könnte die Königsdisziplin der Öffentlich-Rechtlichen sein, könnte in Zeiten der krawallorientierten Ausplünderung des Wirklichen ein Antidot gegen den aufgeputschten, derangierten Blick sein, könnte ein sensibilisierendes Eintauchen in reale Lebenswelten darstellen statt ein Abtauchen in synthetische Abstumpfungswelten…“.

Ja, das wäre wirklich wünschenswert! Aber dafür ist wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Dafür wünsche ich der AG DOK und ihrer neuen Führung viel Erfolg. Auf meine Unterstützung können Sie dabei weiterhin zählen. Denn auch ich werde mich nicht damit abfinden, dass die Antworten auf die Fragen einer immer komplexer werdenden Welt, dem Social Media-Stakkato entsprechend, immer kürzer ausfallen. Demokratie setzt mündige Bürgerinnen und Bürger voraus, die sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen und Zusammenhänge verstehen. Dazu braucht es Wahrnehmung mit Tiefenschärfe, die sich in einem Dokumentarfilm anders entfalten kann als in einem kurzen Einspieler in den Nachrichten. Nicht zuletzt brauchen wir Dokumentarfilme und Dokumentationen auch, um populistischen Vereinfachern, Zerrbildzeichnern und Schwarz-weiß-Malern einen differenzierten Blick auf die Wirklichkeit entgegen zu setzen. Als IHRE Anwältin, meine Damen und Herren, ist die AG DOK auch Anwältin der Wahrheit. Dafür stehen 40 Jahre erfolgreiche Verbandsarbeit. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum 40. Jubiläum und bitte: heiter weiter! Gerne auch als größte Nervensäge im öffentlich-rechtlichen System!