rede des bundesministers des auswaertigen vor der ksze-konferenz fuer wirtschaftliche zusammenarbeit in europa in bonn

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der bundesminister des auswaertigen, hans-dietrich
genscher, hielt vor der ksze-konferenz fuer
wirtschaftliche zusammenarbeit in europa am 11. april 1990 in
bonn folgende rede:

die konferenz, die heute zu ende geht, ist eine wichtige
etappe im ksze-prozess auf dem weg zu der schaffung des
einen europa. sie hat weichen gestellt fuer einen
umfassenden europaeischen wirtschaftsraum auf der grundlage
der marktwirtschaft. das schlussdokument ist ausdruck der
gemeinsamen entschlossenheit, den herausforderungen
und chancen in einem sich wandelnden europa gerecht zu
werden. neues denken setzt sich auch im rahmen des
zweiten korbes der ksze-schlussakte durch.
die hochrangige teilnahme aus 35 ksze-staaten und
insbesondere die aktive mitwirkung von vertretern der
wirtschaft machen den aufbruch hin zu neuen ufern der
wirtschaftskooperation deutlich.
zu den kernaussagen des schlussdokumentes gehoert der
untrennbare zusammenhang zwischen der achtung der
menschenrechte, der nichtdiskriminierung, dem politischen
pluralismus, freien wahlen, demokratie, der herrschaft des
rechts und der auf privater initiative beruhenden
marktwirtschaft. diese marktwirtschaft hat eine soziale und eine
umweltpolitische dimension, sie ist soziale und oekologische
marktwirtschaft.
das schlussdokument hat einen gemeinsamen nenner fuer
wirtschaftsordnung und wirtschaftspolitik gefunden. das
schafft fuer die wirtschaftspolitik und die unternehmen
einen verlaesslichen rahmen.
nicht minder wichtig erscheinen die praktischen ergebnisse
der konferenz in bereichen wie z. b. industrieller
kooperation, geschaeftsbedingungen und
gemeinschaftsunternehmen.
die volle integration aller ksze-staaten in die
weltwirtschaft ist dringlich, wenn die oekonomischen, sozialen
und oekologischen herausforderungen bewaeltigt werden sollen.
der sachverstand aller zustaendigen internationalen
organisationen wird dringend benoetigt.
die empfehlung des "bonner dokuments", den
gesamteuropaeischen wirtschaftsdialog - durch die veranstaltung
regelmaessiger treffen zur ueberpruefung der fortschritte und
zur formulierung neuer anstoesse nach dem erfolgreichen
beispiel dieser konferenz sowie durch die einrichtung von
expertenseminaren - zu verstetigen, wird fortschritte
sicherstellen und neue impulse geben.
das ergebnis dieser konferenz muss in dem groesseren
zusammenhang des ksze-prozesses gesehen werden.
dieser prozess ist interdependent. die fortschritte in den
einzelnen koerben befruchten sich gegenseitig.
der wirtschaftskooperation kommt beim bau des einen
europa eine schluesselrolle zu. sie kann wesentlich zu
stabilitaet und vertrauensbildung in europa beitragen.
wirtschaftliche vernetzung und verzahnung schaffen nicht nur
wohlstand, sie sind auch unverzichtbare elemente der sicherheit
und stabilitaet in der zukuenftigen europaeischen
friedensordnung.
die bonner konferenz ist ein meilenstein auf dem wege
zum ksze-gipfel im herbst dieses jahres.
vor 15 jahren verstaendigten sich die vertreter einander
entgegengesetzter systeme zusammen mit den neutralen
und ungebundenen staaten auf die schlussakte von
helsinki. unterschiedliche wertvorstellungen waren fuer sie
bestimmend, und, daraus folgend, gaenzlich unterschiedliche
politische, gesellschaftliche und soziale ordnungen.
es war von anfang an meine feste ueberzeugung, dass diese
schlussakte zur besinnung auf die gemeinsamen geistigen
und moralischen werte - die europa immer ausgezeichnet,
verbunden und zu einer bereicherung fuer die ganze welt
gemacht haben - fuehren und den weg fuer ein neues europa
ebnen werden.
das vertrauen in die ksze-dynamik wurde gerechtfertigt.
nach der freiheitsrevolution in mittel- und osteuropa geht
die trennung europas ihrem ende entgegen. ohne die
ksze waere diese entwicklung so nicht moeglich gewesen.
die menschen waren treibende kraft fuer die freiheitsrevolution
in europa. politiker mit visionaerer kraft haben sie dazu
ermutigt, der sowjetische praesident gorbatschow nimmt
unter ihnen eine herausragende rolle ein.
gestuetzt haben sich die menschen in ihrem kampf um
herrschaft des rechts, um menschenrecht und
menschenwuerde, um freiheit, demokratie und selbstbestimmung,
vor allem auf die ksze-schlussakte.
jetzt muss der ksze-prozess eine neue qualitaet und eine
neue dimension gewinnen. ging es in der ersten phase
darum, das zusammenleben der zwei unterschiedlichen
systeme in europa moeglich zu machen und die trennung
schrittweise zu ueberwinden, so muessen jetzt grundlagen
und struktur fuer das eine europa geschaffen werden.
die vereinigten staaten von amerika und kanada werden
als unterzeichnerstaaten der schlussakte von helsinki auch
in zukunft eine unverzichtbare gestaltende und
stabilisierende rolle im ksze-prozess spielen.
der west-ost-gegensatz verliert mit der demokratisierung
mittel- und osteuropas seine ideologische, mit dem willen
zur zusammenarbeit die machtpolitische grundlage und mit
der abruestung die militaerischen moeglichkeiten.

verzahnung und vernetzung werden das eine europa
immer mehr zusammenfuehren:

es entsteht der eine wirtschaftsraum,
es entsteht der eine sozialraum,
es entsteht der eine rechtsraum,
es entsteht der eine sicherheitsraum,
es entsteht der eine kulturraum,
es entsteht das eine europa.

wir begeben uns auf den weg zu der europaeischen
konfoederation, von der praesident mitterrand gesprochen hat.
nach dem antagonismus und nach dem geregelten neben-
und miteinander beginnt nun die etappe, in der europa
seine einheit findet und gestaltet. die ksze-gipfelkonferenz
im herbst 1990, auf der die beiden abkommen zur
abruestung und vertrauensbildung "wien i" unterzeichnet
werden sollen, wird zum ausgangspunkt eines neuen
kapitels in der europaeischen geschichte werden.
die 35 staaten werden sich auf dem ksze-gipfel nicht
mehr im zeichen der konfrontation begegnen.
der ksze-sondergipfel im herbst hat die aufgabe, die
perspektiven der zukuenftigen europaeischen
friedensordnung zu entwerfen, den ksze-prozess zu vertiefen,
zu verstetigen und zu institutionalisieren.
auf dem regulaeren ksze-nachfolgetreffen in helsinki im
jahre 1992 koennte dann eine art "magna charta der
europaeischen sicherheit und zusammenarbeit" besiegelt
werden.
dem ksze-prozess faellt die aufgabe zu, grundlage fuer die
europaeische friedensordnung, vom atlantik bis zum ural,
zu schaffen. er bietet den stabilitaetsrahmen fuer die
dramatischen entwicklungen in mittel- und ost-europa.
der gipfel im herbst 1990 kann einen beitrag dazu leisten,
durch die errichtung einer reihe von gesamt-europaeischen
verfahren und institutionen:
1.
treffen der aussenminister aller ksze-staaten sollten
regelmaessig stattfinden, um die vielfaeltigen bemuehungen
in allen ksze-bereichen zu koordinieren und neue
impulse zu geben.
2.
besonders wichtig erscheint mir die einrichtung eines
europaeischen zentrums zur fruehzeitigen erkennung und
politischen schlichtung von konflikten. hier gilt es, neue
wege des krisenmanagements zu gehen.
3.
der europarat sollte zur gesamteuropaeischen institution
fuer die wahrung der menschenrechte werden. die
zustaendigkeit des menschenrechtsgerichtshofs und der
menschenrechtskommission sollte auf ganz europa
erstreckt werden.
4.
das recht auf freie wahlen sollte in den
prinzipienkatalog der schlussakte von helsinki eingefuegt werden
und die moeglichkeit der ueberpruefung der einhaltung
geschaffen werden.
5.
die rechte nationaler und religioeser minderheiten ueberall
in europa muessen gesichert werden.
6.
wir brauchen ein zentrum fuer die entwicklung eines
einheitlichen rechtsraums mit dem ziel der
rechtsangleichung.
7.
besonders dringlich ist die errichtung einer
gesamteuropaeischen umweltagentur, um die vielfaeltigen
bemuehungen zur rettung unserer gemeinsamen umwelt zu
koordinieren, um daten, sachwissen und erfahrungen
auszutauschen und neue initiativen auf den weg zu bringen.
8.
die eureka-zusammenarbeit, die hunderte von
firmen und forschungseinrichtungen in europa schon
zusammengefuehrt hat, sollte fuer alle teilnehmerstaaten
geoeffnet werden.

zum richtigen verstaendnis des wirtschaftsraums europa
gehoert, dass alle staaten europas, die sich dem wettbewerb
und dem markt verschreiben, zugang zu internationalen
institutionen erhalten, die diesem prinzip verpflichtet sind:
zu gatt, oecd, aber auch zu iwf und zur weltbank.
dazu gehoert auch, dass diese laender ueber technologien
verfuegen koennen, die zeitgemaesse kommunikationsfaehigkeit,
produktivitaet und umweltvertraeglichkeit der wirtschaft
ermoeglichen. deshalb darf die bereitschaft zum
technologietransfer nicht hinter den politischen und
sicherheitspolitischen entwicklungen zurueckbleiben.
die europaeische gemeinschaft erfuellt bei der schaffung des
einen europa eine schluesselrolle. sie ist der stabilitaetsanker
fuer europa und wegweisendes modell fuer eine neue kultur
des zusammenlebens. im interesse des ganzen europa
braucht sie neue, zusaetzliche dynamik. dem dient die
schaffung des gemeinsamen binnenmarktes, der
wirtschafts- und waehrungsunion und die staerkung und der
ausbau der institutionen der europaeischen gemeinschaft.
der franzoesische aussenminister, mein freund roland
dumas, hat gestern noch einmal bedeutung und
dringlichkeit der europaeischen wirtschafts- und waehrungsunion
unterstrichen, ich kann ihm darin nur zustimmen. in unserer
einzigartigen verbindung mit frankreich werden wir auch in
zukunft als motor auf dem wege zur politischen union
wirken.
angesichts der zunehmenden bedeutung, welche der eg
im gesamteuropaeischen prozess zukommt, ist es
wuenschenswert, dass die europaeische gemeinschaft bei der
ksze-gipfelkonferenz in diesem herbst ihren eigenen platz
erhaelt und damit ihre wichtige stimme mehr als bisher zur
geltung bringen kann.
waehrend wir auf die ksze-gipfelkonferenz 1990
hinarbeiten, haben sich beide deutsche staaten auf den weg der
vereinigung begeben. die regierungen der bundesrepublik
deutschland und der ddr, die aus freien wahlen
hervorgegangen sind, werden in voelliger gleichberechtigung
ueber die herstellung der wirtschafts-, waehrungs- und
sozialunion verhandeln.
auch bei diesen verhandlungen wird der mensch im
mittelpunkt der entscheidungen stehen. das bedeutet die
schaffung freier entfaltungsmoeglichkeiten der menschen und die
verwirklichung sozialer gerechtigkeit.
dazu gehoert die schaffung sicherer und zukunftsorientierter
wettbewerbsfaehiger arbeitsplaetze auch in der ddr, die
bezahlung von guter arbeit in gutem geld, die sicherung
der rechte der rentner, die unter schweren umstaenden ihre
lebensleistung erbracht haben und die wahrung der
rechte der sparer, fuer die ihre ersparnisse einen teil ihrer
lebensleistung darstellen.
ich hoffe, dass alle diejenigen, die bisher eher von den
lasten des vereinigungsprozesses gesprochen haben, die
chancen erkennen, die gerade in der herstellung der
wirtschafts-, waehrungs- und sozialunion fuer die menschen in
beiden deutschen staaten und fuer ganz europa liegen.
es sind gute nachrichten fuer die menschen in der ddr und
auch fuer alle teilnehmer des ksze-prozesses, wenn die
gruppe der sieben am 7. april in paris festgestellt hat, dass
die deutsche wirtschafts- und waehrungsunion das globale
wachstum verbessern, und die aussenhandelsungleichgewichte
in europa reduzieren wird. von aehnlich positiver
bewertung sprach das sachverstaendigengutachten der
institute, das am montag veroeffentlicht wurde. die
wirtschafts-, waehrungs- und sozialunion bietet mit ihrer
nachfrage nach investitionen und nach konsumguetern in der tat
einen erheblichen wachstumsimpuls.
aber der prozess der deutschen vereinigung ist mehr als ein
oekonomischer, monetaerer, sozialer und oekologischer
prozess. die gesellschaften in beiden deutschen staaten
werden sich in einer freien gesellschaft verbinden und ihre
erfahrungen, und vor allen dingen auch ihre kulturelle
entwicklung einbringen.
die freiheitsrevolutionen nicht nur in der ddr, sondern in
ganz mittel- und osteuropa werden einen nachhaltigen
einfluss auf die politische kultur in einem vereinigten
deutschland, aber auch in einem vereinigten europa haben. der
"kulturraum europa" wird bewusster erlebt werden. millionen
von westeuropaeern werden den osten unseres kontinents
entdecken, und millionen von mittel- und osteuropaeern den
westen und den sueden besuchen.
ueber die aeusseren aspekte der deutschen vereinigung wird
in den gespraechen zwei plus vier zu sprechen sein.
es ist nicht nur die gemeinsame geschichte, die
gemeinsame kultur und die gemeinsame verantwortung fuer alles,
was war, was die deutschen zu einem volk macht, nein, es
ist das unumstoessliche bekenntnis zu den werten einer
freiheitlichen gesellschaft, und es ist die verantwortung fuer
die zukunft europas.
die deutschen in der bundesrepublik haben nach dem
8. mai 1945 verantwortlichen gebrauch gemacht von der
wiedergewonnenen freiheit. sie haben sich eine verfas-
sung gegeben, die die freiheitlichste verfassung unserer
geschichte ist und die unserem volk aufgibt, die einheit der
deutschen zu vollenden, europa zu einen und dem frieden
in der welt zu dienen. es ist eine verfassung, die einzigartig
der politik unseres landes verantwortungspolitik
vorschreibt und dem machtstreben eine absage erteilt.
die deutschen in der ddr haben sich 1989 diese freiheit
friedlich erstritten. sie haben das getan, wie die menschen
in den anderen staaten mittel- und osteuropas auch.
wir deutschen wissen, dass bei vielen menschen in europa
im zusammenhang mit der deutschen vereinigung fragen
gestellt werden. fragen, was wollen die deutschen, was
bedeutet es fuer europa und fuer die welt, wenn fast
80 millionen deutsche wieder in einem staat leben?
nach allem, was war, nach allem, was in deutschem namen
geschehen ist, kann ich diese fragen verstehen. unsere
antwort ist eindeutig und klar, wir wollen nichts anderes, als
in freiheit, demokratie, in einheit und in frieden mit allen
unseren nachbarn leben.
fuer die europaeischen nachbarn hat der tschechoslowakische
staatspraesident vaclav havel gesagt: "die zeit ist reif,
sich die haende zu reichen, um einander nicht mehr fuerchten
zu muessen."
mit der vereinigung werden die deutschen zu noch groesserer
harmonie mit sich selbst und ihren nachbarn finden. das
bewusstsein unserer europaeischen identitaet wird noch
staerker sein. in diesem sinne schafft die vereinigung
deutschlands nicht ein problem, sondern sie loest ein problem,
das das ganze europa betraf.
ein europaeisches deutschland zu schaffen und zu gestalten
und der europaeischen verantwortung der deutschen
gerecht zu werden, das ist unsere europaeische berufung.
wir leben im herzen europas. unsere geschichte hat uns,
wie bundespraesident von weizsaecker erklaert hat, nie allein
gehoert. was bei uns geschieht, betrifft das ganze europa
viel staerker als das, was in anderen teilen europas
geschieht.
das gibt uns nicht mehr macht, aber es staerkt unsere
verantwortung. machtpolitik gehoert fuer uns zu den
kategorien von gestern, verantwortungspolitik bestimmt unser
handeln.
die zugehoerigkeit eines vereinigten deutschland zum
westlichen buendnis wird ein beitrag zu stabilitaet fuer ganz
europa sein. fuer das gebiet der heutigen ddr werden regelungen
gefunden werden, die auch die zustimmung der
sowjetunion und der nachbarn finden koennen.
hier wird sehr viel neues denken notwendig sein. man sollte
auch gedanken nachgehen, die ueber das alte west-ost-
denken, ueber den antagonismus der systeme, die die
vergangenheit beherrschen, hinausfuehren.
wir wissen, dass die wahrung der legitimen
sicherheitsinteressen und auch der wirtschaftlichen interessen
der sowjetunion - im zusammenhang mit der deutschen vereinigung -
groesste bedeutung hat. wir werden der zentralen bedeutung
des deutsch-sowjetischen verhaeltnisses auch durch die
gestaltung des kuenftigen verhaeltnisses des vereinigten
deutschlands zur sowjetunion rechnung tragen.
wir wollen aus den veraenderungen in mittel- und osteuropa
keine einseitigen vorteile ableiten. es ist nicht uoeser wille,
dass der wandel in osteuropa und auch der deutsche
vereinigungsprozess zu einer sicherheitspolitischen
kraefteverschiebung fuehren.
sicherheit gibt es nur gemeinsam und nicht zu lasten einer
seite.
eine neutralisierung deutschlands wuerde zu einer
herausloesung der deutschen aus dem europaeischen kontext
fuehren. eine deutsche neutralitaet wuerde die rolle unterlaufen,
die den buendnissen bei der schaffung einer dauerhaften
und gerechten friedensordnung notwendigerweise zufaellt.
sie wuerde unerwuenschte unsicherheit und instabilitaet in
mitteleuropa schaffen.
die loesung der sicherheitspolitischen aspekte der
deutschen vereinigung wird ein hohes mass an behutsamkeit
und staatskunst verlangen. sie wird in dem masse erleichtert
werden, in dem die notwendigkeit eines wandels der
buendnisse von einer bisher antagonistisch-militaerischen hin zu
einer sicherheitsbildenden-politischen rolle von allen seiten
verstanden und akzeptiert wird. eine solche entwicklung
wird fragen loesbar machen, die heute noch unloesbar
erscheinen.
wenn wir jetzt darangehen, die kuenftigen strukturen fuer
europa, vor allem aber die kuenftigen sicherheitsstrukturen
zu entwerfen, muessen wir uns klarheit ueber die rolle der
buendnisse verschaffen. sie sind jetzt schon dabei, von der
konfrontation zur kooperation ueberzugehen. die staaten
des warschauer pakts haben sich auf den weg zur
demokratisierung begeben. sie bereiten damit auch den boden
fuer neues sicherheitspolitisches denken und fuer neue
sicherheitspolitische moeglichkeiten.
die herausforderung an unsere zeit heisst: sicherheit
nicht im gegeneinander, sondern im miteinander. sie heisst
kooperative stabilitaet.
wenn die mitgliedstaaten zu immer mehr kooperation
finden, koennen und muessen sich auch die buendnisse, denen
sie angehoeren, veraendern, und sie muessen zu kooperativen
strukturen der sicherheit beitragen.
demokratisierung und abbau von bedrohungen gehen
hand in hand.
beide buendnisse sind aufgerufen, ihre rolle mehr und mehr
politisch zu definieren und zu sicherheitsbildender
kooperation zu finden. die buendnisse werden eine immer staerkere
rolle im abruestungsprozess und bei vertrauensbildung und
verifikation uebernehmen. es wird sich erweisen, dass den
vertrauens- und sicherheitsbildenden massnahmen in der
perspektive der politischen neuordnung europas eine
richtungweisende rolle zufallen wird.
transparenz, offenheit und die faehigkeit einander richtig
einschaetzen zu koennen, sind ebenso wichtig wie die
reduzierung von streitkraeften und waffen. sie sind
kernelemente unserer kuenftigen sicherheitspolitik.
vertrauensbildung fuehrt zu einer kultur des
zusammenlebens, in der fuer vorherrschaft und bedrohung, fuer
feindbilder und misstrauen kein raum bleibt.
die abruestung wird zum kern der vereinigung europas und
der deutschen vereinigung. drastische reduzierungen der
streitkraefte aller staaten sind erforderlich. das gilt auch
fuer unsere eigenen streitkraefte. wir finden uns in unserer
auffassung bestaetigt: die riesigen, in sich gefaehrlichen
ansammlungen von waffen, insbesondere auf deutschem
boden, sind nicht die ursache, sondern die folge von
gegensaetzen und spannungen.
auf die konventionellen abruestungsverhandlungen wien i
muessen ohne pause die verhandlungen ueber wien ii folgen.
das gleiche gilt fuer die wiener verhandlungen ueber
vertrauensbildende massnahmen.
wenn 1990 das jahr der abruestung werden soll, dann
muessen bei der vorgesehenen ksze-gipfelkonferenz im
herbst diesen jahres die beiden abkommen wien i
abgeschlossen werden. das gleiche gilt fuer das weltweite
umfassende verbot der c-waffen und fuer die 50prozentige
reduzierung der strategischen nuklearwaffen der usa und der
sowjetunion. die nuklearen kurzstreckenraketen und die
nukleare artillerie muessen in die abruestung einbezogen
werden. welche funktionen sollen diese waffensysteme in
zukunft noch haben? auch fuer abruestung gilt, dass sie den
anschluss an die politische entwicklung nicht verlieren darf.
ohne entschlossene schritte zur abruestung wird es keine
einheit europas und keine einheit deutschlands geben. um
diese erkenntnis wird niemand herumkommen.
zu den neuen gemeinsamen aufgaben des westens und
des ostens gehoert es, die reduzierung von streitkraeften
und waffen gemeinsam zu bewaeltigen und sich auch
gemeinsam den oekonomischen, gesellschaftlichen,
technologischen und oekologischen herausforderungen der
abruestung zu stellen. und es geht darum, die mittel, die durch
die abruestung freiwerden, einzusetzen fuer soziale gerechtigkeit
in den eigenen gesellschaften und fuer die bewaeltigung der
globalen herausforderungen.
wir wollen die deutsche vereinigung als mitglied der nato,
wir wollen sie in der perspektive der integration in der eg,
wir wollen sie im ksze-prozess und als beitrag zum bau des
gemeinsamen europaeischen hauses und zur schaffung der
gesamt-europaeischen friedensordnung.
wir suchen weder einen alleingang noch einen deutschen
sonderweg.
wir wollen den europaeischen weg gehen.
die vereinigung beider deutscher staaten soll ein beitrag
zur stabilitaet in europa sein. vereinigt werden sollen die
bundesrepublik deutschland, die ddr und das ganze
berlin, und dies in den heute bestehenden grenzen - nicht
weniger, aber auch nicht mehr. mit dieser vereinigung
werden sich artikel 23, satz 2, artikel 146 und der auf die
deutsche einheit bezogene teil der praeambel unseres
grundgesetzes erledigen. sie werden damit aus der
verfassung gestrichen werden.
wir haben keine gebietsansprueche gegen irgendeinen
staat in europa.
am 26. september 1989 habe ich vor den vereinten
nationen erklaert: "das polnische volk soll wissen, dass sein
recht, in sicheren grenzen zu leben, von uns deutschen weder
jetzt noch in zukunft durch gebietsansprueche in frage
gestellt wird."
wir sind uns bewusst, dass die endgueltigkeit der polnischen
westgrenze an oder und neisse eine grundlegende
bedingung des friedens in europa ist. wir, das sind die
menschen in beiden deutschen staaten. die beiden frei
gewaehlten deutschen parlamente und die von diesen gewaehlten
regierungen werden sich dazu gemeinsam erklaeren. ueber
die form der garantie der endgueltigkeit dieser grenze
werden wir uns mit unseren polnischen nachbarn
verstaendigen.
wir haben den wunsch, dass das vereinigte deutschland
seinem nachbarn polen eng verbunden sein wird. polen
und deutschland koennen viel tun fuer den bau eines neuen
europa. wenn der polnische aussenminister eine deutsch-
polnische interessengemeinschaft vorschlaegt, so kann ich
dem nur zustimmen.
wir deutschen koennen schon im vorfeld der ksze-gipfelkonferenz
wichtige stabilitaetsbeitraege leisten: ein wichtiger
beitrag zum frieden in europa wird es sein, wenn beide
deutsche staaten feierlich bekraeftigen, dass sie ein und fuer
allemal auf die anwendung von gewalt als mittel der politik
verzichten. beide deutsche staaten koennen gemeinsam den
verzicht auf die herstellung, den besitz und die weitergabe
atomarer, chemischer und biologischer waffen bekraeftigen.
die ksze-gipfelkonferenz kann durch eine feierliche
bekraeftigung der prinzipien der schlussakte von helsinki
neues vertrauen bilden.
meine damen und herren, in demselben jahrhundert, in
dem die schrecklichsten kriege der menschheitsgeschichte
stattfanden, in dem die schrecklichsten verbrechen gegen
die menschlichkeit begangen wurden, bekommen wir jetzt
im letzten jahrzehnt die chance, fuer europa und fuer die
ganze welt neue tragfaehige fundamente fuer die
internationale zusammenarbeit und den frieden zu schaffen. das
ist das eigentlich beglueckende und ermutigende am beginn
der neunziger jahre.
west und ost haben gemeinsame ausgangspunkte fuer die
gestaltung der zukunft gefunden. wir muessen jetzt die
bauelemente fuer die naechsten jahrzehnte
zusammenfuehren, wir muessen den weg vorzeichnen in das
naechste jahrtausend. nie waren die voraussetzungen fuer ein
gemeinsames handeln guenstiger als heute. freiheit,
demokratie und menschenrechte, sie setzen sich ueberall durch,
sei werden ueberall zu grundlagen des menschlichen
zusammenlebens.
der deutsch-amerikanische philosoph hans jonas hat uns
gelehrt, dass unsere verantwortung weit hinausgeht ueber
unsere zeit, und dass sie groesser ist als die aller frueheren
generationen.
die technische entwicklung hat es uns in die hand gegeben,
die welt humaner zu gestalten. wenn wir aber versagen,
wenn wir den frieden verspielen, wenn wir die natuerlichen
lebensgrundlagen zerstoeren, dann verspielen wir leben
und freiheit.
freiheit ist nur dort, wo auch leben ist, und leben ist nur
dort, wo wir den frieden bewahren, den frieden unter den
menschen und den frieden der menschen mit der natur.
stellen wir uns gemeinsam dieser herausforderung der
freiheit.