Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,

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Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziemlich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leitlinien der Großen Koalition gesprochen. Ich habe mir meine eigene Rede von damals herausgeholt und bin fast etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wiedergegeben habe. Ich habe damals gesagt, wir müssten mit gewissen Beunruhigungen rechnen. Deshalb könnte man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land steigt.

Schauen wir uns die Ereignisse der darauf folgenden Wochen und Monate an, die alle nacheinander einsetzten: Da waren die Unruhen auf dem Maidan, die zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim führten. Da war die Ebolakrise. Da war die neue Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen. Da war der erste Aufmarsch der Kämpfer des Islamischen Staates (IS), die sich daranmachten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen.

All das ist nicht in den letzten drei Jahren passiert, sondern das waren die Ereignisse der ersten sechs Monate. Deshalb war der Aufruf zur Übernahme von mehr Verantwortung für Deutschland, den ich damals gemacht habe, keine Trockenübung, sondern das waren Aufgaben, denen wir uns in den ersten Wochen und Monaten dieser Legislaturperiode unmittelbar stellen mussten. Diese Verantwortungsbereitschaft ist vom ersten Tag an getestet worden.

Was ich sagen will: Dieses Parlament hat, wie das heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt, eben nicht erklärt: Abschotten, dichtmachen, lasst die Welt mit ihren Nöten einfach draußen. Vielmehr haben Sie alle Ihre Verantwortung ernst genommen. Sie haben danach gehandelt. Dafür will ich mich ganz herzlich bedanken.

Das Mandat und das Engagement im Irak, über das wir reden, steht geradezu beispielhaft für das, was ich meine: für die gewachsene Verantwortung deutscher Außenpolitik. Ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwortung haben wir nicht einfältig als einseitig verstanden. Wir haben immer gewusst: Das kann auch militärische Optionen beinhalten. Wir haben uns aber nicht auf militärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden politischen Ansatz versucht. Wir haben gewusst, dass es mit den Mördern des IS nichts zu verhandeln gibt und dass wir deshalb diejenigen unterstützen müssen, die sich dem IS im Norden des Irak entgegenstellen.

Wir haben auch gewusst: Wenn man den Irak in dieser schwierigen Lage wirklich festigen will, um dem Terror den Nährboden zu entziehen, dann braucht es viel, viel mehr. Dann braucht es humanitäre Hilfe. Dann braucht es aktive politische Arbeit mit der Zentralregierung. Ein Blick auf die zurückliegenden Jahre zeigt: Der Irak ist ein Beispiel für gewachsene Verantwortung. Aber er ist auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Instrumentenkasten der Außenpolitik in diesen Jahren entwickelt und kontinuierlich erweitert hat, gerade unter dem Stichwort der Stabilisierung.

Wir haben 47 Millionen Euro eingesetzt, mit denen wir heute Schulen und Krankenhäuser wieder instand setzen sowie Strom- und Wasserleitungen wieder funktionsfähig machen. Viele Menschen, die vom IS aus ihrer Heimat vertrieben wurden, haben wir inzwischen mit dieser Hilfe zurückgebracht, zum Beispiel nach Tikrit, Ramadi und Falludscha. Das ist Außenpolitik aus einem Guss. So stelle ich mir das vor.

Nun gibt es hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein könnte. Ich fürchte, dass das keine "Fake News" sind, das haben wir ernst zu nehmen. Deshalb erlauben Sie mir einen Blick zurück auf die letzten drei Jahre. Ich werde dabei meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen.

Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben in diesen Jahren in der Tat mehr Verantwortung gewagt. Ich bin mir sehr bewusst: Dieses Wagnis wäre nicht geglückt ohne den Deutschen Bundestag und das nicht, weil die Kollegin Barnett und die Kollegen Karl, Leutert und Lindner am Geldhahn sitzen. Ich meine etwas sehr viel Grundsätzlicheres. Mehr Verantwortung, mehr Engagement in der Welt kann nicht von oben verordnet werden, sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser Gesellschaft herausbilden. Wenn sich die Rolle unseres Landes in der Welt wandelt – das tut sie ja –, dann muss die gesamte Gesellschaft darüber diskutieren. Das sage ich nicht als Mitglied der Regierung, sondern als Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Ich bin stolz darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat, dass wir diese Debatte uns selbst und der deutschen Öffentlichkeit – wenn ich das so sagen darf – zugemutet haben.

Erstens: Wir haben diskutiert und gestritten über den Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen Regierungen und bei wachsenden Spannungen. Russland und die Türkei sind hier als Stichworte zu nennen.

Zweitens: Wir haben diskutiert über den Ausbau von Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik. Ich danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amtes, die in den letzten drei Jahren erheblich gewachsen ist. Wir haben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik. Ich erinnere an die Leitlinien "Zivile Krisenprävention" – ein Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag –, an die Wiederbelebung der Rüstungskontrolle in Europa oder an die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule der Außenpolitik. Ich bin dem Unterausschuss sowie namentlich Ulla Schmidt, Claudia Roth und Peter Gauweiler und vielen anderen dankbar, dass nicht nur die Bedeutung erkannt worden ist, sondern dass sie uns auch mit Möglichkeiten ausgestattet haben. Herzlichen Dank dafür!

Natürlich haben wir besonders intensiv und ausführlich über Mandate diskutiert, genauso wie heute. Nirgendwo streiten wir in der Außenpolitik vermutlich so lange und so heftig wie gerade bei den Mandaten. Aber ich will auch einmal sagen: Dass wir in Deutschland um jeden Einsatz militärischer Mittel ringen, ist doch vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte nun wirklich nichts Schlechtes. So sehr ich mir eine aktive, selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wären sicherlich kein besseres Land, wenn uns die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten sowie Helferinnen und Helfern in Krisenregionen dieser Welt in jedem Fall leicht von der Hand ginge. Deshalb sind diese Debatten in diesem Hause so wichtig.

Krisen und Konflikte, Welt aus den Fugen, das alles haben Sie in den letzten drei Jahren so häufig von mir gehört, dass es viele schon mitsprechen können. Aber 2016/2017 ist etwas ganz anderes. Die größten politischen Erschütterungen kamen nicht mehr aus der Ferne, sondern – ich gebe zu: etwas verkürzt – mehr und mehr aus dem Inneren unserer Gesellschaft: der Paukenschlag des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA und die jetzt anstehenden Wahlen in den Niederlanden und Frankreich. Dort entscheidet sich die Richtung Europas, die Richtung der internationalen Zusammenarbeit und deshalb auch – davon bin ich überzeugt – die Handlungsfähigkeit unserer Außenpolitik.

Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung im Einzelnen mit sich bringen wird. Nur eines weiß ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen verschwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht auch der Parlamentarismus weggespült wird. Im Gegenteil: Ich glaube – ich weiß –, Sie, die Parlamentarier, müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von innen und außen sein und müssen es bleiben.

Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engagement in der ganzen Welt entscheiden und gleichzeitig – das ist die Herausforderung – dann auch noch zu Hause im Wahlkreis den Menschen erklären, was eigentlich in Russland, in der Türkei oder in Syrien los ist. Ich weiß: Jeder und jede hier trägt die Verantwortung, die Lage der Welt zu erklären, ohne zu vereinfachen, Außenpolitik zu vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen. Das ist eine schwierige, aber, wie ich finde, auch eine verdammt noble Aufgabe, die wir da haben.

Weil Ihre Aufgabe in Zukunft eher noch wichtiger werden wird, will ich zum Schluss zwei Wünsche loswerden. Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außenpolitik, wie ich immer sage, lässt sich eben nicht von der Sofaecke aus machen. Das gilt für Abgeordnete genauso wie für Außenminister. Ich habe mir sagen lassen: Mehr als 2.000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode unternommen. Das überbietet mein Meilenkonto bei weitem. Das ist gut so. Will sagen: Pflegen Sie die Gesprächskanäle bilateral und in den internationalen Parlamentarierforen von OSZE, Europarat, Nato und mit dem Patenschaftsprogramm, gerade auch dort, wo Demokratie und Parlamentarier bedroht sind.

Mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft. Wenn wir gewachsene internationale Verantwortung nicht abschütteln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann brauchen wir eben international aufgestellten Parlamentariernachwuchs. Darum will ich auch jeden von Ihnen bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation für internationales Engagement. Ermutigen Sie die jungen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen, wo immer es geht, hinauszuschauen, und sagen Sie ihnen, dass die Zeit im Ausland keine verlorene Zeit ist, dass sie dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen werden. Es ist wichtig, dass wir junge, nachwachsende Abgeordnete haben, die sich in der Welt ein bisschen auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut. Wir brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik. Davon bin ich fest überzeugt.

Vielleicht darf ich mit einer ganz persönlichen Bemerkung abschließen. Ich verlasse dieses Parlament zwar als Mitglied der Regierung, aber mein erster Platz hier – daran wird sich der eine oder andere erinnern – war in den Reihen der Opposition. Es ist auch kein Geheimnis: Als ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, hatte ich es, lieber Thomas, gar nicht so sehr auf deinen Stuhl abgesehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regierungsbank.

Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben. Ich erinnere mich aber auch an einen großen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, der gesagt hat: "Opposition ist Mist." – Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vorsitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz interpretieren. Wenn die Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig Dünger für die Demokratie. Das ist gut so. Ich hoffe, das bleibt respektiert in diesem Hause.

Willy Brandt – das war schon nach seinen Kanzlerjahren – hat einmal als Alterspräsident hier im Deutschen Bundestag gesprochen und gesagt:

"Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleichermaßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob sie Macht verwalten oder diese kontrollieren … Parlamentarische Verantwortung für unseren Staat obliegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner Seite Vorrecht."

Was Willy Brandt vor 34 Jahren gesagt hat, müssen wir heute, so denke ich, auch auf die Außenpolitik beziehen. Die parlamentarische Demokratie steht weltweit unter Druck, wird vielerorts infrage gestellt. In viel zu vielen Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und selbsternannte starke Männer haben die Verachtung von demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprinzip erhoben.

Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten oder Argumente, in dem Sprache jedes Maß verloren hat und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends schwindet.

Sie müssen jetzt den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokratie verteidigen im Innern unserer Gesellschaft wie nach außen. Wenn ich irgendwie kann, werde ich aus möglichen neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gern mittun. Aber beginnen kann das nirgendwo sonst als hier an diesem stolzen Pult. Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses Pult. Ich jedenfalls werde es vermissen.