Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe bei der Einbringung des Bundeshaushalts im September hier über die finanzpolitische Entwicklung der letzten Jahre gesprochen. Wir haben wahrgemacht, was wir versprochen haben, nämlich dass wir bei einer normalen wirtschaftlichen Entwicklung ohne neue Schulden auskommen und dass wir die Folgen der großen Krise, die wir im letzten Jahrzehnt hatten, schrittweise überwinden werden. Das hat dazu geführt, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, auch in Europa, die es schwerer haben, in Deutschland ein solides Wachstum haben. Das hat dazu beigetragen, dass die Löhne, die Gehälter und die Renten real stärker gestiegen sind als in zurückliegenden Jahrzehnten. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist so niedrig wie nie seit der Wiedervereinigung. Der Beschäftigungsstand ist, gemessen an regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, so hoch wie niemals in der deutschen Geschichte. Das ist nicht schlecht als Ergebnis einer kontinuierlichen Finanzpolitik, und es dient den Menschen und unserem Lande.

Die Sprecherinnen und Sprecher der Opposition haben in ihren Reden leider beides kritisiert, und es tut mir leid, Herr Kindler, sagen zu müssen: Das hebt sich gegenseitig auf. Sie haben auf der einen Seite gesagt, wir hätten zu viel gespart, und Sie haben auf der anderen Seite gesagt, wir hätten überhaupt nicht gespart. Irgendwann müssen Sie sich für die nächsten Reden überlegen, was wir nun eigentlich gemacht haben und was Sie uns vorwerfen wollen.

Wir haben eine glückliche Entwicklung gehabt; das ist wahr. Dass die Zinsen so stark zurückgegangen sind, hat uns bei dieser Entwicklung natürlich sehr geholfen. Wer wollte das denn bestreiten? Es gibt auch gar keinen Grund, darüber zu streiten. Aber damit haben wir eben die Möglichkeiten gewonnen, neue Aufgaben, die wir so nicht erwartet hatten – die Migrationsherausforderung seit dem vergangenen Jahr ist ja schon erwähnt worden –, zu bewältigen, und zwar ohne dass wir bei irgendwelchen Leistungen kürzen mussten. Wir haben in einer Größenordnung von gut 20 Milliarden Euro im Haushalt des Bundes pro Jahr – bei Ländern und Kommunen sind die Größenordnungen übrigens ähnlich – zusätzliche Leistungen aufbringen können, ohne dass wir an anderen Stellen zu Einschränkungen kommen mussten. Das zeigt, dass wir die Möglichkeiten genutzt haben.

Der Kollege Kahrs hat eben beschrieben, wie wir mit den Investitionen verfahren sind. Wir haben die Mittel ganz massiv erhöht. Die Mittel fließen nicht ab, und das ist unser Problem. An dessen Lösung müssen wir gemeinsam, Bund, Länder und Kommunen in Deutschland, besser arbeiten. Dazu haben wir Vereinbarungen mit den Ländern getroffen. Diese Vereinbarungen wollen wir schrittweise und vernünftig umsetzen. Auf diesem Weg gehen wir weiter.

Ich will im Rahmen der Debatte, die in Europa ein Stück weit geführt wird, noch auf einige Zahlen hinweisen, die ich mir einmal habe aufschreiben lassen: Die Staatseinnahmen in Deutschland sind in den Jahren von 2005 bis einschließlich 2015 – das ist, Frau Bundeskanzlerin, die Zeit, seit Sie Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland sind – pro Jahr um 3,3 Prozent gestiegen; in der Euro-Zone sind sie im selben Zeitraum um 2,7 Prozent gestiegen. Die Staatsausgaben sind in Deutschland um 2,3 Prozent pro Jahr gestiegen, in der Euro-Zone im Durchschnitt um 2,5 Prozent. Die Investitionen sind in Deutschland um 3,9 Prozent pro Jahr gestiegen, in der Euro-Zone um 0,7 Prozent. Ich finde, die Empfehlungen der EU-Kommission gehen irgendwie an den Falschen in der europäischen Politik. Das Problem bei diesen Empfehlungen ist ja nicht, dass wir Empfehlungen bekommen, die uns vielleicht nicht gefallen. Solche Empfehlungen sind ja völlig in Ordnung. Das ist der Alltag, und es gibt ja auch unterschiedliche Meinungen dazu. Das Problem dabei ist vielmehr, dass die Empfehlungen der Kommission von dem ablenken, was die Aufgabe der Kommission ist, nämlich die Haushalte und die Budgetplanungen der einzelnen europäischen Länder danach zu beurteilen, ob sie den europäischen Regeln und Vereinbarungen entsprechen. Das ist die Aufgabe der Kommission. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Euro-Zone stabil zusammenbleiben kann, dass die europäische Währung stark bleibt. Diese Aufgabe erfüllt die Kommission mit dieser Empfehlung nicht, sondern sie macht das Gegenteil, und deswegen müssen wir dagegen antreten.

Dann will ich noch eine zweite Bemerkung machen, auch für die nächsten Jahre. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir sollten in aller Ernsthaftigkeit darüber reden. Ich glaube, dass es für die vielen Debatten, die wir ansonsten aufgrund von Entwicklungen so führen, viel besser ist, wenn wir uns bemühen, streitig, mit unterschiedlichen Meinungen, aber doch sachlich und vielleicht ein Stück weit auf der Grundlage von Realitäten vorzugehen, damit wir nicht nur postfaktische, sondern auch ein bisschen realitätsbezogene Debatten führen. Die Lage wird in den kommenden Jahren nicht einfacher, sondern sie wird eher herausfordernder werden. Auf der einen Seite werden die Spielräume auf der Einnahmeseite nicht größer werden können. Die Zinsen können nicht weiter sinken – Moment, Frau Hänsel; langsam –, weil sie so niedrig sind, und wir gewinnen durch niedrige Zinsen in der Zukunft keine neuen Spielräume mehr; die haben wir schon. Deswegen werden wir das, was in den letzten Jahren gewesen ist, für die kommenden Jahre nicht haben. Die Steuereinnahmen werden in den kommenden Jahren nicht steigen, es sei denn, wir – oder eine andere Mehrheit – treffen andere steuerpolitische Entscheidungen. – Dafür können Sie selbstverständlich kämpfen.

Ich weise allerdings darauf hin: Ich werde mit großer Entschiedenheit, soweit ich kann, dafür argumentieren, darauf zu achten, dass wir im Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze sind und dass wir unsere steuerpolitischen Entscheidungen in der Zukunft nicht so treffen können, dass wir zwar 100 Prozent Steuern, aber null Prozent Einnahmen haben. Das ist sozialistische Politik. Sie führt leider ins Elend.

Ich wollte noch eine andere Bemerkung machen. Die Steuereinnahmen werden in der Zukunft nicht weiter steigen. Schauen Sie sich das Ergebnis der letzten Steuerschätzung vom November an! Schon im Zeitraum der Steuerschätzung hat sich das Wachstum eher verlangsamt als verstärkt. Mittelfristig wird die demografische Entwicklung nicht nur unsere sozialen Sicherungssysteme belasten, sondern sie wird auch unsere Spielräume bei den Steuereinnahmen nicht größer machen, sondern eher verringern. Also werden die Spielräume auf der Einnahmeseite nicht größer, die Aufgaben aber werden mit Sicherheit größer.

Die Aufgaben werden durch die Herausforderungen größer. Die Migrationsherausforderung ist nur ein Thema. Deswegen ist es gut, dass wir die Ausgaben für die Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsbewegung im Auswärtigen Amt wie in der Entwicklungszusammenarbeit deutlich aufgestockt haben. Wir werden das in den kommenden Jahren fortsetzen müssen. Ich habe übrigens schon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2015 gesagt, dass unsere Priorität dort liegen muss. Wir werden in dieser globalisierten Welt keine gute Zukunft haben, wenn es uns nicht gelingt, unsere Nachbarschaft, unsere Umwelt, vor allen Dingen auch Afrika, stärker zu stabilisieren. Dies wird größere Anforderungen an uns stellen.

Wir werden auch für die Sicherheit, die äußere und die innere Sicherheit, mehr Aufwendungen vorsehen müssen. Auch das spiegelt der Haushalt richtig wider. Die Kollegen Kahrs und Rehberg haben das beschrieben. Das ist gut so, und die Entwicklung wird in den kommenden Jahren im Interesse unserer Zukunft fortgesetzt werden müssen.

Wir werden durch die absehbare demografische Entwicklung, wie immer wir die Probleme durch gesteuerte oder sonst gelingende Zuwanderung auch ein Stück weit mildern können, größere Herausforderungen in den sozialen Sicherungssystemen haben. Ich will darauf hinweisen – ich habe das schon öfter getan –: Rund 55 Prozent des Bundeshaushalts sind bereits durch den Bereich der sozialpolitischen Maßnahmen im weiteren Sinn belegt. Spätestens bei 100 Prozent haben wir eine Obergrenze erreicht, sodass wir nicht mehr handeln können. Wir müssen also darauf achten, dass wir unsere Zukunftsfähigkeit bewahren.

Deswegen haben wir die Mittel für Infrastruktur sowie für Forschung und Entwicklung erhöht. Deswegen helfen wir den Ländern, ihre Aufgaben in der Bildungspolitik besser als in der Vergangenheit zu erfüllen. Das sind die entscheidenden Punkte, in denen wir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes stärken können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine letzte Bemerkung ist, auch weil dies in der Tat der letzte Haushalt dieser Legislaturperiode ist – wir werden im nächsten Jahr noch einen Haushaltsentwurf vorlegen, aber der wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr beschlossen werden –: Es ist immer die Gefahr groß – das habe ich in den letzten Monaten natürlich gespürt; darüber können wir offen reden –, dass man, weil die Lage gut und die Entwicklung günstig ist, der Versuchung erliegt, zu meinen, wir könnten in den Anstrengungen nachlassen. Wir dürfen uns auf den erreichten Erfolgen aber nicht ausruhen. Wir haben viel erreicht. Die Lage für das Land ist besser geworden. Die Auf-gaben für unser Land sind größer geworden. Die Lage für die Menschen ist gut. Aber es gibt viele Probleme. Wir dürfen uns auf den Erfolgen nicht ausruhen.

Deswegen ist mein Rat: Lassen Sie uns auch in den kommenden Wahlkampfmonaten so ehrlich wie möglich und so realistisch wie möglich über die Zukunftsherausforderungen und die Alternativen reden. Je besser wir dies tun, umso kleiner werden wir den Raum für diejenigen machen, die mit demagogischen, populistischen Parolen unsere Demokratie schwächen wollen. Realistische Ehrlichkeit ist die beste Voraussetzung, um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie auch für die Zukunft zu sichern. Das können wir auch in der Finanz- und Haushaltspolitik ganz konkret umsetzen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Zustimmung und um Ihre Unterstützung.