Im Wortlaut
65 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 14. Juli 2023
BK Scholz: Schönen Dank für die Einladung an einem schönen Sommertag und die Gelegenheit, ein paar Worte zu sagen. Ich will mich am Anfang auf vier Bemerkungen konzentrieren.
Erstens. Unverändert wird unser ganzes Leben von dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beeinflusst. Es ist Krieg in Europa, nicht weit von Deutschland entfernt. Das bewegt die Bürgerinnen und Bürger. Das muss alle bewegen, die in den Regierungen Europas Verantwortung haben. Entsprechend haben wir auch gehandelt.
Der russische Angriffskrieg ist - ich habe es im Deutschen Bundestag letztes Jahr so gesagt - eine Zeitenwende, weil er die Verständigung, die wir über Jahrzehnte in Europa hatten, dass mit Gewalt keine Grenzen verschoben werden dürfen, aufgekündigt hat. Der russische Präsident versucht mit größter Brutalität, sich einen Teil des Territoriums seines Nachbarlandes oder das ganze Land anzueignen. Das können wir nicht akzeptieren und auch nicht geschehen lassen. Deshalb haben wir daraus Konsequenzen gezogen.
Wir unterstützen die Ukraine finanziell und humanitär, aber auch mit Waffenlieferungen, damit sie sich verteidigen und die Integrität und Unabhängigkeit ihres Landes sichern kann. Das tun wir nicht alleine, sondern zusammen mit sehr vielen Freunden und Verbündeten, die das in gleicher Weise machen. Deutschland ist nach den USA das Land, das die größte Unterstützung auch in militärischer Hinsicht, was Waffenlieferungen betrifft, für die Ukraine bereitstellt. Sie wissen aus den Entscheidungen, die wir getroffen haben, dass das auch für die nächsten Jahre sichergestellt ist. Wir haben einmal ausgerechnet, dass es seit Beginn des Krieges etwa 17 Milliarden Euro sein werden, die wir allein für Waffenlieferungen aufwenden, die, von Deutschland finanziert, für die Ukraine stattfinden.
Es ist gut, dass das eine Rolle bei den Beratungen gespielt hat, die jetzt in Vilnius im Rahmen der Nato stattgefunden haben, die natürlich kein Schlusspunkt sind, sondern ein Zwischenpunkt in einer Welt, die sich so sehr verändert, aber die doch die richtigen Konsequenzen gezogen haben. So verpflichten wir alle uns jetzt, mindestens 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden. Anders als bei den früheren Beschlüssen kann man davon ausgehen, dass das in kurzer Zeit von allen Ländern erreicht werden wird, mit Konsequenzen für die Fähigkeit des Bündnisses, seine Aufgaben wahrzunehmen. Im Übrigen konzentrieren wir uns mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung, anders als in früheren Jahren.
Das Gleiche gilt natürlich auch für uns selbst hier in Deutschland. Wir haben uns entschieden, dass wir diese 2 Prozent für die Verteidigung, für die Bundeswehr aufwenden wollen. Nächstes Jahr werden wir das aus Haushaltsmitteln und dem Sondervermögen das erste Mal erreichen. Ich wiederhole hier das, was ich bei vielen Gelegenheiten schon gesagt habe: Das wird auch so bleiben, auch wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist.
Die zweite Bemerkung: Wir haben darüber die Aufgabe nicht vergessen, Deutschland zu modernisieren und die notwendigen Innovationen auf den Weg zu bringen, damit wir wirtschaftlich stark bleiben und moderne Technologien in unserem Land haben, auf die wir zurückgreifen und die die Grundlage unseres Wohlstands und unserer Rolle in der Welt sein können, und es gleichzeitig zu schaffen, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten.
So bitter es ist: Die Notwendigkeit, ganz schnell zu handeln, um einen kalten Winter und eine lang anhaltende Wirtschaftskrise zu vermeiden, und in kürzester Zeit Terminals an den norddeutschen Küsten zu errichten, hat auch das Tempo dieser Veränderung noch einmal erheblich beschleunigt und, wie ich es wahrgenommen habe, auch den Konsens größer gemacht, dass das jetzt mit großer Geschwindigkeit sein muss.
Wir haben alle Gesetze auf den Weg gebracht, damit wir 2030 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien bekommen können - ob das nun Windkraft auf hoher See, an Land oder Solarenergie ist - und um das Stromnetz auszubauen. Da es immer wieder zu Verzögerungen gekommen ist, haben wir jetzt Gesetze auf den Weg gebracht, damit das schnell geht.
Damit es 24 Stunden sieben die Tage die Woche Strom gibt, werden wir sicherstellen, dass es Gaskraftwerke Wasserstoff-ready gibt. Wir haben jetzt die Entscheidung getroffen, dafür zu sorgen, dass wir auch ein Wasserstoffnetz bekommen. Dafür werden dieses Jahr und Anfang nächsten Jahres die notwendigen Entscheidungen getroffen.
Wir haben alle Vorbereitungen dafür getroffen, damit das Netz der Ladeinfrastruktur mit der wachsenden E-Mobilität wachsen kann. Dabei ist unser Ziel, wie Sie wissen, 2030 15 Millionen Elektrofahrzeuge zu haben. Das hat Konsequenzen für das Netz und seine Fähigkeiten.
Im Hinblick auf das Stromnetz haben wir alles umgedreht und gesagt, die Planungen müssen bereits jetzt aufgenommen werden, damit wir 2045 ein Stromnetz haben, das dann noch viel mehr Strom für die künftige Wirtschaft produziert. Damit das nicht wieder so verzögert wird, werden die Entscheidungen jetzt getroffen. Sie kennen die Pläne der entsprechenden Netzbetreiber. Das alles werden wir jetzt auf den Weg bringen. Das sind große Innovationen im Energiesektor.
Wir sehen das auch in der Industrie, in der jetzt Entscheidungen für klimaneutrale Stahlwerke und für neue Produktionsverfahren in der Chemie getroffen werden. Es gibt Hunderte Milliarden für Investitionen in der Automobilindustrie. Wir haben das mit einem massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs verknüpft, der Investitionen für die Bahn und die Dinge, die damit verbunden sind, vorsieht. Das Deutschland-Ticket ist dafür ein gutes Zeichen.
Ich sehe, dass die Investitionen, die wir für unsere Zukunft brauchen, jetzt in Deutschland stattfinden. Wir haben die gute Chance, dass Deutschland ein Standort, vielleicht der große Standort der Halbleiterindustrie in Europa wird - mit der Entscheidung von Wolfspeed im Saarland, der Entscheidung von Infineon in Dresden und auch der jetzt bekannt gewordenen Entscheidung von Intel in Magdeburg. Das ist die größte Direktinvestition in Europa seit aller Zeit, die man betrachten kann. Ich glaube, das ist in seiner Dimension noch gar nicht verstanden worden, aber natürlich ein ganz bemerkenswertes Ereignis, genauso wie die Investitionen, die jetzt bei der Errichtung neuer Batteriefabriken stattfinden, zum Beispiel für alles das, was wir für die Elektromobilität brauchen.
In unserem Land ist Fahrt aufgenommen worden. Das Tempo nimmt jetzt immer mehr zu. Das brauchen wir auch, damit wir unsere Zielsetzungen tatsächlich erreichen und immer eine Volkswirtschaft mit guten Arbeitsplätzen bleiben.
Damit das so bleiben kann, haben wir im Bundestag und in der vorbereitenden Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung schon die wahrscheinlich wichtigste Zukunftsentscheidung getroffen. Mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz ist das, was die meisten Ökonominnen und Ökonomen als große Sorge für die Zukunft Deutschlands beschreiben, aufgegriffen worden, nämlich die Gefahr eines Fachkräftemangels. Wir als Volkswirtschaft werden die notwendigen Arbeitskräfte nach Deutschland bekommen, sodass das Wachstum durch einen Mangel an Arbeitskräften nicht behindert wird. Das ist für unseren Sozialstaat und für unsere wirtschaftliche Zukunft wichtig. Diese notwendige, ziemlich ideologiefreie Entscheidung haben wir getroffen.
Die dritte Bemerkung: Aus meiner Sicht ist es ganz zentral, dass wir den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken. Auch dort sind sehr weitreichende Entscheidungen in kurzer Zeit getroffen worden, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Ich will exemplarisch nur die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro im letzten Jahr anführen, wie angekündigt. Jetzt sind wir wieder im Normalerhöhungsverfahren. Das ist ein substanzieller Schritt, der 6 Millionen Bürgerinnen und Bürgern eine ganz dramatische Gehaltserhöhung ermöglicht hat.
Wir haben steuerliche Entlastungen gerade für kleine und mittlere Einkommen auf den Weg gebracht. Zum Beispiel wird heute der Rentenbeitrag komplett von der Steuer abgezogen. Neben den Entlastungen ist das eine ganz wichtige Leistung gewesen.
Wir haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die wenig verdienen, hart arbeiten und trotzdem unter 2000 Euro brutto bleiben, die Beiträge zur Sozialversicherung reduziert - auch das ist ein ganz wichtiger Schritt für den Zusammenhalt - und gleichzeitig viele Reformen auf den Weg gebracht, die genau in dieser Sache wichtig sind, zum Beispiel die Anhebung der Erwerbsminderungsrenten, die letztes Jahr stattgefunden hat, oder die jetzt geplante Schaffung eines stabilen Niveaus über das Jahr 2025 hinaus auf lange Sicht. Das ist ein Vorhaben dieser Regierung, das uns die nächste Zeit begleiten wird und vielen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit gibt, gerade den jungen Leuten, die mit 17 Jahren die Schule verlassen und wissen, sie haben 50 Jahre Arbeit vor sich. Sie wollen ja wissen, ob alles so aufgeht, wie man sich das vorstellt. Das ist eine Entscheidung, die ich in diesem Zusammenhang ganz wichtig finde.
Eine Reform neben vielen anderen, die wir vor uns haben und bei der wir schon große Schritte gegangen sind, will ich noch herausheben. Das ist die Schaffung der Kindergrundsicherung. Wir wollen, dass es keine Kinderarmut in Deutschland mehr gibt. Mit der Anhebung des Kindergeldes für das erste, zweite und dritte Kind auf 250 Euro und mit dem Kinderzuschlag von auch bis zu 250 Euro für Familien, die wenig Geld verdienen, ist eine Grundlage geschaffen worden. Bis Ende August kommt der nächste Schritt, um eine vollständige Kindergrundsicherung in Deutschland zu etablieren, damit Kinder nicht auf Grundsicherung und Bürgergeld angewiesen sind. Das ist, wie ich finde, ein großer, auch moralischer Fortschritt für unsere Land, den wir uns hier vorgenommen haben.
Die vierte Bemerkung: Wir haben nach vielen Jahren, in denen wir notgedrungen von der Regel des Grundgesetzes abgewichen sind, nur eine ganz geringe Neuverschuldung für den Bundeshaushalt zu haben, jetzt eine Zeit, in der wir wieder zu dem Normalprinzip zurückkehren. Ich glaube, das haben viele nicht erwartet, und zwar mit berechtigter Skepsis.
Wir haben Hunderte Milliarden Euro kreditfinanziert ausgegeben, um die Folgen der Coronapandemie zu bewältigen und die notwendigen Gesundheitsinvestitionen zu tätigen, aber auch sicherzustellen, dass wir es schaffen, wirtschaftlich durch diese Zeit zu kommen, dass die Bürgerinnen und Bürger sozial unterstützt werden, wo es notwendig ist.
Wir haben noch einmal so viel Geld mobilisiert, um die Konsequenzen des russischen Angriffskriegs auf unsere Volkswirtschaft abzufedern, mit sehr teuren Subventionen von Energiepreisen, damit die Bürgerinnen und Bürger zurechtkommen, und vieles andere. Wir haben auch das Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Alles zusammen ist natürlich eine Sondersituation gewesen.
Dass wir jetzt das künftige Wachstum unserer Volkswirtschaft organisieren können, ohne dass wir eine Verschuldung in einem solchen Maße organisieren müssen, finde ich, ist ein richtiger Schritt. Wir sind beim Haushalt wieder auf der richtigen Umlaufbahn. Das finde ich ein gutes Zeichen.
In dem Sinne freue ich mich auf Ihre vielen tollen Fragen.
Frage: Herr Bundeskanzler, wenn die AfD in Umfragen in Deutschland relativ stabil vor der Kanzlerpartei, der Regierungspartei SPD liegt, ist etwas ins Rutschen geraten. Inwieweit trägt Ihre Regierung, inwieweit tragen Sie als Regierungschef die Verantwortung dafür, und was wollen Sie konkret dagegen unternehmen?
BK Scholz: Ich habe mich mit dem Auftreten starker rechtspopulistischer Parteien schon sehr lange auseinandergesetzt. Für mich war das nicht der erste Moment, aber der wichtigste Moment, als ich 2001 feststellen musste, dass in Hamburg eine rechtspopulistische Partei aus dem Stand fast 19 Prozent der Stimmen bekommen hatte, die seinerzeitige Schill-Partei. Dann habe ich mich umgeguckt und gesehen, dass in Dänemark und Norwegen schon seit Jahrzehnten rechtspopulistische Parteien stark waren und dass das in den Niederlanden und in Österreich der Fall war. Mittlerweile wissen wir, dass das auch in Schweden, in Finnland und bei uns in Deutschland der Fall ist.
Wir müssen uns fragen: Woran liegt das denn? - Mit dem Blick von außen in der Welt würde man sagen: Das sind die Länder, die die wenigsten Probleme von allen haben. Dort lebt man ganz gut. Es gibt Vollbeschäftigung. Es gibt einen starken Sozialstaat. Die Zukunft ist auch nicht schlecht, was die Volkswirtschaften betrifft.
Meine These ist: Das liegt daran, dass sich eben doch nicht so viele Bürgerinnen und Bürger so sicher sind, wie die Zukunft sein wird - gar nicht jetzt, sondern in 10, 20 und 30 Jahren. Deshalb ist das, was wir an Modernisierungsprogrammen auf den Weg gebracht haben, und das, was wir an Innovationen für unsere Volkswirtschaften anstoßen wollen, wichtig, weil sie immer auch die Botschaft vermitteln, es wird gut ausgehen für jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns.
Die zweite Einsicht, die ich daraus für mich gezogen habe, ist, dass wir die Tatsache, dass sich unsere Lebensmodelle unterschiedlich gestalten, und die Tatsache, dass wir viele neue Bildungswege, aber auch ganz unterschiedliche Bildungs- und Berufskarrieren haben, neu bewerten müssen in dem Sinne, dass es nicht das eine gibt, was richtig ist und alles andere aussticht. Das heißt, die Durchlässigkeit, die wir geschaffen haben für viele Kinder aus Familien, in denen niemand studiert hat, dies selbst einmal zu tun und auch Karrieren in bestimmten Berufen zu erreichen, darf nicht dazu führen, dass wir nicht genau verstehen, dass unsere Volkswirtschaft auch davon lebt, dass sich ganz viele gut entscheiden, Handwerkerin zu werden oder Krankenpfleger zu sein, dass auch welche in irgendeinem großen Logistikunternehmen im Lager tätig sind und dass das Ganze in den Einzelhandelsgeschäften funktioniert. Ich finde, diese Einsicht, die ich versucht habe mit dem Wort „Respekt“ zu beschreiben, ist zentral dafür, dass das funktioniert.
Das Dritte, was wir in unseren Gesellschaften und auch bei uns in Deutschland brauchen, ist Gelassenheit im Hinblick auf das Miteinander, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt, wo und wie man gerne lebt, und dass das zusammen ganz gut funktionieren kann, wenn man nicht dem jeweils anderen mitteilt, dass es nur nach der eigenen Fasson zu gehen hätte, sondern dass sich jeder seine eigene wählen soll und darf. Ich glaube, das würde und muss auch helfen. Das ist auch das, was wir mit unserer Politik verfolgen.
Ich möchte auf Ihre Ausgangsfrage sehr klar sagen: Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde Sie gerne zu den Turbulenzen der letzten Monate in der Koalition etwas fragen. Über das Heizungsgesetz hat die Ampel seit März gestritten. Ich würde gerne wissen, ob Sie heute im Rückblick sagen würden, dass Sie irgendetwas anders machen würden, nicht was die Inhalte, sondern die Organisation des Entscheidungsprozesses als Bundeskanzler angeht. Haben Sie da Fehler gemacht, aus denen Sie für die Zukunft lernen, oder würden Sie sagen: „Alles richtig gemacht. Das mache ich beim nächsten Mal wieder so“?
BK Scholz: Es ist ja kein Geheimnis: Dass da so laut diskutiert worden ist, gefällt weder mir noch irgendwem sonst. Insofern ist die Frage: Woher kommt das? - Wahrscheinlich hilft auch dort ein struktureller Blick. Mit bestimmten Dingen, die mit dem Innovations- und Fortschrittstempo einhergehen, das wir uns für Deutschland vorgenommen und auch tatsächlich auf den Weg gebracht haben, wie Sie meiner Eingangsschilderung entnehmen konnten, ist auch verbunden, dass viele Dinge das erste Mal diskutiert werden, bei denen in den Debatten davor immer nur Ausgangspositionen existiert haben. Die einen sagen: Es muss immer so gehen. Die anderen sagen: Das geht gar nicht. Dazwischen ist die Wirklichkeit.
Ich glaube, wir als Regierung, aber auch als Gesellschaft brauchen ein Verständnis dafür, dass Abwägungen, Kompromisse und die Tatsache, zwischen verschiedenen Positionen etwas hinzubekommen, was das Ziel nicht aus den Augen verliert, auch eine gute und vernünftige Politik ist. Ich werbe sehr dafür, dass wir diesen Pragmatismus als Gesellschaft, aber selbstverständlich auch als Regierung innerlich haben.
Ich bin froh, dass wir jetzt im Ergebnis eine sehr gute Lösung haben, mit den beiden Strängen, die wir jetzt miteinander verknüpft haben, nämlich der Wärmeplanung, die die Kommunen in Deutschland vor sich haben - viele haben schon damit angefangen -, und dem Gesetz, das sicherstellt, dass wir um die Mitte dieses Jahrzehnts CO2-neutral heizen können. Wir lassen die beiden nicht nur nebeneinander sein, sondern haben die Wärmeplanung zu einem wichtigen Voraussetzungsinstrument für die ganz konkreten Entscheidungen gemacht, die die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu treffen haben.
Man muss sich klarmachen, dass der Konsens, der Kompromiss und das Fünfe-gerade-sein-Lassen ein guter Weg ist, der Deutschland nach vorne bringt.
Zusatzfrage: Herr Bundeskanzler, Ihr Parteivorsitzender Lars Klingbeil hat den Konfliktthemen in der Koalition jetzt kurz vor der Sommerpause noch ein weiteres hinzugefügt, nämlich mit seiner Forderung nach der Abschaffung des Ehegattensplittings. Ich würde gerne wissen, ob Sie den Zeitpunkt für diesen Vorschlag für gut und richtig halten. Wie stehen Sie selbst dazu? Sie haben sich ja gestern Abend dazu geäußert. Ist diese Äußerung so zu verstehen, dass Sie sich eine Abschaffung für hohe Einkommen vorstellen können, für Normalverdiener aber nicht?
BK Scholz: Mir ist ganz wichtig, dass wir uns an dem orientieren, was wir als Regierung machen und was wir in unseren Koalitionsvertrag geschrieben haben. Da kommen natürlich immer mal Sachen dazwischen. Das ist jetzt leicht gesagt für eine ziemlich ungeheure Sache, zum Beispiel den furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Das hat ja viele Konsequenzen für alles Mögliche, was wir zu entscheiden haben. Trotzdem ist das erst einmal der Maßstab. Da haben wir auch noch ganz ordentlich etwas vor, obwohl ich glaube, dass wir, was auch richtig ist, die größten Herausforderungen bewältigt haben, die aus den ehrgeizigen Vorhaben der Koalition entsprungen sind.
Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es ein Missverständnis ist zu interpretieren, dass sich jetzt die meisten Bürgerinnen und Bürger bei den Diskussionen über das Ehegattensplittung, die ja nicht neu sind, selbst betroffen fühlen müssen. Bei den Vorschlägen, die in den letzten Jahren von verschiedenen Organisationen oder Institutionen gemacht worden sind, geht es immer um diejenigen, die viele Hunderttausend Euro verdienen.
Darauf hinweisend, habe ich dann noch gesagt: Im Übrigen haben wir ja noch ein Vorhaben, an dem der Finanzminister sitzt, nämlich die Frage, wie wir die Besteuerung für Frauen und Männer, die verheiratet sind, gerechter machen können, indem wir verhindern, dass Frauen durch das heutige Steuerklassensystem hohe Steuern zahlen. Das geht aber natürlich nur, wenn wir mit der modernen Technik vorankommen. Damit ist es in Deutschland manchmal ganz schwer. Aber er ist dran.
Frage: Der Raum im Indopazifik scheint in der deutschen und europäischen Sicherheitspolitik gewichtiger zu werden. Die AP4-Staaten wurden zum Nato-Gipfel eingeladen. In der neuen China-Strategie steht auch, dass die Sicherheit im euro-atlantischen und indopazifischen Raum stark verbunden ist. Muss die Nato die Zusammenarbeit mit den AP4-Staaten verstärken? Hat die Bundesregierung mit Blick auf China und Nordkorea konkrete Pläne, die Zusammenarbeit mit den Partnern im Indopazifik auszubauen?
BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. - Ich finde es sehr gut, wenn ich das bei dieser Gelegenheit sagen darf, dass wir als Regierung jetzt sehr wichtige und weitreichende Dokumente erarbeitet haben, die handlungsleitend sein werden für das, was wir machen. Die Nationale Sicherheitsstrategie ist, wie ich finde, ein großer Schritt vorwärts. Deutschland hatte bisher keine Nationale Sicherheitsstrategie, sondern immer nur vom Verteidigungsministerium verantwortete Weißbücher.
Die China-Strategie ist auch erstellt worden und passt ganz gut zu der Strategie, die wir schon für den Indopazifik haben. Natürlich hat das Konsequenzen. Die Nato ist ein transatlantisches Bündnis. Das will sie auch bleiben. Ich habe vorhin schon berichtet, dass Landes- und Bündnisverteidigung wieder eine große Priorität bekommen haben.
Aber wir dürfen nicht naiv sein, sondern müssen die Welt als Ganzes in den Blick nehmen. Deshalb ist die gute Zusammenarbeit mit den Staaten, die wir auch zu dem Nato-Gipfel eingeladen haben, für unsere gemeinsame Sicherheit wichtig. Das werden wir auch weiter im Blick haben und ist jetzt mit dem Gipfel in Vilnius nicht zu Ende. Ich selbst war zum Beispiel in Japan, in Südkorea und in Indonesien. Ich bin in engem Gespräch mit den australischen und neuseeländischen Regierungschefs und mit vielen anderen in der ganzen Region.
Frage: Herr Bundeskanzler, auch ich möchte noch zu der China-Strategie fragen, weil sich viele Unternehmen jetzt fragen, was die China-Strategie, in der ja nicht alles schon fein ausdifferenziert wurde, für sie bedeutet. Einige Sachen sind offengeblieben, etwa die Frage, ob mit der China-Strategie eine Investition wie die von Cosco in eine Betreibergesellschaft im Hamburger Hafen eigentlich noch möglich gewesen wäre, ob es eine Huawei-Beteiligung am 5G-Netz geben könnte usw. Können Sie ein bisschen ausdifferenzieren, was jetzt auf die Firmen wirklich zukommt, oder überlassen Sie diese Ausgestaltung jetzt dem Wirtschaftsministerium?
BK Scholz: Ich finde, die China-Strategie selbst sagt das meiste aus. Trotzdem vielleicht dieser Hinweis: Die Unternehmen in Deutschland handeln ja längst im Einklang mit dem, was wir jetzt hier geschrieben haben. Mein Eindruck ist: Viele Unternehmen werden weiter kräftig in China investieren, nach China exportieren und auch Waren und Dienstleistungen aus China beziehen, aber gleichzeitig im Sinne dessen, was wir De-Risking nennen, die Möglichkeiten nutzen, die sich ihnen ergeben, auch anderswo Direktinvestitionen zu tätigen, zum Beispiel in anderen asiatischen Ländern, anderswo Lieferketten aufzubauen und Waren, Maschinen und alles, was wir aus Deutschland exportieren, anderswohin zu exportieren. Insofern sehe ich eher einen großen Einklang zwischen den veränderten Investitionsstrategien der Unternehmen und dem, was wir als Regierung aufgeschrieben haben.
Zusatzfrage: Ich wollte das etwas konkreter haben. Wenn Sie das noch sagen könnten: Was heißt das zum Beispiel für Investitionsprüfungen im Ausland oder in dem Fall in China? Das war ja der große Streitpunkt, weil die Unternehmen befürchten, dass da eine Bürokratiewelle auf sie zurollt.
BK Scholz: Sie kennen schon die Festlegungen, die wir bei den G7 zu diesem Thema getroffen haben, das wir auch in der EU diskutieren. Es geht nicht darum, alle Investitionen, die im Ausland getätigt werden, jetzt einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Deutschland ist eine globale Volkswirtschaft, die mit der ganzen Welt verbunden ist. Das ist unser Geschäftsmodell, ohne dass die Unternehmen der Regierung jeden Tag Bescheid sagen, wo sie überall wirtschaftlich tätig sind. Das würde uns auch überfordern. Solche Ämter hätten wir gar nicht, mit denen wir diese Aufgabe bewältigen könnten.
Dass wir genau hingucken wollen, wenn es um Fragen geht, die für die militärische Sicherheit und für die Sicherheit insgesamt von Bedeutung sind, ist selbstverständlich. Wir haben das jetzt auch aufgeschrieben.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte gerne noch einmal auf die AfD eingehen. Sie haben in Ihrer Reaktion gesagt, dass Sie über die Sozialpolitik Menschen mit niedrigeren Einkommen besserstellen. Nun besteht ja Umfragen zufolge ein großer Rückhalt für die AfD im reicheren Bürgertum. Nehmen Sie eine Normalisierung rechten Gedankenguts in Deutschland wahr? Wenn Sie auf die Bundestagswahl 2025 blicken und sagen, die werden nicht besser als 2021 abschneiden, was rechnen Sie für Ostdeutschland im nächsten Jahr aus? Müssen dann die Altparteien mit Koalitionen mit der vielleicht stärksten Partei, nämlich der AfD, reagieren?
BK Scholz: In allen 16 Ländern und in Deutschland insgesamt sind die demokratischen Parteien, die einen trotz politischen Wettbewerbs, wenn es gut läuft, immer mit Respekt behandeln. Ihre Anhängerschaft ist die große Mehrheit. Ich glaube, das dürfen wir nicht beiseitelassen. Deshalb ist es richtig, dass wir das immer wieder im Blick haben, wenn wir darüber diskutieren, welche Konsequenzen wir aus solchen Wahlergebnissen, wie wir sie in letzter Zeit gesehen haben, ziehen wollen.
Für mich heißt das, dass man Politik machen muss, bei der die Bürgerinnen und Bürger für sich genügend Gründe haben, an eine gute Zukunft zu glauben. Ich will nicht das wiederholen, was ich eben gesagt habe. Aber das ist das, was ich für zentral halte. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Das scheint ja auch ein größeres Problem zu sein, wenn das nicht nur bei uns passiert, sondern auch in Ländern, die so ähnlich sind wie wir. Daher ist das für mich ganz zentral.
Ich glaube, das war die Antwort auf die Frage, wenn ich nicht etwas übersehen habe.
Zusatzfrage: Können Sie eine Normalisierung des rechten Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft wahrnehmen?
BK Scholz: Danke, dass Sie das noch einmal sagen. - Dazu möchte ich sagen: Nein, ich sehe keine solche Normalisierung.
Zusatzfrage: Sie haben gesagt, man solle den anderen nicht mitteilen, dass es nach der eigenen Fasson gehen sollte. Haben Sie ein Beispiel dafür? Wer macht das? Meinen Sie die Grünen, oder wem halten Sie so etwas vor?
BK Scholz: Ich halte das niemanden vor. Aber ich glaube, ihr seid so fleißig und habt das alles schon einmal aufgeschrieben.
Zusatz: Aber von Ihnen wäre es doch konkret besser zu hören, wen Sie meinen.
BK Scholz: Ich glaube, dass man in einer Politik, in der man eng miteinander zusammenarbeitet, und zwar über Parteigrenzen und auch Regierungsgrenzen hinweg, nicht immer mit dem Finger auf irgendwen zeigen müsste.
Frage: Guten Tag, Herr Bundeskanzler! Eine freundliche Frage aus den Niederlanden: In dieser Woche hat Ministerpräsident Mark Rutte seinen Rücktritt angekündigt. Die Regierung ist zurückgetreten. Er selbst wird auch die Politik verlassen. Wie schauen Sie, wie schaut die Bundesregierung auf die 13 Jahre mit Mark Rutte als wichtigem Partner an der Seite von Deutschland? Sie wissen, er hat die Landesstreitkräfte, die Brigaden unter deutsches Kommando stellen lassen. Er hat den Rücktritt vor allem wegen der illegalen Migration eingereicht. Sie haben auch in Deutschland dieses Problem. Manche Kommunen sind ziemlich überfordert mit dem, was gerade wieder stattfindet. Sie haben die Migration seit 2015. Vielleicht können Sie das ein bisschen einordnen und auf Mark Rutte zurückblicken.
BK Scholz: Zunächst einmal: Deutschland und die Niederlande haben exzellente Beziehungen miteinander. Ich erinnere mich noch an die erst kurz zurückliegenden Regierungskonsultationen, die wir als lockere, angenehme Unterbrechung eines 30-stündigen Koalitionsausschusses wahrgenommen haben. Das sind gute Beziehungen auf allen Ebenen, auf denen wir miteinander sprechen. Das hat natürlich auch etwas mit dem Ministerpräsidenten zu tun. Insofern blicke ich auf die Arbeit der letzten Jahre, und zwar nicht nur als Kanzler, sondern auch schon davor, durchaus gerne zurück. Das sind gute Beziehungen unserer Länder. Ich hoffe, das bleibt auch so.
Was die Frage des Umgangs mit der Migration betrifft, so hat das viele Ebenen und Schichten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir es jetzt nach vielen Jahren ganz offenbar das erste Mal in Europa schaffen könnten, einen Solidaritätsmechanismus zu verabreden. Das ist auch das Verdienst des gemeinsamen Agierens der niederländischen und der deutschen Regierung. Wir alle arbeiten daran, dass das jetzt auch tatsächlich kommt, dass gewissermaßen die Ernte in die Scheuer gefahren wird. Das funktioniert.
Wir haben für Deutschland, eingebettet in einen fortschrittlichen Umgang mit den Anforderungen, die unser Arbeitsmarkt hat, was die Zuwanderung betrifft, trotzdem klargestellt, dass wir die irreguläre Migration mit all den Möglichkeiten, die wir haben, einhegen wollen - durch unsere Handlungsfähigkeit, durch die Gesetze und durch die Strukturen, die wir haben. Die Verständigung, die ich den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Deutschland zu diesem Thema vorgeschlagen habe und die wir gemeinsam beschlossen haben, setzen wir jetzt Stück für Stück um, zum Beispiel was sichere Herkunftsländer, andere Fragen zur Verbesserung der Verwaltungseffizienz und auch rechtliche Strukturen in diesem Zusammenhang betrifft.
Wir haben eine sehr klare Vorstellung davon, welchen Schritt wir jetzt gehen müssen, damit das Unbehagen, das sich bei dem einen oder anderen einstellt, wenn die Entscheidung, dass jemand zurückgehen muss, schwer durchzusetzen ist, verändert werden kann.
Die Migrationspartnerschaften, die wir vorhaben, haben das Ziel, einerseits mit den Ländern zu vereinbaren, dass diejenigen, die gut zu unserem Arbeitsmarkt passen und für die es eine Möglichkeit gibt, in Deutschland Fuß zu fassen, das leichter können, als das heute der Fall ist, auch im Interesse unserer Volkswirtschaft, und andererseits zu vereinbaren, dass die Rückführung derjenigen, die nicht bleiben können, kooperativ, besser und effizienter gelingt. Das ist das, was wir uns vorgenommen haben, damit alle wissen: Wir tun das, was in unserer Macht steht, um gewissermaßen das ganze Themenfeld in einer gut ausbalancierten Weise zu verhandeln. Das ist eine große Aufgabe, weil sie in allen Ländern vorkommt, auch in anderen Kontinenten. Deshalb darf man sie sich auch nicht zu einfach vorstellen.
Zusatzfrage: In Holland, in meinem Land ist die Regierung darüber zerbrochen. Mark Rutte beendet seine politische Karriere. In Deutschland hört man manchmal auch von führenden Politikern aus dem Osten, aus Brandenburg oder aus Sachsen, dass sie zum Beispiel auch wegen der illegalen Migration Grenzkontrollen einführen wollen. Wie stehen Sie dazu? Ist das eine Notmaßnahme, die man sich überlegen könnte? Man sieht, dass die AfD gerade in diesen Ländern - dies wurde schon angesprochen - ziemlich stark ist. Anscheinend sind die Bürger durch die Situation etwas beunruhigt.
BK Scholz: Ich habe schon gesagt, es gehört dazu, dass wir allen sagen können, dass wir die irreguläre Migration steuern können, dass wir die Kontrolle über das Geschehen haben und dass wir auch sicherstellen können, dass diejenigen, die nicht bleiben dürfen, wieder zurückkehren. So organisieren wir unsere Politik.
Ich habe bereits eingangs den Solidaritätsmechanismus gelobt, den wir in Europa vereinbaren wollen. Er ist ein großer Schritt nach vorne, weil er eine Sache bewegt, nämlich die Frage: Was passiert eigentlich angesichts der Tatsache, dass die Außengrenze von Deutschland oder die Außengrenze der Niederlande nicht die Außengrenze der Niederlande und die von Deutschland ist, sondern dass das EU-Außengrenzen sind? Wir sind also auch auf Solidarität im Umgang miteinander angewiesen. Diese Erkenntnis scheint sich durchgesetzt zu haben. Wir setzen natürlich darauf, dass das der Fall ist. Ansonsten werden wir immer flexibel und pragmatisch handeln.
Sie wissen, dass wir Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze haben, die stärker sind. Wir hatten sie zweitweise auch an anderen Grenzen. Wir haben im rückwärtigen Bereich verstärkte Polizeipräsenzen organisiert, damit wir das Geschehen gut im Blick behalten können. Wir haben mit unseren Nachbarländern, mit der Schweiz, mit Tschechien und mit Polen, konkrete Vereinbarungen, wie wir kooperieren, damit das gelingt. Wir müssen dann gucken, ob das reicht oder nicht.
Natürlich sind die offenen Grenzen innerhalb Europas eine der ganz großen Errungenschaften der Europäischen Union. Wie gesagt: Deshalb ist es so wichtig, dass wir den europäischen Solidaritätsmechanismus bekommen.
Frage: Herr Bundeskanzler, in den vergangenen Wochen gab es zahlreiche Berichte über massive Gewaltausbrüche in deutschen Schwimmbädern. Das betrifft das ganze Land. In Berlin will man jetzt mit Ausweiskontrollen und Videoüberwachung darauf reagieren. Was glauben Sie denn, woran es liegt, dass sich viele Menschen in deutschen Schwimmbädern nicht mehr sicher fühlen können? Meinen auch Sie, wie Frau Faeser, dass die Polizei in Schwimmbäder gehen muss? Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal im Freibad?
BK Scholz: Im Freibad schwimmen war ich zuletzt in Rahlstedt-Großlohe. Das ist über 40 Jahre her. Ich bin aber schon in Freibädern gewesen, zum Beispiel in meinem Wahlkreis, und habe mit den Bürgerinnen und Bürgern dort geredet. Das ist beispielsweise im vorletzten Sommer sehr intensiv so gewesen.
Ich glaube, es ist ein Stück Lebensqualität, dass wir diese Möglichkeiten in Deutschland haben. Das gehört zur kommunalen Daseinsvorsorge. Das sagt sich so. Aber aus meiner Sicht ist das ganz wichtig. Deshalb muss man reagieren. Wenn es solche Vorfälle gibt, darf man das nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Dann muss man auch handeln, zum Beispiel mit Polizei.
Zusatzfrage: Aus der Union hieß es zuletzt, dass diese Tumulte nicht nur, aber auch mit Integrationsdefiziten zu tun haben. Wie sehen Sie das? Würden Sie dem zustimmen, oder sehen Sie das anders?
BK Scholz: Wer so etwas macht, verhält sich nicht nach unseren Regeln. Das ist dann etwas, was wir zu Recht beklagen müssen. Deshalb noch einmal: Es ist völlig richtig, wenn daraus die Konsequenz gezogen wird, jetzt auch Polizei einzusetzen. Man muss immer dafür sorgen, dass ganz schnell klar wird, dass wir als Staat das nicht dulden - in der Hoffnung, dass es dann nicht dauerhaft so bleibt. Dass man dann sofort und auch mit der ganzen Kraft, die wir haben, zeigt, wir dulden das nicht, das halte ich für zentral.
Frage: Ich habe Fragen zur Ukraine. Nach Vilnius sprechen viele über Sicherheitsgarantien. Würden Sie das, was die G7 beschlossen haben, neue Sicherheitsgarantien nennen, oder ist das die Fortsetzung der Hilfe zur Selbstverteidigung der Ukraine?
Unterstützen Sie den Vorschlag, der auch von Alexej Nawalny unterbreitet wurde, dass Russland nach Kriegsende die Reparationen aus den Einnahmen aus Öl- und Gasexporten zahlen solle?
BK Scholz: Ich habe schon ein wenig Bezug auf die wirklich guten Beschlüsse der Nato in Vilnius genommen. Daneben, aber am Ort hat auch eine Zusammenkunft der G7-Staaten mit einer Vereinbarung zur Sicherheitspartnerschaft stattgefunden, wenn man das so nennen will. Diese Vereinbarung halte ich für sehr weitreichend. Denn sie beinhaltet im Kern zwei Dinge, zum einen die Aussage, dass wir jetzt während des Krieges die Ukraine weiterhin mit den notwendigen Waffen und Verteidigungsmöglichkeiten unterstützen werden, und zum anderen die Aussage, dass wir das auch danach tun werden. Es ist sehr zentral, dass wir uns miteinander austauschen, wenn eine bedrohliche Lage in der Zeit danach entsteht. Das sind die Dinge, die man darin wiederfinden kann.
Warum ist das zentral? - Ich habe das vor Kurzem einmal so wahrgenommen: Der Verteidigungsetat, das, was die Ukraine gegenwärtig für Verteidigung aufwendet, ist jetzt so groß wie der Etat des ganzen Landes, also der Haushalt der Ukraine, vor dem Krieg. Man müsste sich einmal vorstellen, was das hochgerechnet auf deutsche Dimensionen bedeuten würde. Es ist klar, dass die Volkswirtschaft der Ukraine das allein nicht tragen kann.
Darüber zu spekulieren, wie das alles nach dem Krieg sein wird, verbietet sich zum jetzigen Zeitpunkt, denke ich. Man muss konzentriert auf das sein, was jetzt ansteht. Das ist, dass wir all die Kraft mobilisieren, die dafür notwendig ist, dass wir so lange, wie es erforderlich ist, die Ukraine unterstützen können. Wenn Sie unsere Haushaltssituation betrachten und wissen, dass wir für die nächsten Jahre weitere milliardenschwere Unterstützung der Ukraine für ihre Verteidigungsfähigkeit vorgesehen haben, dann können Sie sich vorstellen, wie das in anderen Ländern aussieht, wenn sie alle das gemeinsam auch tun. Deshalb ist ein solches Commitment, das sich in der Vereinbarung findet, doch sehr weitreichend.
Zusatzfrage: Dem entnehme ich, dass Sie nicht von Sicherheitsgarantien sprechen.
Angesichts dessen, dass wir jetzt im zweiten Jahr des Krieges in der Ukraine sind und Sie im zweiten Jahr als Bundeskanzler: Wie urlaubsreif sind Sie eigentlich?
BK Scholz: Ich freue mich darauf, dass ich in den Urlaub fahren kann. Aber es ist nicht so, dass ich das nicht hinbekäme, wenn dies jetzt nicht möglich wäre. Aber schön ist es, wenn es möglich ist, auch einmal kurz weg zu sein.
Frage: Wir haben Integrationsprobleme in Freibädern schon angesprochen. Die Ampelregierung hat jetzt in der Einleitung zum neuen Aufenthaltsrecht aus der bisherigen Wendung „Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ das Wort „Begrenzung“ gestrichen. Welche Botschaft geht von dieser Streichung des Worts „Begrenzung“ aus?
BK Scholz: Die Regierung will die irreguläre Migration begrenzen. Gleichzeitig wollen wir dafür sorgen, dass Deutschlands Volkswirtschaft gut durch die Zeiten kommt und wir im Rahmen der regulären Fachkräfte- und Arbeitskräftezuwanderung in den nächsten Jahren all die Babyboomer, die jetzt in Rente gehen können und werden, ersetzen können, damit es läuft im Laden Deutschland. Das findet gleichzeitig statt. Deshalb ist es, denke ich, das richtige Paar, das man im Kopf haben muss: Begrenzung der irregulären Migration und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass wir eine reguläre Zuwanderung nach Deutschland haben, die dafür sorgt, dass das mit der Rente weiterhin klappt, dass unser Sozialstaat funktioniert, dass unsere Wirtschaftskraft aufrechterhalten bleibt.
Dass das eine gute Sache ist, haben wir in den letzten Jahren gemerkt. Denn tatsächlich ist uns für die Zeit, in der wir jetzt leben, vor zehn und 20 Jahren vorhergesagt worden, dass wir viel weniger Beschäftigte und viel weniger Einwohner hätten. Tatsächlich ist die Einwohnerzahl gewachsen und auch die Zahl der Beschäftigten. Wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigen in der Geschichte unserer Republik. Das ist, denke ich, schon etwas ganz Besonderes. Das sollte man sich klarmachen. Durch diese kluge Kombination von zwei unterschiedlichen Perspektiven kommen wir auch zu einem Erfolg für unser Land.
Zusatz: Das spricht für mich eher dafür, das Begriffspaar so beizubehalten, statt die „Begrenzung“ zu streichen.
BK Scholz: Ich will Ihnen Ihre Urteile jetzt nicht abnehmen, aber meines ist, dass das alles super zusammenpasst.
Frage: Herr Bundeskanzler, in Ihren einführenden Bemerkungen hatten Sie die Bedeutung der Mindestlohnerhöhung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt betont. Gleichzeitig hatten Sie nach dem Vorschlag der Mindestlohnkommission gesagt, Sie seien ein bisschen enttäuscht. Schließen Sie aus, dass Sie doch auch noch politisch in das Thema des Mindestlohns eingreifen? Lars Klingbeil hat ja auch einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht.
BK Scholz: Erst einmal: Es war von mir angekündigt, dass ich eine einmalige Intervention per Gesetz vornehmen werde, wenn die Bürgerinnen und Bürger mich zum Kanzler wählen. Das habe ich letztes Jahr mit einer erheblichen Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro getan. Gleichzeitig haben wir angekündigt, dass wir dann wieder zum Normalverfahren zurückkehren werden, nach dem die Mindestlohnkommission darüber entscheidet. Das hat sie jetzt getan und Erhöhungsschritte für das nächste und übernächste Jahr festgelegt.
Für mich gehört die Sozialpartnerschaft zur guten Tradition dieses Landes. Deshalb wünsche ich mir, dass wir diese Tradition auch in der Mindestlohnkommission weiterhin pflegen. Das heißt, dass man die Möglichkeit zu Mehrheitsentscheidungen hat, aber alles dafür tut, dass es nie dazu kommt, sondern dass man sich verständigt. Ich setze darauf, dass das gelingt.
Frage: Ich habe eine Frage zum Industriestrompreis, wie ihn der grüne Wirtschaftsminister, die Gewerkschaften, die Industrie und auch der niedersächsische Ministerpräsident fordern, also einen subventionierten Strompreis für die Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht. Können Sie erläutern, warum Sie demgegenüber skeptisch sind und welche alternativen Möglichkeiten Sie sehen, damit solche Unternehmen ermuntert werden, weiterhin in Deutschland zu investieren?
BK Scholz: Zunächst einmal ist die Debatte ja nichts Schlechtes. Wir thematisieren, dass wir billige Strompreise für Deutschland brauchen, insbesondere für die Wirtschaft, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger, für die Handwerkerinnen und Handwerker und viele andere. Das ist auch eine Perspektive, die wir in Deutschland erreichen können. Denn der Windstrom und der Strom aus erneuerbaren Energien, der im Norden und Osten Deutschlands produziert wird, macht es jetzt schon möglich, dass subventionsfrei sehr preiswerte Stromlieferzusagen für Unternehmen gemacht werden. Das ist mit den Industrieansiedlungen, die in letzter Zeit stattgefunden haben, immer verbunden gewesen. Dabei hat nicht der Staat geholfen, sondern das ergibt sich aus der Preislage vor Ort.
Würden wir die Strompreise jeweils nur nach Regionen ermitteln, wären sie im Norden und Osten Deutschlands jetzt schon sehr gering. Uns treibt gegenwärtig um, dass wir in den letzten zehn Jahren beim Ausbau der Übertragungsnetzstrukturen so wenig vorangekommen sind, dass wir richtige Verzögerungen haben. Das führt jetzt zu der etwas absurden Situation, dass wir Geld ausgeben, um diejenigen, die billigen Windstrom produzieren wollen, dafür zu bezahlen, dass sie es nicht tun, nämlich im Norden und Osten, und dass jemand, der ihn gekauft hat, beliefert wird, indem im Süden Deutschlands noch einmal Maschinen angeworfen werden und mit Gas und Kohle Strom produziert wird. Zweimal geben wir Geld aus, was wir nicht müssten, hätten wir die Leitungen schon gebaut.
Darum ist es schon ganz wichtig, dass wir dieses und nächste Jahr Tausende Kilometer haben. Wenn ich sage: „Wir verfolgen das Ziel, und zwar nicht nur so wie früher, sondern real, dass wir 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen haben und das Stromnetz entsprechend ertüchtigt haben“, dann wird das zu einem flächendeckenden Sinken der Stromproduktionskosten in Deutschland führen.
Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht durch die Regulierungsvorschriften aus Brüssel oder die Regulierungen, die wir selbst haben, die billigen Produktionskosten nicht durchschlagen können. Das schlimmste Szenario wäre es, richtete sich der Strompreis nach einem immer noch laufenden Gaskraftwerk, das permanent Strom produziert, obwohl der Strom zu 90 Prozent oder 95 Prozent - das sind jetzt gegriffene Zahlen - zu billigen Windstrom- und Solarstrompreisen produziert wird. Aber man muss das einmal so aussprechen, damit wir wissen, dass wir auch eine Regelaufgabe haben, dass die perspektivisch billigeren, und zwar schnell billigeren, Produktionskosten für Strom in Deutschland auch auf die Preise durchschlagen. Das muss unsere Aufgabe sein. Deshalb sind wir dabei, genau das alles zu machen.
In diesem Zusammenhang muss man dann sehen, was europäische Regulierung uns überhaupt machen lässt. Das ist nicht so viel, wenn ich das einmal sagen darf. Aber schauen darf man ja. Auf alle Fälle ist es immer möglich, zu schauen, ob man möglicherweise entsprechend den Beschlüssen, die wir schon gefasst haben, Unternehmen ermöglichen kann, ganz konkrete preiswertere Lieferverträge für erneuerbaren Strom für sich abzuschließen und das damit für sich zu sichern. Das ist dann eine Art von verbilligtem Strompreis. Man kann darüber nachdenken, wie wir es sicherer machen können, dass es klappt, wenn jemand sagt: „Ich will jetzt hier ansiedeln, und mir sagt jemand zu, dass der Strompreis dann billig sein wird.“ Es gibt also viele Richtungen und Facetten, in die man nachdenken muss.
Weil wir letztens so interessante Diskussionen über einzelne Gesetze hatten: Ich glaube, bevor wir einen Gesetzesvorschlag machen, diskutieren wir das ganz ordentlich und verstehen alle Facetten in jeder Hinsicht.
Frage: Herr Bundeskanzler, auf die Frage nach dem Ehegattensplitting und der Finanzpolitik haben Sie auf den Koalitionsvertrag verwiesen und sinngemäß gesagt, dass man sich an das halte, was darin stehe. Andererseits haben Sie eine Zeitenwende ausgerufen, und sie kostet - das muss man sagen - viele Hunderte Milliarden Euro. Warum umfasst diese Zeitenwende nach Ihrem Verständnis in dieser Legislaturperiode nicht die Finanzpolitik?
Wenn ich den Sozialdemokraten in Ihnen und nicht den Bundeskanzler fragen darf: Was wäre Ihre Vorstellung ganz unabhängig von Ihren Koalitionspartnern, an welcher Stelle man in der Finanzpolitik vielleicht etwas verändern sollte?
BK Scholz: Zunächst einmal haben wir eine Zeitenwende, weil Russland die Ukraine angegriffen und die Verständigung aufgekündigt hat, dass man Grenzen nicht mit Gewalt verschiebt. Darauf reagieren wir. Nicht die Politik ist die Zeitenwende. Die Zeitenwende ist diese Bedrohung für die Friedens- und Sicherheitsarchitektur Europas, die von dem aggressiven Verhalten Russlands ausgeht.
Deshalb müssen wir auf Dauer eine stärkere Bundeswehr mit zwei Prozent der Wirtschaftsleistung haben, auf die sie dauerhaft setzen kann, auch wenn in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre und in den 30er-Jahren das Sondervermögen ausgegeben sein wird. Das Gleiche gilt für die Frage der ganzen Sicherheitsarchitektur darum herum, die wir mit unseren Verbündeten in der Nato zu entwickeln haben.
In der Finanzpolitik haben wir doch schon sehr viele weitreichende Entscheidungen getroffen und haben einige auch noch vor, die sich übrigens aus dem Koalitionsvertrag ergeben, zum Beispiel dass wir etwas für Start-ups tun wollen, zum Beispiel dass wir sicherstellen wollen, dass Investitionen in Energieeffizienz besonders mutig vorankommen. Das ist, denke ich, ganz zentral. Deshalb sehe ich schon, dass wir, aufbauend auf dem, was wir in den letzten Jahren entwickelt haben - damals war ich ja auch schon Finanzminister -, jetzt gute Perspektiven haben, genau solche wachstumsfördernden Aspekte mit einzubauen.
Zusatzfrage: Die Vermögen in Deutschland gehen weit auseinander. Wir haben Hunderte Milliarden zusätzlicher Kosten. Die finanzpolitische Maßnahme, die Sie jetzt hier quasi herausgeben, ist eine Finanzierung von Start-ups.
Ich meine, gibt es nicht eine große Idee, die Sie haben? Ihre Partei zum Beispiel möchte eine einmalige Vermögensabgabe. In vielen der SPD-Wahlprogramme, auch in Ihrem, stand, dass man in der Steuerpolitik etwas machen wolle, dass man zum Beispiel den Spitzensteuersatz anheben wolle. Es gibt immer noch eine Programmatik, dass man in der Erbschaftssteuer, in der Vermögenssteuer etwas machen will. Was sind Ihre Haltungen zu diesen Themen?
BK Scholz: Das Wahlprogramm, das die SPD aufgestellt hat und mit dem ich zur Bundestagswahl angetreten bin, entspricht meiner Überzeugung. Auf dieser Basis habe ich einen sehr guten Koalitionsvertrag verhandelt.
Frage: Herr Scholz, ich will auf das Thema von Streumunition und Streubomben und ihre Ächtung kommen. Nach Artikel 21 Absatz 2 des Oslo-Übereinkommens, das Deutschland unterzeichnet hat, bemüht sich jeder Vertragsstaat - Zitat - „nach besten Kräften, Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen.“ Bisher habe ich nirgendwo von Versuchen Ihrerseits gegenüber Russland, der Ukraine und den USA gelesen, diese vom Einsatz von Streumunition abzubringen.
Gab es diese Bemühungen nicht, oder wie haben Sie diese völkerrechtliche Vertragsverpflichtung nach besten Kräften wahrgenommen?
BK Scholz: Deutschland hat die von Ihnen zitierte Konvention unterzeichnet. Wir haben keine Streumunition und werden sie auch weder beschaffen noch einsetzen. Bei vielen internationalen Gelegenheiten haben Vertreter der Bundesrepublik viele davon zu überzeugen versucht, dass sie entsprechende Zeichnungen dieser Konvention vornehmen.
Die USA haben sie nicht unterzeichnet; darauf haben Sie hingewiesen. Russland und die Ukraine auch nicht. Deshalb haben wir sehr klar gesagt, dass wir die souveräne Entscheidung anderer Staaten nicht zu kommentieren haben.
Zusatzfrage: Aber Sie sind vertraglich dazu verpflichtet, andere Staaten davon abzubringen, weil diese Konvention ein universeller Ansatz ist. US-Präsident Biden hat bei CNN gesagt, dass er sich mit den Verbündeten zu dieser Lieferung abgestimmt habe.
Hat Herr Biden mit Ihnen darüber gesprochen, und wie haben Sie ihn davon abzubringen versucht, wozu Sie verpflichtet sind?
BK Scholz: Ich habe bereits darauf hingewiesen, wo und an welcher Stelle wir als Bundesrepublik Deutschland das in den letzten Jahren immer wieder getan haben. Selbstverständlich haben die USA uns nicht überrascht. Wir haben nicht über Ihr Medium, sondern direkt von den USA erfahren, welche Entscheidung sie getroffen haben.
Ich wiederhole es: In dieser Situation hat die amerikanische Regierung eine Entscheidung getroffen, die nicht unsere ist, aber die sie souverän getroffen hat, übrigens mit dem Hinweis, dass sie das deshalb tue, weil sie sonst nicht ausreichend Munition zur Verfügung stellen könne.
Aber ich will ergänzend noch einmal sagen: Für mich ist diese Konvention von großer Bedeutung. Es geht ja gar nicht um die Waffe in ihrer Wirkung im Kriegseinsatz. Denn alle Waffen, die wir liefern, haben furchtbare Zerstörung zur Folge, wenn sie ihre Ziele treffen. Sondern es geht darum, dass nicht nach dem Krieg und außerhalb der Kriegsparteien von zufällig herumliegender Munition andere bedroht werden. Dass das ein Thema ist, verstehen wir in Deutschland nur zu gut. Wer wie ich in Brandenburg lebt, weiß, dass es dort und übrigens nicht nur in Brandenburg Wälder gibt, in denen sich immer noch Munition aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges befindet. Wenn Brände ausbrechen, ist das eine große Herausforderung. Überall in Deutschland, wo Bomben niedergegangen sind, gibt es noch jetzt, so viele Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, immer wieder Bombenalarm. Deshalb ist es ein sehr berechtigtes Anliegen, das wir mit dieser Konvention verfolgen. Dem fühle auch ich mich verpflichtet.
Frage: Herr Bundeskanzler, in der vergangenen Woche wurde auch über die Sterbehilfe diskutiert. Zwei Anträge erreichten keine Mehrheit. Wie zufrieden können Sie damit sein? Es waren interfraktionelle Anträge. Aber trotzdem: Wie zufrieden können Sie damit sein? Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht immerhin von einer gewissen Rechtsunsicherheit, die es jetzt gebe.
Sie selbst haben nicht abgestimmt. Warum nicht?
BK Scholz: Ich habe nicht abgestimmt, weil ich nicht abstimmen konnte, weil ich bei einer anderen Veranstaltung war, die sehr lange Zeit vorher geplant war, und dort jemanden geehrt habe, der den Deutschen Nationalpreis bekommen hat. Das fand ich richtig. Ich habe mich aber danach erkundigt, ob es auf meine Stimme ankommen würde. Dann hätte ich die Veranstaltung verlassen müssen. Das war aber, wie Sie wissen, nicht der Fall. Denn keiner der beiden Vorschläge, die am Ende zur Abstimmung standen, hätte eine Mehrheit bekommen. Keiner von beiden war auch nur dicht dran an einer Mehrheit.
Wir haben jetzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Sie gilt. Solange der Gesetzgeber nicht durch Veränderung des Gesetzes die umsetzt, muss das unmittelbar im Handeln der Bürgerinnen und Bürger und von denjenigen, die Verantwortung in diesen Bereichen haben und tätig sind, umgesetzt werden. Es wäre natürlich schöner und besser, wenn das durch Gesetzesbeschluss erfolgt wäre, als so, wie es jetzt der Fall ist. Aber an der Wirksamkeit, an der Klarheit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann kein Zweifel bestehen. Jetzt werden, solange es der Bundestag nicht doch noch schafft, eine Entscheidung zu treffen, die Gerichte in den praktischen Einzelfällen die Klarheit noch einmal unterstreichen müssen. Das ist bedauerlich; das will ich gar nicht anders sagen. Aber das ist eben auch eine Frage, bei der ich mich öffentlich bewusst zurückgehalten habe, weil das als Gewissensentscheidung der Abgeordneten zu treffen war. Auch wenn ich selbst dazu eine eigene Meinung habe, finde ich trotzdem, dass es auch Respekt vor dem Parlament ist, sich dabei ein bisschen zurückzuhalten.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich will auf das GEG zurückkommen. Sie haben es eben als guten Kompromiss gelobt. Für den Koalitionsfrieden mag das stimmen, für das Klima eher nicht. Denn der Kompromiss bedeutet jetzt ja, dass im Vergleich zum Entwurf aus dem Kabinett Öl- und Gasheizungen in vielen Orten fünf Jahre länger eingebaut werden dürfen als bisher geplant.
Wieso haben Sie als Klimakanzler nicht mehr für den Entwurf aus Ihrem Kabinett gekämpft?
Wie wollen Sie angesichts der großen Verwässerung, die es da gegeben hat, die Klimaziele für das Jahr 2030 im Gebäudesektor überhaupt noch erreichen?
BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage, weil sie mir eine Gelegenheit gibt, Ihnen zu widersprechen. Trotzdem ist es ganz wichtig, dass Sie das fragen, weil Sie vielleicht ja doch konkret Bezug auf das nehmen, was ich vorher hier schon zu sagen versucht habe. Das Problem ist nicht, dass man dazu nicht verschiedene Meinungen haben könnte. Das Problem ist, dass sie ohne Absicht, einen Weg dazwischen zu finden, aufeinanderprallen. Das gilt nicht nur für Leute, die dann Gesetze machen. Das gilt für uns als Gesellschaft insgesamt.
Meine Überzeugung ist: Wer zum Beispiel Klimapolitik machen will, muss sich zutrauen, dass jede einzelne gesetzliche Regelung in einer Volksabstimmung eine Mehrheit fände. Das muss der Ehrgeiz sein. Wir haben keine Volksabstimmung in unserer Verfassung, und ich bin der Meinung, dass es dabei bleiben sollte, weil wir eine andere Tradition haben. Aber ich will sehr klar sagen, dass man das immer mitdenken muss. Dann ist es doch okay, zu sagen, dass jemand, der Angst hat, ob er sich die nächste Investition leisten kann, ein Haus hat, das vielleicht in den letzten Jahren im Wert gesunken ist, auf dem noch viele Hypotheken liegen, das Gefühl hat, mitgenommen zu werden, dabei zu sein.
Diese Delegation von politischen Meinungsbildungen, die ja im ganzen Volk stattfinden, damit sie gut funktionieren, auf irgendeine Instanz, die das entscheidet und dann rücksichtslos durchzieht, funktioniert nicht. Das ist ein Fehler. Das will ich ganz ausdrücklich sagen. Das ist etwas, was ich für eine falsche Politik halte. Darum werbe ich sehr dafür, dass man auch einmal fünfe gerade sein lässt, aber gleichzeitig die Klimaziele ambitioniert verfolgt. Wir sind da ja sehr ehrgeizig. Deutschland, viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, will 2045 klimaneutral wirtschaften. Das ist, glaube ich, in der Dimension der industriellen und ökonomischen Modernisierung bestenfalls mit dem zu vergleichen, was in der zweiten Industrialisierung Deutschlands Ende des 19. Jahrhunderts stattgefunden hat. Da werden unglaubliche milliardenschwere Investitionen nötig. Neueste Technologien müssen in den verschiedensten Feldern - Industrie, Wirtschaft und Energieerzeugung - eingesetzt werden und auch hinsichtlich Mobilität und Heizen eine Rolle spielen. Da werden viele unterschiedliche Technologien zum Tragen kommen und manche vielleicht noch große Karriere machen, auf die wir jetzt gar nicht so kommen. Aber dass wir uns auf den Weg machen, dass wir uns, wie zu oft in den letzten Jahrzenten, nicht darauf beschränken, Ziele zu formulieren und noch größere Ziele zu formulieren, wenn es drängt, aber auf dem Zwischenschritt nicht genug tun, dass wir das überwunden haben, ist der eigentliche große Fortschritt, den wir jetzt haben.
Zusatzfrage: Das habe ich nicht ganz verstanden. Wenn Sie das Ziel so betonen und wie groß die Aufgabe ist, dass man Zwischenschritte braucht, wie wollen Sie denn diesen Zwischenschritt erreichen, wenn weiterhin so viele Öl- und Gasheizungen eingebaut werden dürfen? Das habe ich noch nicht verstanden.
BK Scholz: Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger werden sich jetzt durch diese Debatte angeregt überlegen, was für sie eine gute Entscheidung ist. Natürlich werden die Preise für fossile Energien in den nächsten Jahrzehnten wahrscheinlich steigen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Europa wurde in den letzten Jahren mit 180 Kubikmeter russischem Gas beliefert. Davon kommen nur noch ganz kleine Teile an und in Deutschland gar nichts mehr. Das heißt, wir kaufen unser Gas woanders, das aber auch nicht in rauer Menge zur Verfügung steht und stand. Das im Kopf habend, ist jeder und jede gut beraten, zu sagen: Es könnte schon sein, dass es dadurch, dass überall auf der Welt eine Nachfrage besteht, die größer als das Angebot ist - oder zumindest Druck darauf macht -, besser ist, sich bei seiner nächsten anstehenden Entscheidung daran zu orientieren, was billiger sein wird. Das ist natürlich eine der vielen Varianten mit erneuerbaren Energien.
Ich bin aber sehr froh, dass wir die beiden parallelen Stränge Wärmeplanung und Gebäudeenergie zusammengeführt und einen Zusammenhang hergestellt haben. Zum Beispiel wird in Deutschland das Potenzial von Tiefengeothermie völlig unzureichend genutzt. Als ich zusammen mit Frau Schwesig in Schwerin eine solche Anlage für das Fernwärmenetz von Schwerin eingeweiht habe, habe ich parallel erfahren, dass Ende der 80er-Jahre in Mecklenburg und Vorpommern sehr viele vorgesehene Tiefengeothermiebohrungen für das Fernwärmenetz vorgesehen waren, die dann wegen des billigen Gases alle nicht vollzogen worden sind. Aber sowohl dort als auch in Brandenburg und in weiten Teilen Ost- und Westdeutschlands gibt es gute Voraussetzungen. Heute haben wir zum Beispiel viel mehr Geodaten darüber. Wir wollen jetzt beschließen, wie wir sie leichter verfügbar und auffindbar machen können. Wir haben moderne Seismik-Technik, um herauszufinden, ob die Bohrung wohl erfolgreich wäre. Da wird also mehr passieren, als wir gegenwärtig im Kopf haben.
Solarthermie kommt zu Unrecht nicht mehr in den ganzen Berichten vor, ist aber auch eine Möglichkeit. Es geht nicht nur um die Wärmepumpe, wenn wir über unsere Handlungsmöglichkeiten reden. Da könnte man jetzt noch viele, viele weitere Beispiele anfügen.
Es ist wichtig, dass wir das jetzt alles herstellen. Natürlich werden wir die Debatte darüber führen, dass viele Kommunen sagen: Wir wollen unser Fernwärmenetz ausbauen. Dann ist die gute Konsequenz, dass sich Bürgerinnen und Bürger – ob das nun Vermieter oder Ein- und Zwei-Familienhaus-Besitzer sind – daran orientieren und sagen können: Okay, ich weiß, in drei, vier Jahren habe ich eine Anschlussmöglichkeit. Also treffe ich meine Investitionsentscheidung im Hinblick darauf. Das wird auch dazu führen, dass wahrscheinlich die Effizienz und die Geschwindigkeit, mit der uns das gelingt, größer wird, als wenn wir diese Verbundenheit nicht hergestellt hätten.
Frage: Herr Bundeskanzler, wie überzeugen Sie Wähler, die Angst vor Ihrer Ukrainestrategie haben?
BK Scholz: Das, was ich und was die Regierung gemacht hat, ist jetzt, glaube ich, Mainstream, nämlich vorsichtig zu handeln, sich mit seinen Freunden und Verbündeten abzustimmen, keine Alleingänge zu machen und immer genau zu überlegen: Ist das jetzt der richtige Schritt? Auf diese Weise sind wir nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Trotzdem gibt es bei den Bürgerinnen und Bürgern eine überwiegende Zustimmung für dieses Vorgehen, und zwar bei denjenigen, die sich manchmal etwas mehr wünschen, und bei denjenigen, die sich weniger wünschen oder das eigentlich falsch finden, weil sie sich immer darauf verlassen können, dass wir eine sorgfältig abgewogene Entscheidung treffen und wissen, dass es hier um eine ganz, ganz große Herausforderung geht. Denn es findet durch den russischen Angriff auf die Ukraine ja wirklich in unmittelbarster Nähe zu Deutschland ein Krieg in Europa statt: zwischen dem Land mit dem größten Territorium in Europa, Russland, und dem Land mit dem zweitgrößten Territorium in Europa, die Ukraine. Ich glaube, deshalb ist die Art und Weise, wie wir das machen, die Grundlage dafür, dass wir mit ausreichender Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger rechnen können.
Frage: Schweden will bald in die Nato aufgenommen werden. Schweden hat eine Vereinbarung mit der Türkei. Es will, dass die Türkei Mitglied in der EU wird. Was denken Sie darüber? Wollen Sie Schweden helfen?
BK Scholz: Ich unterstütze den Nato-Beitritt der Ukraine.
(Heiterkeit)
BK Scholz: Das können Sie in den Beschlüssen der Nato-in Vilnius nachlesen. Ich unterstütze den Nato-Beitritt Schwedens. Das wird jetzt hoffentlich zeitnah erfolgen. Ich habe immer dafür geworben, auch bei dem türkischen Präsidenten. Ich finde es sehr gut, dass es unmittelbar vor dem Gipfel eine Vereinbarung zwischen Schweden und der Türkei gab. Ich glaube, dass das am Ende auch den Weg dafür ebnen wird, dass das jetzt passiert. Der türkische Präsident hat gesagt, dass er sich das im Oktober vorstellt. Das nehme ich jetzt einmal so. Ich bin da auch sehr zuversichtlich. Ich habe keine Anzeichen dafür, dass sich das jetzt hinziehen wird oder so etwas.
Schweden passt perfekt zur Nato. Es erfüllt alle Voraussetzungen. Das wird unsere gemeinsame Sicherheit stärken. Es war auch sehr schön, dass der schwedische Ministerpräsident schon in unserer Runde sitzen konnte, weil wir diese Entscheidung ausgesprochen haben.
Zusatzfrage: Aber ist die Aufnahme der Türkei gut für die EU? Das ist die Frage.
BK Scholz: Ich habe im Vorfeld des letzten Europäischen Rates dafür geworben, dass wir dort eine Entscheidung treffen, die Kommission aufzufordern, einen Bericht über den Stand unserer Beziehungen in der Hoffnung zu geben, dass wir daraus einen Aufschlag für verbesserte und weiter verbesserte Beziehungen zwischen der EU und der Türkei machen können. Dabei geht es aber um viele konkrete Einzelfragen. Es ist auch als ein gutes Zeichen sehr wahrgenommen worden, dass die EU hieran ein Interesse hat. Mein Wunsch ist, dass wir das auch hinbekommen. Ich habe viele Gespräche geführt - auch mit vielen, die in Vilnius anwesend waren -, um dazu beizutragen, dass es konkret in der Region eine gute Entwicklung gibt, wenn es zum Beispiel um die Türkei und Griechenland geht. Danach sieht es auch aus.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie sind ja gemeinhin als ein eher sehr kühler, hanseatisch geprägter Politiker bekannt. Das kann man auch heute wieder bewundern. Es gab kürzlich diese Szene in Falkensee, wo Sie doch sehr emotional auf diese Pro-Putin-Fans reagiert haben. Dieser emotionale Ausbruch von Ihnen, der folgte, ist sogar international viral gegangen. #ScholzonFire hieß es da. Ich kenne viele Leute, die sagen: Mensch, der Herr Scholz hat ja doch Emotionen, ist lebendig und sagt mal, was er denkt.
Meine Frage wäre: War das jetzt der wahre Scholz, wenn Sie diesen Leuten sagen: „Ihr müsst erst mal ein bisschen Verstand in eure Hirne kriegen“?
Eine ernst gemeinte Frage: Heißt das auch, Sie haben im Grunde genommen aufgegeben, diese Menschen, die einfach Ihre Ukraine-Politik als sehr polemisch kritisieren, zurückzugewinnen?
Heißt das auch, dass Sie mit dem Kriegstreiber Putin nicht mehr sprechen werden, weil das ja ein sehr kategorischer und harter Ton war?
BK Scholz: Das waren jetzt doch eine ganze Reihe von Fragen in dem Zusammenhang. Ansonsten sind alle Varianten, in denen ich Ihnen begegne, ich. Das ist eben ein bisschen facettenreich.
Ich glaube, dass der eine oder andere manchmal übersehen hat, dass meine Lebenslaufbahn als Politiker doch eher als Versammlungsredner begonnen hat und nicht so, wie Sie mich oft kennen, mit Texten, die ich geordnet vortrage. Deshalb weiß ich, wie es geht.
Es gibt, glaube ich, eine Sache, die man sehr klar sagen muss: Wenn Leute hingehen und eine Veranstaltung sprengen wollen, zu der ganz viele gekommen sind, um zuzuhören – mit Lärm, durch unglaubliche Beleidigungen, auch gestisch in einer Art und Weise, die man nicht nett finden muss -, dann gibt es viele Wege, damit umzugehen. Aber einer ist, sofort zurückzulangen. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Ich habe gesagt: Wenn ich rede, warte ich gar nicht erst ab, sondern ich spreche das gleich direkt an. Sie haben gesehen, wie ich das mache, wenn ich das direkt anspreche.
Was die andere Frage betrifft, rechne ich damit, dass man andere überzeugen kann. Das muss man in der Demokratie immer. Deshalb kann auch jeder und jede damit rechnen, dass ich, wenn sie meine Veranstaltung besuchen und eine Frage stellen oder ihre Meinung darstellen, antworte. Ich habe auch manche erlebt, die das aus so einer politischen Perspektive heraus tun, die völlig überrascht sind, dass sie eine Antwort bekommen und nicht einfach nur beschimpft werden, was für welche sie wohl sind. Aber manche sind dann überrascht, dass die Antwort eben gute Gründe hat, warum wir zum Beispiel jetzt die Ukraine unterstützen und warum Russlands Angriff auf die Ukraine auch Frieden und Sicherheit von uns allen bedroht, weil damit die Grundstrukturen unserer Friedensarchitektur in Europa bedroht sind. Was Willy Brandt und Helmut Schmidt mit der KSZE und der heutigen OSZE erreicht haben, war ein großer Prozess, der auch den Fall des Eisernen Vorhangs und unsere deutsche Einheit mit ermöglicht hat und der diese Prinzipien, die Putin jetzt mit Füßen tritt, zur Grundlage hatte. Ich glaube, das muss immer dazugesagt werden.
Zu ihrer dritten Frage: Natürlich. Ich werde selbstverständlich auch mal wieder mit ihm reden. Ja. Aber da ist nichts terminiert, falls Sie gleich nachfragen wollen.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben in Vilnius eine Reihe von bilateralen Gesprächen geführt. Sie haben den türkischen Präsident Erdoğan getroffen, auch den griechischen Ministerpräsidenten. Deutschland hat in der Vergangenheit schon vermittelt, um die Spannungen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer abzubauen. Was war oder was ist Ihr Anliegen bei diesen Gesprächen gewesen? Haben Sie erreicht, was Sie erreichen wollten?
BK Scholz: Ich könnte die Antwort kurz machen: Ja. Ich mache aber doch noch ein paar Bemerkungen:
Mir ist es ganz, ganz wichtig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass sich zum Beispiel die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, der Türkei und Deutschland gut weiterentwickeln. Das gilt selbstverständlich für die Beziehungen, die wir zu Griechenland haben. Wir sind beide EU-Mitglieder und haben viele, viele gemeinsame Perspektiven und Ansichten. Deshalb sind meine Gespräche mit dem griechischen Ministerpräsidenten jetzt schon seit vielen Jahren immer sehr freundschaftlich, was ich auch sehr wichtig finde. Wir fühlen uns auch verpflichtet, für ein gutes Verhältnis der Beteiligten in der Ägäis zu sorgen und sind dabei immer wieder Partner. Das werden wir auch bleiben.
Natürlich hat das eine Rolle gespielt. Ich habe es für mich so wahrgenommen, dass beide Regierungschefs, also der Präsident und der Ministerpräsident, sehr wohl die Perspektive haben, ein besseres Verhältnis der beiden Länder zueinander möglich zu machen. Und das wäre doch gut.
Frage: Herr Bundeskanzler, Europa und Deutschland haben die Transformation weg von Kohle, Gas und Öl gestartet. Sie haben es schon ausgeführt. International wird weiter massiv in die Fossilen investiert, auch von westlichen Konzernen. Die Exportländer wollen nicht aussteigen. Was macht Sie eigentlich zuversichtlich, dass das CO2, das in Europa eingespart wird, nicht noch jahrzehntelang in anderen Teilen der Welt emittiert wird und Europa sich und seine Industrie tatsächlich auch ein Stück weit belastet, ohne dass wirklich etwas für das Klima gewonnen ist?
BK Scholz: Das ist eine Frage, die uns alle umtreiben muss. Sie ist schon von sehr grundlegender Bedeutung. Deshalb ein paar Antworten dazu:
Wir müssen, wollen und wünschen, dass die Länder im Süden Amerikas, in Afrika und in Asien einen ähnlichen wirtschaftlichen Wohlstand entwickeln können, wie wir ihn haben. Wenn man die ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte betrachtet, ist das zwar, wie gerade der zuletzt verhandelte Bericht über die Entwicklungsziele gezeigt hat, nicht überall gut, aber es hat Milliarden gegeben, die irgendwie ökonomisch vorangekommen sind, viele, die in diesen Ländern zur Mittelschicht gehören. Es gibt auch als Folge der Globalisierung ökonomische Wachstumsprozesse, die sehr enorm sind.
Aber wenn wir uns klarmachen, dass wir wollen und wünschen müssen, dass dort ein ähnlicher Wohlstand herrscht, wie wir ihn haben, ist klar: Wenn das alles so geschieht, wie wir das in den letzten 200 Jahren gemacht haben, geht das nicht nur für diese Länder schief, sondern auch für uns. Also hat Deutschland, hat Europa, haben wir eine ganz herausragende Aufgabe, nämlich die Technologien zu entwickeln, mit denen man wirtschaftlichen Wohlstand organisieren kann, ohne Klima und Biodiversität zu schädigen. Das ist unsere Aufgabe.
Indem wir das bei uns machen, geben wir auch gleich eine Antwort, wie man es anderswo machen kann. Wenn ich mit vielen spreche, habe ich den Eindruck: Das wird schon verstanden. Es ist etwas Wichtiges, dass sie 2050, 2060 für sich als Ziel akzeptiert haben, bis zu dem sie klimaneutral sein wollen.
Für mich ist aber, um die Frage zu adressieren, die Sie angesprochen haben, genau die Initiative so wichtig gewesen, die immer mehr Erfolg hat, nämlich einen internationalen Klimaclub zu schaffen. Das habe ich schon als Finanzminister begonnen, und das ist bei den G7 mit unglaublich vielen anderen vereinbart worden, die regelmäßig dazukommen. Wir haben jetzt mit Chile den Ko-Vorsitz, damit das nicht eine G7-Veranstaltung ist. Kenia ist beigetreten, und es kommen immer mehr hinzu, zum Beispiel Australien. Der australische Ministerpräsident war gerade bei mir zu Besuch.
Das ist die Antwort darauf, wie wir gleichzeitig die Probleme lösen, dass andere noch Konkurrenz mit schmutziger Technologie machen. Darauf kann man die Antwort geben: mit Zöllen oder Grenzausgleichmechanismen, wie die EU das gemacht hat und andere auch machen. Man muss aber gleichzeitig eine Transformationsperspektive formulieren. Das ist das, was ich mit dem Klimaclub verbinde. Da werden wir nicht immer alle die gleiche Politik verfolgen. Aber so lange wir auf dem gleichen Pfad unterwegs sind, wird es gehen. Das wird uns noch ein bisschen beschäftigen. Aber ich glaube, dass wir sogar einen großen zusätzlichen Wachstumsschub bekommen können. Denn wenn erst einmal gezeigt wird, dass das geht, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, Industrieland, weltweit mit modernsten Technologien wettbewerbsfähig sein kann, aber das Klima und die Biodiversität nicht schädigt, dann werden das alle anderen nachmachen wollen. Und sie werden dabei auf Fähigkeiten zurückgreifen, die wir hier entwickelt haben, nämlich die Technologien. Das ist dann auch ein gutes Modell für das exportorientierte Deutschland.
Vorsitzende Buschow: Wir haben gleich anderthalb Stunden herum. Die Frageliste ist noch sehr lang, wie viele wissen, die noch nicht dran waren. Ich würde versuchen, dass wir noch fünf Fragestellerinnen und Fragesteller mit kurzen Fragen und kurzen Antworten schaffen?
BK Scholz: Ich bleibe hier auch noch acht Stunden.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage, die das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel im weiteren Sinne betrifft. Ich gehe davon aus, dass Ihnen der Name Muriel Asseburg etwas sagt, eine Wissenschaftlerin mit Expertise für den Nahen Osten, die seit vielen Jahren für die Stiftung Wissenschaft und Politik arbeitet, einer der wichtigen beratenden Thinktanks der Bundesregierung. Sie hat in einem längeren Interview bestimmte Handlungen der israelischen Regierung in den Besatzungsgebieten kritisiert. Daraufhin gab es eine starke öffentliche Kampagne, in der sich unter anderem die israelische Botschaft zu Wort meldete und davon sprach, dass es Antisemitismus im pseudoakademischen Milieu gebe. Lässt sich die Bundesregierung von Antisemiten im pseudoakademischen Milieu beraten?
BK Scholz: Ach! Um die abstrakte Frage zu beantworten, die ja von jeder Person völlig frei ist: Selbstverständlich nicht.
Zusatzfrage: Dann möchte ich gerne konkret nachfragen, wie gesagt, davon ausgehend, dass Ihnen die Causa Asseburg und die Äußerungen und der Streit um ihre Person geläufig sind. Wie bewerten Sie es, dass die Botschaft eines Landes in derartig scharfer Form Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen öffentlich kritisiert? Das hatte dann unter anderem zur Folge, dass Frau Asseburg bei einem Besuch in Israel tätlich angegriffen wurde. Wie bewerten Sie es, dass diplomatische Vertretungen so agieren?
BK Scholz: Ich will gar nicht bewerten, was da gemacht wird. Das habe ich in der Vergangenheit nicht getan und werde das auch hier nicht.
Ich glaube, dass die Haltung der Bundesregierung in all diesen Fragen sehr klar ist. Aber ich will jetzt auch nicht den Eindruck erwecken, als ob ich, weil ich dazu zwei Zeitungsmeldungen gelesen habe, angefangen habe, Texte nachzuverfolgen und zu studieren. Ich weiß gar nicht, was da alles steht. Das geht wahrscheinlich den meisten anderen hier im Raum auch so, vermute ich jedenfalls.
Frage: Herr Scholz, wir sind jetzt knapp auf der Hälfte der Legislatur: fehlende Erzieherinnen und Erzieher, kaputte Schulen, fehlendes Pflegepersonal; Ihre Wohnungsneubauziele sind weit verfehlt; vier bis fünf Windräder pro Tag sind auch noch nicht erreicht; Wärmepumpen und Sanierungen sind für viele teure Zukunftsmusik. Die Bürger spüren stattdessen Inflation, steigende Zinsen, Mieten und Lebensmittelpreise. Wirtschaftlich kommen wir in eine Rezession. Als Bundeskanzler ist es natürlich vergleichsweise leicht, fünfe gerade sein zu lassen, wie Sie es eben gesagt haben, mit dem Geleisteten vielleicht auch zufrieden zu sein und Gelassenheit im Miteinander zu fordern, ganz flexibel und pragmatisch. Aber in relevanten Teilen der Bevölkerung ist die Stimmung ja offenkundig eine deutlich andere, nicht nur bei den Böswilligen. Die Leute sind massiv verunsichert. Sie sagen hier jetzt Sätze - - -
Vorsitzende Buschow: Herr Steiner, das mit den kurzen Fragen war ernst gemeint!
Zusatz: Ja, ich gebe mir Mühe. – Natürlich werden die Preise für fossile Energien wahrscheinlich steigen. - Das ist ein Satz, bei dem viele Bürger jetzt wieder sagen werden: Was will er uns denn damit jetzt gesagt haben? Ich würde gerne von Ihnen wissen: Wann kommt denn jetzt die Führung, die Sie mal versprochen haben, wenn sie bestellt wurde?
BK Scholz: Ich habe am Anfang sehr umfassend dargestellt, wie sehr geführt wird und dass Deutschland sich in der größten Modernisierungs- und Innovationsperiode seit vielen, vielen Jahrzehnten befindet. Das ist auch notwendig, wenn wir eine leistungsfähige Volkswirtschaft mit guten Arbeitsplätzen sein wollen und schon 2045 CO2-neutral wirtschaften wollen. Das sind von jetzt an 22 Jahre. Das ist jetzt nicht lange hin. Insofern bin ich sehr dafür, dass wir uns sehr klarmachen, wie groß die Aufgabe ist. Aber ich bin auch sehr hinterher, dass wir so, wie wir das mit dem Tempo im letzten Jahr und in diesem Jahr geschafft haben, auch weiter machen, damit das tatsächlich gelingt. Und darauf können sich auch alle verlassen. Ich bin überzeugt, dass wir eine leistungsfähige Volkswirtschaft mit guten Arbeitsplätzen bleiben werden.
Zusatzfrage: Viele Leute haben gefragt, Richtlinienkompetenz des Kanzlers: Wo ist die denn? Wann wird sie benutzt? Ich würde gerne wissen: Wie ist Ihr Brief zur Kindergrundsicherung zu interpretieren? War das eine Anwendung Ihrer Richtlinienkompetenz, oder war das nur eine freundliche Aufforderung an die beteiligten Ministerien?
BK Scholz: Als ich das Mal davor von meiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht habe, war das auch ein höflicher, freundlicher Brief. Der wurde öffentlich bekannt. Das ist ja vielleicht auch ein guter Stil. Aber in der Sache gehe ich davon aus, dass das, was ich dort aufgeschrieben habe, auch kommt, nämlich dass wir das Gesetz Ende August fertig haben.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihr Eingangsstatement mit der Zeitenwende und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Das hat in den letzten anderthalb Stunden nicht die dominante Rolle gespielt. Inwiefern gehen Sie davon aus, dass der Erfolg in allen anderen Bereichen, die Sie genannt haben, vom Erfolg der Ukraine im Krieg gegen Russland abhängt? Inwiefern hängt der Erfolg Ihrer Kanzlerschaft vom Erfolg der Ukraine ab?
BK Scholz: Als Mensch, als Bürger, als Deutscher, als Europäer wünsche ich mir, dass die Ukraine Erfolg hat. Das muss ich gar nicht erst mit meinem Amt verbinden. Das ist ein Anliegen, das wir alle haben sollten. Denn wir können nicht hinnehmen und uns auch nicht damit abfinden, dass in so grausamer und brutaler Weise das Völkerrecht mit Füßen getreten wird.
Zusatzfrage: Haben Sie das Gefühl, man müsste noch mehr tun, um der Ukraine zu helfen, oder ist das, was bisher geleistet wird - auch an Waffenhilfe -, einfach das, was geht, und das verstetigt man, aber in der Qualität wird mehr nicht gehen für die Ukraine?
BK Scholz: Wir haben ja sehr viel gemacht, und das, was wir tun, ist auch sehr relevant, sowohl was die Luftverteidigung betrifft als auch was die Artillerie oder die Ausbildung betrifft als auch was die Schaffung von Reparaturstrukturen betrifft, damit die gelieferten Waffen - und nicht nur unsere - auch eingesetzt werden können. Auch das Ausbauen von Kapazitäten zur Munitionsproduktion gehört dazu. Wir sind jetzt unverändert und auch immer weiter dabei, dafür zu sorgen, dass die Ukraine so lange durchhalten kann, wie das erforderlich ist.
Frage: Herr Scholz, Ihre Regierungszeit ist in fast genau zwei Jahren eventuell vorbei.
BK Scholz: Nö!
(Heiterkeit)
Frage: Dennoch: Wie wollen Sie, dass man sich dann an Sie erinnert? Olaf Scholz soll der Kanzler sein, der …?
BK Scholz: Ich stehe am Anfang meiner Tätigkeit als Bundeskanzler, und deshalb habe ich mich mit der Frage, wie man sie hinterher zusammenfassen soll, nicht beschäftigt. Ob ich es einmal tun werde, weiß ich nicht. Das müssen dann doch eher andere tun.
Ich glaube aber, wir sind schon in einem Moment, der sehr bedeutend für die Geschichte und für das weitere Geschick unseres Landes ist. Dass das immer wieder bei uns allen reinrutscht, hat man ja auch bei der einen oder anderen Frage gemerkt; es geht mir aber auch so, dass man, obwohl ich die Zeitenwende jetzt bewusst auf das Verhalten Russlands bezogen habe, das die Sicherheitsarchitektur Europas zerstört hat, immer denkt: Die Politik, die wir machen, das ist doch die Zeitenwende. Aber das ist ja nur eine Konsequenz daraus. Trotzdem sind wir in einem Moment, in dem wir es jetzt schaffen müssen, die Grundlage dafür zu legen, dass Deutschland eine Gesellschaft ist, die vorne dabei ist, wenn es um Technologien geht, die auch in zehn, 20, 30 Jahren sehr gute Arbeitsplätze hat, die wirtschaftlichen Wohlstand hat, die zusammenhält und die es gleichzeitig schafft, Klima und Biodiversität zu schützen.
In dem Sinne bin ich der Überzeugung, dass wir da auf dem richtigen Weg sind und dass wir mit dem Tempo losgelegt haben, das dazu erforderlich ist. Es ist ja schon nachgefragt worden - - - Wenn man so Ziele hat, was man alles erreichen will, dann fragen ja einige zwei Minuten später: Und, schon erreicht? Aber wir sind ja dabei und kriegen es hin, dass wir auch tatsächlich eine solche Geschwindigkeit erreichen, wie ich sie mit „fünf bis sechs Windräder am Tag“ usw. formuliere; denn das müssen wir ja hinkriegen. Mein Eindruck ist: Es ist uns gelungen. Da dürfen wir jetzt nicht nachlassen, weil es für die Zukunft unseres Landes von so großer Bedeutung ist.
Frage: Herr Bundeskanzler, im Mai hat der Bundestag eine Pflegereform beschlossen, über die eigentlich alle Redner - auch diejenigen aus Ihrer Koalition - gesagt haben: Das wird nicht reichen. Was wollen Sie noch unternehmen, um die Pflegeversicherung so aufzustellen, dass sie in zehn oder 20 Jahren noch funktioniert?
BK Scholz: Wir müssen eine gute Pflege in Deutschland haben. Das sind viele inhaltliche und fachliche Reformen, die die Regierung weiter vorantreiben wird. Wir müssen außerdem natürlich immer auch die Finanzierung gewährleisten. Deshalb gehört ja zu dieser Reform und den Reformschritten, die wir uns vorgenommen haben, dass wir auch die Belastung, die die Bürgerinnen und Bürger, die zum Beispiel in stationärer Pflege sind, Stück für Stück reduzieren wollen - da gibt es so eine Abwärtstreppe, wie Sie wissen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass sich genügend Frauen und Männer für den Pflegeberuf entscheiden und dort auch tätig sind. Das ist ja eine ganz große Herausforderung. Wenn wir uns das einmal anschauen, dann sehen wir: Die Fluktuation in den Pflegeberufen ist ziemlich groß. Da lernen Leute viele Jahre lang einen schweren Beruf, dann bleiben sie - ich habe die Zahl jetzt nicht genau im Kopf - acht bis neun Jahre lang da - sagen wir einmal, im Schnitt acht - und wechseln dann den Beruf. Es wäre ja schon schön, wenn wir die Arbeitsbedingungen so gestalten könnten, dass viele auch in diesem Beruf bleiben. Ein paar Fortschritte haben wir schon durchgesetzt - Hubertus Heil und ich sogar schon in der letzten Legislaturperiode -, zum Beispiel, dass Tarifverträge für die Bezahlung der Beschäftigten und die Löhne, die damit verbunden sind, eine größere Rolle spielen. Das ist aber nicht alles. Es geht durchaus auch um gute und familienfreundliche Arbeitsbedingungen - was ja schwer ist, wenn Pflege ständig zur Verfügung stehen muss.
Für mich ist das also ein Thema, bei dem wir nicht nachlassen dürfen, und Sie können sich darauf verlassen: Das werden wir nicht.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben vor ein paar Tagen in einem Interview gesagt, dass Sie nicht John Wayne seien. Welche Filmfigur würde denn zu Ihnen passen?
BK Scholz: Die Frage könnte ich beantworten - mache ich aber nicht.
Zusatzfrage: Wie werden Sie nach der Sommerpause mit Ihren Koalitionspartnern mit Blick auf die ganzen Streitigkeiten umgehen? Werden Sie mehr Machtworte sprechen oder mehr moderieren?
BK Scholz: Mein Eindruck ist, dass alle das jetzt durchaus als einen Moment begreifen, in dem wir viel abgearbeitet haben, in dem wir aber auch noch viel vor uns haben, was wir dann weniger laut, aber weiter mit Ergebnissen zustande bringen werden - und die sollen dann auch schneller kommen. Ich glaube, das wird uns auch gelingen.
Frage: Herr Bundeskanzler, die Muslime hier in Deutschland leiden unter Rassismus und Diskriminierung, und die Attacken gegen die Muslime in Deutschland haben in letzter Zeit stark zugenommen. Gibt es eigentlich Pläne, den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden hier in Deutschland noch einmal zu verstärken?
BK Scholz: Mein Eindruck ist, dass wir als Gesellschaft einen hohen Respekt vor den unterschiedlichen religiösen Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger haben und dass uns das auch als Gesellschaft auszeichnet. Deshalb müssen wir umso strenger sein mit denjenigen, die zum Beispiel Gewalt ausüben oder die antisemitisch, antimuslimisch agieren oder auch antichristlich; es gibt ja alles. Eine Gesellschaft, die zusammenhält, muss tatsächlich von der Vorstellung von im weitesten Sinne guter Toleranz ausgehen.
Frage: Noch einmal zum Thema einer Bilanz, vielleicht nicht sozusagen Ihrer einmaligen Regierungszeit, aber des vergangenen Jahres: Sie haben eingangs über Ihre Erfolge gesprochen; wir haben viel über die AfD gesprochen, die nicht nur der SPD, sondern der Ampel insgesamt und sicherlich der Demokratie Schwierigkeiten bereitet. Was würden Sie dem kritischen Bürger, der sich von den Ampelparteien abwendet, sagen? Was waren die besonderen Erfolge dieses Jahres und wo sind Sie sehr kritisch - in diesem kleinen, intimen Rahmen -, was muss dringend besser werden, wo müssen Sie noch einen Zahn zulegen?
BK Scholz: Ich will mich einmal überwiegend mit dem ersten Teil aufhalten. Um es klar zu sagen: Es ist doch schon ein Erfolg, dass im Herbst des letzten Jahres alle große Angst hatten, dass wir es kalt haben werden, dass unglaublich viele Fabriken schließen müssen, dass wir eine Wirtschaftskrise erleben, die zehn Jahre dauert, dass wir jetzt aber da sind, wo wir sind, und völlig vergessen haben, dass wir da ein Problem hatten. Das ist, wenn man sich so viel Mühe gegeben hat, so weit zu kommen, etwas, worüber man denkt: Was sage ich eigentlich dazu? Eigentlich sage ich: Toll! Denn es bedeutet ja, dass an uns eine ganz große Krise vorbeigegangen ist. Das haben wir wirklich geschafft. Wenn man sich noch einmal umhört, was damals gesagt wurde - nicht nur hierzulande, sondern auch weltweit -, stellt man fest: Eigentlich hat niemand geglaubt, dass wir das bewältigen. Das haben wir aber, und das finde ich erst einmal einen guten Erfolg.
Nun könnte ich das, was ich eingangs gesagt habe, wiederholen. Das zu tun macht keinen Sinn; aber es war mir schon sehr wichtig, das zu sagen. Ich glaube, dass ich niemandem zu nahe trete, wenn ich sage: Wenn man weiß, dass man sich sowieso einigt, dann hilft es, dass man das auch immer zum Ausdruck bringt.
Frage: Herr Bundeskanzler, vor zwei Jahren sind bei der Flut im Ahrtal und in der Region mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Die EU-Kommission will den 15. Juli als Tag des Gedenkens für Opfer der Klimakrise benennen und begehen. In Deutschland selbst spricht man irgendwie weniger über die Klimatoten vor der Haustür als über verspätete Ferienflieger und den Heizhammer. Meine Frage ist: Warum schaffen es andere Länder, bei Tempolimit, Kurzstreckenflugverbot oder auch Einbau von Wärmepumpen so viel schneller als Deutschland voranzukommen? Ihre Regierung scheint sich da irgendwie im Klein-Klein zu verheddern, und am Ende kommt dann viel weniger raus, als reinging.
BK Scholz: Ich teile die Analyse nicht. Ich glaube, dass die Themen, die Sie gerade aufgerufen haben, eher zu dem Klein-Klein der großen Herausforderungen gehören, die wichtig sind, wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen. Dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt es schafft, 2045 CO2-neutral zu wirtschaften und gleichzeitig weiter vorne dabei zu sein und großes Wirtschaftswachstum und gut bezahlte Arbeitsplätze zu haben: Das ist Groß-Groß.
Zusatzfrage: Aber in Ihrer eigenen Koalition wird ja teils mit Desinformationen gearbeitet, was die Pläne der Bundesregierung angeht. Ist da nicht irgendwann der Punkt gekommen, wo Sie, wie bei den Reichsbürgern, einmal auf den Putz hauen oder die sprichwörtliche Bazooka rausholen?
BK Scholz: Ich kann Ihnen versichern, dass wir in der Koalition viel diskutieren, aber dass niemand eine so heftige Rede dem anderen gegenüber vorhat oder jemals vorhatte.
Vorsitzende Buschow: Ich weiß, dass einige Fragen noch unbeantwortet sind und übriggeblieben sind, bitte aber um Verständnis, dass wir jetzt trotzdem einen Punkt setzen müssen, weil der Kanzler einen Anschlusstermin hat. Das heißt nur, Herr Bundeskanzler: Sie sind hier jederzeit wieder herzlich willkommen - gerne auch vor demselben Zeitpunkt in einem Jahr. Danke, dass Sie gekommen sind!
BK Scholz: Schönen Urlaub!