Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz, Bundesminister Habeck und Bundesminister Lindner zur Kabinettsklausur der Bundesregierung am 31. August 2022

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BK Scholz: Am letzten Tag des Sommers heiße ich Sie, soweit Sie nicht schon gestern da waren, noch einmal willkommen hier in Meseberg in Brandenburg! Es ist ein guter Zeitpunkt für die Klausur der Bundesregierung - auch ein Zeitpunkt, an dem es darum ging, sehr wichtige Dinge miteinander zu besprechen, die für die Zukunft unseres Landes, aber auch weit darüber hinaus von allergrößter Bedeutung sind.

Wir haben uns mit der Sicherheitsstrategie beschäftigt, die Deutschland entwickelt, und haben natürlich ganz besonders die Sicherheitslage diskutiert und erörtert, die unser Land gegenwärtig sieht.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine Zeitenwende. Er bedeutet, dass wieder der imperialistische Versuch gemacht wird, mit Gewalt Grenzen zu verschieben. Deshalb ist es richtig, dass wir und alle unsere Freunde und Verbündeten die Ukraine dabei unterstützen, die eigene Integrität und Souveränität zu verteidigen. Das ist das, was wir tun, aber gleichzeitig müssen wir die veränderte Weltlage, die damit verbunden ist, sehr sorgfältig bewerten. Das hat Konsequenzen für die Zusammenarbeit in der Nato, das hat Konsequenzen auch für deren Erweiterung - wir begrüßen die Aufnahme von Finnland und Schweden sehr -, das hat Konsequenzen für die Rüstungsanstrengungen aller Mitgliedsländer der Nato, aber eben auch Deutschlands. Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht haben, um sicherzustellen, dass wir all die Anforderungen erfüllen können, die für eine sichere Zukunft unseres Landes erfüllt werden müssen.

Wir werden uns natürlich in der Welt umschauen müssen und sicherstellen müssen, dass wir neue Freundschaften und alte Freundschaften pflegen - in Asien, in Afrika, im Süden Amerikas -, um zu verhindern, dass diejenigen, die autoritäre Diktaturen voranbringen beziehungsweise führen, mit ihren politischen Konzepten durchkommen. Das gilt natürlich ganz besonders für Russland und dessen gefährliche Strategie, unter der jetzt so viele zu leiden haben - in der Ukraine, aber auch überall in der Welt.

Wir haben diese Fragen sehr sorgfältig erörtert, zusammen mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, dessen Land sich ganz aktiv um eine eigene Sicherheitsstrategie bemüht hat, und haben da unsere verschiedenen Perspektiven ausgetauscht. Wir haben diskutiert über unsere gemeinsamen Vorhaben in der Nato und die Zusammenarbeit, die unsere beiden Länder in der Zukunft weiter pflegen und fortsetzen wollen. Das war ein guter Austausch mit einem Freund und ein Austausch mit einem Regierungschef eines Landes, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Da spielen auch viele Fragen eine Rolle, die nicht nur militärische Sicherheit zum Gegenstand haben - zum Beispiel, wie wir unsere Energieunabhängigkeit gewährleisten können und wie wir dafür sorgen können, dass wir miteinander besser vernetzt sind. In diesem Sinne haben wir uns auch sehr dafür eingesetzt, dass es möglich wird, die Strom-, Gas- und Wasserstoffnetze in Europa enger miteinander zu verknüpfen.

Ich habe in Prag die Gelegenheit gehabt, über die Perspektiven, die diese veränderte Lage für Europa mit sich bringt, zu sprechen. Europa ist ein wichtiger Teil unserer Zukunft, ist die Zukunft, die wir alle miteinander haben. Wir müssen das, was uns vereint - die Demokratie, den Rechtsstaat, aber auch unser Konzept einer sozialen Marktwirtschaft in der Welt -, behaupten. Das geht nur mit einer geopolitischen Union, mit einer Europäischen Union, die sich darum bemüht, souverän und eigenständig in der komplizierter werdenden Welt agieren zu können.

Neben der Diskussion über die Sicherheitsfragen, die sich in dieser Hinsicht ergeben, haben wir natürlich ganz besonders intensiv die Fragen erörtert, die sich für die Energiesicherheit unseres Landes jetzt ergeben. Dazu haben wir auch mit Gästen gesprochen und auch unter anderem sorgfältig diskutiert. Man kann festhalten: Wir haben früh die Bedrohung erkannt, die daraus entstehen kann, dass Russland seine fossilen Exporte im Hinblick auf Kohle, Öl und Gas als Mittel nutzt, um Einfluss zu nehmen auf die Entscheidungen anderer Länder. Wir sehen das gerade jetzt bei den reduzierten Gaslieferungen, wo die Verträge, die Russland und seine Unternehmen abgeschlossen haben, nicht eingehalten werden.

Deshalb haben wir damit begonnen, all das auf den Weg zu bringen, was uns in die Lage versetzt, gut durch diesen Winter zu kommen, und wir können jetzt und an dieser Stelle sagen: All die Entscheidungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten getroffen haben, sind dazu geeignet, dass genau dieses Ziel, dass wir als Land den Winter überstehen können und das für unsere Volkswirtschaft hinbekommen, auch wirklich schaffen können. Wir haben entschieden, neue Terminals an den norddeutschen Küsten zu bauen. Wir haben entschieden, in unseren Gasspeichern Gas einzuspeichern, und haben hohe Füllstände erreicht. Wir haben entschieden, Kohlekraftwerke wieder in den Betrieb zu nehmen. Wir haben jetzt ganz aktuell entschieden, dass wir mit großem Tempo und unter Beachtung aller Umweltstandards möglich machen, dass es einen „fuel switch“ in den Betrieben gibt, sodass sie sich da, wo sie heute Gas einsetzen, unabhängig vom Gas machen können - auch da hat das Umweltministerium großartige Arbeit geleistet. Wir werden weitere Entscheidungen dieser Art treffen, damit uns das gelingt.

Zugleich wissen wir, dass es nicht nur um die Frage der Energieversorgung geht, sondern auch um die Preise. Deshalb werden wir nicht nur aus dieser Diskussion, sondern auch aus all den Debatten, die wir in diesen Tagen führen, Entscheidungen ableiten, die dazu führen, dass die Preise nicht durch die Decke schießen und dass wir gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger entlasten können. Parallel zu den Gesprächen hier, aber auch noch in den nächsten Tagen, wird es darum gehen, ganz sorgfältig ein sehr präzises, ein sehr maßgeschneidertes Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln und damit dazu beizutragen, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, aber auch die Unternehmen diese schwierige Zeit gut durchstehen können, sodass wir nicht nur eine ausreichende Versorgung mit Energie haben, sondern auch ein wirtschaftliches und soziales Umfeld, das für alle Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen gute Perspektiven beinhaltet, auch wenn die Zeiten schwer sind. Diese Arbeit werden wir bald abschließen.

Neben diesen Themen, die sich mit den Herausforderungen für Sicherheit und Energie beschäftigen, hat es hier auch andere Fragen gegeben, die wir verhandelt haben und die für die Zukunft unseres Landes von allergrößter Bedeutung sind. Die berufliche Bildung war eines dieser Themen. Das halten wir alle gemeinsam für die wichtigste Ausbildung, die in Deutschland unverändert existiert - etwas, das aus Deutschland kommt und das nirgendwo in der Welt in gleicher Weise ausgebildet ist, wie das bei uns der Fall ist. Deshalb wollen wir alles dafür tun, dass möglichst viele junge Leute eine solche berufliche Bildung ergreifen können und dass sie die Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, der zu ihnen passt, und damit eine Grundlage für ihr Leben zu schaffen, die sie durch die ganze Zeit ihres Berufslebens trägt. Umgekehrt wollen wir die Unternehmen ermuntern und dabei unterstützen, genügend Angebote für die berufliche Bildung zu machen.

Zuletzt haben wir uns natürlich mit dem wichtigen Zukunftsthema der Digitalisierung beschäftigt und heute auch dann im Kabinett eine Digitalstrategie beschlossen, die dazu beitragen soll, dass unser Land sein Potenzial tatsächlich entfaltet. Denn wir wollen uns nicht mit den internationalen Rankings über den Digitalisierungsgrad der öffentlichen Verwaltung, der Infrastruktur in Deutschland, aber auch des ganzen Umfeldes unseres Landes abfinden, die veröffentlicht werden, und wollen vorankommen. Das ist genau das, was wir uns heute fest vorgenommen haben und worüber wir noch einmal sorgfältig diskutiert haben.

Alles zusammengefasst heißt das: Wir haben die wichtigen Themen der Sicherheit besprochen, was Energie und äußere Sicherheit betrifft. Wir haben Zukunftsfragen besprochen. Wir haben das in einer guten und sehr konstruktiven Atmosphäre miteinander getan und hier auch gewissermaßen noch einmal die Gelegenheit genutzt, uns unterzuhaken, damit wir als Regierung die wichtigen Entscheidungen vorbereiten und treffen können, die jetzt anstehen, damit es für alle Bürgerinnen und Bürger eine gute Entwicklung in der schwierigen Zeit gibt, in der wir uns jetzt wegen des russischen Angriffskriegs befinden. Schönen Dank!

BM Habeck: Sehr geehrte Damen und Herren, auch noch ein paar ergänzende Sätze von mir: Vielleicht erlauben Sie mir, dass ich einmal kurz persönlich anfange. Das hat nichts mit der Klausurtagung und auch nichts mit dem Regierungshandeln zu tun. Der Bundeskanzler hat heute Morgen schon Michail Gorbatschows gedacht, der ja auch dafür steht, wie sich die Beziehungen zwischen Russland und Europa hätten weiterentwickeln können. Nun gibt es einen weiteren Politiker, der heute verstorben ist, Christian Ströbele, einen Politiker, der vielen Menschen imponiert hat - mir auch -, und zwar wegen seiner Geradlinigkeit und seines unverbrüchlichen Einsatzes für Bürgerrechte und soziale Politik, und der fehlen wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenige Anmerkungen zu dem, was der Bundeskanzler gesagt hat: Es ist in der Tat so, dass die Vorbereitungen auf den Winter früh angefangen haben, was die Energieversorgungssituation in Deutschland angeht. Weil wir so früh angefangen haben, haben wir Antworten und haben einen Fortschritt erzielt, der es uns jetzt erlaubt, gerüstet in den Winter zu gehen. Ich will noch einmal unterstreichen, was der Sinn dieser ganzen Übung war, nämlich die Gasversorgung und auch die mit anderen Energieträgern immer verfügbar zu haben und bereitzustellen. Die Gasreserven, die wir angelegt haben, sind dafür da, dass sie wieder ausgespeichert werden. Das heißt, sie werden nicht dem Markt entzogen, sondern stehen dem Markt zur Verfügung.

Zweitens werden wir, und darüber haben wir schon gesprochen, verschiedene Maßnahmen ergreifen, um die Preise nicht durch die Decke gehen zu lassen. Es wird daran gearbeitet, das Marktdesign so zu verändern, dass bei funktionierendem Markt - wir brauchen ja ein Preissignal; die Märkte sind so komplex, dass keine Regulierungsbehörde entscheiden kann; wir brauchen also das Marktsignal - die senkenden Effekt bei den erneuerbaren Energien, aber auch bei einigen fossilen Energien trotzdem an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden können, sodass wir dann einen senkenden Effekt aus dem Markt heraus generieren und nicht nur, verniedlicht gesagt, die Symptome und die schlimmen Auswirkungen dieser enormen Preise auf die Wirtschaft und auf die Verbraucherinnen und Verbraucher korrigieren oder heilen, sondern auch die Ursache zu glätten oder zu beheben versuchen.

Damit bin ich ganz kurz bei der Situation der deutschen Wirtschaft. Wir hatten ja gestern bei den Diskussionen um die Energie Herrn Siegfried Russwurm, BDI-Präsident, zu Gast. Aber auch sonst wissen alle Kabinettsmitglieder aus ihren vielen Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern, wie bedrückend die Situation für viele produzierende Betriebe ist. Nicht nur die großen Industrieunternehmen, auf die man immer schaut, sondern viele im Mittelstand und im Handwerk - immer da, wo Energie ein wesentlicher Faktor des eigenen Geschäftsmodells ist - , drückt der Schuh; das ist eine Metapher, die man vielleicht früher genutzt hätte. Da geht teilweise die schiere Angst um, den Betrieb weiter vorhalten zu können.

Die Unterstützungsmaßnahmen haben wir kurz skizziert. Wichtig ist, diesen Betrieben auch eine Zukunft zu geben, das heißt, die politischen Maßnahmen so zu wählen, dass wir nicht nur den Tag bestehen, sondern dass es eine klare Entwicklungsperspektive dafür gibt, alternative Energien, die Versorgung des Betriebs und des Unternehmens mit neuen Energiequellen, aber auch die Effizienz zu nutzen, die in der Digitalisierung liegt - das ist der ökonomische Sinn der Digitalisierungsstrategie, die wir heute aufgestellt haben -, und natürlich auch neue Technik und neue Entwicklungen nach vorne zu bringen. Dabei greifen Digitalisierung und die Energiepolitik ineinander. Die Förderprogramme und die Ausrichtung, die wir heute noch einmal scharf gestellt haben und als Strategie beschlossen haben, zielen genau in diese Richtung. Wir müssen diesen Winter überstehen - als Land, als Gesellschaft, als Ökonomie -, um dann die Zukunft selbstbewusst und stark zu gestalten.

BM Lindner: Meine Damen und Herren, ich kann an die letzten Worte von Robert Habeck anknüpfen, weil das, wie ich glaube, diese Klausurtagung charakterisiert hat: einerseits aktuelle Krisenbewältigung, andererseits durch die Krise durchschauen und sich für Zukunftsgestaltung öffnen. Das stand im Zentrum unserer Beratungen.

Wir haben ein Gespräch zur Situation an den Energiemärkte geführt, das mir noch einmal ganz deutlich gemacht hat: Wir brauchen ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft. Daran wird hier auch gearbeitet. Zum anderen müssen wir aber an die Wurzel der Probleme herankommen, und um es ganz klar zu sagen: Wir erleben insbesondere an den Strommärkten Spekulation. Es gibt an den Strommärkten Regeln, die eine Art politisch gemachten Rendite-Autopiloten etabliert haben, Regeln, die dazu führen, dass die steigenden Gaspreise zu Extrarenditen, zu Zufallsgewinnen an anderen Stellen führen. Neben der Entlastung müssen wir an diese Quellen steigender Preise herangehen - darauf haben wir uns verständigt - und arbeiten intensiv weiter, wenn es darum geht, was wir tun können, um Verunsicherung im Markt zu reduzieren, die zu Spekulation und Knappheit führt, und auf der anderen Seite die Marktregeln so anzupassen, dass dieser Rendite-Autopilot abgeschaltet wird.

Wir haben dann in Richtung der Zukunftsfragen geschaut. Wir reden alle über Digitalisierung; wir heute hier auch. Wir reden über die Transformation der Gesellschaft. Aber wer macht denn das? Das passiert ja nicht von alleine. Irgendjemand muss die Wärmepumpe ja auch installieren, irgendjemand muss auch die Kabel verlegen. Digitalisierung und ökologische Transformation passieren also nicht von alleine, das wird nicht irgendwo bestellt oder es wird ein Schalter umgelegt, sondern das muss realisiert werden. Dafür brauchen wir Profis in der Praxis, die aus der beruflichen Bildung kommen. Das war deshalb hier ein Schwerpunkt unserer Klausurtagung.

Wir haben auch sehr konkrete Maßnahmen in den Blick genommen, zum Beispiel eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Was steckt dahinter? Die Begabtenförderwerke, die wir haben und mit denen Akademikerinnen und Akademiker unterstützt werden, sollen zukünftig auch für Auszubildende geöffnet werden. Auch diejenigen, die eine Karriere in der beruflichen Bildung mit einem Ausbildungsberuf anstreben, sind ja Toptalente, und die sollen deshalb auch entsprechend gefördert werden. Das hebt zugleich ja auch den Stellenwert der beruflichen Bildung auf Augenhöhe mit den akademischen Berufen. Die Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung ist also eine der Maßnahmen, die wir für die Stärkung der beruflichen Bildung beschlossen oder ins Auge gefassten haben, wie ich sagen will.

Dann zur Digitalisierung selbst: Wir haben jetzt erstmals als Bundesregierung eine umfassende Digitalisierungsstrategie vorgelegt. Die Vorgängerregierung hatte auch so etwas. Das war aber, sage ich einmal, eher eine Art Loseblattsammlung, bei der alle Ressorts etwas zugeliefert haben, ohne dass das in einen kohärenten Rahmen geführt worden ist. Genau dieser Mangel wurde heute behoben. In der Kabinettssitzung haben wir das auch beschlossen. Das ist ein Schlüssel für die digitale Zukunft Deutschlands.

Ein Kernprojekt wird die digitale Identität - so etwas wie ein digitaler Personalausweis - sein. Das hört sich ein bisschen bürokratisch an. Ach, Mensch, was macht die Regierung? Sie will den Personalausweis digitalisieren und nennt das digitale Identität. - In Wahrheit eröffnet das aber einen Möglichkeitsraum für neue Verwaltungsdienstleistungen und auch für neue Dienstleistungen aus der Privatwirtschaft, die eine Voraussetzung haben, nämlich dass man sich rechtssicher, transparent und gemäß Datenschutzgesichtspunkten identifizieren kann. Es gibt also von den Finanzdienstleistungen bis hin zu Verwaltungsdienstleistungen eine Voraussetzung, die digitale Identität, und dieses Schlüsselprojekt wollen wir jetzt mit Macht vorantreiben.

Dann wird es am Ende auch viel leichter als heute möglich sein, zum Beispiel eine beliebte Verwaltungsdienstleistung elektronisch abzubilden, nämlich die Steuererklärung. Dafür haben wir ja jetzt mit ELSTER schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Aber unser Ziel ist, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode bei der digitalen Abgabe der Steuererklärung, um jetzt nur ein Beispiel zu nennen, wesentlich leichter vorangehen können, bis hin zur digitalen Belegführung. Wer weiß, vielleicht sind wir sogar irgendwann einmal so weit, dass man mit künstlicher Intelligenz sogar erkennt, was für ein Beleg das ist, und der dann automatisch in die Steuererklärung eingeführt wird.

Die Krise muss also bewältigt werden. Da gehen wir auch mit großer Entschiedenheit gemeinsam heran. Aber darüber hinaus vergisst diese Bundesregierung die gemeinsame Zukunftsgestaltung nicht. Bei der Bildung und der Digitalisierung gibt es heute zwei große weitere Meilensteine.

Frage: Herr Minister Lindner, was unterscheidet die Abschaltung des Rendite-Autopiloten von einer Übergewinnsteuer?

Herr Minister Habeck, wie stehen Sie zu dem Vorschlag der Ministerpräsidenten Schwesig und Söder, eine staatliche Deckelung auf den Gaspreis bei 80 Prozent des Grundbedarfs festzusetzen?

Herr Bundeskanzler, in der Grünenfraktionsspitze heißt es, Sie hätten Erinnerungslücken im Cum-Ex-Skandal und gäben ansonsten eine schlechte Performance ab. War Meseberg jetzt so etwas wie ein Neuanfang? Wann genau mündet der in den Koalitionsausschuss, der das dritte Entlastungspaket beschließt?

BM Lindner: Bei der sogenannten Übergewinnsteuer würde mit den Mitteln des Steuerrechts ein im Markt angefallener Gewinn in den Bundeshaushalt überführt, um damit dann zu arbeiten. An solche Konzepte sind hohe rechtliche, ökonomische und haushalterische Ansprüche zu stellen. Die Länder in Europa, die solche Instrumente eingeführt haben, haben damit in der Praxis durchaus Probleme. In Italien etwa gibt es bereits 20 Klagen. Deshalb muss man mit diesem Instrument in der Argumentation sehr sorgfältig umgehen. Das ist kein Allheilmittel.

Davon zu unterscheiden ist das Strommarktdesign, bei dem wir - ich glaube, das ist unstrittig; Robert Habeck hat es ja gerade auch bereits angesprochen - gegenwärtig die paradoxe Situation haben, dass der gestiegene Gaspreis auch den Strompreis derjenigen bestimmt, die zum Beispiel mit der Sonne Strom produzieren. Die bezahlen aber nicht für das teure Gas. Sie erlösen aber so, als hätten sie Gas einkaufen müssen. Wege zu finden, wie das im Marktdesign ausgeschlossen werden kann, sodass Extrarenditen gar nicht entstehen, unterscheidet das von dem anderen Konzept; denn hiermit würde ja ohne Umweg über den Bundeshaushalt unmittelbar eine Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie des Gewerbes erreicht werden. Die Bundesregierung hatte angekündigt, dass sie sich mit diesen Fragen beschäftigt. Robert Habeck hat das gerade ausgeführt.

BM Habeck: Dann erlauben Sie mir, ganz kurz auf die, wie ich sagen würde, Unterstellung einzugehen, die die Frage an den Bundeskanzler grundiert hat. Diese Klausur hat noch einmal mehr gezeigt, und das hat auch das letzte dreiviertel Jahr gezeigt - ich glaube, ich spreche für das gesamte Kabinett, und ich spreche für die grünen Kabinettsmitglieder, aber sicherlich auch für die anderen Kollegen und für mich persönlich allemal -, wie gut es ist, dass Olaf Scholz diese Regierung führt. Mit seiner Erfahrung, mit seiner Umsicht und mit seiner Ruhe führt er dieses Land sicher, und ich bin froh, dass es genau so ist.

Zur fachlichen Frage: Es gibt im Grunde drei Dinge, die man unterscheiden muss.

Erstens das, was Christian Lindner gerade zumindest umrissen hat, nämlich eine Preissenkung durch eine veränderte Struktur im Markt, denn sonst könnten wir wahrscheinlich die Energieversorgungssicherheit nicht mehr gewährleisten. Das ist so komplex, und das sind so viele Einspeisevorgänge und auch Entnahmevorgänge, dass man das nicht mehr analog regulieren kann.

Es geht also darum, die günstigen Effekte von bestimmten Produktionen - Christian Lindner hat ja darauf hingewiesen, dass es ganz wesentlich die erneuerbaren Energien, aber auch Kohle und, solange wir sie haben, auch Atomkraftwerke sind, die günstiger produzieren als Gaskraftwerke -, an die Verbraucher durchzureichen. Das würde dann die Strompreise beispielsweise für die Haushalte, aber auch für die Unternehmen direkt senken.

Ich glaube, es ist nicht besonders geheimnisvoll, wenn man sich vorstellt, dass es eine durchaus komplizierte Operation ist, im Markt die Regeln zu verändern, ohne dass der Markt umfällt. Das ist das Erste und wird, wie jetzt schon zwei- oder dreimal gesagt, angegangen.

Das Zweite ist die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.

Das Dritte ist, bei immer noch höheren Preisen Kontingente in den Haushalten zu schaffen, die die Bürgerinnen und Bürger beim Strompreis entlasten. Das Erste und das Zweite, was ich sagte, steht in einer gewissen Verbindung. Dass man, wenn man die Preise wieder günstiger machen kann, das vielleicht weniger braucht, ist ja offensichtlich.

Ich würde jedem Modell eine Absage erteilen, das sagt: Wir deckeln oben. Dann ist das Preissignal weg. Wenn das Signal gegeben wird „Ihr könnt Gas verbrauchen als gäbe es kein Morgen“, dann ist das in diesem Winter eine echte Herausforderung. Für Strom gilt im Grunde das Gleiche.

Was man gut überlegen kann und energiepolitisch durchaus sinnvoll ist, ist, im unteren Bereich ein bestimmtes Kontingent preislich zu reduzieren und in der Spitze, also da, wo die Verbräuche nach oben steigen können, den Markt weiter walten zu lassen. So verstehe ich den Vorschlag. Er ist jedenfalls nicht neu und auch seit Wochen in der politischen Diskussion. Zwei Dinge wären dabei zu berücksichtigen:

Erstens. Wer zahlt die Differenz, die auftritt? Das sind durchaus erhebliche Summen. Diese Maßnahmen stehen natürlich in Konkurrenz oder zumindest in einem Spannungsverhältnis mit anderen Entlastungsmaßnahmen. Damit verbunden ist der zweite Punkt: Wie sozial genau und wie bürokratisch ist diese Maßnahme? Da die Energieversorger in der Regel an Haushalte liefern und gar nicht wissen, wer dahintersteht, ist die nicht besonders spezifisch. Trotzdem ist es ein Modell, das wir seit Längerem prüfen und das ich überhaupt nicht ausschließen will. Nur wäre es politisch zu entscheiden, ob die Kosten und die sozialpolitische Entlastung so zielgenau sind, dass es besser geeignet ist als die anderen Maßnahmen, die wir eben zumindest angerissen haben, also Preise über den Markt beziehungsweise direkte Unterstützung über andere Systeme.

BK Scholz: Die Regierung arbeitet sehr gut zusammen, wie man auch hier in Meseberg sinnlich erfahren konnte. Das war sehr freundschaftlich und sehr konstruktiv. Das hat natürlich auf die Arbeit aufgebaut, die wir seit Beginn unserer gemeinsamen Zeit geleistet haben. Es sind große Herausforderungen, vor denen die Regierung steht. Wir haben weitreichende Entscheidungen getroffen, die niemand im letzten Jahr vorhergesehen hat. Das kann man, glaube ich, für das ganze Land so sagen.

Wir haben entschieden, dass wir die Bundeswehr besser ausstatten, dass wir ein Sondervermögen auf den Weg bringen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Ukraine militärisch unterstützt wird. Wir haben sehr rechtzeitig in großer Geschwindigkeit Entscheidungen getroffen, die dazu beigetragen haben, dass Deutschland jetzt, wo der Sommer zu Ende geht, viel, viel besser auf einen schwierigen Winter vorbereitet ist, als das vor einem Jahr der Fall gewesen wäre. Wir haben damit so rechtzeitig angefangen, dass die Maßnahmen jetzt auch rechtzeitig wirken. Hätten wir das nämlich getan, als die öffentlichen Debatten zu den Themen jeweils losgegangen waren, wäre es immer schon zu spät gewesen. Ich will das nur einmal am Thema der Gasspeicher festmachen. Das ist eine Debatte, hinsichtlich derer die Regierung Entscheidungen getroffen hat, als sich alle noch nicht sicher waren, dass wir überhaupt ein Problem bekommen könnten. Wir waren aber sicher, dass es eintreten könnte und haben es getan.

Als eine Regierung der Tat wollen wir auch weiter wirksam sein, wie wir das mit den beiden ersten Entlastungspaketen gemacht haben und mit dem nächsten auch machen werden. An dem arbeiten wir übrigens innerhalb der Regierung sehr vertraulich, sehr sorgfältig und in enger Rückkoppelung mit all unseren Freundinnen und Freunden in der Regierungskoalition, damit es ein sehr gutes und gut geschneidertes Programm wird, das die Bürgerinnen und Bürger und auch die Unternehmen wirklich substanziell unterstützt. Dass Sie davon nicht so viel mitbekommen haben, macht mich professionell stolz.

Zuruf: Wann wollen Sie dann - - -

BK Scholz: Das werden Sie dann rechtzeitig mitkriegen. Auch das möchte ich mit Klarheit sagen.

Frage: Herr Lindner, ich habe eine Nachfrage zu dem, was Sie gesagt haben. Sie haben eben von einem „wuchtigen“ Entlastungspaket gesprochen. Vielleicht können Sie zahlenmäßig etwas unterlegen, in welchen Größenordnungen wir denken. Die ersten beiden Entlastungspakete betrugen 30 Milliarden Euro. Sie haben davon gesprochen, dass noch Spielraum im Haushalt 2022 gesucht werden könnte, 2023 aber erhebliche Mittel da sind. Vielleicht können Sie das etwas präzisieren.

Herr Habeck, Sie haben zur Gaseinsparungen aufgerufen. Der BDI hat gestern gesagt – wahrscheinlich haben Sie das von Herrn Russwurm auch gehört -, dass die jetzigen Einsparungen – im Juli 21 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum -, eher besorgniserregend sind, weil sie nämlich auf Produktionseinstellungen oder Produktionsverlagerungen ins Ausland zurückzuführen sind. Teilen Sie diese Einschätzung? Was würden Sie sagen, wo wir bei den Gaseinsparungen stehen?

BM Lindner: Wir gehen ja sehr sorgfältig mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um und überlegen auch im Haushaltsvollzug sehr genau: Was können wir leisten, was können wir nicht leisten? Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass es in diesem Jahr 2022 noch Spielräume geben wird. Wenn man die Steuereinnahmen einerseits und den Haushaltsvollzug andererseits sieht, gehe ich davon aus, dass wir in einem einstelligen Milliarden-Euro-Bereich noch über Spielräume verfügen werden. Im nächsten Jahr sind die Spielräume größer. Da haben wir ja schon Vorsorge getroffen. Schon im Entwurf des Bundeshaushalts, den das Bundeskabinett beschlossen hat, haben wir Vorsorgepositionen vorgesehen, sodass wir im nächsten Jahr in der gesamtstaatlichen Wirkung, also unter Beteiligung der Länder, von einem zweistelligen Milliardenbetrag an Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger ausgehen können. Das ist insgesamt also eine sehr beachtliche Entlastung beziehungsweise Unterstützung für sozial Schwächere.

BM Habeck: Der deutsche Gasverbrauch teilt sich etwa so auf, dass 12 bis 15 Prozent im Strombereich zu verorten sind und damit jeweils die Hälfte im Wesentlichen bei privaten Verbräuchen heizen. Das findet ja im Winter statt; ein Teil davon natürlich auch noch bei der Warmwasserzubereitung, die auch im Sommer stattfindet. Klarerweise waren aber in den letzten Monaten die Möglichkeiten für die privaten Haushalte, Gas zu sparen, eigentlich sehr reduziert. Die Kampagne, die Unterstützung, aber auch die Regulatorik, die wir angeschoben haben, zielten darauf, dass im Winter die privaten Haushalte ebenfalls ihre Gasverbräuche reduzieren, um ihren Beitrag zu leisten.

Bleibt die Industrie. Deswegen hat Herr Russwurm recht: Der Löwenanteil, der jetzt an Gasreduktionen erbraucht wurde, hat geholfen, dass die Speicher so gefüllt werden konnten, wie sie gefüllt wurden - heute über 83 Prozent –, und wurde von der Industrie erbracht. Ein Teil durch Fuel Switch, also Nutzung von anderen Möglichkeiten, teilweise Ölkessel, die noch vorhanden waren, oder auch Kohleverstromung, teilweise auch, indem man Investitionen in alternative Energien oder Effizienzmaßnahmen vorgezogen hat oder endlich realisieren konnte; ein Teil, indem die Produktion gedrosselt wurde, also nicht 100 Prozent durchließ, sondern nur einen geringeren Prozentanteil; ein Teil aber auch, weil Produktion eingestellt wurde.

Das ist, so sehr es geholfen hat, natürlich besorgniserregend, weil die Zeit der ganz billigen Gaspreise - ein Geschäfts- und Wirtschaftsmodell also, das darauf gebaut hat, das wir aus Russland im Weltmarktvergleich das Gas günstiger bekommen als andere Regionen - so schnell, vielleicht auch gar nicht, nicht wiederkommen wird. Deswegen hat Herr Russwurm recht: Diese Nachricht ist keine gute Nachricht. Sie hilft, ist aber keine gute Nachricht, weil sie jeweils in den betroffenen Industriezweigen bedeuten kann, dass dort ein Strukturwandel und, wenn es unter großem Druck läuft, auch ein Strukturbruch passieren kann.

Wir antworten darauf – auch das ist Teil der Klausurtagung gewesen –, indem wir die arbeitspolitischen Maßnahmen – Kurzarbeitergeld -, die in Bezug auf Corona eingeführt wurden, fortführen werden und die Industrien unterstützen, alternative Produktionsformen, auch alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Denn die Annahme, dass die Gasversorgungswelt mit den günstigeren Preisen von vor Februar 2022 wieder zurückkommt, kann ja keiner ernsthaft hegen. Also brauchen wir für die Zukunft Unterstützung - ich habe es vorhin angedeutet – und Unterstützung für die Menschen in diesen Betrieben. Die brauchen wir nicht nur - wir sind ja die Regierung -, wir bringen die.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben sich ja heute Morgen schon zum Tod von Michail Gorbatschow geäußert und seine Bedeutung für Deutschland gewürdigt. Mich würde interessieren, ob Sie sich vorstellen können oder wünschen würden, zu seiner Beisetzung oder zu einer Trauerfeier nach Moskau reisen zu können. Glauben Sie, dass das angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine überhaupt für internationale Gäste möglich sein wird?

Eine Nachfrage zum Entlastungspaket, vielleicht an Sie alle drei: Die Ampelkoalition hatte sich in den Koalitionsverhandlungen vorgenommen, wichtige Entscheidungen nicht mehr in Nachtsitzungen und ohne Durchstechereien zu treffen. Mich würde interessieren, ob Sie glauben, dass Ihnen das beim Entlastungspaket auch gelingen wird. Wahrscheinlich wird die Entscheidung ja in den nächsten Tagen in einem Koalitionsausschuss fallen.

BK Scholz: Na ja, bisher ist es ohne Nachtsitzungen und auch ohne Durchstechereien gegangen. Das muss man sehr klar dazu sagen. Deshalb kann man die Prognose machen: Es wird wohl wieder klappen, dass das auch bis zum Ende so bleibt. Wir arbeiten wirklich intensiv daran; das habe ich vorhin schon gesagt und betont.

Ich glaube, das ist jetzt nicht der Ort oder Zeitpunkt, über Reisen zu reden. Aber vielleicht darf ich Ihre Frage für eine Bemerkung nutzen: Ich hoffe, dass der russische Staat seinem früheren Staats- und Regierungschef die Ehre erweist, die ihm gebührt.

Frage: Ich habe auch eine Frage zum Entlastungspaket, die sich in erster Linie an den Finanzminister, vielleicht auch an den Bundeskanzler richtet. Der Vorschlag, auf den sich die meisten Leute einigen können und den die meisten befürworten, wäre ja eine eventuelle Einmalzahlung an die Bürger bis zu einer gewissen Einkommensgrenze. Das ist ja nun seit Ewigkeiten im Gespräch. Etwas Ähnliches stand schon im Koalitionsvertrag für den CO2-Preis. Die Antwort der Regierung ist immer nur: Das geht nicht, weil wir den Bürgern kein Geld überweisen können, weil wir keine Kontonummern haben. - Warum ist das so schwierig? Besteht irgendeine Aussicht, dass sich daran noch irgendetwas ändert, oder haben Sie das schon komplett aufgegeben?

BM Lindner: Die Absicht ist klar. Es ist ein Vorhaben des Koalitionsvertrages, dass wir in der Lage sein wollen, Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Menschen zurückzugeben. Das ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, sondern wäre auch ein echter Anreiz, individuell den CO2-Fußabdruck zu verkleinern.

Das ist aber ein sehr voraussetzungsvolles Vorhaben, Herr Bollmann. Es hört sich so einfach an, und man - vielleicht auch ich vor einem Jahr - würde sagen: Ja, das machen wir mal eben. - Nein, das ist komplizierter. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen wir jetzt, indem die Möglichkeit der Verbindung von Steuernummer und IBAN geschaffen wird. Das kommt in die Abgabenordnung. Die Rechtsetzung läuft. Das bekommen wir in Kürze hin.

Aber dann beginnt die technische Umsetzung. Dann müssen nämlich bei der Behörde, die es macht - eine Entscheidung darüber muss noch getroffen werden -, Steuernummer und IBAN zusammengebracht werden. Nun sind wir aber einige Deutsche. Also muss man einige IBAN einsammeln. Ein paar sind schon vorhanden, etwa bei den Sozialversicherungen und beim Finanzamt. Das zu integrieren, diese ganzen Daten zusammenzubauen, dauert nach den Angaben der Expertinnen und Experten in meinem Haus, hier insbesondere im Bundeszentralamt für Steuern, mal eben 18 Monate.

Es geht aber noch weiter. Nach den mir vorliegenden Zahlen wäre die öffentliche Verwaltung mit ihrer IT gegenwärtig nur dazu in der Lage, 100 000 Überweisungen pro Tag vorzunehmen. Überlegen Sie, wie viele Deutsche wir sind! Wie lange braucht es, bis 100 000 Überweisungen pro Tag an Millionen von Menschen getätigt sein werden? Sie werden verstehen, dass es nicht so einfach ist, als dass man sagen könnte: Der Koalitionsausschuss beschließt. Geld ist im Haushalt da. Wir drücken auf einen Knopf. Das werden wir schnell los.

Zu Ihrer Frage: Wir haben in diesem Jahr andere Möglichkeiten für Einmalzahlungen genutzt, beispielsweise die Energiepreispauschale. Der Bundeskanzler hat bei verschiedenen Gelegenheiten schon zum Ausdruck gebracht, dass auch er bei Rentnerinnen und Rentnern im Winter einen Handlungsbedarf sieht. Ich finde diese Einschätzung des Bundeskanzlers nachvollziehbar. Dafür würde es technisch gangbare Wege geben.

StS Hebestreit:  Wollte noch jemand hier antworten?

BK Scholz: Ich denke, das muss hier nicht weiter erörtert werden. Wir arbeiten an einem großen Bauwerk. Die Architektur dieses Bauwerks hängt von allen Einzelteilen ab, die aber nur zusammen eine gute Konstruktion ergeben. Daran sind wir zugange. Es wurde eben schon gesagt, dass wir bestimmte Dinge getan haben. Nur ein kleiner Hinweis: Im September ist auch der Zeitpunkt, zu dem die Energiepreisprämie die Bürgerinnen und Bürger erreicht.

Frage: Herr Minister Lindner, die Reform des Strommarktdesigns ist langwierig. Eigentlich müsste man das auch europapolitisch angehen. Jetzt wird im Hause Minister Habecks ein Konzept erarbeitet, um zum Beispiel beim Strommarkt bei Braunkohlekraftwerken oder Windenergieanlagen oder Solaranlagen die hohen Gewinne - teilweise sind es im Moment über 900 Euro je Megawattstunde - bei den Preisen abzuschöpfen.

Wäre es für Sie für die Übergangsphase, bis man zu einem neuen Strommarktdesign gekommen ist, ein Modell, dieses Geld abzuschöpfen, um auch Entlastungen zu finanzieren?

An den Bundeskanzler und Minister Habeck geht die folgende Frage: Herr Lindner hat sich jetzt dafür ausgesprochen, dass man das Neuneuroticket bundesweit in anderer Form fortführen kann. Könnte das Teil des neuen Pakets sein? In welcher Größenordnung könnte man dafür planen, 49 Euro, 69 Euro? Herr Lindner hat es quasi den Ländern anheimgestellt. Aber vielleicht haben Sie Preisvorstellungen.

BM Lindner: In Ihrer Frage sind aber schon sehr viele Feststellungen. Zum Strommarkt wird Robert Habeck berichten und nicht ich. In Ihrer Frage trafen Sie die Feststellung, das alles würde sehr lange dauern. Ich habe nur gelesen, dass Ursula von der Leyen und die Europäische Kommission das jetzt gerade ganz oben auf die Tagesordnung genommen haben. Aber mehr dazu von Robert.

Zur Nachfolge für das Neuneuroticket habe ich zunächst einmal nur gesagt - Olaf Scholz sagt dann als Bundeskanzler etwas im Gesamtzusammenhang -, dass Volker Wissing etwas bahnbrechendes erreicht hat, nämlich den Tarifdschungel in Deutschland über drei Monate zu lichten. Das hat den ganzen ÖPNV, hat alle Öffis für viele attraktiver gemacht. Man kauft das Ticket in Berlin und steigt auch in München ein. Das ist der Riesenvorteil gewesen. Er hat mich davon überzeugt, dass er mit einem Bruchteil der Bundesmittel, die wir für das Neuneuroticket im Jahr einsetzen würden, in der Lage wäre, so etwas bundesweit zu realisieren, wenn die Länder mitmachen. Wenn man mit einem Bruchteil von 14 Milliarden Euro - das würde das Neuneuroticket bundesweit für ein Jahr kosten - solch eine Innovation bei den Öffis erreichen kann, dann kann man dazu nicht Nein sagen.

BK Scholz: In der Tat haben sehr viele, auch der eine oder andere hier - man kann ja selbst einmal nachgoogeln -, als wir das Neuneuroticket vorgestellt haben, gesagt: Was ist denn das für eine Idee? - Jetzt, nachdem das fast drei Monate lang gewirkt hat, haben alle den Eindruck, dass viel Innovatives dabei gewesen ist. Zu den Innovationen gehört das, was Christian Lindner eben vorgestellt hat. Dazu gehört auch die Einfachheit. Deshalb ist der Verkehrsminister in der Tat lange daran, sich zu überlegen, was man da tun kann.

Aber noch einmal: Über das Gesamtkonzept, das wir miteinander vereinbaren werden, sprechen wir, wenn es fertig ist. Das gehört, denke ich, zum guten Hausbau dazu, und das wollen wir gern auch so machen.

Ich will gern noch einmal unterstreichen, dass die Bewegung in Europa jetzt ganz massiv ist. Das kann ich aus vielen Kontakten berichten, die ich mit europäischen Staats- und Regierungschefs hatte, die sagen: So geht es nicht weiter. - Den Schmerz, den wir darüber haben, dass jetzt Gewinne erzielt werden, die niemand richtig finden kann, weil billig Strom produziert wird und man von der Tatsache profitiert, dass es eine kleine, begrenzte Menge von Kraftwerken gibt, die mit Gas Strom produzieren, haben alle anderen auch. Dass wir das nicht einfach auf sich beruhen lassen können, ist offensichtlich. Ich habe auch mit dem Ratspräsidenten, dem tschechischen Ministerpräsidenten, darüber gesprochen. Auch er will das auf seine Tagesordnung setzen und Druck machen, dass es schnell geht. Ich denke, dass wir schnelle Veränderungen sehen werden, schnellere, als sie mit dem Blick nach Brüssel manchmal verbunden sind.

Frage : Herr Bundeskanzler, ich habe eine Frage zum Thema der Entschädigung für die Opfer des Münchner Olympiaattentats. Es gibt Meldungen über eine Einigung beziehungsweise eine bevorstehende Einigung. Können Sie etwas dazu sagen, gegebenenfalls auch zu den Inhalten?

Herr Lindner, ein weiterer Versuch, Ihnen die Nennung einer Summe zu entlocken: Die Höhe des Bürgergeldes soll im September feststehen. Können Sie dazu etwas sagen?

BK Scholz: Wir haben sehr gute, sehr vertrauliche Gespräche, was die Frage betrifft, wie wir uns zu dem schrecklichen Attentat, zu dem Anschlag, der bei den Olympischen Spielen stattgefunden hat, verhalten und wie wir auch unserer Verantwortung gerecht werden. Wir sind traurig und haben uns auch entschuldigt und wollen und werden das auch tun. Aber es geht auch darum, eine gute Lösung zu finden.

Aber mehr kann man jetzt klugerweise nicht sagen.

BM Lindner: Das gilt auch für das Bürgergeld. Der Bundeskanzler hat bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt: In dieser Krise wird niemand alleingelassen. - Das wird sich auch am Bürgergeld zeigen. Aber man kann nichts Konkretes sagen.

Frage: Herr Bundeskanzler, eine Nachfrage zu den Entschädigungen, sollte es jetzt zu einer Einigung kommen: Ist Ihnen das Thema so wichtig, dass Sie an den Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Olympiaattentats vielleicht auch selbst neben dem Bundespräsidenten teilnehmen würden?

Herr Lindner, in den vergangenen Tagen hat es erhebliche Friktionen zwischen SPD und Grünen gegeben. Sie haben sich als nicht linke Partei immer ein wenig als Außenseiter in der Koalition beschrieben. Hilft es der FDP, jetzt zu sehen, dass auch die anderen einmal streiten? Könnte das dem Koalitionsklima vielleicht sogar förderlich sein?

BM Habeck: Das nennt man negative Dialektik.

BK Scholz: Alles im Zusammenhang mit Olympia soll im Zusammenhang gesagt werden.

BM Lindner: Zu Ihrer atmosphärischen Frage: Wir haben hier im Bundeskabinett nicht nur heute - das machen wir auch sonst - kollegial und gut zusammengearbeitet. Das zeigt sich daran, dass wir miteinander Ergebnisse erreichen.

Dass es ab und an öffentlichen Austausch gibt, ist in der Politik unvermeidlich. Dass die SPD, die FDP und die Grünen jeweils eigenständige Parteien mit eigenständigem politischen Profil sind, wird auch niemanden überraschen. Von daher sehe ich das mit einer gewissen Gelassenheit. Entscheidend ist, dass die Ergebnisse überzeugen, die wir in Kürze auch wieder vorlegen werden.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe noch eine Frage zur Änderung des Strommarktdesigns. Sie sagten gerade, es könne schneller gehen, als man es von Brüssel gewohnt sei. Können Sie das ein wenig genauer ausführen? Soll die Änderung, die Sie anstreben, schon in diesem Jahr wirksam werden und für die Verbraucher Wirksamkeit zeigen, oder muss man länger warten?

Ich will auch noch einmal auf die Entlastungen zurückkommen. Sie haben von einem Haus gesprochen, das Sie gerade bauen wollen. Vielleicht können Sie, da das Haus in den nächsten Tagen offenbar schlüsselfertig sein soll, wenigstens die Grundzüge nennen, die auf jeden Fall darin vorkommen werden und die in der Koalition nicht mehr umstritten sind.

BK Scholz: Schönen Dank für Ihre erneute Nachfrage zu diesem Thema. Immerhin zeigt es uns drei und, denke ich, noch vielen anderen, dass es richtig ist, dass wir so intensiv daran arbeiten und dass wir uns einen festen Zeitplan vorgenommen haben, in dem wir uns befinden, um schnell die entsprechenden Ergebnisse präsentieren zu können, und zwar solide und ordentlich erarbeitet. Mehr zu sagen, macht jetzt aber in der Tat keinen Sinn. Denn das werden wir dann tun, wenn es sichtbar ist.

Ein paar Punkte sind von mir in der Öffentlichkeit schon genannt worden. Darauf hat Christian Lindner verwiesen. Aber ich kann auch nur noch einmal sagen, dass wir zum Beispiel im Zusammenhang mit der Uniper-Rettung bereits ein paar Kriterien genannt haben. Sie gelten unverändert und geben auch ein paar Hinweise darauf, was bei dem, was wir beschließen wollen, unter anderem eine Rolle spielen wird.

Im Hinblick auf Europa können wir jetzt nur sagen, dass der Wille besteht, schnell zu handeln. Das ist erst einmal richtig und auch bemerkenswert, weil das bisher doch sehr zäh war. Aber mein Eindruck ist folgender: Während es früher noch eine sehr skeptische Debatte war, ob es wirklich Sinn macht, an das Strommarktdesign heranzugehen, ist die Skepsis weg, und alle wollen das. - Jetzt müssen wir es nur noch hinbekommen, dass sich der Prozess, wie wir das, was wir gemeinsam richtig finden, identifizieren, nicht in die Länge zieht. Aber auch da ist der Druck so groß, dass ich wirklich sehr zuversichtlich bin, dass es schnell geht.