Milchreis und Sauerkraut

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Serie Gastarbeiter Milchreis und Sauerkraut

Esther Han war eine der ersten südkoreanischen Krankenschwestern, die Mitte der 1970er Jahre nach Deutschland kamen. Trotz guter Ausbildung hatte sie es am Anfang schwer, anerkannt zu werden. Heute leitet sie ein Altenheim in Berlin und schätzt an Deutschland vor allem die Meinungsfreiheit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

4 Min. Lesedauer

Portrait Esther Han

Esther Han

Foto: RegierungOnline

Portrait Esther Han

Esther Han

Foto: RegierungOnline

Mitte der 1970er Jahre mangelt es an Pflegepersonal in Deutschland, und die sehr gut ausgebildeten Krankenschwestern aus Südkorea sind gefragt. 1974 schließen die Bundesrepublik und Südkorea ein Abkommen, für drei Jahre Gastarbeiterinnen zu beschäftigen. Esther Han, damals 22 Jahre alt, ist eine von ihnen.

Mit 20 Kilo Gepäck und 100 Dollar in der Tasche landet sie in Berlin-Tempelhof. Ihr erster Eindruck von Deutschland ist – Milchreis. "Den konnte ich nicht essen. Milchreis war uns vollkommen fremd. In Korea ist Reis eine Beilage", erinnert sie sich an das Begrüßungsessen für die Gastarbeiterinnen, muss lächeln und ergänzt: "Ich dachte, wenn man schon Gastarbeiter ins Land holt, könnte man sich ja vorher über die Essgewohnheiten informieren."

Auch sonst ist Esther anfangs eher enttäuscht von Deutschland. Ihre erste Arbeitsstelle ist die innere Abteilung des Humboldt-Krankenhauses in Berlin-Reinickendorf. "Die Zustände waren schlecht. Die deutschen Krankenhäuser waren baulich deprimierend, und auch die beruflichen Aufgaben waren nicht strukturiert. In Korea wurden die Krankenhäuser nach dem Krieg nach amerikanischem Modell wieder aufgebaut. Sie waren modern ausgestattet, und die Struktur war deutlich besser."

Kampf um Wertschätzung

Esther fällt es nicht leicht, mit der neuen Situation umzugehen. Im Gegensatz zu den deutschen Kolleginnen und Kollegen hat sie an einer Fachhochschule studiert. Die unangenehmen Arbeiten in der Klinik bleiben trotzdem an ihr, der Ausländerin, hängen. Während der Nachtschichten ist sie auf sich allein gestellt. "Trotz meiner Qualifikation fühlte ich mich nicht wertgeschätzt, weder fachlich noch menschlich", erzählt sie.

Die junge Koreanerin, die sich als "eigentlich sehr selbstbewusst" beschreibt, lernt erst allmählich, sich durchzusetzen. "Es hat ein Jahr gedauert, bis ich mich getraut habe, meine Meinung zu sagen und mich an die Sprache heranzuwagen." Nach den Frühschichten geht sie zum Goethe-Institut, um Deutsch zu lernen. "Nach sechs Monaten konnte ich die Sprache etwas verstehen", sagt Esther in lupenreinem Deutsch.

Steile Karriere

Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten macht die junge Frau schnell Karriere. 1976 wird sie stellvertretende Oberschwester im Krankenhaus. Im selben Jahr lernt sie in einer koreanischen evangelischen Gemeinde ihren späteren Ehemann kennen. Nach einem Jahr heiraten sie und entschließen sich, in Deutschland zu bleiben. Esther geht weiter arbeiten, ihr Mann studiert Medizin. 1979 wird der Sohn geboren, vier Jahre später die Tochter.

1986 nimmt Esther die deutsche Staatsangehörigkeit an. Ihr beruflicher Aufstieg geht rasant weiter: 1993 wird sie Pflegedienstleiterin im Marie-Schlei-Haus der Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Reinickendorf. 2004 übernimmt sie die Gesamtleitung des Altenheimes und damit die vollständige wirtschaftliche und personelle Verantwortung.

Asiatische Tugenden

Portrait von Esther Han

Esther Han

An 365 Tagen im Jahr ist Esther für ihre Arbeit in Rufbereitschaft, auch nach durchgearbeiteten Tagen und Nächten. Nicht einen einzigen Tag ist sie bislang krank gewesen. Esther liebt ihren Rund-um-die-Uhr-Job, und was sie in Korea von klein auf gelernt hat, kommt ihrer Einsatzbereitschaft zu Gute: "Leistungswille und eine große Identifikation mit dem Betrieb sind typisch für die asiatische Kultur", sagt sie.

Trotz ihres Erfolges und ihrer Leistungsbereitschaft muss Esther bis heute zuweilen um Anerkennung kämpfen: "In Deutschland werden Ausländer in Führungspositionen oft weniger akzeptiert als Deutsche. Das merke ich schon bei Bewerbungsgesprächen. Bewerber erwarten Deutsche, die sie interviewen. Sobald sie eine Ausländerin sehen, ist die Situation anders. Oft blicken sie dann mehr zu meinem deutschen Stellvertreter als zu mir."

Ein Pflegeheim für Koreaner

Esther nutzt ihre Erfahrungen auch ehrenamtlich für andere. Bis 2005 betreut sie in der evangelischen Apostel-Petrus-Gemeinde ältere Menschen und berät sie bei Fragen zur Pflege. Ihr nächstes Ziel ist, älteren Menschen aus Korea ein Stück koreanischen Zuhause in Deutschland zu schaffen: "Die erste Generation der koreanischen Immigranten ist jetzt über 70. Ich möchte älteren Koreanern in Deutschland einen schönen Lebensabend bereiten und ihnen ein eigenes Pflegeheim einrichten. Denn wie so ein Heim funktioniert, weiß ich ja."

Esther selbst fühlt sich heute "richtig deutsch", genauer gesagt als „Rucksackdeutsche – mit mehr bin ich ja hier nicht angekommen." Ihre koreanischen Wurzeln hat sie aber immer behalten. "Ich empfinde es als Bereicherung, die Kultur und Tradition beider Länder zu kennen. Zum Beispiel Bescheidenheit in Korea und Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland. Wenn man zwei Welten kennt, hat man den Vergleich. Man kann das Schlechte ablegen und das Gute bewahren."

Seit 35 Jahren lebt die Koreanerin in Deutschland. Nur Milchreis mag sie bis heute nicht. "Aber wenn es ein deutsches Gericht gibt, das ich liebe, dann ist es Eisbein mit Sauerkraut", sagt Esther und lacht.