- Bulletin 48-90
- 28. April 1990
der bundesminister fuer besondere aufgaben und chef
des bundeskanzleramtes, rudolf seiters, gab in der
208. sitzung des deutschen bundestages am 27. april
1990 zum stand der verhandlungen mit der ddr
folgende erklaerung der bundesregierung ab:
herr praesident,
meine damen und herren!
in den zurueckliegenden wochen und monaten haben wir auf
dem weg zu freiheit, menschenrechten und selbstbestimmung
fuer alle deutschen fortschritte gemacht, wie sie noch
vor einem halben jahr kaum jemand fuer moeglich gehalten
haette. niemand kann zweifeln: wir sind der einheit unseres
vaterlandes ein weiteres, grosses stueck naeher gerueckt - so
nahe wie niemals zuvor seit der teilung unseres landes.
mit den wahlen vom 18. maerz 1990 haben unsere
landsleute in der ddr ein klares und ueberzeugendes bekenntnis
abgelegt zur freiheitlichen und rechtsstaatlichen
demokratie, zur einheit unseres vaterlandes, zur sozialen
marktwirtschaft und zur verankerung deutschlands in der
gemeinschaft freier voelker. dieses votum bestaetigt gleichzeitig
alle diejenigen, die immer davon ueberzeugt waren - und dies
auch immer als ihre ueberzeugung gesagt haben -, dass die
menschen in der ddr nicht nur die freiheit, sondern auch
die einheit waehlen wuerden, wenn sie denn die gelegenheit
dazu bekaemen.
mit der konstituierung der ersten frei gewaehlten
volkskammer erfuellt sich auch der ruf: "wir sind das volkss",
mit dem die menschen im herbst vergangenen jahres ihr recht
auf selbstbestimmung einforderten.
zum erstenmal nach 57 jahren konnten in diesem teil
unseres vaterlandes wieder frei gewaehlte abgeordnete ins
parlament einziehen. darauf koennen wir deutschen in ost
und west mit recht stolz und froh sein.
die volkskammer hat gleich zu beginn ihrer arbeit eine
gemeinsame erklaerung verabschiedet, die in der ganzen
welt grosse beachtung fand. darin bekennen sich die
abgeordneten der volkskammer in eindrucksvoller weise zur
gemeinsamen historischen verantwortung aller deutschen.
dies ist ein dokument der einheit und der gemeinsamkeit.
noch vor ostern konnte eine neue regierung gebildet
werden, die von einer breiten parlamentarischen mehrheit
getragen wird. diese regierung unter fuehrung von minister
praesident lothar de maiziere ist die erste demokratisch
legitimierte regierung in der ddr. sie steht jetzt vor einer
ausserordentlich schwierigen aufgabe und traegt eine grosse
verantwortung. sie verdient unser volles vertrauen und
unsere volle unterstuetzung.
mit der regierungserklaerung vom 12. april 1990 hat sich die
regierung der ddr zur staatlichen einheit deutschlands,
zu freiheit, zu rechtsstaatlichkeit, zu foederalismus und zur
sozialen marktwirtschaft bekannt. damit ist auch zwischen
elbe und oder die zeit der totalitaeren einparteienherrschaft
zu ende.
fuer die bundesregierung bedeutet dies, dass wir nun endlich
gemeinsam mit einem gleichberechtigten, demokratisch
legitimierten partner den weg zur wiederherstellung der
staatlichen einheit deutschlands gestalten koennen.
wir sind fest entschlossen, diese grosse chance fuer ganz
deutschland in nationaler verantwortung, in solidaritaet und
auch im bewusstsein unserer verantwortung gegenueber
unseren nachbarn in west und in ost zu nutzen.
wir haben unser angebot - ein weitreichendes und mutiges
angebot - unterbreitet: die rasche verwirklichung der
waehrungsunion mit wirtschafts- und sozialgemeinschaft.
dies ist ein wichtiger schritt auf dem wege zur deutschen
einheit und eine der groessten politischen
gestaltungsaufgaben der nachkriegsgeschichte. wir haben dieses
angebot gemacht, weil wir ueberzeugt sind, nur auf diesem wege
- der einfuehrung der d-mark auch in der ddr - den
menschen eine ueberzeugende perspektive fuer eine
besserung ihrer wirtschaftlichen lebensverhaeltnisse zu geben.
es sollte ein signal sein, den strom von uebersiedlern zu
stoppen: 360000 uebersiedler von anfang november 1989
bis ende maerz 1990.
die zahlen sind jetzt ruecklaeufig: statt rund 74000
uebersiedler im januar und 64000 im februar kamen im maerz noch
46000, im april wurden bis heute knapp 16000 uebersiedler
registriert.
wir verkennen nicht, dass wir bei der verwirklichung dieser
aufgabe viele schwierige probleme loesen muessen. mit dem
uebergang von der maroden sozialistischen misswirtschaft
nach ueber 40 jahren zur sozialen marktwirtschaft betreten
wir in vieler hinsicht neuland. im grunde ist dieses
unternehmen ueberhaupt nicht vergleichbar: die umwandlung
einer gescheiterten, ueber 40 jahre gewachsenen
sozialistischen, zentralistischen planwirtschaft in eine soziale
marktwirtschaft innerhalb von wenigen wochen und monaten.
das macht die ungewoehnliche dimension dieses unternehmens
deutlich, fuer die es bisher kein historisches vorbild gibt.
eine solche aufgabe erfordert von uns allen viel mut und
energie, phantasie und politischen gestaltungswillen. aber
wir koennen sie loesen, wenn wir uns - in der bundesrepublik
und in der ddr - etwas zutrauen und diese grosse aufgabe
beherzt anpacken.
wir sagen unseren buergern, dass von dem dynamischen
wirtschaftlichen aufholprozess, den wir in dem gebiet der
ddr durch den uebergang zur marktwirtschaft erleben
werden, alle profitieren, nicht nur die buerger im anderen
teil deutschlands, sondern auch wir. ich sage aus tiefer
ueberzeugung: zukunftspessimismus, kleinmut, skepsis und
distanz gegenueber den notwendigen veraenderungen sind
keine basis fuer einen erfolgreichen neuanfang. ich kann nur
an alle beteiligten, an uns alle appellieren, den sicherlich
schwierigen neubeginn nicht durch polemische
verzerrungen und das schueren von angst oder neidgefuehlen zu
erschweren.
es sollte auch niemand die verantwortung auf sich nehmen,
die verwirklichung der waehrungsunion zu verzoegern. der
uebersiedlerstrom wuerde wieder anschwellen, und die
hoffnungen vieler menschen wuerden enttaeuscht. dies kann
niemand von uns wollen. diese bundesregierung und diese
koalition wollen es jedenfalls nicht.
die bundesregierung haelt deshalb an ihrem zeitplan fest.
das heisst konkret:
- einigung ueber die wesentlichen punkte der
waehrungsumstellung bis anfang mai
- verwirklichung der waehrungsunion mit wirtschafts- und
sozialgemeinschaft bis zum 2. juli 1990.
die bundesregierung hat in dieser woche mit der regierung
der ddr die gespraeche ueber einen staatsvertrag zur
verwirklichung der waehrungsunion mit wirtschafts- und
sozialgemeinschaft aufgenommen - unmittelbar nach dem
umfassenden meinungsaustausch zwischen bundeskanzler
helmut kohl und ministerpraesident de maiziere am
vergangenen dienstag in bonn.
bei diesem treffen ist dem ministerpraesidenten der ddr
das arbeitspapier ueber die gespraeche fuer einen
staatsvertrag ueberreicht worden. am gleichen tage,
beziehungsweise am naechsten morgen, sind diese unterlagen
dem oppositionsfuehrer, allen fraktionen des deutschen
bundestages und allen bundeslaendern zugeleitet worden. die
chefs der staats- und senatskanzleien der laender wurden
von mir am gestrigen tage in einer konferenz in bonn
unterrichtet, ebenso die vorsitzenden und stellvertretenden
vorsitzenden der besonders befassten ausschuesse des
deutschen bundestages.
ich sage dies mit blick auf die kritik, die bundesregierung
wuerde parlamentarische gremien, wuerde die opposition
oder die laender nicht genuegend unterrichten und ihnen
unterlagen vorenthalten. ich halte diese kritik nicht fuer
berechtigt.
wenn wir von gleichberechtigter partnerschaft mit der ddr
sprechen, dann muss der regierung,ste sein, der die vorschlaege
der bundesregierung in die
hand bekommt. alles andere waere nun wirklich kein
akzeptables verfahren.
nach unseren vorstellungen soll der vertragstext ein klares
bekenntnis beider seiten zur freiheitlichen demokratischen
und sozialen grundordnung im sinne des grundgesetzes
enthalten. das bedeutet auch, dass entgegenstehende
vorschriften der ddr-verfassung nicht mehr angewendet
werden.
ich brauche ja nur stichworte ueber einzelne vorschriften zu
nennen: die staatliche leitung und planung der
volkswirtschaft und aller anderen gesellschaftlichen bereiche,
das waehrungs- und finanzsystem als sache des sozialistischen
staates, das sozialistische eigentum, sozialistische
betriebe und produktionsgenossenschaften mit der damit
verbundenen einschraenkung wirtschaftlicher
handlungsfreiheit, gewerkschaften als umfassende
klassenorganisationen einer sozialistischen gesellschaft oder
die staatliche monopolisierung der aussenwirtschaft.
in der praeambel des vertrages soll auch ausdruecklich
festgehalten werden, dass die schaffung der waehrungsunion mit
wirtschafts- und sozialgemeinschaft die herstellung der
staatlichen einheit nach art. 23 des grundgesetzes unter
beruecksichtigung der tatsache vorbereiten soll, dass die
aeusseren aspekte der einheit gegenstand der gespraeche im
rahmen "zwei plus vier" sind.
der hinweis auf art. 23 ist besonders wichtig. das
grundgesetz ist anerkannt als basis fuer die erste stabile
demokratie auf deutschem boden. es ist die beste verfassung,
die deutsche jemals hatten. das wahlergebnis vom 18. maerz
1990, aber auch die oeffentlichen politischen erklaerungen der
ueberwiegenden demokratischen kraefte, in der ddr zeigen
doch: auch die menschen in der ddr wollen die einheit auf
dem boden des grundgesetzes.
meine damen und herren, ein gemeinsamer
regierungsausschuss soll bei der durchfuehrung des vertrages
das notwendige einvernehmen gewaehrleisten. ueber die
parlamentarischen fragen und ueber den parlamentsausschuss
werden wir ja noch miteinander - ich denke, gemeinsam -
reden.
darueber hinaus beinhalten unsere vorschlaege jeweils ein
kapitel mit bestimmungen ueber die waehrungsunion, die
wirtschaftsgemeinschaft, die sozialgemeinschaft sowie
ueber staatshaushalt und finanzen.
kernpunkt der ausfuehrungen zur waehrungsunion sind
zweifellos die grundsaetze der umstellungsmodalitaeten.
hierzu hat die bundesregierung zu beginn dieser woche ihr
angebot an die ddr im einzelnen dargelegt.
es ist ein faires und grosszuegiges angebot. es ist kein
taktisches angebot. es wird von der verantwortung
gegenueber der wirtschaftlichen und sozialen entwicklung in
beiden teilen deutschlands getragen. es wird getragen von der
verantwortung gegenueber unseren landsleuten in der ddr,
die ein schweres schicksal zu tragen hatten, wie auch
gegenueber den buergern und steuerzahlern der
bundesrepublik deutschland, denen wir rechenschaft schulden.
es steht schliesslich in der verantwortung auch gegenueber
der stabilitaet der d-mark, an der die menschen in beiden
teilen deutschlands gleichermassen ein ganz elementares
interesse haben muessen.
wir wissen, dass wirtschaftliche instabilitaet immer auch den
keim politischer instabilitaet in sich traegt. deshalb werden wir
die stabilitaet der d-mark nicht gefaehrden, sondern wahren.
ich fuege hinzu: unser angebot geht ueber das hinaus, was
der bundeskanzler vor den wahlen am 18. maerz 1990
versprochen hat. deshalb nur ein satz: ich weise auch an
dieser stelle die in den letzten wochen aus den reihen der
opposition erhobenen falschen und unwahren vorwuerfe mit
allem nachdruck zurueck.
ich verweise darauf, dass loehne und gehaelter grundsaetzlich
im verhaeltnis 1 : 1 gegenueber dem jetzigen stand (ohne
ausgleichszahlung fuer subventionsabbau und bei
verwirklichung der preisreform in der ddr) umgestellt werden
sollen. bundesregierung und koalition sind sich darueber einig,
dass der kuenftigen lohnpolitik in der ddr eine grosse und
entscheidende bedeutung fuer die wettbewerbsfaehigkeit der
betriebe in der ddr zukommt.
ich verweise auch darauf, dass nach dem vorschlag pro
person ein betrag bis zu 4000 mark der ddr im verhaeltnis
1 : 1 umgetauscht werden soll. fuer eine vierkoepfige familie
bedeutet das die moeglichkeit eines umtauschs von 16 000
mark der ddr im verhaeltnis 1 : 1 in d-mark und eines
darueber hinausgehenden guthabens in hoehe von 2 : 1.
all das ist vor dem hintergrund der angaben der
ddrstaatsbank zu sehen, wonach von rund 23 millionen
sparkonten rund 16 millionen ueber guthaben von weniger als
5000 mark der ddr verfuegen.
deshalb wiederhole ich: dies ist ein grosszuegiges und auch
faires angebot an unsere landsleute in der ddr.
ich habe manchmal den eindruck, dass in der ddr wie vor
den wahlen so auch jetzt ganz bewusst unter
parteipolitischen gesichtspunkten aengste geschuert und
missverstaendnisse gestreut werden. ich kann mich ueber die toene
aus den reihen der pds nur wundern, also der partei sed-pds, die
diesen staat und insbesondere unsere landsleute in der
ddr ueber viele jahre ins unglueck gestuerzt haben. darueber
gibt es doch wohl keine meinungsverschiedenheiten.
(beifall bei der cdu/csu und der fdp -
dr. briefs (gruene): mit der cdu!
die blockfloeten sind jetzt ihre parteifreunde! -
frau dr. vollmer (gruene): 40 jahre kollaboration der cdu! -
conradi (spd): blockfloetenpartei! das war bisher die cdu!
wo war denn die cdu?
haben sie ihre parteifreunde vergessen? -)
meine damen und herren, ich kann mich wirklich nur
wundern. ich habe von der breiten parlamentarischen mehrheit
in der ddr gesprochen, von dem buendnis der kraefte der
mitte, die sich dort unter fuehrung von de maiziere
zusammengefunden haben. und der aussenminister ist herr
meckel von der spd.
ich setze mich ausschliesslich mit denen der sed und pds
auseinander, die jetzt wieder aengste schueren. ich kritisiere
das. ich denke, in dieser frage gibt es zwischen uns keine
meinungsverschiedenheiten.
bei den bestimmungen zur wirtschaftsgemeinschaft geht
es entscheidend um die sicherung der notwendigen
rahmenbedingungen fuer die funktionsfaehigkeit der sozialen
marktwirtschaft in der ddr.
bei der sozialgemeinschaft geht es insbesondere um die
absicht der ddr, ein gegliedertes system der
sozialversicherung analog zum system der bundesrepublik
deutschland einzufuehren.
ich will besonders hervorheben, dass fuer die rentner nach
auffassung der bundesregierung mit inkrafttreten des
vertrages die sofortige anhebung des rentenniveaus von
derzeit etwa 50 prozent auf 70 prozent des durchschnittlichen
netto-arbeitsverdienstes vorgesehen werden soll, so wie
dies unseren regelungen entspricht.
das bedeutet, dass die meisten renten in d-mark hoeher
liegen werden als heute in mark der ddr. soweit sich in
einzelfaellen ein niedrigerer betrag in d-mark gegenueber der
bisherigen hoehe in mark der ddr ergibt, wird sichergestellt,
dass die bisherige rentenhoehe in d-mark gezahlt wird.
wichtig ist in diesem zusammenhang: unser angebot zur
anschubfinanzierung bei der renten- und
arbeitslosenversicherung besteht unveraendert und soll auch im
vertragstext festgehalten werden.
hieraus wird mehr als deutlich: wir sind bereit, vorsorge fuer
die schwierigkeiten zu treffen, die sich beim notwendigen
uebergang zur sozialen marktwirtschaft nicht vermeiden
lassen.
der bundeskanzler hat immer wieder betont, dass gerade die
aelteren menschen, die den krieg und ueber 40 jahre
sozialistische misswirtschaft ertragen mussten, heute in
besonderer weise unser verstaendnis, unseren respekt und unsere
zuneigung verdienen. diesen menschen fuehlt sich die
bundesregierung in besonderer weise verpflichtet.
von besonderer bedeutung ist fuer die bundesregierung
schliesslich, die notwendigen strukturellen veraenderungen
auf dem arbeitsmarkt durch eine aktive arbeitsmarktpolitik
zu gestalten. dem dient unser vorschlag, ein system der
arbeitsfoerderung mit den schwerpunkten berufliche
qualifizierung und arbeitsbeschaffungsmassnahmen einzufuehren.
meine damen und herren, das thema staatshaushalt und
finanzen muss im blick auf den staatsvertrag sicher in
einem besonders engen zusammenhang mit den
waehrungsfragen gesehen werden. denn das oberste ziel ist es,
in jedem fall die stabilitaet der d-mark zu gewaehrleisten.
von daher kommen den verabredungen ueber kreditaufnahme und
finanzzuweisungen naturgemaess besondere bedeutung zu.
ich betone in diesem zusammenhang noch einmal: die
bundesrepublik deutschland ist - ich denke, das gilt nicht
nur fuer den bund - zur finanziellen unterstuetzung der ddr
bereit.
gleichzeitig besteht aber auch im rahmen der
waehrungsunion mit wirtschafts- und sozialgemeinschaft die
eigenstaendige finanz- und haushaltspolitische verantwortung
der ddr fort. ebenso wie in der bundesrepublik deutschland
muss daher auch in der ddr sorgfaeltig abgewogen werden,
was finanziell machbar ist und was nicht.
aus der dargestellten grundstruktur unserer vorschlaege
wird deutlich, dass es im blick auf den staatsvertrag um
zweierlei geht: zum einen um die notwendige rechtliche
grundlage fuer die verwirklichung der angestrebten
waehrungsunion mit wirtschafts- und sozialgemeinschaft.
zum anderen aber auch um die vielfaeltigen
wechselwirkungen zwischen den bereichen waehrung, wirtschaft,
haushalt, finanzen und soziales.
unser hauptziel muss darin bestehen, in der ddr eine
grundlegende wirtschaftliche neuorientierung, das heisst den
wechsel zur sozialen marktwirtschaft, zu vollziehen, denn
nur dieser wechsel setzt jene kraefte frei, die bisher durch
das sozialistische wirtschaftssystem verschuettet waren.
wenn die ddr in diesem zentralen punkt - also bei der
durchsetzung der sozialen marktwirtschaft - konsequent
handelt, dann kann ueberhaupt kein zweifel daran bestehen,
dass dies der wirtschaftlichen entwicklung eine positive
wendung geben und vor allem das dringend notwendige private
kapital in der ddr fliessen lassen wird.
dass der wirtschaftsraum zwischen oder und elbe - ich
wiederhole - unter marktwirtschaftlichen bedingungen
attraktive zukunftsperspektiven bietet, sehen deutsche und
internationale investoren offensichtlich viel klarer als
manche angstpropheten hierzulande.
um missverstaendnisse zu vermeiden: richtig ist, dass in der
vor uns liegenden zeit erhebliche finanzierungsanstrengungen
notwendig sein werden. alle oeffentlichen haushalte,
also die von bund, laendern und gemeinden, werden hierzu
ihren beitrag leisten muessen und auch koennen.
dabei ist klar: die zentrale finanzierungsquelle ist und bleibt
das wirtschaftswachstum. ich fuege hinzu: jede
unterstuetzung, die wir jetzt der ddr zukommen lassen, ist
zugleich eine investition in unsere eigenen
wachstumsmoeglichkeiten. denn von einem "wirtschaftswunder" in
der ddr profitieren alle - auch die unternehmen und
beschaeftigten hierzulande.
so wird das reale wirtschaftswachstum - nach dem
neuesten konjunkturgutachten der forschungsinstitute - schon
in diesem jahr mit plus 4 prozent deutlich hoeher als erwartet
ausfallen.
dies kann fuer 1990 und 1991 allein bei den steuern zu
einem plus von rund 30 milliarden dm fuehren.
wenn man - wie etwa die eg-kommission - davon ausgeht,
dass 1 prozentpunkt mehr wachstum bei den oeffentlichen
haushalten insgesamt rund 10 milliarden dm pro jahr an
mehreinnahmen erbringt, dann sind die belastungen fuer die
bundesrepublik deutschland durchaus verkraftbar.
natuerlich muessen wir bei unseren investitionen in die deutsche
einigung zugleich neue prioritaeten bei den aufgaben setzen.
wir werden bei den ausgaben einsparen und umschichten
muessen. kurzfristig entfallen etwa zahlungen fuer die
transitpauschale, laengerfristig auch fuer berlin-hilfen. nicht
zuletzt ergeben sich einsparungen und umschichtungen im zuge
der neuorientierung der bundeswehr.
ein weiteres kommt hinzu: weil wir nach 1982 den haushalt
erfolgreich konsolidiert und eine solide finanzpolitik
betrieben haben, ist jetzt auch eine voruebergehende und
begrenzte erhoehung der nettokreditaufnahme zur
finanzierung der ausgaben fuer die ddr vertretbar.
sie ist vor allem deswegen unbedenklich, weil es sich auch
hierbei letztlich um die vorfinanzierung zusaetzlichen
wachstums und damit kuenftiger einnahmen handelt.
deshalb lassen sie mich vor diesem hintergrund klar sagen:
steuererhoehungen sind nicht notwendig und von dieser
bundesregierung nicht beabsichtigt.
wir wissen jedenfalls aus eigener erfahrung zu gut, dass
immer hoehere steuern und abgaben die leistungsfaehigkeit
der buerger und der wirtschaft insgesamt nicht staerken,
sondern nachhaltig schwaechen.
wir sind 1982 angetreten mit dem ziel, der sozialen
marktwirtschaft wieder umfassend geltung zu verschaffen, die
staatsfinanzen zu sanieren, den leistungswillen der
menschen zu staerken und unseren unternehmen angemessene
und verlaessliche rahmenbedingungen zu bieten.
die bundesregierung hat damals unter schwierigen
bedingungen die notwendigen weichenstellungen konsequent
und beharrlich vollzogen. heute ist der erfolg bei uns und im
vergleich zum ausland fuer jedermann offensichtlich. es ist
eine wirtschaftspolitische erfolgsbilanz, die ihresgleichen
sucht.
sicher stehen wir jetzt in deutschland vor anderen
problemen als 1982. aber fest steht: unsere politik zur
erneuerung der sozialen marktwirtschaft hat zu ergebnissen
gefuehrt, die sich sehen lassen koennen. sie bieten eine klare
und bewaehrte orientierung fuer den vor uns liegenden weg.
gefragt ist daher jetzt - mehr denn je - eine wirtschaftspolitik,
die leistungsbereitschaft und eigeninitiative der buerger
und unternehmen weiten raum schafft. dies ist - ich will es
noch einmal sagen - dann zugleich eine sichere quelle fuer
wachsende steuereinnahmen. ein anziehen der
steuerschraube waere dagegen mit sicherheit der falsche weg.
die von uns verfolgte politik versetzt uns in die lage, das
notwendige zu tun.
die waehrungsunion mit wirtschafts- und sozialgemeinschaft
soll die herstellung der staatlichen einheit vorbereiten. die
deutsche einheit betrifft aber die deutschen nicht allein. die
innere entwicklung muss deshalb mit regelungen fuer die
aeusseren aspekte zeitlich und sachlich verzahnt werden.
wir haben von anfang an darauf geachtet, dass sich der
prozess der deutschen vereinigung in einem stabilen
europaeischen rahmen vollzieht. es ist immer unser ziel
gewesen, als europaeer mit unseren nachbarn und nicht gegen
sie die teilung deutschlands zu ueberwinden.
ein politisch und wirtschaftlich in der europaeischen gemeinschaft
integriertes geeintes deutschland ist der unerlaessliche
stabilitaetsfaktor, den europa gerade in seiner mitte braucht.
die bundesregierung haelt an der leitlinie konrad adenauers
fest, dass die deutsche frage nur unter einem europaeischen
dach geloest werden kann. das heisst fuer uns deutsche: wir
achten die berechtigten sicherheitsinteressen aller
betroffenen laender, gerade auch der sowjetunion.
die aeusseren aspekte betreffen nicht zuletzt die rechte und
verantwortlichkeiten der vier maechte in bezug auf berlin
und deutschland als ganzes, die grenzfragen wie auch die
sicherheitsstrukturen.
die ersten gespraeche auf ministerebene gemaess der in
ottawa vereinbarten formel zwei plus vier werden am
5. mai in bonn aufgenommen. wir haben als deutsche ein
interesse daran, dass diese gespraeche zuegig vorangehen.
sie sollten bis zum ksze-gipfel ende dieses jahres zum
abschluss gebracht werden.
morgen findet in dublin ein eg-sondergipfel statt, der
insbesondere dem thema der deutschen einheit gewidmet sein
wird. die staats- und regierungschefs werden sich intensiv
mit der frage der einbeziehung der ddr in die europaeische
gemeinschaft befassen.
wir begruessen es nachdruecklich, dass unsere partner, die
eg-kommission und das europaeische parlament uns in
unseren bemuehungen um die herstellung der staatlichen
einheit unterstuetzen und dies als europaeische aufgabe auch
zu ihrer eigenen sache machen.
unsere mitbuerger in der ddr sollen wissen, dass sie in der
gemeinschaft freier voelker willkommen sind.
meine damen und herren, lassen sie mich noch einmal
sagen: wir wollen die einheit deutschlands in
uebereinstimmung mit unseren nachbarn. das kuenftige vereinte
deutschland wird ein verantwortungsvoller und solidarischer
partner in einem europa des friedens und der freiheit sein.