Wie Digitalisierung dem Weinbau nützt

Serie: Digitalisierung in der Landwirtschaft Wie Digitalisierung dem Weinbau nützt

DigiVine ist ein Forschungprojekt, das sich mit der Digitalisierung im Weinbau beschäftigt: von der Pflanzung neuer Reben über Wegeführung und Pflanzenschutz bis hin zu Reife und Ertrag. Welche Ziele DigiVine verfolgt und welche Chancen sich für Winzer und Verbraucher ergeben, berichtet Anna Kicherer vom Julius-Kühn-Institut in Siebeldingen im Interview.

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Dr. Anna Kicherer mit einem Tablet vor einem Weinberg.

Dr. Anna Kicherer ist Sprecherin für DigiVine im Kompetenznetzwerk "Digitalisierung in der Landwirtschaft".

Foto: JKI, Siebeldingen

Womit beschäftigen Sie sich gerade?

Anna Kicherer: Zunächst geht es darum, die Digitalisierung im Weinbau ankommen zu lassen. Denn der Weinbau ist eher eine Nische in der Landwirtschaft. Mit DigiVine sollen unter anderem Schnittstellen zwischen Maschine und Software geschaffen werden.

Ein Beispiel: Es gibt Pflanzmaschinen, die bereits mit GPS pflanzen. Bei jedem Stock kenne ich dessen genaue Position. Mit diesen Daten, die dem Winzer vorliegen, passiert jedoch noch nichts. Genau an dieser Stelle setzen wir an. Wir wollen die Daten in ein Managementsystem integrieren, um sie für andere Zwecke nutzen zu können wie beispielsweise die Bodenbearbeitung oder den Pflanzenschutz. Denn wenn ich schon mal weiß, wo die Stöcke sitzen, kann ich Maschinen und Arbeitsaufträge entsprechend anpassen.

Das zweite Thema, an dem wir arbeiten, ist die Wegeführung. Jeder von uns kennt Google Maps. Doch die Karten hören in der Regel da auf, wo der Weinberg anfängt. Wir wollen ein Wegeführungssystem aufbauen, um dem Landwirt die Maschinenarbeiten auf dem Feld zu erleichtern, Zeit zu sparen und die Prozesse zu optimieren. Denn in einem Weinberg gibt es verschiedene Herausforderungen wie beispielsweise die Witterung. Mit Google Maps für den Weinbau kann der Winzer bei Regen sehen, welche Wege er befahren kann oder welche nicht.

DigiVine  ist eines von 14 Experimentierfeldern , die vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gefördert werden, um digitale Techniken in der Landwirtschaft zu erforschen und deren Praxistauglichkeit zu testen. Es fördert den Einstieg der Winzer in die Digitalisierung, eröffnet Anbietern neuer Technologien Märkte und generiert neues Wissen für einen breiten Anwenderkreis.

Welche Chancen bietet die Digitalisierung im Weinbau, neben dem Zeitgewinn?

Kicherer: Neben Zeitersparnis bietet die Digitalisierung mehr Flexibilität, die Möglichkeit Echtzeitmessungen vorzunehmen, die wir ohne Weiteres gar nicht messen könnten, sie bietet einen verbesserten Pflanzenschutz, Ertragsstabilität und Qualitätssteigerung.

Was heißt das konkret?

Kicherer: Zunächst gibt es verschiedene Arten der Digitalisierung: Man kann Maschinen digitalisieren. Auf diesem Gebiet wird schon viel gemacht. Zum Beispiel gibt es Ultraschall- und Tastsensoren bei Vollerntern, die selbstständig durch die Rebzeile fahren. Digitalisierung ist aber auch, wenn wir uns Erträge und Pflanzengesundheit auf einer Karte darstellen lassen könnten. Um jeden Weinberg herum gibt es Wälder, Bäume, Böschungen, Bäche, die geschützt werden müssen. Dort darf kein Pflanzenschutz ausgebracht werden. Der Winzer muss dort Abstandsregelungen einhalten und kontrollieren.

An diesem Punkt setzen wir an. Wir wollen auf Satelliten-Daten basierend Abstandskarten berechnen. Der Winzer bekommt eine Karte, die über dem Weinberg liegt. Darauf sieht er die rote Zone, in der er keinen Pflanzenschutz ausbringen darf. Wir wollen eine Spritzmaschine mit Sensoren so optimieren, dass sie Leerstellen erkennt. Das heißt: Wo kein Weinstock ist, soll auch nicht gespritzt werden. Damit können Pflanzenschutzmittel gespart und Landwirte nachhaltiger werden. Der Pflanzenschutzaspekt bietet großes Potenzial für die Digitalisierung.

In den kommenden Wochen steht die Weinlese an. Wie kann digital dabei unterstützt werden?

Kicherer: Wir sehen hier große Chancen der Digitalisierung. Zunächst muss der Winzer abschätzen, wann der Wein reif ist. Das macht er anhand zweier Parameter: dem Zucker und der Säure. Das Verhältnis muss stimmen. Wir brauchen genug Zucker, damit wir Alkohol in der Gärung bekommen, brauchen aber auch genug Säure, damit der Wein spritzig ist. Dazu muss der Winzer den optimalen Lesezeitpunkt finden.

Normalerweise wird das in der Praxis so gemacht: Der Winzer pflückt Beeren, zermatscht diese und bestimmt daraus Zucker und Säure. Unser Gedanke ist es nun, einen störungsfreien Handsensor zu entwickeln. Der Winzer hält den Sensor an die Traube und bekommt direkt Zucker und Säure angezeigt, ohne Proben nehmen zu müssen.

Mit welchen Herausforderungen werden Sie täglich konfrontiert?

Kicherer: Auf dem Feld ist die Infrastruktur eine Herausforderung. Wir stoßen immer wieder an unsere Grenzen, weil wir schlecht angebunden sind. Es gibt Felder, auf denen immer wieder das GPS abbricht. Zudem ist der Weinbau in manchen Punkten eher konservativ. Das ist sicher eine Generationenfrage. Die einen Winzer sind total begeistert und sagen: "Digitalsierung finde ich richtig gut." Dann gibt es solche, die sagen: "Das brauchen wir nicht, haben wir noch nie so gemacht."

Ich bin der Meinung, wir brauchen die Digitalisierung auf jeden Fall! Die neue Generation wächst mit digitalen Techniken auf, so dass das nicht länger eine Hürde sein wird. Eine weitere Herausforderung sind die Kosten. Denn wir wollen digitale Techniken, die sich der Winzer am Ende auch leisten kann. Forschung bringt alles nichts, wenn sie praxisfern ist.

Für wen ist DigiVine?

Kicherer: Hauptadressaten sind die Winzer, die Maschinenhersteller, aber auch Software-Anbieter, die Fahrmanagementsysteme anbieten. DigiVine ist aber auch für den Verbraucher da. Wenn man an Weinregionen denkt, hat man sofort die Weindörfer mit den Winzern und Weinstuben im Kopf. Das Problem ist, die kleinen Winzer und Höfe fallen immer mehr weg und es gibt zunehmend Großbetriebe. Wenn wir also nicht die kleinen Winzer mit an Bord holen, verlieren wir ein Stück weit Kulturlandschaft und das wollen wir nicht.

Wer kann sich bei DigiVine verwirklichen?

Kicherer: Jeder im Weinbau kann mitmachen. Wir haben Leadfarms dabei, Genossenschaftswinzer, wir haben ein ganz kleines Weingut dabei, aber auch Familienbetriebe. Natürlich ist Digitalisierung bei größeren Weingütern besser umzusetzen, denn sie haben mehr Mitarbeiter. Wir wollen aber - und das ist wichtig - alle Winzer, auch die kleinen, mitnehmen.

Warum ist die Förderung der Digitalisierung so wichtig?

Kicherer: Wir müssen konkurrenzfähig bleiben und zwar weltweit. Wenn ich mich mit Kollegen aus Australien oder den USA unterhalte, hat man das Gefühl, dass sie um Welten weiter sind als wir in Deutschland. Das liegt auch daran, dass sie eine andere Förderstruktur haben. Die Länder haben viele Großbetriebe, wobei die Förderung vom Weinbau selbst ausgeht.

In unseren Nachbarländern Frankreich, Spanien, Italien und Portugal wird auch viel zu Sensoren und Robotern geforscht und vorangebracht. Sie sind sicher auf einem ähnlichen Level wie wir. Vor allem von Frankreich können wir uns eine Scheibe abschneiden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kicherer: Ich wünsche mir, dass die Dinge, die wir erforschen, tatsächlich beim Winzer ankommen. Wenn ich später mal in Rente gehe, stelle ich mir vor, dass der Winzer zu Hause an seinem Rechner sitzt oder auf seinem Smartphone sieht: "Ach guck mal, die Maschine spritzt gerade den Weinberg Nummer 15 und im Keller haben wir den und den Gärverlauf." Das fände ich schon sehr cool.

Und wenn ich an die Vermarktung denke, dann stelle ich mir vor, dass man beim Einkaufen sein Handy an die Weinflasche hält und ein Video sieht, wie die Trauben gelesen wurden. Das fände ich total toll. Ich sehe ganz viel Potenzial und man kann noch gar nicht fassen, was alles durch Digitalisierung möglich sein kann - für die Winzer und für die Verbraucher.

14 Experimentierfelder, über Deutschland verteilt, haben ein Ziel: Die Digitalisierung in der Landwirtschaft voranbringen, digitale Techniken erforschen und deren Praxistauglichkeit testen. In unserer Serie stellen wir regelmäßig ein Experimentierfeld vor.