Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Wir Deutschen haben der europäischen Nachkriegsordnung ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu verdanken. Diese Ordnung gründete sich auf die Geltung des Völkerrechts, den Respekt der territorialen Integrität, die Achtung der Souveränität der Staaten und das Recht der freien Bündniswahl. Diese Prinzipien sind allen deutschen Regierungen stets zentrales Anliegen ihres Handelns gewesen. Sie finden ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Charta von Paris für ein neues Europa. In diesem Abschlussdokument des KSZE-Gipfels vom November 1990 bekennen sich die 35 Unterzeichnerstaaten einschließlich der damaligen Sowjetunion zum – ich zitiere – „Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“.

Seitdem können auch die Völker Osteuropas an dem teilhaben, was für die Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Allianz von Beginn an zum konstitutiven Kanon des Bündnisses gehörte. Hierzu gehört ausdrücklich auch die Freiheit der Bündniswahl. Auf dieser Grundlage hatten sich im Jahr 1949 die ersten zwölf Staaten zusammengeschlossen, um einander Beistand zu versichern. Und mehr noch: Im Wunsch nach Frieden, Freiheit und Sicherheit verpflichteten sich diese Staaten, internationale Streitigkeiten friedlich beizulegen.

Jeder der heute 28 Mitgliedstaaten konnte souverän und frei über seine Mitgliedschaft entscheiden und sich zu denselben Zielen und Werten unserer Gemeinschaft bekennen. Dies galt 1999 auch für die Aufnahme der Tschechischen Republik, Polens und Ungarns ebenso wie im Jahr 2004 für die Aufnahme Bulgariens, der drei baltischen Staaten, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens wie auch im Jahr 2009 für die jüngsten Aufnahmen, nämlich Albaniens und Kroatiens. Dieser Prozess der Einladung der Nordatlantischen Allianz an alle transatlantischen Partner, in freier Willensentscheidung Teil dieser Gemeinschaft zu werden, ist nicht beendet. Wir schlagen die Tür nicht zu. Ich freue mich deshalb, dass Montenegro bereits sehr bald dieser Gemeinschaft angehören wird.

Wenn die Staats- und Regierungschefs der Allianz morgen in Warschau zusammenkommen, dann wird das in einer Phase sein, in der sich die Sicherheitslage in und um Europa signifikant verändert hat. Im Osten hat Russlands Agieren in der Ukraine-Krise unsere östlichen Alliierten zutiefst verstört. Wenn die Geltung des Rechts und die Unverletzlichkeit von Grenzen durch Worte und Taten infrage gestellt werden, dann geht natürlich Vertrauen verloren. Das hat gerade unsere Bündnispartner im Osten tief verunsichert. Sie bedürfen daher der eindeutigen Rückversicherung durch die Allianz.

Aber auch südlich des Bündnisgebietes müssen wir eine dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage feststellen. Der Bürgerkrieg in Syrien, der Zerfall staatlicher Ordnung im Irak und in Libyen haben die Ausbreitung terroristischer Gruppierungen befördert. Hinzu kommt, dass kriminelle Schleuserbanden versuchen, aus dem Leid so vieler Flüchtlinge und Vertriebener Kapital zu schlagen.

Das alles ist ein ganzes Bündel von Herausforderungen. Deshalb hat die Allianz bereits auf ihrem Gipfel in Wales im September 2014 erste Maßnahmen beschlossen, mit denen die Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses gesteigert werden sollen. Die Summe dieser Maßnahmen – zusammengefasst unter der Überschrift „Readiness Action Plan“ – wird die Allianz schneller, reaktionsfähiger und einsatzbereiter machen, und zwar für Herausforderungen in jeder Richtung und jeder Art, das heißt in einem sogenannten 360-Grad-Ansatz.

Insbesondere die neuen, sehr schnell in das gesamte Bündnisgebiet verlegbaren NATO-Eingreifkräfte, die sogenannte Very High Readiness Joint Task Force, und der Aufbau von Aufnahmestäben bei unseren östlichen NATO-Partnern sind Ausdruck unserer gelebten Bündnissolidarität. Sie sind nur zwei Beispiele dieses Maßnahmenpakets.

Deutschland trägt zu diesen Maßnahmen substanziell bei. Ich bin unserem Außenminister und unserer Verteidigungsministerin wie auch der Bundeswehr für diesen Beitrag sehr dankbar. Damit machen wir deutlich, dass für uns die Grundprinzipien der europäischen Sicherheitsarchitektur auch in der Zeit neuer Herausforderungen unverändert gelten. Die Bündnissolidarität aus Artikel fünf des NATO-Vertrages ist zentraler Pfeiler dieser Architektur. Diese Solidarität muss und wird auch in Zukunft sichtbar und glaubwürdig sein.

Auf dem morgen beginnenden NATO-Gipfel in Warschau werden wir daher die ersten in Wales beschlossenen Anpassungsmaßnahmen des Bündnisses ergänzen. Es werden Elemente hinzukommen, mit denen die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses verstetigt und dauerhaft gesichert wird. Im Kern geht es darum, eine stärkere Präsenz der NATO in den baltischen Staaten und in Polen zu ermöglichen, also – wie es in der NATO-Sprache heißt – die sogenannte enhanced forward presence. Sie ist wichtig, weil wir im Bündnis festgestellt haben, dass es nicht allein ausreicht, Truppen schnell verlegen zu können, sondern dass es auch darum geht, bereits ausreichend vor Ort präsent zu sein.

Deshalb sehen die Planungen eine multilateral zusammengesetzte Präsenz vor. Dabei wird für jedes der drei baltischen Länder und für Polen jeweils ein Alliierter die Führung übernehmen, um die Präsenz der NATO dort sicherzustellen. Dieser Ansatz schließt die Reaktion auf sogenannte hybride Bedrohungen ausdrücklich mit ein, also auch Szenarien ähnlich denen, die Russland in der Ukraine eingesetzt hat und bei denen die klassischen Grenzen zwischen Krieg und Frieden bewusst verwischt werden.

Aus diesem Grund werden wir auf dem Gipfel auch Beschlüsse zur Cyberdimension fassen. Dazu werden wir uns politisch verpflichten, die nationalen Cyberabwehrfähigkeiten zu stärken und Cyber zusätzlich zu Land, Luft und See sowie Weltraum als weitere sogenannte operative Domäne zu definieren. Die Bundesverteidigungsministerin hat ja in der Organisationsstruktur der Bundeswehr bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet.

Bei unserem Engagement leiten uns zwei zentrale Gedanken, zum einen Artikel fünf des NATO-Vertrags, in dem es heißt:

„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“

Das Verständnis der Abschreckung soll von einem solchen Angriff abhalten, es soll eine bewusste Auseinandersetzung vermeiden helfen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist ein zutiefst defensives Konzept.

Zum anderen orientieren wir uns an der NATO-Russland-Grundakte, in der wir uns 1997 zusammen mit Russland auf die Grundlagen unserer Zusammenarbeit verständigt haben. Damals haben wir nicht nur unsere Unterstützung für die Charta von Paris ausdrücklich erneuert, sondern uns auch zu der Absicht bekannt – ich zitiere –

„... auf der Grundlage gemeinsamen Interesses, der Gegenseitigkeit und der Transparenz eine starke, stabile und dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln.“

Das ist Teil der NATO-Russland-Grundakte.

Wir werden weiter dafür werben, die NATO-Russland-Grundakte als Basis für das Verhältnis der NATO zu Russland zu erhalten. Denn auch wenn Russland die Bestimmungen dieses Dokuments durch sein Vorgehen gegen die Ukraine verletzt, so sind in diesem Dokument doch unsere Werte und Prinzipien verankert, an denen wir unser Handeln weiter ausrichten werden.

Das heißt also: Abschreckung und Dialog, das klare Bekenntnis zur Solidarität mit unseren Bündnispartnern gemäß Artikel fünf des NATO-Vertrages und die ausgestreckte Hand zum Dialog sind keine Gegensätze. Nein, das gehört untrennbar zusammen.

Darüber herrscht bei unseren Partnern im Bündnis auch Einvernehmen. Wir sind uns außerdem einig, dass dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist. Zentraler Ort für den Dialog der NATO mit Russland ist und bleibt der NATO-Russland-Rat. Er wurde 2002 ins Leben gerufen. Zuvor hatten die NATO und Russland im Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat zusammengearbeitet, der auf der Grundlage der 1997 unterzeichneten NATO-Russland-Grundakte gegründet worden war. Im NATO-Russland-Rat sollen die NATO und Russland zusammenkommen, um sich über gemeinsame Schritte zur Terrorbekämpfung oder zur Bedrohungsanalyse durch ballistische Raketen zu besprechen. Es ist wichtig, dass dieses Gremium genutzt wird. Ich begrüße es sehr, dass dieser Rat kürzlich wieder zu einer Sitzung zusammenkommen konnte, und möchte dem Bundesaußenminister danken, dass er sich dafür sehr stark eingesetzt hat.

Es wäre sinnvoll und gut gewesen, wenn Russland das Angebot der NATO zu einer weiteren Sitzung vor dem morgen beginnenden Gipfel angenommen hätte, weil das die Möglichkeit gegeben hätte, die abzusehenden Entscheidungen der Allianz zu erörtern und möglichen Missinterpretationen entgegenzuwirken. Eine solche Sitzung vor dem Gipfel wollte Russland jedoch nicht. Nun kann der NATO-Russland-Rat nach dem Gipfel zusammenkommen. Wir jedenfalls haben großes Interesse daran, weil wir ganz grundsätzlich an einem konstruktiven Verhältnis zwischen der NATO und Russland interessiert sind und weiter nachdrücklich hierfür werben werden.

Entscheidend für die weitere Zusammenarbeit mit Russland wird natürlich auch die Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk sein. Zurzeit finden intensive Beratungen dazu statt, einschließlich der Vorbereitung der Kommunalwahlen in Donezk und Luhansk. Leider müssen wir jedoch festhalten, dass es bis heute keine belastbare Waffenruhe gibt. Deshalb haben die Bemühungen der OSZE hier absolute Priorität.

Beim NATO-Gipfel wird es im Übrigen auch Treffen der NATO-Georgien-Kommission und der NATO-Ukraine-Kommission geben, letztere zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Von großer Bedeutung wäre es natürlich auch, wenn der NATO-Russland-Dialog zu einem ehrlichen erneuten Bemühen zwischen den Nuklearmächten USA und Russland führte, ihre Nuklearwaffen weiter zu reduzieren. Präsident Obama hat Russland bei seiner Rede hier in Berlin, am Brandenburger Tor, im Juni 2013 mutige und weitreichende Vorschläge unterbreitet. Es wäre sehr wichtig, wenn dieses Angebot aufgegriffen würde. Damit könnte auch hier der Weg zu echten Fortschritten geöffnet werden: zu einer Welt ohne Nuklearwaffen. Das wäre ein wichtiger Schritt.

Eine weitere große strategische Herausforderung für uns alle in Europa und damit auch für die NATO sind natürlich auch die Auswirkungen, die mit dem syrischen Bürgerkrieg, dem Staatenzerfall im Irak und in Libyen und der Ausbreitung der Terrormiliz IS verbunden sind.

Unsere Welt heute ist eine Welt in Unruhe. Der fanatische, islamistische Terrorismus des IS bedroht auch uns in Europa. Vor allem aber bringt er unendliches Leid über die Menschen in der Region. Die jüngsten verheerenden Anschläge in Bagdad und auch der Anschlag in Dhaka zeigen einmal mehr, welche Menschenverachtung diesem Terrorismus innewohnt.

Auch die Terrorakte in Brüssel, in Paris und wiederholt in Istanbul mahnen uns, die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ebenso entschieden wie klug zu führen. Leider weiß auch unser heutiger Gast auf der Ehrentribüne, der pakistanische Parlamentspräsident, was Terrorismus für Schrecknisse anrichten kann. Das heißt ganz konkret: Es ist eine gewaltige Aufgabe, zu Frieden, Stabilität und Prosperität in den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas und Subsahara-Afrikas beizutragen. Es ist eine Aufgabe, zu der auch die NATO ihren Beitrag leisten kann. Aber es ist keine Aufgabe, die von der NATO allein oder die nur mit militärischen Mitteln zu lösen ist.

Der Einsatz der NATO kann immer nur ein Baustein sein. Genau deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Ursachen von Flucht, Vertreibung, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit wirksam zu bekämpfen. So unterstützen und stabilisieren wir die Regierung im Irak. Wir fördern die Verhandlungen des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, und des UN-Sondergesandten für Libyen, Martin Kobler. Wir leiten die Arbeitsgruppe, die mit der Stabilisierung in der Anti-IS-Allianz befasst ist, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Darüber hinaus legen wir nicht zuletzt angesichts des enormen Ausmaßes der Flüchtlingstragödie einen Schwerpunkt auf die humanitäre Dimension: bei der Londoner Syrien-Konferenz Anfang Februar als größter Einzelgeber wie auch beim World Humanitarian Summit Ende Mai in Istanbul, bei dem wir uns dafür eingesetzt haben, das humanitäre System neu zu gestalten. Am 20. September werden wir uns in New York auf einem von US-Präsident Obama ausgerichteten Flüchtlingsgipfel erneut dafür einsetzen, die Lage der Flüchtlinge weltweit zu verbessern. Deutschland hat für dieses Treffen die Kogastgeberrolle übernommen.

Die NATO ihrerseits kann einen konkreten Beitrag leisten, indem sie zum Beispiel in der Ägäis hilft, das illegale und menschenverachtende Schleuserwesen einzudämmen. Zusätzlich zum EU-Türkei-Abkommen trägt dieser Einsatz wesentlich dazu bei, dass heute kaum noch Menschen die lebensgefährliche Fahrt über die Ägäis wagen, ihr Leben riskieren und es viel zu oft auch verlieren. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich sehr früh dafür eingesetzt, dass die Allianz sich auch auf Herausforderungen wie diese einstellt, um zu helfen, die Krisen in unserer südlichen Nachbarschaft zu überwinden. Wir haben ihn hierbei ausdrücklich unterstützt, weil die Allianz über sehr spezifische Fähigkeiten verfügt, die sie genau dafür einsetzen kann.

Auch hierzu werden wir in Warschau weitere wichtige Entscheidungen treffen:

Erstens. Wir werden uns auf Trainings- und Ausbildungsmaßnahmen der NATO für den Irak verständigen. Dies geht auf eine ausdrückliche Bitte des irakischen Premierministers al-Abadi zurück. Bereits seit einiger Zeit bildet die Allianz in Jordanien irakische Sicherheitskräfte aus, vor allem im Bereich der Kampfmittelräumung. Seit 2014 unterstützt Deutschland bilateral und im Rahmen der Anti-IS-Allianz die Peschmerga im Nordirak mit Waffen und Ausbildung. Ihre Erfolge gegen den IS geben uns in diesem Bemühen auch recht. Die Ausbildungsmaßnahmen der NATO sollen künftig auch im Irak durchgeführt werden, weil irakische Sicherheitskräfte, die gerade auch bei der Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete wichtige Erfolge erzielen, eine Ausbildung und Beratung näher im Lande brauchen.

Zweitens. Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, die Anti-IS-Koalition durch NATO-AWACS zu unterstützen. Durch NATO-AWACS können wir den Einsatz unserer Aufklärungstornados im türkischen Incirlik sinnvoll ergänzen. Während die Tornados die Stellungen und Positionen des IS aufklären, könnten die AWACS sicherstellen, dass der Luftraum ordentlich koordiniert und überwacht ist. Gerade mit Blick auf unsere Tornados liegt der Einsatz der AWACS deshalb auch in unserem eigenen Interesse; denn durch die AWACS-Luftraumaufklärung verfügten dann auch unsere Piloten über ein besseres Luftlagebild und damit über ein Mehr an Sicherheit. Sobald die Details der Einsatzplanung seitens der NATO vorliegen, wird die Bundesregierung den Bundestag hierzu wie geboten natürlich befassen.

Drittens. Wir werden beim Gipfel die seit 2001 bestehende und auf Artikel fünf des NATO-Vertrages beruhende Operation Active Endeavour im Mittelmeer in eine maritime Sicherheitsoperation überführen und so vom Artikel fünf des NATO-Vertrages entkoppeln. Das ist wichtig, weil damit ein umfassender Einsatz zur Sicherung des Mittelmeers möglich sein wird. Dabei wird es darum gehen, ein maritimes Lagebild zu erstellen, Staaten beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen und den Terrorismus zu bekämpfen. Ein strukturelles Element dieser Arbeiten ist immer wieder auch die Kooperation zwischen der NATO und der Europäischen Union, die übrigens bereits sehr gut bei den Aktivitäten in der Ägäis, zum Beispiel zusammen mit Frontex, stattfindet. Diese Kooperation ist uns als Bundesregierung grundsätzlich sehr wichtig.

Bei all diesen vielfältigen Bedrohungen aus dem Süden dürfen wir nicht die Proliferation ballistischer Waffensysteme übersehen. Ein Beispiel: In eindeutigem Widerspruch zu den einschlägigen Bestimmungen des UNO-Sicherheitsrates entwickelt der Iran sein Raketenprogramm unvermindert weiter. Es ist leider keineswegs so, dass dieses Raketenprogramm durch das historische Wiener Abkommen zur Kontrolle des iranischen Nuklearprogramms beendet worden wäre. Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau daher auch die sogenannte Erstbefähigung der NATO-Raketenabwehr erklären, also einen weiteren wichtigen Schritt gehen, mit dem die Menschen im Bündnisgebiet noch besser geschützt werden sollen.

Für uns ist äußerst wichtig – ich betone das deshalb hier auch ganz ausdrücklich –: Diese NATO-Raketenabwehr ist rein defensiv ausgerichtet. Sie ist nicht gegen Russland gerichtet. Sie beeinflusst auch nicht die strategische Balance zwischen der NATO und Russland. Die Bundesregierung wie auch das Bündnis haben nicht die Absicht, dies zu ändern. Unsere Hand zu Transparenz und Dialog auch über diese Maßnahmen des Bündnisses ist und bleibt ausgestreckt.

Beim Gipfel in Warschau werden wir darüber hinaus auch die bestehenden Einsätze bewerten und natürlich zukünftige Aufgaben benennen. Seit 2003 ist die NATO in Afghanistan engagiert, zunächst im Rahmen von ISAF und seit 2015 im Rahmen der Beratungsmission Resolute Support, an der sich derzeit 39 Nationen beteiligen. Zum einen werden wir beim Gipfel die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte bis 2020 festschreiben können. Das ist außerordentlich wichtig, um die afghanischen Streitkräfte weiter zu befähigen, Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Zum anderen wird die Allianz ihren Willen bekräftigen, die Mission Resolute Support auch über 2016 hinaus fortzusetzen. Der amerikanische Präsident hat gestern dazu eine wichtige Erklärung abgegeben, nämlich dass auch die amerikanischen Streitkräfte mit einem Kontingent von 8.400 Soldaten weiter beteiligt sein werden. Das ist für uns von großer Wichtigkeit. Wir wollen weiter in Afghanistan engagiert bleiben, um die Menschen dort zu beschützen.

Die Nordatlantische Allianz wird in Warschau zudem das Ziel bekräftigen, dass die Bündnispartner zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsaufgaben vorhalten. Deutschland unterstützt dies schon seit vielen Jahren – ich will darauf noch einmal hinweisen, weil es ja auch aktuell wieder Diskussionen dazu gab –; das ist nicht auf diese Bundesregierung beschränkt. Deshalb haben wir im neuen Finanzplan, den das Bundeskabinett gestern beschlossen hat, eine signifikante Erhöhung von 37,1 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf rund 39 Milliarden Euro im Jahr 2017 vorgesehen.

Dieser Finanzplan sieht darüber hinaus eine weitere Steigerung des Verteidigungshaushaltes vor; denn 2018 bis 2020 haben wir insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro zusätzlich eingeplant. Damit ist der Ansatz zur Trendumkehr bei den Verteidigungsausgaben deutlich erkennbar, wenngleich natürlich bis zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels noch viel zu tun bleibt.

Die ganze Aufstellung der Bundeswehr spiegelt inzwischen die internationale Verantwortung Deutschlands wider. Deutschland stellt sich gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten dieser Verantwortung und den immer neuen Aufgaben, und zwar stets in dem Bewusstsein, dass militärische Mittel allein keine nachhaltigen Lösungen ermöglichen können. Immer geht es um bündnispolitische Schritte und kluge Diplomatie zugleich. Genau deshalb engagiert sich die Bundesregierung neben den Einsätzen in NATO und EU auch beim OSZE-Vorsitz in diesem Jahr, in den Nuklearverhandlungen mit dem Iran, im Normandie-Format zur Ukraine oder in der Gruppe um den UNO-Sondergesandten de Mistura.

Die Nordatlantische Allianz gemeinsam mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sie sind der Bezugsrahmen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die NATO schlägt dabei die Brücke über den Atlantik. Sie ist transatlantische Wertegemeinschaft von Europäern und Nordamerikanern. Lassen Sie mich, wenige Tage nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika den 240. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit begangen haben, anfügen: Wir danken Amerika, dass es in vielen der Einsätze die Hauptlast bei der Bewältigung der Herausforderungen trägt – sei es in Afghanistan, sei es in Syrien –, in der NATO und weit darüber hinaus.

Die NATO vereint uns solidarisch in einem Bündnis mit Nachbarn, Partnern und einstigen Kriegsgegnern. Die Beschlüsse von Warschau sollen dazu dienen, die weiteren großen Herausforderungen zum Wohle der Menschen zu meistern.

Lassen Sie mich abschließend ein herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten, die in vielen dieser Einsätze ihren Dienst tun und damit unsere Sicherheit gewährleisten.