Regierungserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle,

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Deutschlands Wirtschaft wächst wieder, dieses Jahr mit knapp 1,5 Prozent, nächstes Jahr mit gut 1,5 Prozent. Der Vulkanausbruch auf Island hat die Wirtschaft kurzzeitig abgebremst. Wenn sich die Lage im Laufe der nächsten Tage wieder voll normalisiert hat, wird sich zeigen, dass sich die volkswirtschaftlichen Schäden in Grenzen halten. Wir können zuversichtlich sein, dass wir diesen exogenen Schock, wie Ökonomen es nennen, gut wegstecken. Wir sind gut aufgestellt. Deutschland ist zurück auf dem Wachstumskurs.

Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu Griechenland machen. Wir beobachten die Lage dort genau. Wir nehmen die Signale ernst. Wir verfallen aber nicht in Aktionismus; Aktionismus wäre genau die falsche Reaktion. Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft hat ein besonderes Interesse an Währungsstabilität. Die Regierungschefs haben einen ganz klaren Fahrplan vereinbart. Die Mitglieder der Währungsunion stehen gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds dann bereit, wenn sich Griechenland nicht mehr selbst helfen kann. Das ist sozusagen die Ultima Ratio. Bislang ist diese Situation nicht eingetreten. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass dies so bleibt. Innen- oder gar wahlkampfpolitisch motivierte Äußerungen sind völlig fehl am Platz.

Vieles von dem, was sich in diesem Jahr als Wachstum zeigt, ist die Folge staatlicher Stabilisierungsmaßnahmen. Angesichts der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit brauchte die Wirtschaft Impulse. Worum es aber letztlich gehen muss, ist die Rückkehr zu einem selbsttragenden, nachhaltigen Wachstumsprozess, der nicht auf den Staat zählt, sondern auf Marktkräfte und Eigeninitiative vertraut.

Im Kern geht es dabei um das richtige Verhältnis zwischen dem Staat auf der einen und der Wirtschaft und den Bürgern auf der anderen Seite. Nicht Bevormundung und Gängelung, sondern Freiheit, Eigenverantwortung und Chancengerechtigkeit sind die Quellen, aus denen tragfähiges Wachstum und echter Wohlstand entstehen.

Diese Regierung hat einen klaren ordnungspolitischen Kompass. Dauersubventionen, staatliche Bürokratie und Markteingriffe sind keine Grundlagen für eine wirklich wettbewerbsfähige Wirtschaft. Was wir unterstützen wollen sind Lernen, Kreativität, Engagement, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und den Willen, die Dinge selbst zu gestalten. So gesehen sind Deutschlands Wachstumspotenziale noch längst nicht ausgeschöpft. Unser Wachstumspfad liegt noch immer deutlich unter seinen Möglichkeiten.

Wenn wir diese Potenziale heben wollen, müssen wir an drei zentralen Stellen ansetzen.

Erstens: Wir brauchen Innovation und technischen Fortschritt.

Zweitens: Wir brauchen wirksame Steuervereinfachungen und -entlastungen.

Drittens: Wir brauchen offene und flexible Märkte.

Innovation und technischer Fortschritt sind für die christlich-liberale Bundesregierung Schüsselthemen. Wir haben hier schon wichtige Weichen gestellt: Allein der Bund wird in dieser Legislaturperiode zusätzlich zwölf Milliarden Euro für Forschung, Entwicklung und Bildung bereitstellen.

Innovation ist aber nicht nur eine Frage des Geldes in den Taschen, sondern vor allem auch des Denkens und der inneren Einstellung. Neue Technologien brauchen einen positiven Resonanzboden in Politik und Gesellschaft. Nur wenn wir Innovation als Chance sehen, hat Innovation hierzulande auch eine Chance.

Deshalb brauchen wir den Beitrag der Genforschung zur Linderung von Hunger und Krankheiten.

Deshalb ist für uns eine CO2-Speichertechnologie ein möglicher Schlüssel für mehr Klimaschutz am Industriestandort Deutschland.

Deshalb brauchen wir eine Offenheit für neue Technologien wie die Elektromobilität, um das Auto des 21. Jahrhunderts in Deutschland neu zu erfinden. Am 3. Mai 2010 bringt die Bundeskanzlerin dafür alle wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik an einen Tisch. Von diesem Treffen wird das Signal ausgehen: Deutschland wird der Leitmarkt für Elektromobilität sein.

Derzeit läuft die Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen. Es wird bei weitem nicht so viel Geld in den Bundeshaushalt fließen wie bei der UMTS-Versteigerung im Jahr 2000. Aber dieser Bundesregierung geht es nicht – wie damals Rot-Grün – darum, Kasse zu machen. Uns geht es um die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts. Uns geht es darum, das schnelle Internet in ganz Deutschland zu ermöglichen. Deshalb gibt es in den Versteigerungsbedingungen die Auflage an die Bieter, zunächst die noch unterversorgten Räume zu erschließen.

Wir brauchen Breitband überall. Ein Industriegebiet braucht heute beides: gute Straßen und ein leistungsfähiges Internet. Kein Unternehmen darf "offline" sein.

Strukturell genauso wichtig wie das Breitband ist eine saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung. Heute brauchen wir einen dynamischen Energiemix aus Erneuerbaren, Kernenergie und sauberer Kohle. Für morgen und übermorgen wollen wir die erneuerbaren Energien stark ausbauen.

Dafür brauchen wir verlässliche Übergänge. Ein Übergang ist der Ausbau der Netze. Ein weiterer Übergang ist die Entwicklung von Speichertechnologien. Als Brücke ins regenerative Zeitalter brauchen wir die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke. Sie gibt uns die Zeit und die finanziellen Mittel, den Übergang vernünftig zu gestalten.

Mein Kollege Röttgen und ich werden im Herbst ein Energiekonzept vorlegen, übrigens das erste seit elf Jahren. Wir haben einen vernünftigen Kompass, der uns bei dem Konzept leitet.

Im globalen Wettbewerb müssen wir besser sein als die anderen. "Besser" heißt hier: innovativer. Ein wichtiges Thema ist dabei die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung. Sie kommt allen innovativen Unternehmen zugute, auch denjenigen, die bisher vor den Anträgen für die Projektförderung zurückgeschreckt sind. Das wäre ein gutes Mittel, um die Forschungsleistung der Wirtschaft generell anzukurbeln. In Zeiten knapper Kassen macht es sicherlich Sinn, eine solche Maßnahme zunächst auf den Mittelstand zu fokussieren.

Das gilt auch für die von dieser Bundesregierung konzipierten Innovationsgutscheine, die ich Anfang Mai vorstellen werde. Mittelständler erhalten durch diese Gutscheine eine Art technologisches Fitnesstraining ohne viel Bürokratieaufwand.

Die erfreuliche Wirtschaftsentwicklung bekommen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Geldbeutel zu spüren. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte steigen spürbar. Wir haben einen Zuwachs bei den Nettolöhnen. Sie steigen so stark wie seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr. Die Bundesregierung hat hierzu ihren Beitrag geleistet. Sie wird einen weiteren Beitrag leisten. Wir werden die Wirkung der kalten Progression vermindern, die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen weiter entlasten.

Die Effekte für den Arbeitsmarkt wollen wir maximieren. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag auch einen Stufentarif vereinbart. Im Bundeswirtschaftsministerium haben wir das kürzlich durchrechnen lassen. Ein Tarif mit fünf Stufen und einem Entlastungsvolumen von 16 bis 17 Milliarden Euro würde 130.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Als Wirtschaftsminister ist mir dabei etwas besonders wichtig. Neben der Entlastung der unteren und mittleren Einkommen zur Stärkung der Kaufkraft geht es um 80 Prozent der deutschen Betriebe. Sie sind nämlich Personengesellschaften. Für sie ist die Einkommensteuer die Unternehmensteuer. Wir wollen also den Mittelstand entlasten. Das stärkt die Eigenkapitalbasis, die Substanz jedes Unternehmens.

Die Stärkung der Unternehmenssubstanz ist übrigens ein roter Faden unserer Steuerpolitik. Das haben wir bei der Zinsschranke gezeigt. Das haben wir bei der Erbschaftsteuer gezeigt. Dagegen will Rot-Rot-Grün mit seinen Vermögensteuerplänen den Unternehmen an die Substanz. Es ist nicht glaubwürdig, wenn die SPD auf der einen Seite die Abschreibungsbedingungen aus den Konjunkturpaketen dauerhaft verlängern, aber auf der anderen Seite die Eigenkapitalbasis der Unternehmen durch die Vermögensteuer dauerhaft schmälern will.

Ein weiterer zentraler Schlüssel für mehr Wachstumspotenzial sind flexiblere Märkte. Das gilt mehr denn je. Der Staat war in der Krise gefordert. Nun ist der Staat gefordert, sich in Schritten wieder zurückzuziehen; denn das beste Entdeckungsverfahren bleibt der Wettbewerb. Er ist Garant für Dynamik und Innovation.

Wir haben das bei der Telekommunikation gesehen. Der Markt wurde in den 90er Jahren von der damaligen christlich-liberalen Regierung geöffnet. Davon profitiert unsere Gesellschaft bis heute. Statt trister Telefonzellen und horrender Fernsprechrechnungen gibt es heute einen boomenden Telekommunikationsmarkt mit vielfältigen Techniken und niedrigen Tarifen.

Wir wollen solche Erfolgsgeschichten auch in anderen Sektoren, etwa im Postmarkt. Wir machen Schluss mit dem Mehrwertsteuerprivileg der Post. Dazu hatten sozialdemokratische Finanzminister elf Jahre nicht die Kraft. Die neue Regierung sorgt für gleiche Wettbewerbsbedingungen im Postsektor.

Wir werden die Gasmärkte in den nächsten Monaten weiter öffnen. Die Gasnetzzugangsverordnung, die wir in Kürze vorlegen werden, wird dafür ein erster Baustein sein. Für den Stromgroßhandel werden wir eine Markttransparenzstelle einrichten, die die Preisbildung dort dauerhaft unter die Lupe nimmt. Wir werden für alle Branchen als Ultima Ratio ein Entflechtungsinstrument in das GWB aufnehmen.

Offene und flexible Märkte brauchen wir auch im weltweiten Maßstab. Das gilt zum Beispiel für die Rohstoffversorgung. Ich sehe mit großer Sorge, wie sich etwa bei der Eisenerzgewinnung monopolartige Strukturen herausbilden, die die Preise nach oben treiben. Bei den anderen Rohstoffen, wie den sogenannten seltenen Erden, gibt es wichtige Ausfuhrstaaten, die starke protektionistische Tendenzen zeigen, ja sogar wie China Exportzölle eingeführt haben.

Ich werde in Kürze die deutsche Wirtschaft zu einem Rohstoffdialog einladen. In meiner Außenwirtschaftspolitik ist das Thema Rohstoffe zentral. Ganz konkret werde ich nächste Woche in Brasilien die Eisenerzfrage mit meinem Amtskollegen erörtern.

Wichtig ist, dass wir die Markttransparenz im Rohstoffbereich deutlich erhöhen. Dazu werden wir die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zur zentralen Rohstoffagentur für die deutsche Wirtschaft ausbauen. Wir wollen die Wirtschaft unterstützen, jedoch die Wirtschaft nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

Flexible Märkte sind widerstandsfähig. Das verdeutlicht der erstaunlich robuste Arbeitsmarkt. Angesichts von 3,4 Millionen Arbeitslosen nach der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit kann man schon von einem kleinen Jobwunder sprechen. Die düsteren Prognosen der letzten Zeit haben sich jedenfalls nicht bewahrheitet. Von Horrorszenarien aus rot-grünen Zeiten mit viereinhalb bis fünf Millionen Arbeitslosen sind wir weit entfernt. Die Bürger erinnern sich genau: Rot-Grün war die Regierung des Nullwachstums und der Massenarbeitslosigkeit. Schwarz-Gelb ist die Regierung von Wachstum und Beschäftigung. Es waren immer die bürgerlichen Parteien, die auf flexible Arbeitsmärkte gedrängt haben.

Wir wissen genau: Die gute Entwicklung verdanken wir den vielen Bündnissen für Arbeit in den Betrieben, mit Lohnzurückhaltung und Arbeitszeitkonten, die das kleine Jobwunder erst möglich gemacht haben. Der Flächentarif ist zwar von den Tarifpartnern nicht aufgegeben worden, aber die zentralen Abmachungen lassen viel mehr Flexibilität als früher zu. So konnte reguläre Beschäftigung über die Krise hinweg gehalten werden. Von dieser Flexibilität haben letztlich alle profitiert.

Zwei Drittel der positiven Arbeitsmarkteffekte gehen auf das Konto von Arbeitszeitflexibilisierung und Lohnzurückhaltung. Im Krisenjahr 2009 ist etwa ein Drittel auf die Kurzarbeiterregelung zurückzuführen. Mit der Ausweitung der Kurzarbeiterregelung hat die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die Flexibilität der Unternehmen verbessert. Facharbeiter konnten gehalten werden. Mit dem Abflauen der Krise wird das Kurzarbeitergeld wieder an Bedeutung verlieren. Die am Mittwoch beschlossene Verlängerung ist eine Vorsichtsmaßnahme. Die sogenannte Konzernklausel wurde nicht verlängert. Die Kurzarbeitergeldregelung ist damit ein Stück mittelstandsfreundlicher geworden.

Kollegin von der Leyen und ich sind uns völlig einig: Die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung können kein Dauerzustand sein. Dauerhafte Subventionen stehen im Widerspruch zum christlich-liberalen Verständnis vom Verhältnis zwischen Mensch und Staat. Sie verzerren den Wettbewerb. Sie stehen einem effizient funktionierenden Marktmechanismus im Wege. Letztendlich sind dauerhafte Subventionen schlichtweg nicht zu finanzieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Konjunkturprognosen und die Zahlen vom Arbeitsmarkt zeigen: Seitdem diese Regierung angetreten ist, ist Deutschland endlich wieder auf Wachstumskurs. Die Sofortmaßnahmen der letzten Monate haben gewirkt. Viele Unternehmen sind weiterhin am Markt; viele Jobs konnten gerettet werden. Jetzt geht es um eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum und Arbeitsplätze auch für die Zukunft sichert. Dafür müssen wir verschüttete Wachstumspotenziale. Dafür müssen wir Freiräume schaffen. Dafür steht diese Koalition.