Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

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Herzlich willkommen im Schloss Bellevue, herzlich willkommen zur Vorstellung unserer „Wegbereiter der deutschen Demokratie“!

Auf dem Weg in diesen Saal sind Sie gerade alle an dem Gemälde vorbeigekommen, das auf dem Umschlag unseres Buches zu sehen ist. Es hängt gleich im Saal nebenan. „Die Parteigänger“ heißt es und zeigt deutsche Jakobiner zur Zeit der Französischen Revolution. Eine Leihgabe der Stadt Landau in der Pfalz; vermutlich inspiriert durch den dortigen Jakobinerklub, die „Gesellschaft der Freunde der Verfassung“, wie das damals hieß. Dieses Bild zeigt, dass auch in Deutschland schon früh Streiter für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unterwegs waren.

Daran soll auch im Schloss Bellevue erinnert werden. Seit dem 9. November 2020 gibt es hier den Robert-Blum-Saal, in dem neben den „Parteigängern“ weitere Kunstwerke an wichtige Stationen der deutschen Demokratiegeschichte erinnern.

Nachdem der populäre Demokrat und Paulskirchenabgeordnete am 9. November 1848 von kaiserlichem Militär in Wien erschossen worden war, hieß es in einem Nachruf: „Sein Volk wird ihm ein Denkmal setzen, größer als die Denkmale aller seiner Gefeierten; denn dieses Denkmal wird die deutsche Republik sein.“

Denkmale wurden in den fast 175 Jahren seit 1848 viele gebaut, doch auch in der Republik kamen Straßen und Plätze ohne ein Denkmal aus, das an ihn erinnert. Robert Blum war für die allermeisten vergessen – und mit ihm viele andere, die sich früh und oft mit viel Mut und unter großen Opfern für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit eingesetzt haben.

Ich denke an Georg Forster und die Mainzer Republik; an einen Streiter für die Pressefreiheit wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer; an Kämpferinnen für die Frauenrechte wie Louise Aston oder Hedwig Dohm; an leidenschaftliche Parlamentarier wie Eugen Richter oder Ludwig Windthorst; oder an Pioniere der Gewerkschaftsbewegung wie Carl Legien und Emma Ihrer.

Sie alle verdienen weit mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung, als sie bisher erfahren haben. Und deshalb freue ich mich sehr, dass wir für diese wichtigen Wegbereiterinnen und Wegbereiter der deutschen Demokratie mit unserem Buch sozusagen einen Erinnerungsort geschaffen haben.

Sicher, die deutsche Demokratiegeschichte ist keine gradlinige Erfolgsbilanz. Aber ohne den Blick in den Abgrund der Shoah zu verdrängen und ohne die Diktaturen auf deutschem Boden zu vergessen, gibt es die Traditionen von Freiheit und Demokratie, die erinnert zu werden verdienen. Dieser Blick zurück macht uns bewusst, auf welchen Schultern wir in unserer Demokratie heute stehen, und ruft in Erinnerung, welche Opfer Menschen erbracht haben, um Freiheit und Demokratie zu erringen, und macht Mut für die Zukunft in einer Zeit neuer Herausforderungen, vor denen die Demokratie steht.

Dieses Buch hat viele Eltern. Zwei davon möchte ich besonders hervorheben: Einmal der Publizist Benedikt Erenz, der so viel für das Zustandekommen dieses Projekts getan hat. Wie kaum ein anderer setzt er sich seit Jahrzehnten dafür ein, der Geschichte der deutschen Demokratie und deren Protagonisten mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Lieber Benedikt Erenz, ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Ohne Sie und Ihr Engagement hätte es dieses Buch wohl nicht gegeben. Ganz herzlichen Dank dafür!

Dass aus einer guten Idee dann tatsächlich auch ein Buch geworden ist, verdanken wir dem Verleger. Lieber Jonathan Beck, Sie, Ihr Haus und das Team um den Lektor Sebastian Ullrich haben sich von Beginn an mit großer Leidenschaft dieser Idee angenommen und daraus ein so schönes Buch gemacht. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, denn schon vor der heutigen Vorstellung ist die zweite Auflage in Druck gegangen. Herzlichen Dank, lieber Jonathan Beck!

Der größte Dank aber gebührt Ihnen, die Sie als Autorinnen und Autoren mit Ihren Texten zu diesem Buch beigetragen haben. Es sind wunderbare Stücke über mutige, tragische, erstaunliche und romanhafte Biografien entstanden, die nicht nur historisch notwendig sind, sondern auch mir Lesevergnügen bereitet haben. Viele der Autorinnen und Autoren sind heute hier, andere schauen uns per Livestream zu: aus München, Cambridge oder Toronto. Sie alle haben mit Ihrem großen historischen Wissen und Ihrer Gabe, anschaulich zu erzählen, die Protagonisten zum Leben erweckt und dafür gesorgt, dass diese dreißig Frauen und Männer, nicht mehr nur einem kleinen Kreis von Experten bekannt bleiben, sondern einem großem Publikum bekannt werden: von Adolph von Knigge bis Hugo Preuß, von Caroline Schlegel-Schelling bis zu Anita Augspurg.

Ich freue mich sehr, dass wir gleich eine interessante Gesprächsrunde haben werden mit Christine Lieberknecht, die 1989 selbst ein wichtiges Stück der jüngsten deutschen Demokratiegeschichte mitgeschrieben hat – mit Dietmar Süß, einem der Autoren unseres Buches und nicht zuletzt mit Ihnen, lieber Wolfgang Schäuble. Sie haben schon qua Herkunft aus Offenburg einen besonderen Bezug zur deutschen Freiheitsbewegung. Und jüngst habe ich gelesen – und jetzt bitte alle genau zuhören: Seit der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche hat es niemanden gegeben, der länger als Volksvertreter in einem deutschen Parlament gewirkt hat, als Sie, lieber Wolfgang Schäuble. Wer wäre berufener als Sie, dieses Buch vorzustellen – jemand der Demokratiegeschichte in Deutschland schon eine ganze Weile mitschreibt und weiter mitschreiben wird.

Von mir nur noch eine letzte Bemerkung. Sie bezieht sich auf den Beitrag von Uwe Timm, der in unserem Buch den deutschen Revolutionär und späteren amerikanischen Staatsmann, Innenminister, Carl Schurz porträtiert. Lieber Uwe, Deinen Text schließt Du mit dem kritischen Hinweis:

„In Berlin gibt es neun teils renovierte und frisch gereinigte Bismarck-Denkmale. Kein Denkmal erinnert an den Demokraten Carl Schurz.“

Das ist in der Tat ein großes Defizit, aber ich habe eine gute Nachricht: Im rheinischen Liblar, dem Geburtsort von Carl Schurz, steht schon seit fast einhundert Jahren eine große Büste dieses bedeutenden Mannes. Gerade wird davon eine Kopie gegossen und am 3. März kommenden Jahres, zum Geburtstag von Carl Schurz, werden wir sie hier am Schloss Bellevue aufstellen. Ich bin überzeugt: In die Hauptstadt unserer Republik gehören nicht nur Siegessäulen, Feldherren und Monarchen, sondern auch die Wegbereiter der deutschen Demokratie!