Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

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„Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin“, diese Worte klingen wie die Lebensbilanz Robert Blums, des Demokraten und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, der im Morgengrauen des 9. November 1848 in der Brigittenau in Wien von Soldaten des kaiserlichen Militärs standrechtlich erschossen wurde.

„Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin“, diese Worte erinnern uns daran, dass Demokratie und Menschenrechte, die heute in unserem Grundgesetz verankert sind, nicht vom Himmel gefallen sind, sondern erstritten und errungen werden mussten. Sie machen uns bewusst, dass wir unsere demokratische Verfassung und Lebensform auch den vielen Männern und Frauen zu verdanken haben, die in der Geschichte unseres Landes für Freiheit und Gleichheit eingetreten sind; früher als andere, unbeirrt von Rückschlägen und Gefahren, mit Mut, Leidenschaft und oft unter großen persönlichen Opfern.

„Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin“, diese Worte stehen nun, neben dem halben Porträt Robert Blums, auf der schönen Briefmarke, die wir heute gemeinsam vorstellen und die Sie, stark vergrößert, hier neben mir auf der Staffelei sehen. Ich freue mich, dass Sie alle hier sind, dass wir zusammenkommen konnten, um an einen „aufrechten Demokraten“ zu erinnern, an einen Wegbereiter unserer Republik. Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Schloss Bellevue!

Mit der neuen Briefmarke ehren wir einen Vorkämpfer der Demokratie, der wie kaum ein anderer für den politischen Aufbruch im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 steht, für den Aufbruch zu einem in Recht und Freiheit geeinten Deutschland.

Robert Blum, das war der Aufsteiger und Autodidakt, der 1807 in Köln als Sohn eines Böttchers geboren wurde und in seiner Kindheit bittere Armut erlebte, der die Schule früh verließ und für einen Gelbgießer und einen Laternenfabrikanten arbeitete, der in jeder freien Minute ein Buch zur Hand nahm, als Lesender seinen Weg suchte und es dank seines Fleißes und seines politischen Talents bis in die Nationalversammlung schaffte, wo er unter den vielen Juristen und Professoren eine Ausnahme war.

Robert Blum, das war der Theatersekretär, Vereinsgründer, Publizist und Briefeschreiber, der im Vormärz in Leipzig auf Menschen traf, die wie er an die Kraft des Wortes glaubten, der die fortschrittlichen Ideen seiner Zeit anschaulich formulierte, der den Mut hatte, die Obrigkeit zu kritisieren und dafür ins Gefängnis ging, der in Zeiten der Zensur zum Organisator einer freiheitlichen Öffentlichkeit wurde.

Robert Blum, das war der wortmächtige und charismatische Redner, der Menschen auf Straßen und Plätzen für demokratische Ideale begeistern konnte, der als „Mann des Volkes“ Vertrauen genoss, die Menge aber nie aufhetzte, sondern zur Besonnenheit aufrief und mahnte, den Boden des Gesetzes nicht zu verlassen.

Robert Blum, das war der pragmatische Politiker im Paulskirchen-Parlament, der unermüdlich versuchte, zwischen Parteien zu vermitteln und Mehrheiten zu organisieren, der um Kompromisse rang und sich völlig verausgabte, um auf gewaltfreiem Weg so viel wie möglich von dem zu erreichen, wofür er stand – für demokratische Selbstbestimmung in einer parlamentarischen Republik, für Menschen- und Bürgerrechte, für Bildungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich, nicht zuletzt, damals schon, für ein Europa, in dem freie Völker in Frieden zusammenleben.

Robert Blum, das war auch der Revolutionär, der sich, mit dem Mut der Verzweiflung, im Herbst 1848 letztlich doch dafür entschied, in Wien auf die Barrikaden zu gehen, um mit der Waffe in der Hand Widerstand zu leisten gegen Willkür und Unterdrückung. Seine Hinrichtung war ein Fanal für das blutige Ende der Revolution, für das Ende der damaligen Hoffnungen auf Freiheit und Demokratie.

Aber die Ideale, denen Blum sein Leben geopfert hatte, diese Ideale starben nicht; sie lebten weiter in den Köpfen und Herzen der vielen Menschen, die nicht länger Untertanen, sondern Bürger und Bürgerinnen sein wollten. Und diese Ideale, sie lebten wieder auf in der Novemberrevolution 1918 und in der Weimarer Republik; im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und im Exil; 1945, nach der Befreiung durch die Alliierten, in den demokratischen Parteien und verfassunggebenden Versammlungen der Westzone; 1989, während der Friedlichen Revolution, auf den Straßen und Plätzen der DDR. Vieles von dem, wofür Robert Blum damals vergeblich kämpfte, gehört heute zum festen Fundament unserer in Recht und Freiheit geeinten Republik.

Es ist vor allem seine demokratische Haltung, die Robert Blum bis heute zum Vorbild macht. In dem Sammelband „Wegbereiter der deutschen Demokratie“, der gerade erschienen ist und den wir demnächst hier vorstellen, schreibt der Historiker Christopher Clark, es sei Blum darum gegangen, „selbst radikalen Widerspruch mit dem Respekt vor geltendem Recht, mit der Achtung vor den demokratischen Institutionen zu verbinden“. Die Einsicht, dass sich große Umbrüche nur in einer lebendigen Demokratie auf legitime, friedliche und sozial gerechte Weise bewältigen lassen, diese Einsicht ist jedenfalls heute aktueller denn je.

Die Erinnerung an Robert Blum macht uns sehr bewusst, dass die Demokratie nicht von allein lebt. Wir, die Bürgerinnen und Bürger, müssen sie immer wieder aufs Neue gegen ihre Feinde verteidigen, und wir müssen sie vor allen Dingen immer wieder aufs Neue mit Leben füllen, weiterentwickeln, verbessern, auch wenn das mühsam und anstrengend ist. „Du änderst doch nichts!“ – das ist ein Satz, den Robert Blum nie gelten lassen wollte.

Und es ist ein großes Glück, dass Männer und Frauen wie Georg Forster, Caroline Schlegel-Schelling, Adam von Itzstein, Louise Aston, Friedrich Hecker, Louise Otto-Peters, Ludwig Windthorst oder Minna Cauer, dass sie alle daran geglaubt haben, etwas ändern zu können, dass sie alle sich verantwortlich fühlten, Menschenrechte und Demokratie zu verwirklichen – zur Zeit der Französischen Revolution, im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, während der Reichsgründung und im Kaiserreich. Ihnen und vielen anderen haben wir es zu verdanken, dass wir uns heute für „Freiheit und Fortschritt“ einsetzen können, ohne dafür unser Leben riskieren oder gar hingeben zu müssen.

Viele dieser Vorkämpfer und Vorkämpferinnen unserer Demokratie, viele der Orte, an denen sie wirkten, haben noch immer keinen angemessenen Platz in unserem kollektiven Gedächtnis gefunden. Ich bin überzeugt: Gerade heute, in einer Zeit, in der liberale Demokratie, Rechtsstaat und offene Gesellschaft immer wieder Anfechtungen und Angriffen ausgesetzt sind, gerade heute brauchen wir mehr Engagement, mehr Leidenschaft, auch mehr Geld, um Bewusstsein zu schaffen für die Freiheitsbewegungen unserer Geschichte, und das vor allen Dingen in der jungen Generation.

Denn der Blick zurück auf die steinigen, verschlungenen, von Krieg und Diktatur unterbrochenen Wege zur Demokratie lässt uns den Wert des heute Erreichten besser erkennen. Der Blick zurück macht uns bewusst, dass wir jetzt und in Zukunft für unsere Freiheit eintreten müssen, weil wir sie nie wieder verlieren wollen. Der Blick zurück führt uns auch vor Augen, wie viel jede und jeder Einzelne, wie viel wir aber vor allem gemeinsam bewegen können auf dem Weg in eine bessere Zukunft.

Ich habe in den letzten fünf Jahren viele Orte unserer Demokratiegeschichte besucht, und ich habe überall, ob in Hambach, Weimar, Herrenchiemsee oder Plauen, viele engagierte Menschen kennengelernt, die unser demokratisches Erbe pflegen – im Ehrenamt oder im Beruf, in Politik und Kommunen, Schulen und politischer Bildung, in Wissenschaft, Museen, Heimatvereinen und Archiven.

Ich habe aber auch den Eindruck gewonnen, dass manche Erinnerungsorte unter mangelnder öffentlicher Zuwendung und mangelnder politischer Aufmerksamkeit leiden. Dabei ist es ganz besonders die Aufgabe des demokratischen Staates, die Erinnerung an seine Wegbereiterinnen und Wegbereiter lebendig zu halten und auf diese Weise dazu beizutragen, die Werte und Prinzipien, auf denen er beruht, in die Zukunft zu tragen. Ich freue mich, dass in den letzten Monaten vieles auf den Weg gebracht worden ist, um an Orten wie der Frankfurter Paulskirche, dem Hambacher Schloss oder dem Friedhof der Märzgefallenen hier in Berlin ein zeitgemäßes Erinnern zu ermöglichen.

Auch hier im Schloss Bellevue haben wir zuletzt einiges dafür getan, die Erinnerung an unsere demokratischen Traditionen zu stärken. Am 9. November vergangenen Jahres haben wir, nur zwei Türen weiter, den Robert-Blum-Saal eingeweiht, der natürlich mit einem Blum-Porträt ausgestattet ist, aber auch mit weiteren Kunstwerken, die Szenen der deutschen Demokratiegeschichte beleuchten. Ich freue mich, dass heute auch diejenigen bei uns sind, die damals zur Einweihung eingeladen waren, dann aber wegen der Pandemie nicht kommen konnten: der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, der uns das Blum-Porträt ausgeliehen hat, und Schülerinnen und Schüler des Robert-Blum-Gymnasiums in Berlin-Schöneberg. Ich freue mich, Sie alle gleich zu einem kleinen Empfang in den Robert-Blum-Saal einladen zu können.

Briefmarken sind eine besonders schöne Form, um unsere Demokratiegeschichte anschaulich zu machen, als Schmuckstücke in den Alben der Sammler, aber noch mehr im täglichen Briefverkehr. Die Marken in der Reihe „Aufrechte Demokraten“ sind, wenn Sie so wollen, Deutschlands kleinste Demokratiebotschafter – klein, aber mit großer Reichweite, weil sie durch viele Hände gehen, durch die Hände der unterschiedlichsten Menschen in unserer vielfältigen Gesellschaft.

Briefmarken und Demokratie, das passt auch aus einem ganz anderen Grund gut zusammen. Die Kultur des Briefeschreibens hatte ihre Blüte zur Zeit der Aufklärung, als immer mehr Männer und Frauen sich daranmachten, ihre Gedanken und Gefühle in Sprache zu fassen. Wer Briefe schrieb, übte sich in der Kunst des Reflektierens, Argumentierens und Diskutierens – eine Kunst, ohne die Demokratie gar nicht denkbar ist.

Vielleicht wäre es auch heute, im Zeitalter der digitalen Kommunikation, gar keine schlechte Idee, mal wieder einen Brief zu schreiben, um einen Moment innezuhalten, die Gedanken zu ordnen und sich seiner selbst und seines Gegenübers zu vergewissern, statt alles in Sekundenschnelle zu kommentieren und zu bewerten. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir diese Art der Verständigung und Selbstverständigung weiterhin brauchen, um die demokratische Debattenkultur zu pflegen.

Lieber Benedikt Erenz, ich danke Ihnen für die Idee, Robert Blum, dem Homme de Lettres, eine Briefmarke zu widmen. Ich danke den Vertreterinnen und Vertretern der Deutschen Post und dem Bundesfinanzministerium dafür, dass diese Marke jetzt da ist. Und ich freue mich, dass im Januar schon die nächste Sondermarke zu Ehren eines leidenschaftlichen Demokraten erscheint, zu Ehren von Otto Braun, dem Preußischen Ministerpräsidenten. Diese Marke wird uns daran erinnern, dass Preußen nicht nur Monarchie war, sondern 1918 Freistaat wurde, ein Freistaat, in dem Otto Braun viele Jahre mit stabilen Regierungen Reformen voranbrachte, bis sein preußisches „Bollwerk“ der Weimarer Republik von den Feinden der Demokratie zerschlagen wurde.

Aber heute ist erst mal die Robert-Blum-Briefmarke dran. Ich hoffe, dass sie vielen Menschen Lust macht auf die Geschichte unserer Demokratie, dass sie dazu anregt, sich mit ihren Orten, Ereignissen und Köpfen zu befassen. Und besonders schön fände ich es, wenn diese Briefmarke ganz bewusst gekauft, auf Umschläge geklebt, in alle Welt verschickt würde, als kleines Bekenntnis zur Demokratie, als Markenzeichen unserer Demokratie.

Herzlichen Dank Ihnen allen! Ich freue mich auf die Worte des Bundesfinanzministers.