Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel,

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Zu Recht diskutieren wir in diesen Tagen im Rahmen der Haushaltsberatungen über die großen Herausforderungen, mit denen wir aufgrund der großen Zahl von Menschen, die Schutz und eine neue Heimat bei uns suchen, konfrontiert sind, und über die neuen Sicherheitsanforderungen, die wir spätestens nach den Ereignissen in Frankreich auch bei uns zu beraten haben.

All das fordert uns auch finanziell und wirtschaftlich heraus; keine Frage. Es sind insgesamt zehn Milliarden Euro, die der Bund 2015 und 2016 zur Bewältigung dieser Riesenherausforderungen aufbringt. Diese zehn Milliarden Euro sind im Bundeshaushalt bereitgestellt. Wir erfüllen damit das Versprechen, unsere Länder und vor allen Dingen die Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung finanziell zu entlasten. Gleichzeitig stellen wir 3.000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügung. Das sind nur zwei Beispiele, wofür diese zehn Milliarden Euro verwendet werden.

Es gibt zwei Voraussetzungen, denen wir zu verdanken haben, dass all das in so kurzer Zeit geht, dass es nicht zu Verteilungskämpfen in Deutschland kommt und dass es nicht dadurch finanziert ist, dass wir den einen etwas wegnehmen, um es denen, die kommen, zu geben.

Die erste Voraussetzung ist eine wirklich gute wirtschaftliche Entwicklung mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und extrem hoher Beschäftigung. Mehr als 43 Millionen Menschen finden Arbeit, die weit überwiegende Zahl davon in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – anders als das Diether Dehm erklärt hat. Zu ihm kann ich nur sagen: Der Tag, an dem du Helmut Schmidt zitierst, musste ein Tag sein, an dem er nicht mehr da ist, um sich zu wehren – der arme Kerl. Es war falsch, zu behaupten, wir hätten eine sinkende Lohnentwicklung. Wir haben nicht mehr Armutslöhne, sondern bessere Tariflöhne. Das heißt, wir haben eine exzellente wirtschaftliche Entwicklung, die Gott sei Dank bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern endlich wieder ankommt.

Die zweite Voraussetzung ist eine solide Finanzpolitik. Man stelle sich vor, wir hätten auf die Ratschläge gehört, die es seit geraumer Zeit gab, man müsse doch die schwarze Null und den strukturell ausgeglichenen Haushalt nicht so früh erreichen; das sei doch nicht so wichtig. Man könne doch vorher ein paar Programme auflegen. – Man stelle sich vor, wir hätten uns darauf eingelassen. In welchen Verteilungskonflikten wären wir jetzt, um diese Herausforderung mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro zu finanzieren? Wir wären mitten in der Auseinandersetzung in Deutschland, wem wir etwas wegnehmen müssten, um die neuen Herausforderungen zu finanzieren. Gott sei Dank haben wir das nicht gemacht.

– Klar haben Sie das gefordert, Frau Hajduk. Natürlich gab es auch bei Ihnen Leute, die gesagt haben, man solle die schwarze Null nicht wie einen Fetisch behandeln und vieles andere mehr. Diese Position gab es übrigens auch in meiner Partei.

– Frau Hajduk, bevor Sie mich durcheinanderbringen, müssen Sie sich mehr als eine gelbe Jacke anziehen. Wir haben doch sonst ein anständiges Verhältnis zueinander. Ich unterstelle damit nichts Politisches; das will ich nicht gesagt haben.

In der Debatte über Flüchtlinge, die zu uns kommen, höre ich leider von vielen Menschen einen Satz, den wir vermeiden müssen: Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts. Es ist gefährlich, wenn sich dieser Satz in die Mitte der Gesellschaft frisst. Deshalb ist es von so großer Wichtigkeit, dass wir keine Verteilungskonflikte im Land auslösen, sondern eine doppelte Integrationsaufgabe bewältigen, nämlich die zu integrieren, die kommen, aber auch die beieinanderzuhalten, die in unserem Land sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass der eine gegen den anderen ausgespielt wird.

Frau Andreae, man kann zwar ökonomische Argumente anführen und sagen: Schafft die Vorrangprüfung ab. Die Gewerkschaften sind aber dagegen, sie abzuschaffen, weil dabei das politische Signal entstehen kann, dass die, die kommen, denen vorgezogen werden, die schon hier sind und langzeitarbeitslos sind. Der Grund, warum die Gewerkschaften Ihren Vorschlag ablehnen, ist, dass sie solche politischen Spannungen gar nicht erst symbolhaft entstehen lassen wollen. Das ist auch der Grund, warum ich den Gewerkschaften in dieser Position folge, Frau Andreae.

Frau Andreae, das ist der gleiche Grund, warum wir denkbaren ökonomischen Argumenten – diese gibt es nicht bei Ihnen, aber bei anderen – nicht folgen, die da besagen: Schafft den Mindestlohn für Flüchtlinge ab, damit sie zum Beispiel über Praktika schneller beschäftigt werden können. – Ökonomisch kann man das vielleicht verstehen. Aber was bedeutet dieses Symbol? Die Armen, die kommen, werden gegen die Armen, die hier im Land sind, ausgespielt. Deshalb darf man dieser Forderung nicht nachgeben, und wir werden das nicht tun. Am Gesetz gibt es keine Änderungen.

Übrigens ist das auch der Grund, warum wir dafür plädieren, jetzt keinen Flüchtlingswohnungsbau zu betreiben. Wir müssen vielmehr Wohnungsbau – vor allem in den Ballungszentren – für alle Menschen betreiben, die inzwischen Schwierigkeiten haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Zu dem Versprechen „Wir schaffen das“ gehört auch das Versprechen, dass wir in Deutschland niemanden darunter leiden lassen, dass wir eine neue Aufgabe übernehmen müssen. Zum „Wir schaffen das“ gehört auch, die Menschen hier zusammenzuhalten und ihnen zu zeigen, dass wir ihre Sorgen, Hoffnungen, Ideen, Wünsche und berechtigte Ansprüche nicht vergessen.

Deshalb ist es gut, dass wir in dem Haushalt, den wir beschließen, keine Abstriche bei all dem machen, was wir uns vorgenommen haben. Wir bauen weiter Kindertagesstätten aus. Wir widmen uns der Verbesserung der Situation in der Alten- und Krankenpflege. Wir haben das kommunale Entlastungsprogramm. Frau Hajduk, Sie und Ihre Kollegin haben gefragt: Was macht ihr für Investitionen? 20 Milliarden Euro in einer Legislaturperiode an kommunaler Entlastung – das gab es noch nie in der Geschichte der Republik. Die Hilfen für die Flüchtlinge sind dabei noch gar nicht mit eingerechnet. Das ist das, was wir vorher schon beschlossen hatten.

Ich finde, es ist gut, dass wir daran nichts verändern. Wir ändern nichts daran, dass wir sechs Milliarden Euro mehr für Bildung, Forschung und Entwicklung ausgeben. Übrigens ändern wir, Frau Hajduk, auch nichts daran, dass wir in der Klima- und Energiepolitik für Energieeffizienzmaßnahmen 5,8 Milliarden Euro bereitstellen. Es gab jetzt eine Kürzung der Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 350 Millionen Euro. Ich gehe davon aus, dass wir davon nicht betroffen sein werden. Wenn es so wäre, würde das nur heißen, dass aus 5,8 Milliarden Euro dann 5,5 Milliarden Euro werden und das Programm sozusagen ein bisschen länger laufen muss. Es werden also 5,5 Milliarden Euro oder 5,8 Milliarden Euro für Klimaschutz und Energieeffizienz ausgegeben. Sie hätten doch früher gejubelt, wenn es solch riesige Beträge für Energieeffizienz gegeben hätte. Die gibt es doch zum ersten Mal in diesem Haushalt.

Wir erhöhen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ früher, als wir gedacht haben. Wir haben mithilfe der Parlamentarier – ich nenne Herrn Jurk und Herrn Mattfeldt – das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, ebenfalls auf dem vorgesehenen Niveau halten können. 40 Prozent dieser Mittel gehen nach Ostdeutschland, und auch 80 Prozent der GRW-Mittel gehen nach Ostdeutschland. An nichts von dem ändern wir irgendetwas. Gleichzeitig schultern wir eine Riesenaufgabe. Der Grund dafür ist, dass wir eine so gute wirtschaftliche Entwicklung und solide Finanzen haben.

Natürlich machen wir auch beim Thema Energie und Klimaschutz weiter. Frau Andreae und Frau Hajduk, Sie kritisieren hier gerade, da würde nicht so viel passieren. In diesem Jahr haben die erneuerbaren Energien einen Anteil von 33 Prozent am Strommarkt. Im letzten Jahr hatten wir 27 Prozent. Die erneuerbaren Energien gewinnen. Sie haben in diesem Jahr den größten Anteil an der Stromproduktion der Bundesrepublik Deutschland. Und da kommen Sie und sagen, dass wir in der Energie- und Klimapolitik nicht weitermachen.

– Ich sage es Ihnen gerne zum zehnten oder elften Mal, Herr Krischer: Beim Biogas – das haben wir übrigens mit allen Ministerpräsidenten, auch mit Ihrem, verabredet – gibt es eine Verringerung, weil das die teuerste Art der erneuerbaren Energien ist. Da wird der Ausbaukorridor etwas kleiner sein. Bei Wind – darauf hat Herr Fuchs hingewiesen – liegen wir wesentlich darüber, bei PV darunter. Aber wir befinden uns im vorgesehenen Korridor.

Im Jahr 2025 wollen wir einen Anteil der erneuerbaren Energien von 40 bis 45 Prozent erreichen. Wir haben jetzt schon einen Anteil von 33 Prozent. Und da sagen Sie, dass wir in der Energie- und Klimapolitik nicht weiterkommen und dass wir vor Paris nichts zu bieten hätten. Wo leben Sie denn eigentlich?

Ich komme zu Ihrer wunderbaren Debatte über die Klima- und Kohleabgabe. Wir legen 13 Prozent Braunkohlekapazitäten still. Es werden Kraftwerke stillgelegt. Und Sie sagen uns, wir würden die Kohle weiter fördern. Das kostet 230 Millionen Euro. Wissen Sie, warum? Weil wir damit verhindern, dass die Leute – wie sagt man im Ruhrgebiet? – ins Bergfreie fallen. Das ist Strukturpolitik. Wir legen Kapazitäten still, ohne die Leute den nächsten Tag arbeitslos zu machen. Da wollen Sie nicht mitmachen? Das verstehe ich überhaupt nicht.

Frau Kollegin Hajduk, diese Frage hat vorhin der Kollege Jurk in seiner Rede beantwortet, indem er es begrüßt hat, dass das Batteriespeicherprogramm für Photovoltaikanlagen fortgesetzt wird. Das habe ich jedenfalls so verstanden. Das hatten Sie, aber auch andere in den Fraktionen sich gewünscht. Deswegen haben wir dazu einen Vorschlag entwickelt. Ihre Frage ist also in der Debatte vorhin von Herrn Jurk bereits beantwortet worden.

Was den ersten Teil Ihrer Anmerkung angeht, will ich nur darauf hinweisen, dass mich niemand gezwungen hat, sondern dass wir in der Debatte über die Frage, wie wir die Klimaschutzziele erreichen, mit der Sorge der Beschäftigten konfrontiert wurden, dass sie in großer Zahl arbeitslos werden. Das betrifft ganze Regionen, zum Beispiel die Lausitz. Wir wollten mit dieser Sorge nicht besserwisserisch umgehen, nach dem Motto „Eure ganzen Sorgen sind unberechtigt“. Denn wenn wir falsch liegen, zahlen sie den Preis dafür – und nicht ich.

Deshalb haben wir uns ein zweites Modell überlegt, nach dem 13 Prozent Braunkohlekapazitäten stillgelegt werden. Das hatten wir in dem ersten Entwurf gar nicht vor. Wir haben immer gesagt, dass das mehr kostet als das erste Modell, nämlich 230 Millionen Euro. Aber das ist doch kein zu hoher Preis. Setzen Sie das doch einmal in Relation zu den 23 Milliarden Euro, die wir bereit sind, jedes Jahr für die Finanzierung der Lernkurve bei den Erneuerbaren aufzubringen! Wir halten 230 Millionen Euro dagegen, die wir einsetzen, um die Leute nicht ins Bergfreie fallen zu lassen. Ich finde, das ist eine angemessene Güterabwägung. Wir haben die Leute nicht alleine gelassen. Sie sind doch diejenigen, die arbeitslos werden, wenn es schiefgeht, und ihre Mieten nicht mehr zahlen können. Wir sitzen dann immer noch brav im Trockenen. Deswegen war es, glaube ich, anständig, auf sie zu hören, statt weiter nach dem Motto „Mit dem Kopf durch die Wand“ vorzugehen. Das wäre falsch gewesen.

Abgesehen davon erinnere ich mich daran, dass auch Sie schon einmal einen solchen Lernprozess bei einem Kohlekraftwerk durchmachen mussten, allerdings aus rechtlichen Gründen.

Bei all diesen großen Aufgaben zu verhindern, dass es zu Verteilungskonflikten kommt, setzt voraus, dass die wirtschaftliche Entwicklung weiter gut verläuft. Dabei sind manche Hinweise der Opposition durchaus berechtigt. Es ist völlig richtig: Wir müssen uns endlich entscheiden, wie wir mit dem Thema Infrastrukturgesellschaft und den anderen Vorschlägen der Fratzscher-Kommission umgehen. Es reicht nicht aus, sich auf den kommunalen Bereich zu beschränken. Sie haben völlig Recht.

Aber es gibt noch andere Punkte, bei denen Sie uns, finde ich, hätten ermahnen können. Und weil Sie es nicht machen, mache ich es selber.

Wenn Sie mir gestatten, Herr Krischer, widerspreche ich erst einmal Ihrer Behauptung, wir zahlten 1,6 Milliarden Euro Subventionen für Kraftwerke, die ohnehin stillgelegt hätten werden sollen. Diese Kraftwerke haben auf dem Markt so viel Geld verdient, dass das der Grund war, warum wir trotz Klimaschutz so hohe CO2-Emissionen hatten. Ihre Behauptung ist einfach falsch. Die Summe, die wir pro Jahr aufwenden, beträgt 230 Millionen Euro. Im Übrigen halte ich es für angemessen, mit Beschäftigten über die Frage zu sprechen, ob Politik Auswirkungen auf ihre Arbeitsbedingungen hat. Das unterscheidet vielleicht doch einen Grünen von einem deutschen Sozialdemokraten; das mag sein. Es macht doch nichts, wenn es Unterschiede gibt.

– In Ihrer Fraktion will der eine Teil die Laufzeit der Braunkohlekraftwerke verlängern, während der andere Teil Anträge stellt, die einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle zum Ziel haben. Da sind die Grünen konsequenter.

Nun zu Ihrer Frage, wie es mit der Braunkohle weitergeht. Die Bundesregierung sorgt im Vorfeld der Konferenz von Paris dafür, dass wir unsere Ziele bis 2020 erreichen. Deswegen sind 5,8 Milliarden Euro im Klima- und Energiefonds eingestellt. Wir sichern erst einmal, dass wir zu den Staaten gehören, die ihre freiwilligen Verpflichtungen einhalten, damit wir andere zu verbindlichen Verabredungen bewegen können. Hätten wir uns übrigens nur an die verbindlichen Verabredungen gehalten, müsste Deutschland bis 2020 nur 30 Prozent CO2 einsparen. Wir alle hier im Deutschen Bundestag haben uns freiwillig für 40 Prozent entschieden. Das sichern wir.

Selbstverständlich werden wir über die Frage nachdenken, wie wir mit der Braunkohleverstromung als einem der Hauptemittenten umgehen sollen, wenn die Einsparziele bis 2040, 2050 oder 2060 immer größer werden. Ein Zeitraum von 25 Jahren wird bei RWE vermutlich große Beruhigung auslösen; denn wenn ich es richtig in Erinnerung habe, reichen die Kapazitäten der Braunkohletagebaureviere ohnehin nur für diesen Zeitraum. Ich weiß es allerdings nicht genau.

– Es mag sein, Herr Krischer, dass der Zeitraum länger ist.

Ich finde es aber angemessen, darüber zu reden, wie Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden sollen. In der Lausitz zum Beispiel gab es vor der deutschen Einheit 100.000 Beschäftigte in der Energiewirtschaft. Davon sind 90.000 wegrationalisiert. Übrigens ist ein großer Teil der positiven deutschen Klimaschutzbilanz dadurch überhaupt erst ermöglicht worden. 90.000 Menschen haben also mit ihrem Arbeitsplatz bezahlt. 10.000 sind noch da. Diese stellen die berechtigte Frage: Wenn es zu einem weiteren Abbau der Braunkohlekapazitäten kommen soll, wo sind die Ersatzarbeitsplätze, und zwar nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder? – Vor diesem Hintergrund wäre es richtig, das zu tun, was die IG BCE und auch der BDEW vorschlagen, nämlich nun darüber zu reden, mit welcher mittel- und langfristigen Perspektive wir Ersatzarbeitsplätze in dieser Region schaffen können.

– Sie möchten gerne, Herr Krischer, dass man mal eben so – so machen Sie ja Klimapolitik – erklärt, an welchem Tag genau wir das schaffen. Das Ergebnis hat unsere Umweltministerin nicht vorweggenommen.

Verstehen Sie, das ist die Art von Klimaschutzpolitik, die uns in Schwierigkeiten gebracht hat. Ich gebe zu: Daran waren alle beteiligt. Immer dann, wenn es gerade passt, wird ein Ziel gesetzt. Einmal sprechen wir von Klimaschutz, ein anderes Mal von Beschäftigung oder von Preisstabilität. Zusätzlich möchten wir natürlich die Stadtwerke retten. Dann kommen wir einmal im Jahr zusammen und stellen fest: Donnerwetter, die Ziele passen irgendwie nicht zueinander.

Wir müssen damit aufhören. Wir müssen in der Tat – da haben Sie recht – über die Frage der langfristigen Beschäftigungssicherung und des Aufbaus von Beschäftigung in den Bereichen der Kohlewirtschaft sprechen, in denen wir mittel- und langfristig weniger Beschäftigte haben werden. Das ist völlig richtig. Das wird übrigens, Herr Kri-scher, Geld kosten. Sie sollten das dann aber nicht – vielleicht sind es sogar dieselben Konzerne, die die Arbeitsplätze schaffen – als milliardenschwere Hilfen für Konzerne diffamieren, wie das Ihre Kollegin vorhin gemacht hat. Dann ist das ein Beitrag zum Strukturwandel; den haben wir in diesem Fall übrigens beim Braunkohlekompromiss auch gemacht. Ich diskutiere gerne mit Ihnen, wie Sie wissen.

Die Spielräume der kommenden Jahre werden wir nutzen müssen, um den guten Stand unserer Wirtschaft zu erhalten; denn das, was mir am meisten Sorgen macht, ist das Vertrauen darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung eben einfach so bleibt. Ich vermute, dass die Schwierigkeiten dann beginnen, wenn man glaubt, es bleibe alles so. Ich glaube, wir werden darüber reden müssen, wie wir einen höheren Anteil als drei Prozent am BIP für Ausgaben für Forschung und Entwicklung erreichen können. Wir sind zwar besser als der Rest Europas, aber Südkorea hat sich 4,5 Prozent zum Ziel gesetzt. Ich glaube, das ist das Ziel, das wir uns bis 2025 vornehmen müssen.

Wir werden darüber reden müssen, ob es wirklich so bleiben kann, dass die Wertgrenze für die Abschreibung geringfügiger Wirtschaftsgüter zuletzt vor 50 Jahren verändert worden ist. Da liegen die Rahmenbedingungen für bessere Investitionen der Unternehmen. Natürlich werden wir wieder über steuerliche Forschungsförderung reden müssen und auch darüber, dass wir mit einem Breitbandausbau von 50 Megabit pro Sekunde bis zum Jahr 2018 ein gutes Ziel haben, aber bis zum Jahr 2025 garantiert Gigabitnetze brauchen. Übrigens ist Vectoring dazu eine Übergangstechnologie, aber kein Ersatz für Glasfaser. Also: Das, was wir vor allen Dingen machen müssen, ist, darüber zu sprechen, wie wir Deutschlands Wirtschaft bis 2025 wettbewerbsfähig halten. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, wie die deutsche Wirtschaft derzeit aufgestellt ist.

Das Plädoyer, wir sollten endlich unsere Exportstärke abbauen, halten Sie am besten in einer Betriebsversammlung von Daimler, Volkswagen, Siemens oder Bosch.

– Ich werde auch die Beiträge von Ihnen, Herr Bartsch, zum Thema Volkswagen gerne den Betriebsräten dort übermitteln. – Wissen Sie, Herr Dehm, an der Seite von Arbeitnehmern zu stehen, heißt, sich in Schwierigkeiten nicht über sie lustig zu machen. Das ist das, was dazu zu sagen ist.

Lassen Sie mich am Schluss meiner Rede noch einige Bemerkungen zu der Situation nach den Attentaten in Frankreich machen. Der französische Journalist Nicolas Hénin schrieb vor einigen Tagen – ich zitiere –: „Die Bilder aus Deutschland von Menschen, die Flüchtlinge willkommen heißen, werden den IS besonders beunruhigen. Zusammenhalt, Toleranz, das ist nicht, was die Terroristen sehen wollen.“ Er fügte hinzu: „Sie fürchten unsere Einheit und unsere Toleranz mehr als unsere Luftangriffe.“

Ich empfinde das als eine bemerkenswerte Aussage von einem Mann, der unter menschenunwürdigen Umständen einmal als Geisel vom IS festgehalten wurde, von dem man alles vermuten könnte, was Rache angeht. Ich finde, er bestärkt uns geradezu, dass sich nach Paris eben nicht alles ändern darf, dass wir unsere Vorstellungen von Zusammenleben, Menschlichkeit und Nächstenliebe nicht aufgeben werden. Das ist ein Aufruf zum Zusammenhalt und zur Solidarität.

Ich finde, weil wir von Frankreich gerade gebeten werden, diese Solidarität auch praktisch werden zu lassen, dass wir das schuldig sind. Es sind die Franzosen gewesen, zusammen mit anderen, die nach 1945 Deutschland, das damalige Volk der Täter, nach Holocaust, nach Vernichtungskrieg, nach Überfall, an den Tisch der zivilisierten Völker Europas eingeladen haben. Ich finde, das müssen mutige Politiker in Frankreich gewesen sein, die das damals gemacht haben. Wir sind den Franzosen etwas schuldig. Deswegen sage ich: Wir müssen ihnen auch jetzt, in dieser Situation, zur Seite stehen. Für mich gibt es dazu keine Alternative.

Natürlich wollen wir auch dafür Sorge tragen, dass sich die Entwicklung bei den Flüchtlingen besser vollzieht als in den letzten Monaten. Wir wollen helfen, ordnen und steuern. Vieles davon – das hat der Kollege Kauder gestern zu Recht gesagt – ist auf den Weg gebracht worden.

Herr Kollege Kauder, weil Sie das gestern angesprochen haben: Ich bin sicher, wir schaffen auch das zweite Paket. – Sie haben doch gesagt, die Fraktionen würden helfen.

Jetzt habe ich eine Bitte an Sie. Zurzeit scheitert das Ganze an der Frage, dass wir uns in einer Sache nicht einig werden. Ich finde, das müssen wir schaffen, gerade vor Weihnachten. Ich kann nicht verstehen, warum Ihre Fraktion, bislang jedenfalls, skeptisch ist, ob wir Schwangeren, Minderjährigen unter 14 Jahren und Behinderten eine bessere medizinische Versorgung geben sollten. Das kann nicht sein. Schwangere, Behinderte, Minderjährige und kranke Kinder bekommen derzeit nur eine Notfallversorgung und bei chronischen Erkrankungen keine dauerhafte angemessene medizinische Versorgung. Ich bin sicher, dass wir das angesichts von Kostenordnungen von fünf bis sechs Millionen Euro hinbekommen. Das kann doch nicht ein Bereich sein, bei dem wir zeigen, dass wir uns um Frauen, um werdende Mütter, um Minderjährige und um Behinderte nicht kümmern wollen.

Die Flüchtlingsmigration stellt ohne Zweifel unser Gemeinwesen vor eine ungeheure Aufgabe. Deshalb ist es richtig, dass sich die Koalition darauf verständigt hat, alles in der internationalen Politik dafür zu tun, dass wir es auch wirklich schaffen können.

Nicht die Zahl der Menschen, die kommen, ist das Problem, sondern das Problem ist die Geschwindigkeit, in der sie kommen. Ich finde, deswegen ist der Dreischritt richtig, nämlich sich um die Hilfe in den Nachbarregionen Syriens zu kümmern, die Außengrenze der Europäischen Union zu sichern und dann aber auch bereit zu sein, Kontingente an Flüchtlingen, und zwar in hoher Zahl, ohne Schlepper und auf geordnetem Wege nach Deutschland zu holen – nach meiner Vorstellung unter der Überschrift: Frauen und Kinder zuerst und Vorrang für Familien.

Das ist übrigens keine Obergrenze. Das wird nur dann zu einer Obergrenze, wenn man das Asylrecht in Deutschland abschaffen würde – nur dann. Das allerdings werden wir nicht tun.

Das ist so etwas wie eine kommunizierende Röhre: Je weniger Menschen in Deutschland Asyl beantragen, desto höher müssen die Kontingente sein, die wir Ländern wie der Türkei abnehmen, wenn wir sie bitten, bessere Bedingungen für Flüchtlinge in ihrem Land sicherzustellen.

Ich glaube, dass das eine kluge Politik ist, bei der wir darauf setzen, dass wir durch eine Zusammenarbeit in Europa mit unseren Nachbarn dafür sorgen, dass die Außengrenze sicher ist, dass Menschen weniger Fluchtgründe haben, weil wir ihre Lebensbedingungen in ihren Herkunftsregionen verbessern, und bei der wir gleichzeitig bereit sind, auch in Zukunft eine hohe Zahl von Menschen, allerdings geordnet, nicht im Chaos und nicht durch Menschenhandel, bei uns aufzunehmen.

Letzte Bemerkung. – Am Ende wird dies alles nur dann funktionieren, wenn wir uns trotz schlimmer Entwicklungen – wie der zwischen Russland und der Türkei – nicht davon abbringen lassen, dass militärische Mittel allein nicht helfen werden, sondern dass wir auch die Mittel der Diplomatie bei der Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien brauchen. Deswegen gehören die beiden Dinge zusammen.

Flüchtlingspolitik ist nicht zu trennen von dem, was wir in der Diplomatie mit all den Möglichkeiten tun, die Frank-Walter Steinmeier mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür nutzt, um die Fluchtursachen besser zu bekämpfen. Ich finde, dann kann das Land auf das stolz sein, was es bereit ist zu leisten. Dies wird auch den Blick der muslimischen Welt auf unser Land und auf Europa verändern – und zwar zum Positiven.