Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil,

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung. Wir alle spüren das in diesen Tagen in allen Sektoren unserer Volkswirtschaft. Schon heute fehlen in vielen Bereichen Fachkräfte, ob im Handwerk, ob bei der Energiewende, im Wohnungsbau, in IT-Unternehmen oder auch in der Pflege. Das ist in der jetzigen Situation erst mal das Ergebnis einer überaus positiven Entwicklung, weil wir den höchsten Beschäftigungsstand haben, den es je im vereinten Deutschland gegeben hat. Über 45 Millionen Menschen in Deutschland sind erwerbstätig.

Wir haben auch den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Aber wenn wir jetzt nicht alle Register ziehen, droht der Fachkräftemangel zu einer dauerhaften Wachstumsbremse in Deutschland zu werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hat hochgerechnet: Wenn wir nicht alle Register ziehen, fehlen uns bis 2035 sieben Millionen Fachkräfte. Deshalb hat die Bundesregierung ihre Fachkräftestrategie im Gespräch mit Wirtschaft und Gewerkschaften, mit Bund und Ländern neu aufgestellt.

Das Wichtigste ist, dass wir alle inländischen Potenziale nutzen. Das fängt beim Thema Ausbildung an. Wir haben 50.000 Schülerinnen und Schüler, die Jahr für Jahr die Schule ohne schulischen Abschluss verlassen. Wir haben 1,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne berufliche Erstausbildung. Wir müssen da ran. Das kann sich Deutschland nicht mehr leisten.

Erstens: Wir werden mit der Ausbildungsgarantie dafür sorgen, dass wir möglichst jeden jungen Menschen erreichen. Das fängt bei der Berufsorientierung an. Über die Hälfte eines Jahrgangs macht inzwischen Abitur. Viele gehen auch aufgrund von elterlichen Erwartungen zur Hochschule, aber schließen nicht ab. Dieses Land braucht nicht nur Master. Wir brauchen auch Meister. Die berufliche Bildung muss gestärkt werden. Genau das machen wir mit der Ausbildungsgarantie.

Zweitens: Wir müssen auf das Thema Weiterbildung setzen. Viele Unternehmen sind im Wandel der Digitalisierung und im ökologischen Umbau. Deshalb ist es wichtig, die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch im Interesse der Fachkräftesicherung zu gewährleisten. Wir werden neue Instrumente mit dem Weiterbildungsgesetz schaffen, zum Beispiel ein Qualifizierungsgeld, das Unternehmen und Beschäftigte im Strukturwandel unterstützt, zum Beispiel durch eine Bildungszeit und Bildungsteilzeit. Dieses Potenzial müssen wir heben.

Drittens geht es auch um die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen eine Chance am Arbeitsmarkt verdient haben. Die sind, wenn sie arbeitslos sind, im Schnitt höher qualifiziert als andere Arbeitslose. Wir haben alle möglichen Instrumente, um Unternehmen dabei zu unterstützen, inklusive Arbeitsplätze zu schaffen. Aber wir sagen auch: Unternehmen, die dazu verpflichtet sind – schon seit vielen Jahren – und trotzdem nicht einstellen, müssen sich daran beteiligen, dass andere Unternehmen besser unterstützt werden. Deshalb werden wir mit dem Gesetz zur Inklusion am Arbeitsmarkt handeln.

Wir müssen auch dafür sorgen, dass Menschen beschäftigungsfähig bleiben, auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Da ist die Beschäftigungsquote gestiegen. Von den Menschen zwischen 60 bis 64 Jahren haben vor 20 Jahren nur 20 Prozent gearbeitet. Heute sind es 61 Prozent. Aber wir müssen dafür sorgen, dass Menschen gesund bleiben können, dass sie qualifiziert sind, um auch tatsächlich das gesetzliche Renteneintrittsalter erreichen zu können. Wir brauchen keine Debatte über Rente mit 70; denn das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt heute bei 64. Wir müssen aber dafür sorgen, dass auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zum alten Eisen gehören. Die haben Erfahrung. Die haben Kompetenzen. Die werden gebraucht.

Aber das größte inländische Potenzial ist die Frauenerwerbsbeteiligung. Auch die ist in den letzten Jahren erfreulicherweise massiv gestiegen – aber leider nicht so sehr das Arbeitsvolumen. Da ist es doch oft so, dass Männer Vollzeit arbeiten und Frauen manchmal und ganz oft auch ungewollt Teilzeit. Deshalb ist das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ – Stichwort „Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen“ – ein ganz zentraler Punkt für ein selbstbestimmtes Leben für Männer und Frauen, aber eben auch für die Fachkräftesicherung in Deutschland.

Wenn wir all diese inländischen Register gezogen haben – und wir machen uns mit Macht daran; ich habe es eben beschrieben –, brauchen wir trotzdem zusätzlich qualifizierte Zuwanderung, um unsere Volkswirtschaft am Laufen zu halten. Meine herzliche Bitte ist – zumindest an die demokratischen Parteien –, dass Konsens darüber besteht, dass wir zusätzlich zu den inländischen Potenzialen qualifizierte Einwanderung brauchen. Einen Satz wie „Kinder statt Inder“, den sich Herr Rüttgers von der CDU vor 20 Jahren noch geleistet hat, um damit die Inländer gegen die Zugewanderten auszuspielen, kann sich Deutschland ökonomisch nicht leisten; das muss klar sein.

Ich strebe an – und ich schließe auch die Union ein –, dass wir einen Konsens bekommen für qualifizierte Zuwanderung in Deutschland. Wir werden im März den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorlegen, um dafür zu sorgen, dass helfende Hände und kluge Köpfe nach Deutschland kommen. Das betrifft erstens die Absenkung von Schwellen in der jetzigen Fachkräfteeinwanderung. Denn Tatsache ist: Wir brauchen nicht nur akademisch Gebildete, sondern auch beruflich Gebildete.

Wir werden zweitens dafür sorgen, dass Menschen, die eine Ausbildung nach ihrem Heimatlandstandard und hier einen Arbeitsvertrag haben, nach Deutschland kommen können und die Berufsanerkennung auf deutschem Boden während der Arbeit nachholen können, weil es schier unmöglich ist für viele Leute, die eine berufliche Bildung haben, das Anerkennungsverfahren vom Ausland her zu betreiben.

Wir müssen drittens dafür sorgen, dass wir mit einem modernen Punktesystem ein modernes Einwanderungsrecht schaffen. Ich weiß, es geht nicht nur um das Einwanderungsrecht. Wir müssen auch die Bürokratie abbauen in diesem Bereich. Das betrifft die Visavergabe und die Teilnahme an Sprachkursen. Wir müssen eins im Gedächtnis behalten: Es kommen nicht nur Arbeitskräfte. Es kommen Menschen. Deshalb werden wir Integration mit anbieten und sie auch erwarten können, wenn wir das miteinander schaffen wollen.

Wir dürfen qualifizierte Zuwanderung nicht einfach bürokratisch hinnehmen. Wir müssen sie wollen. Wir brauchen gemeinsam mit der Wirtschaft eine Anwerbestrategie, damit das gelingt.

Der Ökonom Richard Florida hat vor 30 Jahren den schönen Satz gesagt, dass wettbewerbsfähige Volkswirtschaften der Zukunft drei Dinge brauchen: Technologien, Talente und Toleranz. Mit diesem Motto gehen wir ans Werk, um dafür zu sorgen, dass der Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft durch Fachkräftesicherung in den nächsten Jahren gelingen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.