Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil,

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Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Beratungen über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geben Gelegenheit, in diesen Zeiten nicht nur den Haushälterinnen und Haushältern, die hart gearbeitet haben, Danke zu sagen, sondern vor allen Dingen mal über die Prinzipien zu reden, nach denen wir Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland gestalten, und das in Zeiten von Krieg und Krise, und das in Zeiten fundamentaler Umbrüche, die Wirtschaft und Arbeitswelt verändern.

Was ist das Leitmotiv der Ampelkoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP? Es ist das Motto „Chancen und Schutz“; denn um beides geht es. Es geht darum, dass die Qualität eines Sozialstaates sich zum einen daran bemisst, wie man mit Menschen umgeht, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Aber die Qualität des Sozialstaates bemisst sich nicht allein an der Fähigkeit, Menschen in Not zu schützen, sondern vor allen Dingen auch daran, wie es gelingt, Menschen zu einem selbstbestimmten Leben ohne Abhängigkeit zu befähigen. Und das ist der Kompass unserer Politik.

Dabei stehen für uns der Wert und die Würde der Arbeit ganz vorne an. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen dafür gesorgt hat, dass der Mindestlohn steigt. Seit 1. Oktober beträgt der Mindestlohn in Deutschland zwölf Euro. Das hilft 6,5 Millionen Menschen in Deutschland. Arbeit muss sich lohnen; Arbeit muss den Unterschied machen!

Das ist der Grund, warum diese Bundesregierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen dafür gesorgt hat, dass Menschen mit geringem Einkommen bei Steuern und Abgaben entlastet werden, damit sie netto mehr in der Tasche haben, damit Arbeit sich lohnt, weil Arbeit den Unterschied macht!

Das ist der Grund, warum wir das Wohngeld erhöhen, warum wir auch dafür gesorgt haben, dass das Kindergeld steigt. Arbeit ist mehr als Broterwerb. Ich bin sehr dankbar, Herr Stracke, dass Sie mich ständig zitieren. Ich wäre noch dankbarer, wenn Sie dann auch Ihre Fußnoten überprüfen würden. Wir sind uns doch einig, dass Arbeit wichtig für den Zusammenhalt von Gesellschaft ist, weil es um Teilhabe geht, darum geht, Kolleginnen und Kollegen zu haben, etwas zu leisten und Teil der Gesellschaft zu sein. Das ist das Ziel unserer Politik: Wer arbeiten will, soll unterstützt werden; wer arbeiten kann, muss die Chance in Deutschland bekommen. Das ist das Ziel dieser Koalition.

Es ist richtig: Der Vermittlungsausschuss hat gestern den Weg frei gemacht, sodass das Bürgergeld zum 1. Januar kommen kann. Hartz IV wird Geschichte sein. Das Bürgergeld wird zum 1. Januar in Kraft treten. Das ist ein wesentlicher Schritt, eine große Sozialreform, die wir gemeinsam stemmen.

Auch dabei geht es um Chancen und Schutz. Es geht darum, Menschen, die in Not geraten sind, verlässlich und unbürokratischer als im Hartz-IV-System abzusichern. Das schafft dieses Gesetz mit großen Maßnahmen, auch mit der Erhöhung des Regelsatzes. Aber auch das ist uns nicht genug. Unser Ziel bleibt, wo immer es möglich ist, Menschen in Arbeit zu bringen, ihnen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen und dafür zu sorgen, dass Arbeit sich lohnt. Und mit dem Bürgergeld lohnt sich Arbeit mehr. Wir sorgen dafür, dass beispielsweise die Zuverdienstmöglichkeiten großzügiger werden. Arbeit macht den Unterschied, und dabei hilft auch das Bürgergeld.

Dieses Bürgergeld sorgt auch dafür, dass wir Deutschland die Chance auf mehr qualifizierte Fachkräfte geben. Im bisherigen System, im Hartz-IV-System, sind zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen ohne jegliche Berufsausbildung. Im bisherigen Hartz-IV-System kommen die hin und wieder einmal in Hilfsjobs, und das Jobcenter sieht sie nach ein paar Monaten wieder. Mit diesem neuen Ansatz, mit dem Bürgergeld, setzen wir auf Weiterbildung und Qualifizierung. Wir sorgen dafür, dass Menschen einen Abschluss nachholen können, um dauerhaft am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Und ja, ich bin sehr froh und dankbar, dass wir es voraussichtlich morgen schaffen werden, dass der Deutsche Bundestag und der Bundesrat diese große Sozialreform mit großen Mehrheiten beschließen werden. Dazu waren harte Gespräche und anstrengende Verhandlungen notwendig. Ich möchte mich erst einmal ganz herzlich bei den Koalitionsfraktionen, die den Weg hin zu sozialem Fortschritt mit dem Bürgergeld frei gemacht haben, bedanken. Aber ich möchte mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union bedanken, namentlich bei Karl-Josef Laumann aus Nordrhein-Westfalen und bei Hermann Gröhe, für harte Gespräche; wir haben hart gerungen. Aber ich will sagen: Ich habe Respekt davor, dass Demokraten bei einschneidenden Fragen, die unsere Nation betreffen, bei großen sozialen Fragen in der Lage sind, Kompromisse zu finden. Die Unversöhnlichkeit ist nichts, was diese Gesellschaft auszeichnen darf. Wer Fortschritt will, muss zu Kompromissen in der Lage sein. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

Es ist diese große Kraftanstrengung, die dazu geführt hat, dass die CDU von ihrer Totalblockade abgewichen ist, und auch dafür bedanke ich mich ganz herzlich.

Bei aller Gemeinsamkeit, dass wir das gemeinsam stemmen, ist mir bei den Verlautbarungen Ihres Fraktionsvorsitzenden in den letzten Tagen eines aufgefallen. – Wo ist er übrigens heute? Gut, dass es keine Meldeversäumnisse mit Sanktionen für Fraktionsvorsitzende gibt, sonst müssten wir ja um zehn Prozent kürzen. Aber Spaß beiseite. Mir ist aufgefallen: Herr Merz hat sehr viel gesprochen über Begriffe, über Instrumente, über die Geschlossenheit der Union. Nur eins – und das mag der Unterschied sein – hat er nicht getan: Er hat niemals über die Menschen gesprochen, um die es geht. Er hat nicht gesprochen über alleinerziehende Frauen, die auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind, weil sie nicht Vollzeit arbeiten können. Das machen wir jetzt einfacher. Wir unterstützen mit dem höheren Regelsatz gezielt vor allen Dingen auch alleinerziehende Frauen und deren Kinder.

Er hat nicht gesprochen über diejenigen, die als junge Menschen in Familien großgeworden sind, die nie Arbeit erlebt haben, die sich aufgerappelt haben, eine Ausbildung zu machen, die im alten Hartz-IV-System erlebt haben, dass ihre Ausbildungsvergütung noch gekürzt wurde. Das macht das Bürgergeld besser.

Er hat nie gesprochen über Facharbeiter, die nach Jahren harter Arbeit unverschuldet ihre Arbeit verloren und auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. Das ändern wir mit dem Bürgergeld, weil wir den sozialen Arbeitsmarkt entfristen, weil wir Arbeit ermöglichen.

Er hat nie über Selbstständige gesprochen, die, weil sie Pech hatten oder weil es Krisen gab, mal vorübergehend auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind. Mit dem Bürgergeld sorgen wir dafür, dass sie ihr Erspartes nicht vollständig auf den Kopf hauen müssen und dass sie sich nicht Sorgen machen müssen, auch noch ihre Wohnung zu verlieren. Auch dieser Fortschritt ist dauerhaft mit dem Bürgergeld möglich.

Kompromisse sind in der Demokratie notwendig, wenn man sozialen Fortschritt will. Richtig ist auch, dass wir aufeinander zugehen. Die Unterschiede bleiben aber. Wir koalieren ja nicht miteinander, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Und das ist auch gut so, weil mit dieser Koalition mehr Fortschritt möglich ist. Aber eins will ich Ihnen auch sagen – das ist wichtig, weil es über den Tag hinausgeht –: Nach vielen Jahren der polarisierten Debatte um das System der Grundsicherung und Hartz IV und gerade nach den letzten Wochen bietet dieser Weg, den wir gemeinsam gefunden haben, die Chance, eine gesellschaftliche Polarisierung zu entgiften. Ich meine das ganz ernst. Wir erleben seit Jahren, dass es extreme Positionen in Bezug auf die Menschen in der Grundsicherung und Hartz IV gibt. Da gab es die einen, die so getan haben, als sei die Mehrheit der Menschen oder sogar alle Menschen, die bedürftig sind, zu faul, um zu arbeiten. Da gab es die anderen, die so getan haben, als sei schon jede Mitwirkungspflicht ein Anschlag auf die Menschenwürde. Beide Extrempositionen sind unvernünftig.

Durch das Bürgergeld haben wir eine Chance, mit breiter Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat dafür zu sorgen, dass wir ein vernünftiges System nach vorne entwickelt bekommen und dass wir zugleich durch eine Entgiftung der Debatte auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten; denn das braucht unsere Gesellschaft in Zeiten von Krisen, in Zeiten des Wandels.

Deshalb will ich abschließend sagen: Chancen und Schutz, das ist das Motto dieser Bundesregierung, und das wird auch weiterhin in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik unser Leitmotiv sein. Wichtiger als Mottos und Leitmotive ist jedoch der Blick auf die Lebenswirklichkeit von Menschen, und die verbessern wir mit unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Schritt für Schritt. Jetzt machen wir einen großen Schritt mit dem Bürgergeld, und morgen haben Sie alle die Chance, zuzustimmen.

Herzlichen Dank.