Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil,

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Coronavirus hat uns mit voller Wucht getroffen. Das Ausmaß der Pandemie – wir erleben das auch heute angesichts neuer Infektionszahlen – ist historisch. Es ist allerdings eine Krise, die die gesamte Welt erfasst hat, und in vielen Ländern ist aus dieser Gesundheitskrise längst mehr geworden, nämlich eine dramatische soziale Krise mit Massenarbeitslosigkeit, mit Hunger, mit Obdachlosigkeit, und das auch in entwickelten Industriestaaten.

In den USA beispielsweise lag die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr streckenweise bei über 14 Prozent. Vor den Food Banks, den amerikanischen Suppenküchen, bildeten sich teilweise kilometerlange Autoschlangen – auf der Suche nach Lebensmitteln. Übrigens, auch das ist ein Grund, warum es gut ist, dass – hoffentlich – jetzt ein amerikanischer Präsident ins Weiße Haus einzieht, der ein soziales Gespür hat.

Auch bei uns hat die Pandemie unsere Wirtschaft schwer erschüttert. Trotz dieser massiven wirtschaftlichen Erschütterung ist in Deutschland aus dieser Pandemie kein soziales Erdbeben geworden. Auch bei uns ist die Arbeitslosenquote durch die Krise um 1,1 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr auf 5,9 Prozent gestiegen. Aber ich will sagen: Angesichts der massiven wirtschaftlichen Erschütterungen ist das weit weniger, als es zu befürchten stand. Liegt das daran, dass wir mehr Glück gehabt haben als die Amerikaner?  Die Antwort ist: Nein, das liegt daran, dass wir in Deutschland einen der leistungsfähigsten Sozialstaaten der Erde haben, einen Sozialstaat, der sich gerade in dieser Krise auch bewährt, einen Sozialstaat, in dem übrigens seit Monaten und auch im Moment Zehntausende von Beschäftigten für soziale Sicherheit sorgen. Ob die Pflegerin in der Klinik oder der Sachbearbeiter in der Arbeitsagentur: Dieser Sozialstaat ist einer, indem viele Menschen jetzt mithelfen, dass Hilfen auch ankommen.

Dieser Sozialstaat – ich sage das gerade in Bezug auf die Vorrede –, wirkt auch wie ein Immunsystem für unsere Gesellschaft. Dieses Immunsystem schützt uns vor den sozialen, aber eben auch den politischen Infektionen in der Krise; denn da, wo Vertrauen in soziale Sicherheit verloren geht, gewinnen politische Scharlatane. Lassen Sie mich das deutlich sagen: Egal ob sie innerlich Pickelhaube, Stahlhelm oder Aluhut tragen, das werden wir in Deutschland nicht zulassen.

Wir debattieren in dieser Woche einen Haushalt mit außergewöhnlich hohen Ausgaben. Dazu gehören auch die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld, für den erleichterten Zugang zur Grundsicherung und die Ausbildungsprämie. Wir haben mit dem Kurzarbeitergeld dafür gesorgt, dass in der Krise Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland gesichert wurden. Es war richtig und vernünftig, dass wir diese Regeln, auch mit Blick auf die aktuelle Situation, in das nächste Jahr verlängert haben. In der Autobranche waren zwischenzeitlich fast 60 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit, im Gastgewerbe sogar noch viel, viel mehr. In einzelnen Regionen war es zum Teil so, dass jeder zweite Beschäftigte in Kurzarbeit war, beispielsweise in Weiden in der Oberpfalz. Keiner von uns will sich vorstellen, wie es in diesen Branchen und Regionen ausgesehen hätte, wenn es kein Kurzarbeitergeld gegeben hätte.

Frau Schielke-Ziesing, das, was Sie sagen, ist wahrheitswidrig. Die meisten Menschen sind von Kurzarbeit in Beschäftigung zurückgekehrt. Wir hatten im Mai sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, jetzt sind es 2,5 Millionen; die Zahl steigt wieder an. Aber Kurzarbeit ist eine Brücke in Arbeit und in der Regel eben nicht in Arbeitslosigkeit.

Ja, es ist richtig: Kurzarbeit kostet sehr viel Geld. Seit Jahresbeginn haben wir fast 20 Milliarden Euro für das konjunkturelle Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Betriebe aufgewandt. Aber ich sage Ihnen auch: Massenarbeitslosigkeit und die Rückkehr von Massenarbeitslosigkeit wäre für dieses Land finanziell, wirtschaftlich und sozial viel teurer. Wir haben die Kraft, dafür zu sorgen, dass in dieser Krise dauerhafte Massenarbeitslosigkeit nach Deutschland nicht zurückkehrt. Da hilft die Kurzarbeit. Deshalb dürfen Sie dieses Instrument nicht so madig machen, wie Sie das hier gerade getan haben.

Arbeit hat einen Wert für diese Gesellschaft, einen Wert auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt, einen Wert aber auch für die Menschen an sich, nämlich selbstbestimmt leben zu können. Es gibt aber auch eine andere Seite, wenn wir über den Wert der Arbeit reden.

Wir haben in dieser Coronakrise erlebt, dass viele Menschen, die den Laden am Laufen halten, viel Applaus bekommen haben, aber zu wenig Lohn. Deshalb war es wichtig, dass wir gerade in diesen Zeiten, Frau Schielke-Ziesing, die Grundrente nicht gestrichen haben, sondern sie für die Menschen, die ihr Lebtag gearbeitet haben – das sind vor allem Frauen – und aufgrund von viel zu niedrigen Löhnen nicht genug Rente bekommen, einzuführen. Sie wird zum 1. Januar allen Widerständen zum Trotz in diesem Land eingeführt.

Es ist auch richtig, dass der Mindestlohn steigt. Die Mindestlohnkommission hat entsprechende Empfehlungen auf den Weg gebracht. Die Kommission wird zum 1. Januar einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Wir feiern jetzt fünf Jahre Mindestlohn. Der Mindestlohn hat übrigens – im Gegensatz zu dem, was vor fünf Jahren behauptet wurde – keine Arbeitsplätze vernichtet. Im Gegenteil: Er hat die Kaufkraft gestärkt.

Ich sage aber auch: Die Mindestlohnerhöhung kann für die Menschen, die jetzt den Laden am Laufen halten, die zum Beispiel Regale in unseren Supermärkten einräumen, nur ein Zwischenschritt sein. Wir müssen – darüber werden wir reden; ich werde dazu Vorschläge machen – den Mindestlohn weiter erhöhen und weiterentwickeln. Auch das ist notwendig.

Aber vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass wir oberhalb des Mindestlohns wieder zu mehr Tarifbindung in diesem Land kommen; denn Tarifbindung heißt in der Regel bessere Löhne und Gehälter. Wir haben über viele Jahrzehnte einen Rückgang der Tarifbindung in Deutschland erlebt, zum Beispiel im Einzelhandel, wo nur noch 20 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden sind, aber zum Beispiel auch in der Altenpflege, wo auch nur 20 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden sind.

Wir reden alle immer so schön über die Helden und Heldinnen des Alltags, und wir klatschen hier im Bundestag auch ganz kräftig für sie. Aber Klatschen zahlt für die Pflegerinnen und Pfleger keine Rechnung und keine Miete. Deshalb haben wir nicht nur den Mindestlohn erhöht, und zwar differenziert erhöht, auch für Pflegehilfskräfte und für qualifizierte Pflegekräfte, sondern wir haben die Chance für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag eröffnet. Wenn der Antrag vorliegen wird, wir ihn prüfen und die Voraussetzungen erfüllt sind, will ich, dass wir im nächsten Jahr für die Altenpflege diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären.

Es geht also um den Wert der Arbeit in der Krise. Aber es geht auch um die Würde der Arbeit. Der Harvard-Philosoph Michael Sandel hat es auf den Punkt gebracht – ich zitiere mit der Genehmigung des Präsidenten –: Unser größtes Problem ist die wachsende Ungleichheit, nicht nur mit Blick auf Einkommen und Wohlstand, sondern auch mit Blick auf die soziale Wertschätzung. – Ich sage das, weil wir in der Krise auch erlebt haben, dass es an Wertschätzung gefehlt hat, zum Beispiel in der Fleischindustrie, wo wir seit vielen Jahren ein System der Ausbeutung erlebt haben, das unter den Bedingungen der Pandemie zu einem großen Gesundheitsrisiko für viele Menschen geworden ist. Deshalb bin ich den Koalitionsfraktionen außerordentlich dankbar, dass wir in der nächsten Woche – da bin ich zuversichtlich – das Arbeitsschutzkontrollgesetz durchsetzen, um mit solchen ausbeuterischen Verhältnissen aufzuräumen.

Ich habe aber bei den Koalitionsfraktionen auch die Hoffnung, dass wir, wenn wir über die Würde der Arbeit reden, nicht nur den nationalen Blick haben, sondern im Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen unserer Verantwortung auch weltweit gerecht werden. Deshalb setze ich darauf, dass wir zu einer Einigung beim Lieferkettengesetz kommen. Es geht an dieser Stelle nicht um Kapitalinteressen, sondern es geht um Menschenwürde.

Es geht also um den Wert der Arbeit und die Würde der Arbeit. Es geht aber gerade in dieser Pandemie auch um den Wandel der Arbeit; denn Corona wird vieles beschleunigen: in der Digitalisierung, im Strukturwandel unserer Industrie, aber auch in der Art und Weise, wie wir arbeiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der Krise nicht nur Krisenmanagement machen, sondern auch Zukunftsvorsorge betreiben. Das tun wir in diesem Haushalt, indem wir beispielsweise mithelfen, den Instrumenten, die wir jetzt geschaffen haben, Flügel zu verleihen, damit die Beschäftigten von heute auch die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Es geht um die Instrumente, die die Kurzarbeit mit Qualifizierung verbinden, die Instrumente, die vor allen Dingen kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der Fachkräftesicherung helfen. Im Sinne der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen wir damit dafür, die Krise für Qualifizierung und Weiterbildung zu nutzen.

Es geht aber auch um das mobile Arbeiten. Wir arbeiten an einem Rechtsrahmen, der mithilft, dieser neuen Realität für viele Beschäftigte Rechnung zu tragen, indem wir da, wo es möglich ist, den Beschäftigten rechtlich den Rücken stärken, auch einmal ein, zwei Tage Homeoffice machen zu können, aber auch dafür sorgen, dass Homeoffice nicht zur Entgrenzung von Arbeit und Privatleben führt. Auch im Homeoffice muss einmal Feierabend sein. Das ist Teil des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten.

Es geht in diesen Zeiten darum, unser Land zusammenzuhalten. Wir haben nach wie vor schwierige Monate vor uns. Am Wochenende sind Entscheidungen zu treffen, die wiederum wahrscheinlich unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben einschränken werden, um die Gesundheit von Menschen zu schützen.

Aber Sie können sich, auch draußen an den Bildschirmen, darauf verlassen: Diese Bundesregierung kämpft um jeden Arbeitsplatz. Diese Bundesregierung weiß um den Wert, die Würde und den Wandel der Arbeit, und das kennzeichnet auch diesen Haushalt.

Herzlichen Dank.