Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière,

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In einer Demokratie muss mehr geschützt werden, als nur die Vielfalt von Meinungen – nämlich gemeinsame Regeln, Rechtsnormen und die Grundlagen unseres Zusammenlebens.

Toleranz gegenüber allen und jedem ist Beliebigkeit. Und Beliebigkeit schwächt eine starke und wehrhafte Demokratie. Eine wehrhafte Demokratie bekämpft Extremismus.

Die Bekämpfung von Extremismus hat dabei immer zwei Seiten.

Die erste Seite: Die Sicherheit – mit Vorfeldmaßnahmen auch durch die Verfassungsschutzbehörden, mit polizeilichen Befugnissen und gut ausgebildeten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.

Die zweite Seite: Die Prävention – mit Instrumenten der politischen Bildung, der gesellschaftlichen Debatte, mit politischer Kultur und mit eben diesen Auseinandersetzungen über unser Zusammenleben.

Wenn wir sagen: „Wir stärken unsere Demokratie und wehren uns gegen Extremisten, dann lautet die entscheidende Frage: Wo und wie fangen wir an? Und wer?

Lassen Sie mich dazu drei Gedanken formulieren.

Mein erster Gedanke: Demokratiewerbung und das Streiten für Demokratie ist nur zum kleinen Teil Erziehung, sondern zum größeren Teil ein Wettbewerb der Werte, eine lebendige Demokratie, aktives Mittun.

Ich denke, dass wir unsere Demokratie nicht allein durch Erziehung der Bürger zur Demokratie stärken, sondern vor allem durch Ermutigung zur Eigenverantwortung und zum zivilisierten Streit, durch Vormachen und Vorbild.

Demokratie ist nicht nur ein Verfahren, das sich alle paar Jahre wiederholt, sondern zuallererst eine Haltung, die man hat und zeigt. Dazu gehört der Stolz auf unsere Freiheit – die Freiheit des eigenen Denkens und Entscheidens genauso wie der Respekt vor der Freiheit und der Meinung der Anderen, solange sie nicht die Würde von Menschen in Frage stellt.

Zu einem demokratischen Denken kann man nur begrenzt erziehen, aber unbegrenzt ermutigen. Manche halten das für eine Schwäche der Demokratie. Aber auf längere Sicht gesehen, ist Ermutigung ihre große Stärke.

Ermutigen – das ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für den demokratischen Staat. Und sie muss deswegen auch an allen Orten des gesellschaftlichen Lebens stattfinden: In der Familie, bei der Arbeit, in der Kommune, im Verein oder im Verband, in Parteien.

Die beiden Programme „Demokratie leben“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gehen genauso so vor: Kein Frontalunterricht, keine Bevormundung oder Erziehung, sondern offene Angebote, Ermutigung und Stärkung sowie Ausbildung derjenigen, die vor Ort bereits respektiert und anerkannt werden. Ich denke, das ist der richtige Ansatz.

Mein zweiter Gedanke: Wer für „Einigkeit und Recht und Freiheit“ eintritt, der muss auch mit Uneinigkeit leben.

Demokratie bedeutet auch Debatte, Streit, Auseinandersetzung. Demokratie bedeutet nicht, dass auch der Letzte zugestimmt hat. Vor lauter Minderheitsschutz darf man nicht vergessen, dass in der Demokratie die Mehrheit entscheidet. Und trotzdem gibt es Grenzen der demokratischen Auseinandersetzung.

Wir diskutieren in diesen Tagen viel über Populisten und deren Positionen. Sicher ärgern wir uns alle oft über die vielen zu einfachen Antworten, die dort auf die schwierigen Probleme unseres Landes gegeben werden – aber das gehört dazu. Das müssen wir aushalten und uns dem stellen.

Ich denke aber, dass im Rahmen jeder Diskussion eine verantwortungsbewusste Einschätzung darüber erforderlich ist, welche Position in einer Demokratie auszuhalten ist und welche sich im Bereich eines nicht mehr zu tolerierenden Extremismus bewegt – egal ob von links oder von rechts.

Dann kann oder muss ein Gespräch auch mal beendet werden. Diese Entscheidung ist sicher nicht leicht – gerade in einer auf Auseinandersetzung ausgerichteten Gesellschaft. Aber auch in einer Demokratie muss man nicht über alles diskutieren. Bei Hass und Gewalt hört die demokratische Debatte auf. Auch Demokratie hat eine Würde. Zu ihr gehört eine die Menschenwürde achtende Streitkultur.

Auch die Verneinung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland ist kein Ausgangspunkt für einen kultivierten Streit über unsere Gesellschaft. Und wer sich selbst als Reichsbürger bezeichnet, der kann und darf auch nicht als Polizist oder Beamter für Demokratie und Rechtstaat in unserem Land eingesetzt werden.

Ein überzeugter Demokrat streitet über und für seine Überzeugungen. Aber zivilisatorische Errungenschaften wie Freiheit und Rechtsstaat stellt er nicht in Frage – auch das ist das tiefere Motiv unserer Projekte und der Förderung Ihrer Projektarbeit.

Mein dritter und letzter Gedanke: Demokratie lebt vom Streit für etwas, nicht vom Streit gegen etwas.

Richard von Weizäcker hat einmal gesagt:

„Die Weimarer Republik ist letztlich nicht daran gescheitert, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern dass zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren.“

Ich glaube, das stimmt. Und so sollten wir auch unseren Einsatz heute und Ihren Einsatz in den einzelnen Projekten sehen. Wir kommen heute nicht vor allem „gegen“ etwas zusammen. Wir werben heute „für“ etwas, nämlich für Demokratie, Toleranz und ein vernünftiges Miteinander in unserem Land. Es ist ein wichtiger Unterschied, ob ich „für“ oder „gegen“ etwas bin - auch dann, wenn beide Haltungen eigentlich dem gleichen Ziel dienen.

Demokratie lebt niemals nur von der Ablehnung allein – noch nicht einmal von der Ablehnung von Extremismus und Radikalismus. Es ist verständlich, dass es mehr Initiativen „gegen“ etwas gibt, denn in einer Demokratie ist es leichter „Nein“ zu sagen als „Ja“. Es ist leichter einer Diskussion um einen Kompromiss aus dem Weg zu gehen, als sich ihr zu stellen. Bekämpfen ist leichter als Überzeugen.

Demokratie überzeugt immer etwas mehr, wenn es als leidenschaftliches Plädoyer für Demokratie vorgetragen wird – und einer, der das mit ganz besonderer Leidenschaft tut, ist Bundespräsident Gauck, der in seiner Rede beim Festakt zu 25 Jahren deutscher Einheit sagte:

„Viele sahen das Ende der Geschichte gekommen, weil die Demokratie die Diktatur besiegt hatte. Stattdessen sind wir heute konfrontiert mit gescheiterten Staaten, mit Terrorismus, Fundamentalismus, Gewalt, Anarchie und Bürgerkrieg.

Wir haben miteinander neu darüber nachzudenken, und wir haben zu bestimmen, welche Mitverantwortung Deutschland zu tragen bereit ist – gemeinsam mit seinen Freunden und Partnern.

Einfach ist es nicht, ist es nie, das Prinzip Verantwortung nicht nur im eigenen engeren Lebensbereich zu praktizieren, sondern auch in der erweiterten gesellschaftlichen, in der europäischen oder gar globalen Dimension.

Aber war es je einfach, der Freiheit und dem Recht zum Sieg zu verhelfen?

Aber: Dass es möglich ist, das ist doch unser gemeinsames Wissen. Es lautet: Wir wollen nicht gelebt und regiert werden, wir wollen unser Leben selbst gestalten und regieren.“

Besser kann man es nicht sagen.

Wie man das macht, deshalb sind wir heute hier. Ich freue mich jetzt, mit Ihnen zu sprechen, in unserer Runde zu diskutieren und vielleicht ja auch etwas zu streiten – demokratisch, mit Demokraten und für die Demokratie.

Es ist schön, dass Sie da sind.

Demokratie ist wunderbar anstrengend, strengen wir uns an, sie zu stärken.