Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,

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Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sie haben es mitbekommen: Ich bin am Montag von einer mehrtägigen Reise aus Ostafrika zurückgekommen. Zu lesen war auch, dass der eine oder andere gefragt hat: Darf man in diesen Zeiten, darf man während der Syrien-Krise, der Irak-Krise, der Ukraine-Krise, während der Bedrohung durch terroristische Anschläge eigentlich nach Afrika fliegen? Meine Antwort ist ein klares: Ja. Ich finde, das kann und das muss der Außenminister in diesen Tagen sogar.

Mein Verdacht ist, dass viele Probleme, die wir mit unserer südlichen Nachbarschaft, mit unserer Nachbarschaft zu Afrika haben, daher rühren, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu oft nach Gründen gesucht haben, warum wir nicht nach Afrika fliegen. Vieles, das in Europa geschah, schien drängender zu sein als das, was sich in unserer südlichen Nachbarschaft ereignet hat.

Eigentlich ist uns doch klar, dass die Zeit der Krisen weit weg von uns lange vorbei ist, dass auch die scheinbar fernen Krisen jedenfalls uns in Europa sehr nahegekommen sind, und das eben nicht nur in Gestalt von Flüchtlingen. Deshalb muss Außenpolitik helfen – wie eben in Mosambik und Uganda, wo ich unterwegs war –, Frieden zu konsolidieren, Perspektiven für die Menschen in ihren Heimatländern zu entwickeln oder eben auch, was mir ganz wichtig war, regionale Kooperationen zu fördern, wie wir es gerade mit den Staaten Ostafrikas tun, damit sie in Zukunft endlich einmal in der Lage sein werden, mit Krisen, die ja beherrschbar erscheinen, zum Beispiel die in Burundi, vor Ort fertigzuwerden.

Daran, dass ich das an den Anfang meiner Rede stelle, merken Sie: Dies ist ausdrücklich kein Nebenaspekt von Außenpolitik. Genau deshalb begrüße ich den vorliegenden Haushaltsentwurf. Denn dieser Haushaltsentwurf, das Budget, das uns zur Verfügung stehen wird, stärkt den Instrumentenkasten der Außenpolitik insgesamt, von der akuten humanitären Nothilfe bis hin zur zivilen Krisenprävention und zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dass wir das über die Wochen und Monate so im Einverständnis miteinander verhandeln konnten, mit dem Blick sowohl auf die akuten Krisen, über die zu reden ist, wie auch mit dem Blick auf die Krisenvorbeugung von morgen, dafür gilt diesem Hohen Hause und den Vertretern des Haushaltsausschusses vorab mein ganz herzlicher Dank. Herzlichen Dank Ihnen allen!

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich lastet auf uns allen noch die Schreckensnachricht von Paris. Sie liegt uns auf der Seele. Wir erinnern uns an einen ganz normalen Nachmittag in Paris, einen fast fröhlichen Freitagabend – so begann er jedenfalls –: junge Menschen auf dem Weg in die Kneipe, Fußballfans auf dem Weg ins Stadion, Musikfans auf dem Weg in die Konzerthalle. Der Abend endete anders: mit 130 ermordeten Menschen, er-schossen, zerbombt, und nicht zu vergessen, mit 340 Menschen, die verletzt wurden, 90 von ihnen sehr schwer; viele von ihnen ringen bis heute noch um ihr Leben.

Will sagen: Der Terror des sogenannten „Islamischen Staats“ ist in Europa angekommen. Aber die ganze Wahrheit ist: In Syrien, im Irak, in Libyen und in Nigeria wütet diese Barbarei schon sehr viel länger als bei uns, und dort wütet sie am brutalsten und täglich. Erst gestern wieder wütete sie auch in Tunesien. Viele der Menschen, die derzeit zu uns fliehen, suchen Zuflucht vor ebendiesem Terror, den der IS in ihrer Heimat verbreitet.

Zum zweiten Mal ist es Frankreich, sind es die Menschen in Paris, die von diesem Terror heimgesucht werden, aber eben nicht nur sie; das sollte uns klar sein. Das ist ein Angriff auf alle, die in Freiheit und Frieden leben wollen, ob hier in Europa oder anderswo, ob Christen, Juden, Atheisten oder Muslime. Es ist ein Angriff auf eine offene Gesellschaft, die die Fanatiker nicht ertragen und die sie deshalb vernichten wollen: mit Bomben, mit Gewehrkugeln, mit der Verbreitung von Angst und Schrecken. Aber eine Gesellschaft in Angst, in der sich die Menschen zurückziehen, verliert genau das, was sie eigentlich lebenswert macht. Gerade deshalb müssen wir um sie kämpfen. Das ist die Botschaft an Tausenden Orten in Frankreich, wenn der Angst, dem Schrecken, der Verzweiflung, der Wut, wenn alldem trotzig die Marseillaise entgegengesungen wird. Das ist die Botschaft, die Regierung und Parlament hier in Berlin am Tag nach der Schreckensnacht unseren französischen Freunden gesandt haben: Ihr seid nicht allein. Wir lassen euch nicht allein. – Zu diesem Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen wir gemeinsam.

Was heißt das konkret? Was tun wir gegen den Terror? Natürlich bleibt richtig, was alle hier im Hause vermutlich gleichlautend sagen: Am Ende ist Terrorismus nicht militärisch zu besiegen. – Am Ende ist das richtig. Aber richtig ist auch: Der IS muss auch militärisch bekämpft werden, wenn von Syrien am Ende etwas übrig bleiben soll, was wir mit unseren Bemühungen befrieden und wo wir den Menschen eine neue Zukunft schaffen. Falsch wäre es, uns nur auf Militärisches zu beschränken. Aber naiv wäre es, zu glauben, es ginge ganz ohne. Wir werden beides brauchen, und ich werde dafür streiten, mit all meiner Kraft, dass das politische Handeln und der politische Prozess bei dem, was wir tun, im Vordergrund stehen werden.

Drei Dinge sind wichtig:

Erstens. Zu dem militärischen Kampf gegen ISIS, der fortgeführt werden muss – das wird sicherlich auch noch eine Weile dauern –, werden auch Luftangriffe gehören; sie werden dazugehören. Aber, ich glaube, mehr denn je wird klar: Wir müssen vor allen Dingen diejenigen stärken, die am Boden kämpfen. – Das haben wir eigentlich früher gemacht als andere, als wir uns entschlossen haben, die Peschmerga im Irak mit Waffen und Ausbildung zu unterstützen. Wie richtig dieses Engagement war, bei allen Schwierigkeiten, die im Nordirak unter den Kurden bestehen, das sehen wir vielleicht daran, dass nicht nur der Vormarsch des IS im Nordirak aufgehalten worden ist, sondern dass jetzt sogar kleinere Geländegewinne erzielt worden sind.

Das ist nicht die Blaupause dafür, dass das, was da gelungen ist, überall anders auch passiert. Aber das ist der Hintergrund dafür – ich glaube, Herr Nouripour hat es kritisiert –, dass ich gesagt habe: Wir sollten jedenfalls versuchen, ohne dass wir die Beteiligten zwingen können, möglichst viele von den syrischen Kräften zusammenzubringen, die gegen IS sind und die bereit sind, gegen IS zu kämpfen – nicht mehr und nicht weniger; aber richtig bleibt es wohl.

Leider sind eben nicht nur Syrien und Irak Themen, um die wir uns zu kümmern haben, sondern die Konflikte rund um den Erdball sind noch zahlreicher, und wir werden uns nicht um alles kümmern können. Aber wir werden uns in Arbeitsteilung mit anderen engagieren müssen. Dazu gehört auch Mali. Wir diskutieren gerade in diesen Tagen im Kabinett darüber und werden im Parlament später über Mali und die Verstärkung unseres Einsatzes bei MINUSMA diskutieren.

Ich rufe in Erinnerung, dass es auch in Mali Frankreich zu verdanken ist, dass Mali nicht komplett in die Hände von Islamisten gefallen ist und nicht zerstört worden ist. Dass dort heute überhaupt Stabilisierungsarbeit möglich ist, hängt damit zusammen, dass Frankreich damals eingegriffen hat – mit all den Schwierigkeiten, die das in der Folge hat. Aber wir sollten es nicht vergessen.

Ich sage das auch deshalb, weil ich mich bei den Angehörigen der VN-Mission und natürlich ausdrücklich auch bei den Soldaten der deutschen Bundeswehr dafür bedanken will, dass sie unter den nicht ungefährlichen Umständen in Mali ihren Dienst tun. Herzlichen Dank dafür!

Unterstützung der Peschmerga, Arbeitsteilung in Mali – beides ist wichtig. Ich glaube, wir brauchen uns mit dem, was wir tun, nicht zu verstecken. Wir brauchen uns mit unseren Beiträgen nicht zu verstecken. Aber wir müssen wissen – spätestens nach den Gesprächen, die der französische Präsident mit dem amerikanischen Präsidenten und mit Cameron geführt hat, und vor den Gesprächen, die er mit der Bundeskanzlerin und wenige Zeit danach mit Putin führen wird –: Frankreich will nach der Tragödie von Paris kein einfaches Weiter-so in Syrien, sondern sie bitten ausdrücklich um Unterstützung – welche genau, das kann ich heute noch nicht sagen. Das wird sich vielleicht im Laufe des heutigen Abends und morgen klären.

Ich will auch gerne hinzufügen: Wir müssen nur geben, was wir können und verantworten können. Aber das bedeutet auch: Grundlos verweigern dürfen wir uns nicht. Sonst ist unser Versprechen, das wir gegenüber unserem engsten Nachbarn gegeben haben, eben nicht viel wert. Glaubwürdigkeit zu bewahren, gerade wenn es schwierig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind wir auch uns selbst schuldig; jedenfalls ist das meine Überzeugung.

Zu der zweiten Dimension, zu der ich kommen will, gehört natürlich jenseits des Militärischen auch die Stabilisierung des gesamten Krisenbogens von Libyen bis in den Mittleren Osten. Es ist völlig klar: Nur wenn es staatliche Institutionen gibt, wird Stabilisierung gelingen. Dann wird es gelingen, den Nährboden auszutrocknen, auf dem Extremismus und Terrorismus gedeihen, und nur dann wird es gelingen, wieder Lebensperspektiven für die Menschen zu entwickeln. Ich sage das deshalb, weil wir schon bei der Organisation des Auswärtigen Amtes genau darauf einen Schwerpunkt gesetzt haben.

Ich will auch ausdrücklich sagen: Ich bin froh darüber, dass dieser Haushalt den Schwerpunkt Stabilisierungsarbeit, Krisenprävention mit Geld unterstützt, gerade auch Stabilisierung und humanitäre Hilfe.

Zur Ehrlichkeit gehört allerdings: Wir können nicht jeden Euro umrechnen in ausbleibende Flüchtlinge oder gar in ausbleibende Terroranschläge. Außenpolitik gibt es eben leider nicht mit Festverzinsung, wenn ich das so sagen darf. Aber ich glaube schon, dass man zeigen kann, dass sich unser Engagement lohnt. So werden zum Beispiel 300.000 Menschen in Syrien durch unsere Investitionen in den Syria Recovery Trust Fund inzwischen wieder mit Strom versorgt, weil wir mit unseren Partnerorganisationen Strommasten wieder aufgerichtet haben, die zerstört waren. In Tikrit stellen wir Krankenhäuser, Schulen und die Wasserversorgung wieder her, sodass die Menschen in ihre Häuser zurückkehren. Ferner gibt es – Alois Karl hat eben davon berichtet – fast 300 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die gestern im Auswärtigen Amt waren und die sich jetzt darauf vorbereiten, dass sie hoffentlich irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren und dort beim Wiederaufbau ihres Landes helfen können.

Letztlich und abschließend die dritte Dimension: die politischen Lösungsversuche, der politische Prozess, den wir dringend brauchen. Ich will nicht wiederholen, was andere gesagt haben. Ich bin froh darüber, dass es in Wien erstmals gelungen ist, alle an einen Tisch zu bekommen. Ich mache mir Sorgen – das habe ich gestern auch zum Ausdruck gebracht –, dass der gestrige Flugzeugabschuss an der syrisch-türkischen Grenze uns weit zurückwerfen könnte. Ich bin froh, dass es möglicherweise, wie wir gerade eben in Tickermeldungen lesen konnten, zwischen der türkischen und russischen Regierung Bemühungen gibt, doch wieder zueinanderzukommen. Ich hoffe, dass sich Gerüchte bestätigen, dass es zu einem Treffen des türkischen und des russischen Außenministers kommen soll. Dann bleibt jedenfalls den Bemühungen um politische Optionen, an denen wir an zwei Wochenenden in Wien mühsam gearbeitet haben, eine Chance.

Alle drei Dimensionen, über die ich gesprochen habe, sind wichtig. Auch wenn wir heute noch fassungslos sind und voller Trauer über die Opfer von Paris – wir geben uns der Verzweiflung nicht hin, wir geben uns der Ohnmacht nicht hin. Deshalb ist eben das Reden über Haushalt mehr als ein Reden über Geld. Dieser Haushalt macht vielmehr in vielen Bereichen Politik erst möglich, eine Politik, deren Maxime nicht Abschottung, nicht Ohnmacht ist, sondern Handeln. Und Handeln ist nötig, wenn wir diese Welt ein bisschen friedlicher machen wollen, als sie ist.