Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,

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Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Bundeskanzlerin hat gestern in der Regierungserklärung die großen Herausforderungen beschrieben, vor denen Deutschland und Europa stehen. Das ist die demografische Herausforderung. Das ist, Herr Kollege Riesenhuber, eine geringere Freudigkeit in unserer Gesellschaft bei der Einführung und Anwendung neuer Technologien. Deswegen brauchen wir, wenn wir forschungs- und innovationsfreundlich bleiben wollen, viele solcher mutmachenden Reden. Deswegen stimme ich Herrn Kollegen Heil ausdrücklich zu. Wir müssen uns über die effizienteste Form der Verwendung begrenzter Mittel dann gelegentlich noch verständigen.

Darüber hinaus gilt – auch das muss man einfach sehen; man muss es sich gelegentlich ins Gedächtnis rufen, gerade am Beginn einer Legislaturperiode –: Im Vergleich zu anderen großen Industrieregionen der Welt verwenden die europäischen Länder im Durchschnitt doppelt so viel von ihrem Bruttoinlandsprodukt für soziale Leistungen. Zusammen mit einer gewissen Risikoscheu und der demografischen Entwicklung beschreibt dies die Herausforderungen für die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Wir sind in einer guten Situation, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wir müssen Kurs halten, und wir müssen uns weiter mit allen Kräften anstrengen.

Ich will noch folgende Bemerkung machen: Am Ende hängt die wirtschaftliche Entwicklung immer ganz entscheidend davon ab, wie die Menschen die Zukunft einschätzen. Schon Ludwig Erhard hat gesagt, dass mindestens die Hälfte Psychologie ist. Wir sind in den vergangenen Jahren aus der schwersten wirtschaftlichen Krise der Nachkriegszeit besser als andere herausgekommen, weil es uns gelungen ist, das Vertrauen der Menschen in die Nachhaltigkeit unserer Systeme, insbesondere in unsere öffentlichen Haushalte, zurückzugewinnen. Deswegen hat eine nachhaltige und konsequente Finanzpolitik einen entscheidenden Beitrag für die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu leisten.

Am Anfang der letzten Legislaturperiode sind Wetten abgeschlossen worden, dass wir die Schuldenbremse niemals einhalten können. Das ist aber überhaupt kein Thema mehr. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen zu Recht miteinander verabredet, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung den Spielraum der Schuldenbremse des Grundgesetzes in dieser gegebenen Situation nicht ausschöpfen wollen, sondern dass wir in diesem Jahr ohne eine strukturelle Neuverschuldung und ab dem kommenden Jahr ohne neue Schulden auskommen wollen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber es ist der richtige Weg, um die Tragfähigkeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung auch mittelfristig abzustützen. Deswegen werden wir diesen Punkt Schritt für Schritt umsetzen.

Auch wenn wir gesamtstaatlich gesehen im letzten Jahr mit 0,1 Prozent fast kein Defizit hatten – im Vorjahr hatten wir sogar einen leichten Überschuss –, haben wir noch immer eine Gesamtverschuldung unserer öffentlichen Haushalte in Höhe von rund 80 Prozent unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung. Wir sind verpflichtet – wir haben uns vorgenommen, diese Verpflichtung zu erfüllen –, diese Verschuldung innerhalb von zehn Jahren auf 60 Prozent, was gesamtwirtschaftlich tragfähig ist, zurückzuführen. Die Planungen für diese Legislaturperiode gehen davon aus, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode in die Nähe von 70 Prozent Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt kommen können, wenn wir den vereinbarten Weg durchsetzen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Deswegen werbe ich schon heute dafür, dass wir ihn auch in den kommenden Jahren bei den Haushaltsberatungen gemeinsam gehen.

Wir haben uns vorgenommen, den Entwurf des Bundeshaushalts 2014 im März zu verabschieden, gleichzeitig auch die Verhandlungen über die mittelfristige Finanzplanung zu beginnen und zugleich im bewährten Top-down-Verfahren die Eckwerte für den Haushalt 2015 festzulegen. Wir werden dann gemäß der Vereinbarung im Koalitionsvertrag aufzeigen, wie wir die Spielräume, die wir durch die Finanzpolitik gewonnen haben, zu verstärkten Investitionen in die Infrastruktur unseres Landes, in Forschung und Familie nutzen können, wie wir das miteinander verabredet haben. Dies dient der langfristigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes.

Die Tatsache, dass wir einen annähernd ausgeglichenen Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Kommunen haben, ist im Übrigen der beste Beweis dafür, dass wir keine Steuererhöhungen benötigen, sondern dass wir mit den gegebenen Steuergesetzen die öffentlichen Aufgaben nachhaltig und angemessen finanzieren können. Im Übrigen ist unser System der Unternehmensbesteuerung international wettbewerbsfähig, sonst hätten wir nicht diese gute wirtschaftliche Entwicklung, die wir im Augenblick haben. Auch das muss man klar sagen.

In den nächsten Jahren wird es vor allen Dingen darum gehen, dass wir die bestehenden Steueransprüche noch konsequenter durchsetzen.

– Ja, das ist leichter gesagt als getan, Herr Kollege, weil die Möglichkeiten der Steuervermeidung, die die Globalisierung mit sich bringt, es den Finanzmärkten unglaublich leicht machen, die unterschiedlichen steuerlichen Regelungen, die es überall auf der Welt gibt, im Hinblick auf die Steuerbelastung optimal zu nutzen. Jedes Unternehmen, das weltweit tätig ist, muss dies aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen auch so machen. Daher ist es wichtig, dass wir die Initiative gestartet haben, uns weltweit über Regeln zu verständigen, mit denen die Anzahl der Möglichkeiten der Steuervermeidung reduziert werden kann.  Aber das ist ein weiter Weg. Wir werden auf globaler Ebene – in der OECD und in den G20 – konsequent daran arbeiten, im europäischen Rahmen ohnehin, wo wir auch ein Stück weit Vorreiter und Vorbild sein müssen. Aber auch da bleibt in Europa viel zu tun. Auf der anderen Seite werden wir uns vor illusionären Erwartungen, die wir nicht erfüllen können, hüten müssen; denn natürlich ist die Kreativität, dem auszuweichen, immer groß. Wir haben große Fortschritte in den letzten Jahren gemacht – und das wird sich in den nächsten Jahren sehr schnell fortsetzen –, durch den Informationsaustausch der Steuerverwaltungen die Möglichkeiten der Steuerhinterziehung zu verringern. Der automatische Informationsaustausch ist in Europa auf der Tagesordnung. Ich bin zuversichtlich, dass wir ihn im Laufe dieser Legislaturperiode in europäisches Recht umsetzen können. In der OECD und auf der Ebene der G20 sind wir gut vorangekommen, weil alle begreifen: Die Akzeptanz unserer demokratischen Systeme hängt am Ende davon ab, dass die bestehenden Steueransprüche auch durchgesetzt werden. Darum geht es.

Ich will ein paar Bemerkungen zu den aktuellen Problemen bei der Stabilisierung unserer gemeinsamen europäischen Währung machen; auch die Bundesbank hat dazu in diesen Tagen eine Bemerkung gemacht. Im Zuge fortschreitender europäischer Integration werden wir uns auch mit der Frage beschäftigen müssen, dass wir die richtige Balance finden zwischen der Freiheit jedes einzelnen Mitgliedstaates, durch die Gestaltung seiner Steuersätze Wettbewerb zwischen den Standorten zu betreiben, und der europäischen Solidarität, die im Interesse unserer gemeinsamen Währung von allen gefordert wird. Hier haben wir noch nicht das richtige Gleichgewicht, wie wir aus einigen Diskussionen der letzten Jahre wissen. Auch daran müssen wir arbeiten. Das geht auch nicht leicht, weil in Europa die Verträge nur einstimmig geändert werden können. Aber trotzdem muss man das Ziel und die Notwendigkeit beschreiben.

Mit der Verteidigung unserer gemeinsamen europäischen Währung und mit der Herausführung dieser Währung aus der Vertrauenskrise – in die sie übrigens als Folge der Finanz- und Bankenkrise geraten ist, die gar nicht in Europa ihren Ursprung und ihre Ursache hatte; daran muss man gelegentlich erinnern –, in der Rückgewinnung des Vertrauens in die europäische Währung sind wir viel erfolgreicher gewesen, als die meisten noch vor drei Jahren für möglich gehalten haben. Die Hilfsprogramme für Irland und Spanien sind erfolgreich abgeschlossen. Portugal wird Mitte dieses Jahres so weit sein. Griechenland – bei allen verbleibenden Problemen, die man, was die politische Stabilität und die Maßnahmen, die der Bevölkerung zugemutet werden, nicht unterschätzen darf – hat erhebliche Fortschritte gemacht. Die Euro-Zone insgesamt ist aus der Rezession herausgekommen, auch dank der starken Leistungskraft Deutschlands. Der Euro als solcher ist aus der Aufmerksamkeit der Finanzmärkte als eine Quelle der Beunruhigung entschwunden. Dies kann man sehen, wenn man sich die Sätze für die Staatsanleihen aller Mitgliedstaaten der Euro-Zone ansieht. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Aber aus der Erfahrung können wir die Sicherheit gewinnen, dass der eingeschlagene Weg – Solidarität bei der Bekämpfung der Ursachen, also Hilfe, wenn notwendig, aber unter Auflagen, um die Ursachen der Probleme zu beseitigen – richtig war. Wir werden ihn auch in den kommenden Jahren im Interesse Europas und der Stabilität unserer Währung fortsetzen.

Ich will im Übrigen hinzufügen: Jedermann in Deutschland muss wissen, dass aus der gemeinsamen europäischen Währung natürlich nicht zuletzt Deutschland mit seiner leistungsstarken Wirtschaft Vorteile hat. Wir hätten also mehr zu verlieren. Wenn wir die europäische Währung verteidigen, handeln wir nicht in falsch verstandener Generosität, was manche Demagogen den Menschen einreden wollen, sondern wir verhalten uns richtig in der Wahrnehmung unserer eigenen Interessen und unserer eigenen Verantwortung gegenüber unserer Zukunft.

Wir sind bei der europäischen Bankenunion weit vorangekommen. Wir haben einheitliche Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Banken vereinbart, wonach überall in Europa klargestellt ist, dass in Zukunft in erster Linie die Eigentümer und die Gläubiger bei Banken für etwaige Verluste haften und nicht mehr der Steuerzahler. Chancen und Risiken gehören zusammen: Es müssen die, die Gewinne machen, auch die Verluste tragen. Und genau diesen Weg verfolgt die europäische Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie. Hier haben wir im Dezember eine Einigung mit dem Europäischen Parlament erzielt.

Die europäische Bankenaufsicht wird als Kapazität bei der EZB aufgebaut. Wir sind jetzt in den Endverhandlungen mit dem Europäischen Parlament. Es sind im Detail noch schwierige Verhandlungen, aber wir werden sie erfolgreich abschließen, sodass wir einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus haben.

All dies muss – das muss man auch den Kollegen in Brüssel sagen – auf einwandfreier rechtlicher Grundlage geschehen. Die europäischen Verträge sind nicht perfekt, die Regelungen manchmal kompliziert; aber wir dürfen nicht riskieren, dass wir Vereinbarungen treffen, die nachher einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Das haben wir bisher so gehalten; das werden wir auch in der Zukunft um der Stabilität dieser europäischen Währung willen so halten müssen.

Im Übrigen: Wenn wir eine europäische Bankenabgabe nur so bekommen können, dass wir nationale Bankenabgaben einführen, weil es keine Rechtsgrundlage für eine europäische gibt, dann ist auch klar – das hören nicht alle gern –: Die Verantwortung dafür, dass die Bankenabgabe gezahlt wird, muss bei den Mitgliedstaaten verbleiben, weil nur sie sie beschließen und durchsetzen können. Deswegen können wir die Haftung für eine nicht eingezahlte Bankenabgabe nicht vergemeinschaften. Erst muss sie eingezahlt sein, dann kann man vergemeinschaften. Das ist der Sinn dieser komplizierten Regelung; wenn man sich den Gehalt anschaut, ist das eindeutig.

Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Dann werden wir mit einer stabileren europäischen Bankenlandschaft zugleich einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir weiterhin die Lehren aus der Finanz- und Bankenkrise der Jahre 2007 und 2008 ziehen. Wir sind in der Finanzmarktregulierung weit vorangekommen. Wir haben strengere Vorschriften für das Eigenkapital der Banken, sodass die Risikomaximierung bei den Banken nicht mehr wie bisher vorangeht. Das ist mit Basel III gut um-gesetzt.

Wir haben, übrigens weltweit, Regelungen zur Begrenzung der Managervergütungen vereinbart. Das ist dringend notwendig, weil sich ganz falsche Verhaltensweisen ein Stück weit eingeschlichen haben.

Wir schaffen eine europäische Bankenaufsicht, weil man grenzüberschreitend tätige Banken nicht mehr national beaufsichtigen kann. Wir werden uns jetzt verstärkt dem Thema Schattenbanken widmen müssen; das ist von den G20 vereinbart worden. Es ist ein schwieriges Feld; aber das muss energisch vorangetrieben werden. Wir haben gestern die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Liikanen-Berichts bekommen. Sie sind ein ganzes Stück weit auf der Linie unserer nationalen Gesetzgebung, die wir, auch um Erfahrungen zu sammeln, in Abstimmung mit und parallel zu Frankreich, unserem wichtigsten und engsten Partner, schon im Vorgriff national umgesetzt haben. Wir werden die Vorschläge noch im Einzelnen genau prüfen müssen. Ich habe ein bisschen Bedenken, dass die Vorschläge der Kommission, gerade, was die Abschottung von hochriskanten Geschäften bei den Hedgefonds anbetrifft, weniger weit gehen als unsere deutsche Regelung. Ich glaube, dass das ein Punkt ist, den wir dann überprüfen müssen. Denn wir müssen sehr genau hinschauen, damit wir unmäßige Risiken im Bankensektor im Sinne der Stabilität für die Zukunft möglichst unwahrscheinlich machen.

Wir haben jetzt übrigens mit der Finanzmarktrichtlinie – um auch das zu sagen – eine europäische und nicht mehr nur eine nationale Regelung für den Hochfrequenzhandel. Sie schließt ihn nicht aus, schränkt aber Missbrauchsmöglichkeiten oder Übertreibungen ein. Wir haben vor allen Dingen auch bestimmte Begrenzungen der Spekulation mit Rohstoffen beschlossen. Auch das ist ein dringender, wichtiger Punkt. Ich bin froh, dass uns dies gelungen ist. Wir werden diese Bemühungen in den kommenden Jahren Schritt für Schritt und konsequent fortsetzen.

Ich will eine letzte Bemerkung machen. Ich rede schnell, weil die Hauptthemen der Finanzpolitik in der Kürze der Zeit kaum darzustellen sind. Ich habe gelesen, in den nächsten Jahren werde der Finanzminister Langeweile haben. Diese Sorge habe ich im Moment nicht. Wir müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen ein Stück weit mit mehr gemeinsamer Verantwortung bedenken. Wir haben im Koalitionsvertrag wieder zusätzliche Leistungen für die Kommunen vereinbart. Ich will daran erinnern, dass wir in der letzten Legislaturperiode mehr Leistungen für die Kommunen erbracht haben, als die Kommunen selbst erwartet haben. Seit dem 1. Januar haben wir die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vollständig durch den Bundeshaushalt übernommen – das sind noch einmal zusätzlich 1,1 Milliarden Euro – und damit die Gemeinden entlastet.

Ab dem kommenden Jahr werden wir im Vorgriff auf ein Gesetz über die Eingliederungshilfe – das ist noch mal eine Riesenaufgabe – jedes Jahr eine Milliarde Euro vorab für die Gemeinden zur Entlastung bei der Eingliederungshilfe vorsehen. Wir haben im Koalitionsvertrag eine Milliarde Euro für Kindertagesstätten reserviert. Das alles sind Leistungen zur Entlastung der Kommunen.

Für die Länder haben wir darüber hinaus vereinbart, die Mittel, Herr Kollege Riesenhuber, nicht nur für die außeruniversitäre Forschung um weitere drei Milliarden, sondern auch für die Hochschulen um bis zu fünf Milliarden Euro aufzustocken. All dies dient der Entlastung der Länder.

Deswegen nutze ich die Gelegenheit am Ende meiner ersten Rede in dieser Legislaturperiode, um an alle in unserem Bundesstaat zu appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam auf allen Ebenen zusammenwirken. Nehmen wir in einer Zeit großer Herausforderungen, aber auch großer Chancen unsere Verantwortung wahr, um das, was in Jahrzehnten glücklichster Entwicklung in unserer Geschichte erreicht worden ist, für das 21. Jahrhundert zukunftsfest zu machen.