Rede der Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt,

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Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem heute anstehenden Beschluss dieses Gesetzes bringen wir eine Debatte zum Abschluss, die nicht immer einfach war, mit deren Ergebnis ich aber sehr zufrieden bin.

Wir stärken die Pflegeversicherung, die sich bewährt und die vieles geleistet hat. Vor Einführung der Pflegeversicherung fielen Hunderttausende Menschen, die auf Pflege angewiesen waren, in die Sozialhilfe. Heute bewahren die Leistungen der Pflegeversicherung viele vor diesem Schicksal.

Seit 1995 sind über 300.000 neue Arbeitsplätze im Bereich der Pflege entstanden. 2,1 Millionen Menschen erhalten Leistungen der Pflegeversicherung. Für mehr als 400.000 Menschen – es sind vor allen Dingen Frauen – zahlt die Pflegeversicherung in die Rentenversicherung ein. Trotzdem gibt es eine Reihe von Herausforderungen, auf die wir uns einstellen müssen.

Wer sich entschließt, einen Angehörigen zu pflegen, braucht dazu seine ganze Kraft und hat keine Zeit, zu Hinz und Kunz zu laufen, um die Papiere zusammenzubekommen. Er wendet viel Kraft und viel Zeit auf, nimmt Einschränkungen seines Lebens in Kauf. Lange Wege, bürokratische Anträge, Klärung der Zuständigkeit – das muss nicht sein. Hier werden wir die Menschen in Zukunft entlasten.

Mit den Pflegestützpunkten werden vernetzte, wohnortnahe Beratungsangebote entstehen. Fallmanager und Fallmanagerinnen werden den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen als verlässliche Partner zur Seite stehen. Sie werden nicht nur beraten, sondern den Pflegefall während des gesamten Verlaufs begleiten: von der Entlassung aus dem Krankenhaus über Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zur Pflege zu Hause oder in einer stationären Einrichtung. In den Pflegestützpunkten können auch diejenigen Rat und Unterstützung finden, die die deutsche Sprache vielleicht nicht so gut beherrschen, die bei der Organisation der Pflege überfordert sind oder die ihre Rechte und Ansprüche nicht kennen. Für uns ist klar: Sprache, Herkunft und soziale Schicht dürfen kein Hindernis sein, seine Rechte als Versicherter wahrzunehmen.

Die Verantwortung für die Einführung der Pflegestützpunkte liegt bei den Ländern. Nun können und müssen die Länder zeigen, wie wichtig ihnen eine moderne Pflege ist.

Ich muss gestehen, dass mir bei der Diskussion über die Pflegestützpunkte ein Zitat von Schopenhauer eingefallen ist:

"Gute Ideen werden zuerst verlacht, dann bekämpft und schließlich kopiert."

Ich bin sicher, dass wir erleben werden, wie sich die größten Kritiker der Pflegestützpunkte, wenn sich diese erst etabliert haben, zu Vätern und Müttern dieses Gedankens erklären werden.

Es ist ausdrücklich erwünscht, dass durch die Pflegestützpunkte die vorhandenen Strukturen weiterentwickelt werden, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiter und die Selbsthilfegruppen eingebunden werden. Ich bin froh, dass wir es gemeinsam erreichen konnten, dass die Fördermittel für niedrigschwellige Pflege- und Betreuungsangebote von jetzt 20 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro erhöht werden. Dieses Geld soll eingesetzt werden, um das bürgerschaftliche Engagement und das Engagement der Selbsthilfe im Bereich der Pflege zu fördern und damit die Pflege zu stärken.

Nehmen Angehörige beruflich eine Auszeit, um zu pflegen, werden für sechs Monate Sozialbeiträge übernommen. Außerdem können sich Angehörige, wenn jemand in ihrer Familie zum Pflegefall wird, für zehn Tage freistellen lassen, um kurzfristig die nötigsten Dinge zu organisieren. Damit stärken wir die Pflege in der Familie.

Die Leistungen der Pflegeversicherung werden schrittweise erhöht und ab 2015 systematisch an die Preisentwicklung angepasst. Ein Aspekt ist mir dabei besonders wichtig: Der Betreuungsbedarf von demenzkranken, psychisch kranken und geistig behinderten Menschen wird erstmals als Leistung anerkannt. Demenziell erkrankte und psychisch kranke Pflegebedürftige erhalten künftig einen monatlichen Betrag von 100 oder 200 Euro bei häuslicher Pflege – auch dann, wenn sie keine Pflegestufe haben –, um damit zusätzliche Hilfen finanzieren zu können.

Ich bin sehr froh, dass wir auch in der stationären Versorgung dazu eine praktikable Lösung gefunden haben. Eine Erhöhung der Leistungen alleine würde zwar die Sozialhilfe entlasten, aber sie hätte nicht bewirkt, dass mehr Pflegekräfte für die Betreuung zur Verfügung stehen. Deshalb gehen wir mit der Pflegereform einen völlig neuen Weg: Erstmals werden durch die Pflegeversicherung zusätzliche Betreuungsassistenten in den stationären Einrichtungen für Menschen mit erhöhtem Betreuungsaufwand finanziert. Das hilft diesen Menschen direkt, weil die Angebote ausgeweitet werden und sie besser aktiviert werden können. Es entlastet aber auch die Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die tagtäglich unter sehr starker Verdichtung der Aufgaben ihre Arbeit in den Einrichtungen verrichten müssen, und gibt ihnen Zeit, das zu tun, wofür sie diesen Beruf gewählt haben, nämlich den von ihnen betreuten Menschen Zuwendung zu geben.

Wir stärken die häusliche Pflege und fördern alternative Wohnformen. Pflegebedürftige können in Zukunft in Wohn- und Lebensgemeinschaften und auch dann, wenn sie im selben Haus oder in der Nachbarschaft wohnen, ihre Leistungen bündeln und Pflegeangebote gemeinsam nutzen. Das bedeutet Zeitgewinn, und Zeitgewinn bedeutet Zuwendung. Davon profitieren die Pflegebedürftigen und die Pflegenden gleichermaßen.

Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die Frauen und Männer in Pflegeheimen leisten. Mehr als 90 Prozent von ihnen leisten gute und aufopferungsvolle Arbeit. Wenn etwas schiefläuft, dann liegt das in der Regel nicht an den Personen selber, sondern daran, wie eine Einrichtung organisiert und geführt ist.

Wir wollen die Missstände auf ein Minimum reduzieren. Niemand kann garantieren, dass es keine Missstände gibt, aber wir wollen dagegen angehen. Die Qualitätsprüfungen in den Pflegeeinrichtungen werden künftig jährlich und in der Regel unangemeldet stattfinden. Was dabei zählt, ist die Qualität der Ergebnisse. Entscheidend für die zukünftige Qualitätsentwicklung ist die Transparenz der Pflegeberichte. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können sich in Zukunft verlässlich darüber informieren, ob ein Heim etwas taugt, zum Beispiel durch die Einführung eines Ampel- oder Sternesystems und dadurch, dass wir alle Einrichtungen – ob ambulant oder stationär – dazu verpflichten, die Prüfberichte in verständlicher Form öffentlich zugänglich zu machen. So können schwarze Schafe schneller gefunden werden. Die Menschen können dann schlechte Einrichtungen oder Pflegedienste meiden. Das ist, glaube ich, der beste Weg, um diejenigen zu unterstützen, die tagtäglich für die Verbesserung der Qualität kämpfen.

Jedes schwarze Schaf ist eines zu viel. Dagegen müssen wir angehen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass die allermeisten Pflegerinnen und Pfleger in den Einrichtungen eine großartige und verantwortungsvolle Arbeit leisten. Deshalb ist die Gesellschaft ihnen zu Dank und Anerkennung verpflichtet. Ich glaube, ich spreche im Namen des gesamten Hauses, wenn ich diesen Menschen, die rund um die Uhr unermüdlich ihre Arbeit leisten, einen herzlichen Dank ausspreche.

Ich will nicht verschweigen, dass ich es gerne gesehen hätte, wenn die private Pflegeversicherung ihren Beitrag zur Finanzreform geleistet hätte. Das bleibt für mich erst einmal unbefriedigend. Dennoch: Nennen Sie mir eine andere Reform in dieser Legislaturperiode, die so konkrete und spürbare Erleichterungen für die Menschen enthält, oder eine Reform, die Leistungsverbesserungen von insgesamt mehr als 15 Prozent mit sich bringt!

Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist ein Erfolg für die Menschen in unserem Land, die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und die Ehrenamtlichen sowie für die Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen. Für uns ist wichtig, dass wir auch in der Pflegeversicherung auf dem Weg der solidarischen Absicherung der großen Lebensrisiken bleiben. Das tut der Gesellschaft und ihrem Zusammenhalt gut.

Ich bedanke mich bei allen, die an den Diskussionen und Anhörungen in den Ausschüssen teilgenommen und daran mitgewirkt haben: bei den Koalitionsfraktionen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie insbesondere beim Kollegen Seehofer und der Kollegin von der Leyen, die an der Erarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt waren.